Öcalans
Nachruf auf Nelson Mandela:
“Ein glänzender
Stern, der die Völker Afrikas erleuchtete”
Die Tränen, die Menschen
heute überall auf der Welt für Mandela vergießen, die Geschichten die
nun über ihn erzählt werden, sowie die Weisheit, die er allen anderen
Freiheitsbewegungen hinterlassen hat, zeigen uns seine Bedeutung auf.
Die Geschichte der Völker der Welt wird zumeist durch die rücksichtslose
Überheblichkeit derjenigen gestaltet, die sie in ihren Klauen zu halten
versuchen. Diese Überheblichkeit zeigt sich bisweilen deswegen, weil die
ganze Welt der Unterdrückung zuschaut, ohne sie zu sehen, bisweilen durch
das Böse eines Totalitarismus und die Banalität, welche es nährt. Während
die Paten des Bösen stets voller Scham das Knie beugen und um Vergebung
bitten oder als eine zwielichtige Seite im Buch der Geschichte landen,
zeigt sich der Kampf gegen die Banalität des Bösen und den aufstrebenden
Totalitarismus in der einzigen Sache, die alle Böden der Welt zugleich
befeuchtet: den Tränen des unterdrückten Menschen.
Mandela und der Kampf für Demokratie und Gleichheit, den er anführte,
definieren den Begriff des Kampfes für diejenigen, die sich ein Leben
in Freiheit und Gleichheit zum Prinzip gemacht hatten. Von Menschen wie
Mandela können wir nicht in der Vergangenheitsform reden. Denn Menschen,
die ihren Platz in den Herzen der Völker erobert haben, tragen das Schicksal,
die Rolle von Prometheus zu spielen. Weder der Tag, an dem sie beschließen,
das Feuer zu tragen, noch die Form, in der sie es tragen, ist zufällig.
Es ist ein Kampf, um sich in würdiger Weise gegen die Schäden zu stellen,
welche das System der kapitalistischen Moderne, das die Herrschenden im
Laufe der Geschichte aufzwingen, schafft.
Dass die Seiten der von den Herrschenden geschriebenen Geschichte zerrissen
werden und der Ordnung, die für Geschichte, für Schicksal gehalten wurde,
Einhalt geboten wird, beweist, dass das Feuer des Volkes von Südafrika
und Mandelas die Unterdrückten auf der ganzen Welt erfasst hat. In dieser
Ära der Aufstände, als sie aus den Unterdrückten „Terroristen“, „Despoten“
oder „Verräter“ machen wollten, schaffte es Mandela durch sein weises,
lächelndes und mutiges Verhalten, selbst in schwersten Zeiten und Gefangenschaft
voller Hoffnung zu bleiben. Seinen Kampf, den er frei und ohne Furcht
führte, diese politische Ära, die zu seinem Leben wurde, vollendete er
als freier Mann, respektiert von der ganzen Welt, frei und als Quelle
der Inspiration für die ganze Welt.
Mit der Trauer um ihn fühlen wir das Glück im Gesicht seines Volkes, das
es zusammen mit einem freien Leben gewann, und den Schlag, den dieses
Volk den Herrschenden versetzt hat. Die Faust, die sich in Südafrika erhob
– das sehen wir selbst heute – hat als Faust aller unterdrückten Völker,
deren Hoffnungen in Kerkern vernichtet werden sollen, Furcht in den Herzen
derer gesät, die sie in Gefangenschaft halten. Die Gefängnisgitter sind
kalt und rostig wie die Herzen derer, die feige genug sind, mutige Menschen
hinter Gitter zu sperren. Doch Mandelas großes Vermächtnis an uns alle
ist, nicht aufzugeben – nicht im Gefängnis, selbst nicht in den schwersten
Momenten.
Mandela, zu dem ich vor meiner Verschleppung durch ein internationales
Komplott unterwegs war, um seinen Rat einzuholen, wird mit mir, mit dem
kurdischen Volk, mit der großen Mehrheit, die auf Plätzen und Bergen in
der ganzen Welt grausamen Herrschern zum Trotz lächelt, als Teil unserer
großen Familie weiterleben.
Wir waren uns gegenseitig herzlich verbunden. Dieses Band beinhaltete
sein Mitgefühl für und seine Verbundenheit mit dem kurdischen Volk und
unsere herzlich empfundene Verbundenheit mit und Respekt vor ihm. Er war
ein glänzender Stern, der die Völker Afrikas erleuchtete. Wir werden dafür
sorgen, dass dieser glänzende Stern auch über den Völkern des Mittleren
Ostens erstrahlen wird.
Unsere große Familie soll den Kopf nicht sinken lassen. Denn wir verabschieden
einen unserer Weisesten, einen, der nie den Kopf senkte. Freundschaftliche
Grüße an das Volk von Südafrika und alle Unterdrückten, die in Mandela
einen Genossen sehen! Wir hoffen, dass wir alle als freie Bürger in freien
Ländern leben und sterben werden.
In Würde und Frieden,
ganz wie Nelson Mandela…
Abdullah Öcalan
Gefängnis İmralı
(Übersetzung: Internationale
Initiative “Freiheit für Abdullah Öcalan – Frieden in Kurdistan”)
http://www.freeocalan.org/?p=651&lang=DE
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