Wahlbeobachtungs-Bericht von der Cenî-Frauendelegation

Die von Cenî organisierte Frauendelegation ist zur Wahlbeobachtung nach Riha (Urfa) und die umliegenden Orte gefahren. Vor Ort wurde die zehnköpfige Delegation in drei Gruppen aufgeteilt. Eine Frauengruppe ist zur Wahlbeobachtung in den Landkreis Haran, eine weitere in den Landkreises Bozova gefahren. Unsere aus vier Frauen bestehende Gruppe beobachtete im Landkreis Serekaniyê (Ceylanpınar) den Ablauf der Wahlen. Serekaniyê liegt ca. 139 km von Riha entfernt und grenzt an Rojava (Nordsyrien). Serekaniyê umfasst eine Population von ca. 48.000, zusammen mit den umliegenden Dörfern ca. 78.000 Einwohner_innen. Weiterhin leben ca. 6000 Geflüchtete aus Rojava in einem nahe gelegenen Camp und weitere 10.000 in der näheren Umgebung des Ortes.

Der Landkreis wird vom parteilosen Menderes Atilla regiert, der nach Aussagen der Bewohner_innen die Al Nusra Banden, die in Rojava morden, öffentlich finanziell und ideel unterstützt. Bei den diesjährigen Wahlen ist er als Vertreter der konservativen AKP (Partei der Gerechtigkeit und des Fortschritts) angetreten.

Laut Aussage eines BDP-Sprechers (Partei für Demokratie und Frieden) seien die Bürger_innen von Serekaniyê über die Zusammenarbeit von Menderes mit Al Nusra Banden entsetzt und daher wäre es zu erwarten, dass die BDP mehrheitlich gewählt wird- sofern kein Wahlbetrug begangen würde.

Um 11:45 Uhr kommen wir an der Atatürk Grundschule an, die ca. 50-100 Meter von einer Polizeistation entfernt liegt, auf deren Nachbargelände Panzer stehen. Auf dem Schulhof stehen Wähler_innen in Gruppen, während am Eingang Zettel verteilt werden, auf denen Namen von der sich zur Wahl stellenden Dorf-/ Bezirksvorsteher_innen zu lesen sind. Wir gehen direkt in das Wahllokal hinein und sehen in der Menschenmenge bewaffnete Polizisten in Uniform und in Zivil. Zwei uniformierte Polizisten kommen gleich auf uns zu und führen uns in den Wahlraum, wo wir auf sie warten sollen, da sie überprüfen wollen, ob wir dort bleiben dürfen.

Wir stellen uns bei den Wahlhelfer_innen vor und erwähnen unsere Berufsbezeichnungen, weshalb wir sofort des Raumes verwiesen werden, da eine Frau aus der Gruppe als Jornalistin arbeitet. Auch nach mehrfacher Klarstellung, dass sie ausschließlich als neutrale Wahlbeobachterin und nicht in ihrer Funktion als Journalistin die Wahl beobachtet, wird die Gruppe aus dem Wahllokal verwiesen. Es eilen sofort Polizisten herbei. Uns wird auf dem Schulhof in einem bedrohlichen Ton deutlich gemacht, dass wir keine Befugnis hätten, an der Wahlbeobachtung teilzunehmen. […] Die Polizisten rufen ihren Vorgesetzten, der uns den § 298 des Wahlgesetz der Türkei nennt, wonach wir keine Berechtigung zur Wahlbeobachtung hätten. Die Polizei entscheidet somit darüber, dass wir keine Beobachtung durchführen dürfen. Wir protestieren mit der Begründung, dass dies rechtswidrig sei, was uns auch ein später durch die BDP hinzugezogener Rechtsanwalt bestätigt.

Wir fragen die Polizisten, ob sie Waffen dabei haben, diese bei sich tragen dürften und in welcher Distanz sie sich zu den Wahllokalen und -kabinen bewegen dürfen. Sie erklären, dass alle Polizisten eine Waffe tragen würden, dass sie 15m Abstand von der Wahlkabine und dem Wahllokal halten müssten und nur auf Abruf rein gehen dürften. Später wird uns von dem Rechtanwalt bestätigt, dass diese Aussage auf keiner rechtlichen Grundlage beruht. […] Durch den Einsatz des Rechtsanwalts dürfen wir für zwei Minuten in das Wahllokal. Es ist sehr voll, sehr unübersichtlich und mehrere Personen gehen zeitgleich in eine Wahlkabine. Wir werden nach Ablauf der zwei Minuten mehrfach lautstark von einer Wahlhelferin aufgefordert, das Wahllokal zu verlassen. Wir stellten fest, dass kein Polizist mehr in der Nähe des Schulgebäudes ist und verlassen, begleitet von dem Rechtsanwalt, das Wahllokal.

