Türkische Regierung plant(e) Überfall auf SyrienEine Bewertung von Civaka Azad – Kurdisches Zentrum für Öffentlichkeitsarbeit e.V., 01.04.2014 Auf youtube wurde am 27. März ein Video veröffentlicht, das einen Mitschnitt eines Gesprächs auf Ebene der türkischen Regierung wiedergibt. Zu hören sind Außenminister Ahmet Davutoglu, Geheimdienstchef Hakan Fidan, Unterstaatssekretär Feridun Hadi Sinirlioglu und der stellvertretende Armeechef Yasar Güler. Die Beteiligten berieten, wie man eine inszenierte Operation in Syrien durchführen könnte, um eine Rechtfertigung für einen Krieg zu haben. Sie erwogen, Anschläge auf Grabstätten durchführen oder türkische Agenten von syrischem Boden aus Raketen auf türkisches Territorium feuern zu lassen. Geheimdienstchef Fidan sagte wörtlich: „Wenn es nötig ist, kann ich vier Männer nach Syrien schicken und acht Raketen auf die Türkei abfeuern lassen, um einen Kriegsgrund zu schaffen. Wenn nötig, kann auch ein Angriff auf die Grabstätte erfolgen.“ Außenminister Ahmet Davutoglu bekräftigte, dass Regierungschef Erdogan in der momentanen Situation einen Angriff auf Grabstätten nahe der syrischen Stadt Alleppo, die aus historischen Gründen als türkisches Territorium gelten und von türkischen Elitesoldaten bewacht werden, als zu begrüßendes Szenario sehen würde, um einen Angriff zu rechtfertigen. Von führenden Politikern und Geheimdienstlern eines NATO-Mitglieds wurde diskutiert einen selbst geschaffenen Vorwand für einen Angriffskrieg auf Syrien zu schaffen. In der Türkei sind auch deutsche Patriot-Raketen stationiert. Auf den ersten Blick ist verwunderlich, dass in den deutschen Medien hauptsächlich über die Sperrung von youtube, nicht jedoch über die Hintergründe der Sperrung und der aggressiven Politik der Türkei berichtet wird. Vielfach wurde zudem die Authentizität des youtube Videos in Frage gestellt, obwohl Premierminister Erdogan die Echtheit nicht in Frage stellte, sondern lediglich von einer verzerrten Berichterstattung sprach. Für die Regierung der Türkei geht es in Syrien hauptsächlich darum mit allen Mittel zu verhindern, dass sich die selbstbestimmte demokratische Selbstverwaltung der KurdInnen in den Kantonen Kobanê, Efrîn und Cizîre stabilisiert. Bereits als der Partei der Demokratischen Union (PYD) nahestehende KurdInnen begonnen haben Gebiete in Rojava (Norsyrien) zu befreien und diese gemeinsam mit dort lebenden ArmenierInnen, AraberInnen und ChristInnen selbst zu verwalten, löste das Panik in Ankara aus. Die türkische Regierung begann damit, die bewaffnete syrische Opposition noch umfangreicher zu unterstützen – darunter auch Al-Qaida-Gruppen. Dschihadisten aus aller Welt sammelten sich in der Türkei und drangen über die Grenze nach Syrien ein. Dafür bekamen sie in der Türkei Waffen, logistische Unterstützung und Rückzugsräume. In dem oben genannten Video ist von hunderten LKWs die Rede, die mit Waffen und Munition nach Syrien geschickt worden sind. Belege für die türkische Unterstützung dschihadistischer Milizen von Al Quaida, vor allem Al Nusra und ISIS, sind durch etliche Zeugenaussagen und Kameraufnahmen dokumentiert. Einige belegen, dass über die Grenze bei Ceylanpinar diese Gruppen, allen voran Al Nusra, mit Panzern, Militärfahrzeugen und tausenden Dschihadisten von der Türkei nach Rojava vordringen. ISIS und Al Nusra errichteten bis zur Befreiung von ganz Serê Kaniyê eine Schreckensherrschaft im westlichen Teil der Stadt. Dabei kooperierten die beiden Gruppen sehr eng, was von Delegationen dokumentierte gemeinsam ausgestellte Vorladungen von Al Nusra und ISIS belegen. Deutlich wurde hierbei das Schweigen des Westens. Während in Mali, Afghanistan, Pakistan und vielen anderen Orten der Welt von NATO-Staaten der „Krieg gegen den Terror“ geführt wird und Tausenden das Leben kostet, marschieren im NATO-Staat Türkei, quasi unter den Augen der 50 km entfernt stationierten Bundeswehr-Truppen, unter der Fahne von Al Qaida Dschihadisten über die syrische Grenze und verüben schwerste Kriegsverbrechen an der Zivilbevölkerung. Seit dem 16. Juli 2013 verschärften diese ihren Krieg gegen die Selbstverwalteten Regionen in Rojava. Die Unterstützung der Dschihadisten durch die Türkei, die nach Aussagen von gefangenen Mitgliedern islamistischer Gruppen sogar Ausbildungslager für diese Gruppen auf türkischem Staatsgebiet unterhält, reißt nicht ab, und das, obwohl ISIS nun offiziell als Grund für einen Einmarsch in Rojava dienen soll. Der Abschuss eines syrischen Flugzeugs im