Der Öcalan-Moment In jeder größeren Stadt in Europa sind die Plakate dieser Tage unübersehbar. In riesigen Lettern porträtieren sie Nelson Mandela mit drei Worten: „Revolutionär, Gefangener, Präsident‟. Hinter ihnen sehen wir Mandela mit einer in die Höhe gereckten Faust. Hollywood verdichtet die Geschichte einer Revolution auf eine Erzählung von 141 Minuten. Im wirklichen Leben dauern die Kämpfe länger, zu lange, unerträglich lang. Mandela war 27 Jahre im Gefängnis, der Kampf gegen die Apartheid für politische Gleichheit währte Jahrzehnte. Auch die Kurden kämpfen seit Dekaden für Freiheit, und ihr Anführer ist noch immer im Gefängnis. Vor 15 Jahren, am 15. Februar 1999, wurde Abdullah Öcalan illegal aus Kenia verschleppt. Seither ist er unter unaussprechlichen Bedingungen auf der Insel Imrali inhaftiert. Er hält mehrere „Europarekorde‟ als Gefangener mit der längsten Isolationshaft (mehr als 10 Jahre) und der längsten Kontaktsperre mit seinen Anwälten (seit mehr als 2,5 Jahren). Doch genau wie in Südafrika musste die türkische Regierung letztlich anerkennen, dass Öcalan ein wahrhafter, respektierter politischer Führer seines Volkes ist. Innerer und äußerer Druck zwangen die Regierung, Gespräche mit ihm aufzunehmen. Diese Gespräche finden nun schon seit geraumer Zeit statt. Öcalans mutige Newroz-Deklaration im März 2013 hat die Bedingungen für Politik in der Türkei, vielleicht gar für den gesamten Mittleren Osten verändert. Ohne den Fokus auf „Terror‟ musste sich die Türkei plötzlich auf ihre eigenen demokratischen Defizite konzentrieren. Die Gezi-Proteste, Korruptionsvorwürfe und das Aufdecken geheimer Netzwerke in Polizei und Justiz, welche die Türkei in den letzten 12 Monaten erschütterten, sind alle Ergebnis dieser neuen Situation. Gleichzeitig schreckt die Regierung vor jeglicher ernsthaften Verpflichtung zurück. Keine Gesetzesänderungen, kein schriftliches Abkommen, keine Beobachtung des Dialogs durch irgendjemanden. Sie möchte die volle Kontrolle über jeden einzelnen Aspekt des Geschehens behalten. Doch dies ist offenbar illusorisch. Die Kontrolle ist ihr bereits seit langem entglitten. Die türkische Außenpolitik liegt in Scherben. Die Kurden lassen sich nicht länger kontrollieren, weder in der Türkei noch anderswo. Die Bevölkerung in der Türkei hat autoritäres Gebaren satt. Selbst frühere Verbündete wenden sich gegen Erdoğan. Inmitten des Chaos im Mittleren Osten zeigen die Kurden in Rojava (Syrisch-Kurdistan), wie eine mögliche Lösung aussehen kann. Indem sie bewaffnete Konflikte vermeiden und die „demokratische Autonomie‟ mit Respekt für alle ethnischen Gruppen und religiösen Minderheiten aufbauen, präsentieren sie eine Alternative zu nationalistischen und islamistischen Staatsmodellen. Ihr Modell ist nicht aus dem Nichts entstanden. Öcalan propagiert seit vielen Jahren eine multiethnische, dezentrale demokratische Selbstverwaltung und straft damit alle Lügen, die ihm immer noch eine separatistische Agenda unterstellen. Wie Nelson Mandela in Südafrika baut er in Wirklichkeit Brücken des Friedens zwischen den Völkern des Mittleren Ostens. Die europäischen Staaten dagegen ignorieren diese inspirierenden Entwicklungen und setzen statt dessen ihre Repression gegen kurdische Politiker fort. Statt die wirklich demokratischen Parteien und Bewegungen zu unterstützen, verfolgen sie kurzsichtige Agenden. Europa sollte sein
Gewicht dafür einsetzen, Demokratie sowohl in der Türkei als auch in Rojava
zu fördern – doch vor allem in Europa selbst. Solange all dies nicht geschieht, sind alle Forderungen nach „Demokratie in der Türkei‟ nicht nur unglaubwürdig, sondern in höchstem Maße heuchlerisch. Die Apartheid konnte nicht ewig Bestand haben, und auch für die Kurden wendet sich das Blatt zusehends. Die Tage der lächerlichen Verleugnung der bloßen Existenz von Kurden sind vorbei. Die Kurden machen überall Fortschritte und wurden in mehreren Ländern zu bedeutenden politischen Mitspielern. Glücklicherweise besitzen sie mit Öcalan einen vorausblickenden, fortschrittlichen und umsichtigen Führer, der nicht zulässt, dass die Kurden Islamisten vom Schlage Hisbollah, al-Qaida und al-Nusra oder den Kräften des Status quo zum Opfer fallen. Die Gespräche zwischen Abdullah Öcalan, der PKK und der türkischen Regierung dauern nun mehrere Jahre. Wirkliche Verhandlungen jedoch kann es nicht geben, solange Öcalan im Gefängnis ist. Berühmt ist Mandelas Zitat: „Nur freie Menschen können verhandeln. Gefangene können keine Verträge abschließen.‟ 1990 erlebte die Welt den „Mandela-Moment‟, als Nelson Mandela ohne Bedingungen aus dem Gefängnis entlassen wurde. Die Türkei und die Welt sollten sich langsam für den „Öcalan-Moment‟ bereit machen. Köln, 14. Februar 2014 Internationale Initiative »Freiheit für Abdullah Öcalan – Frieden in Kurdistan« --
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