Wir fahren in das Wahllokal in der Cumuriyet Mittelschule. Ein Polizist sitzt im Eingangsbereich. Es eilen weitere Polizisten herbei. Sie befinden sich in den Wahllokalen, bzw. im Gebäude vor den Wahlräumen und sind bewaffnet. Wir dürfen mit Hilfe des Rechtsanwalts ohne weitere Schwierigkeiten in einen Wahlraum. Wir wollen in einen weiteren Wahlraum und stellen fest, dass wir von zwei Polizisten verfolgt werden, u.a. einem aus der ersten Schule. Ein Polizist versucht den Rechtsanwalt davon abzuhalten mit uns zusammen in das Wahllokal zugehen. Wir gehen einfach weiter in den Wahlraum, der Polizist will ebenfalls rein, wird aber von einer Frau aus dem Wahlraum zurückgedrängt. Sie weist ihn darauf hin, dass er als Polizist nicht rein darf. Es findet vor dem Wahlraum eine lauthalse Diskussion zwischen dem Polizisten, dem Wahlleiter und dem RA statt. Der Wahlleiter will uns Einlass gewähren und der Polizist droht diesem, dass er Rechenschaft ablegen müsse, falls er uns rein ließe. Wir beschließen, um den Wahlleiter zu schützen, das Wahllokal und Wahlgebäude zu verlassen.

Wir fahren in die nächste Wahlstation in der Alpaslan Grundschule. Gegen 13:30 Uhr betreten wir mit dem Rechtanwalt das Schulgebäude. Sofort stürmt ein AKP-Vertreter auf uns zu und will wissen, was wir dort machen. Mehrere Polizisten fahren vor und stürmen in das Wahlgebäude. Dennoch dürfen wir in einen Wahlraum. Im Eingangsbereich, wo von einem Wahlhelfer Personalausweise, bzw. Wahlberechtigungen überprüft werden, sitzt ein Polizist. Eine Frau mit kurdischer, traditioneller Kleidung kommt zur Wahl in den Raum. Sie legte ihr Dokument vor. Der Mann schaute sie an und sagt, ohne eine Überprüfung ihrer Daten vorzunehmen, dass sie bereits heute zur Wahl erschienen sei. Er ruft sich weitere Wahlhelfer lautstark zur Unterstützung und unterstellt ihr weiterhin bereits gewählt zu haben. Die Frau weist dies mehrfach entschieden ab und beharrt darauf, dass er ihre Daten überprüft. Die Überprüfung bestätigt ihre Aussage.

Gegen 14:00 Uhr kommen wir in der Mevlana Grundschule an, von der aus der Rojava zugehörige und von der PYD verwaltete Teil von Serekaniyê zu sehen ist. (Serekaniyê wurde von den Westmächten nach dem 1. Weltkrieg in zwei geteilt.) Vor dem Grenzstreifen stehen viele Militärposten. In der unmittelbaren Nähe ist eine große Kaserne der Gendarmarie. Vor der Schule stehen zwei bewaffnete Polizisten und eine Gruppe ebenfalls bewaffneter Zivilpolizisten, die uns sofort fragen, was wir vorhaben. Wir gehen in einen Wahlraum. Die Wahlhelfer sind ausschließlich männlich. Auf einmal kommt ein Polizist, greift sich das Wahlregister und blättert es durch. Wir werden nach Verlassen der Wahlorte von einem Wagen mit abgedunkelten Fenstern, der bereits in den Schulen davor mit Zivilpolizisten dabei war, verfolgt.

Fazit: Insgesamt gab es viele Unregelmäßigkeiten zu verzeichnen auch seitens der Polizisten, die zu den AKP-Anhänger_innen gehören.

Riha-31.3.2014


CENÎ
Kurdisches Frauenbüro für Frieden e.V.
Kurdish Women's Office for Peace
Buroya Aşitıyê ya Jinên Kurd

Postfach 10 18 05
D - 40009 Düsseldorf
Germany

Tel.: +49 (0)211 598 92 -51/ Fax: -53
E-mail: ceni_frauen@gmx.de
www.ceni-kurdistan.com
face.: Ceni Frauen

Bankverbindung:
Stadtsparkasse Düsseldorf
BLZ: 300 501 10
Konto: 1004439715