März durch die Türkei fand ebenfalls statt, als dieses gegen Stellungen der Dschihadisten vorging und scheint, wie die medizinische Versorgung verwundeter Mitglieder dieser Gruppen, Teil der Unterstützung zu sein. Interessant ist aktuell in diesem Kontext zu sehen, dass zur gleichen Zeit in den türkischen Medien diese Gruppen als Interventionsgrund aufgebaut werden, als Teil einer Strategie der türkischen Regierung. Wichtig ist ebenso zu bewerten, dass diese Gruppen auch in der Autonomen Region Kurdistan (KRG) Anschläge verüben, und trotzdem wird sowohl von Seiten der regierenden KDP (Demokratische Partei Kurdistan) und im Besonderen der ihr nahestehenden im ENKS (Kurdische Nationalrat von Syrien) organisierten syrisch kurdischen Kräfte eine Zusammenarbeit mit den dschihadistischen Banden in Syrien gesucht. So gaben Einheiten der zum ENKS gehörigen Azadi Partei von Mustafa Cuma der ISIS militärische Hilfe bei einem schweren Angriff auf die selbstverwalteten Regionen in Rojava. Dabei starben über 40 KämpferInnen der YPG, über 20 Dörfer wurden entvölkert. Da die Politik der KRG von den politischen Vorgaben der NATO und vor allem auch der Türkei abhängig ist, muss diese Kollaboration in diesen Zusammenhang gebracht werden. Ohne Zweifel sind jedoch weder ISIS noch Al Nusra nur als Bodentruppen der Türkei zu denken. Die Bewaffnung und Unterstützung dieser Gruppen wird wie ein Bumerang in die Türkei zurückkehren wie am 20. März mit dem Angriff in der Provinz Nigde in Zentralanatolien zu sehen war, wo zwei Polizisten und ein Lastwagenfahrer erschossen wurden, zu sehen war. Sie folgen derselben Logik wie die der USA mit ihrer Unterstützung Bin Ladens gegen die UDSSR in Afghanistan und werden der Türkei, wie auch den westlichen Staaten auf die Füße fallen. In dieser Hinsicht sind Aktionen von ISIS im Irak zu interpretieren. So sind die selbst aufgebauten dschihadistischen Gruppen immer auch als eine mögliche Legitimation für einen Angriff auf Rojava und einer Umsetzung von Erdogans neoosmanischen Plänen im Mittleren Osten zu betrachten. Seit mehreren Wochen halten nun die Angriffe der islamistischen Kämpfer der Gruppe Islamischer Staat im Irak und Syrien (ISIS) auf den im Norden Syriens gelegenen westkurdischen Kanton Kobanê an. Bei den Auseinandersetzungen mit den kurdischen Volksverteidigungseinheiten (YPG) hat es bereits Hunderte Tote gegeben. Die Partei der Demokratischen Union PYD geht davon aus, dass die Islamisten der ISIS versuchen die Verbindungen zwischen den drei kurdischen Kantonen Kobanê, Efrîn und Cizîre zu trennen. Wird seitens der westlichen Staaten weiterhin auf militärische Lösung und Instabilität gesetzt, soll der ohnehin chaotische Zustand in der Region durch Schüren von Gewalt und Krieg noch weiter vertieft werden. Ist es den Herrschenden in Europa und den USA recht, dass die Türkei derart aggressiv und mit völkerrechtswidrigen und menschenverachtenden Methoden eskaliert. Stehen die von der kurdischen Bevölkerung errichteten Selbstverwaltungsstrukturen als Rollenmodell einer selbstbestimmten und gleichberechtigten Demokratisierung bei der geplanten Neuaufteilung des Mittleren Ostens im Weg? Lässt sich so auch erklären, dass die Grenzschließungen rund um Rojava (Nordsyrien), die einem Embargo für Lebensmittel, Öl, Gas und Medikamente gleichkommen, in vollem Wissen geduldet werden? Die Erklärung für die beschriebene Situation und die einseitige und gleichgeschaltete Wertungslogik und die damit zusammenhängende Desinformation ist eigentlich recht einfach. Es geht um geostrategische Interessen der EU, der USA und der NATO im Mittleren Osten und bei der Neuaufteilung weltweiter Machtverhältnisse. In den USA wurde die „westliche“ Unterstützung des Putsches in der Ukraine von mehreren führenden PolitikerInnen auch als gelungene Rache für das Veto Russlands in der UN gegen weitergehende Sanktionen und somit Interventionsvorbereitungen gegen Syrien gewertet. In Jugoslawien und in Libyen wurde schon ähnlich gehandelt. Die Ereignisse können nicht
getrennt voneinander betrachtet und verstanden werden. Deshalb wird auch
der eigentlich ungeheuerliche Vorgang des Gesprächs auf dem Video bei
youtube nicht angemessen gewertet und erst recht nicht angemessen darauf
reagiert. Müsste bei solch einer kriegstreiberischen Praxis durch die
Türkei eine sofortige Aufkündigung der Zusammenarbeit seitens der EU und
der NATO mit der Türkei nicht eigentlich das Mindeste sein?
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