Der Fall Beshir
Abdulmecid Mussa –
Starke Hinweise auf Verstrickung der südkurdischen PDK-Regierung in Bombenanschläge
in Rojava
Als Delegation von
TATORT Kurdistan halten wir uns seit dem 3. Mai 2014 in Rojava (Nordsyrien)
im Kanton Cizîre auf, um die Menschenrechtslage, die politische und ökonomische
Situation hier vor Ort zu untersuchen. Unsere Delegation besteht aus der
Ethnologin Anja Flach, dem Ökologen Ercan Ayboga und dem Historiker Michael
Knapp und hat sich zum Ziel gesetzt ebenfalls die politischen Konflikte
in und um Rojava zu untersuchen. Während sich unsere Delegation in Rojava
aufhielt, ereignete sich am 09.05.2014 gegen 21:30 Uhr eine heftige Explosion
in der kurdischen Kleinstadt Tirbespi. Die Sicherheitskräfte der autonomen
Verwaltung (Asayiş), die sofort zum Ort der Explosion fuhren, fanden ein
vollständig zerstörtes Lehmhaus in einem Hinterhof vor. Unter den Trümmern
des Hauses wurde eine Leiche gefunden. In der Nachbarschaft entdeckten
die Asayiş Beshir Abdulmecid Mussa (im Weiteren auch mit seinem kurdischen
Namen „Pesheng“ benannt), der durch die Explosion einen Schock erlitten
hatte. Schnell wurde klar, dass es sein Haus war, in dem die Bombe detonierte,
und dass es sich bei der Explosion um einen Unfall beim Bombenbau handelte.
Nachdem die Sicherheitskräfte Beshir
Abdulmecid Mussa, ins Krankenhaus zur Untersuchung gebracht hatten und
festgestellt worden war, dass er unverletzt ist, begannen sie mit seiner
Vernehmung, bei der das Ausmaß des Skandals allmählich klar wurde.
Es stellte sich heraus,
dass er Mitglied der PDK-S (PDK-Syrien), also des syrischen Ablegers der
südkurdischen/nordirakischen Regierungspartei PDK (Demokratische Partei
Kurdistans) ist. Er wurde in Südkurdistan militärisch ausgebildet und
hatte nach eigenen Angaben auf Anweisung höchster Stellen der dortigen
Autonomieregierung gehandelt. Diese Tatsachen wurden daraufhin der Öffentlichkeit
präsentiert, woraufhin die PDK-S einräumte, dass er Mitglied bei ihnen
sei, die Aussagen aber unter Folter entstandene Lügenkonstrukte seien.
Aufgrund der widersprüchlichen
Lage und der Brisanz der Situation baten wir als Delegation die westkurdische
Sicherheitsbehörde mit dem Gefangenen sprechen zu dürfen, was uns ohne
Schwierigkeiten gewährt wurde. Wir wollten uns vor allem über seinen Gesundheitszustand,
als auch über seine Angaben informieren. So nutzten wir die Gelegenheit,
ihn am 21.05.14 zu einem intensiven Gespräch zu treffen. Wir konnten uns
in sehr entspanntem Rahmen mit Beshir Abdulmecid Mussa unterhalten, es
gab eine englische Übersetzung des Gesprächs, wir konnten das Gespräch
filmen.
Der erste Eindruck,
den er machte, war ein entspannter, sogar erleichterter. Zunächst waren
wir irritiert, dass er ein so großes Redebedürfnis zu verspüren schien,
aber im Laufe des Gespräches verstanden wir den Hintergrund mehr und mehr.
Er war in der Lage seine Entwicklung, Ausbildung und Aktivitäten äußerst
detailliert und zusammenhängend zu schildern und Nachfragen eingehend
zu beantworten. Pesheng (Jahrgang 1993), berichtete uns, dass er sich
2010 der Partei El-Parti (PDK-S ) von Abdul Hakim Bashar angeschlossen
habe. Nach intensiver Parteiarbeit wurde er schließlich von einem regionalen
Leiter der El-Parti (Hamid Xelil) zu einer Ausbildung nach Südkurdistan
eingeladen. Diese Ausbildung sollte 2,5 Monate dauern, offiziell sollte
er zu Propagandatätigkeiten für die Partei ausgebildet werden. Ende 2011
trafen sich in Girke Lege etwa sieben oder acht Personen und machten sich
illegal über die Grenze auf den Weg nach Südkurdistan. Das Ausbildungslager,
in das sie gebracht wurden, lag zwischen Hewler (Erbil) und Kirkuk im
ehemaligen Gebäude der Zeitung Al Xabat. Es wurde von Peschmerga (bewaffnete
Kämpfer) der PDK bewacht. Insgesamt trafen dort etwa 96 Personen zur Ausbildung
ein. Einer der Ausbilder hatte den Codenamen Agiri. Diese Person heißt
in Wirklichkeit Mustafa Sefik und ist ein ehemaliges PKK-Mitglied, das
2004 mit Osman Öcalan und anderen die Seiten gewechselt hatte.
Die neu Eingetroffenen
wurden zunächst politisch und in geheimdienstliche Methoden bis hin zur
emotionalen Selbstkontrolle geschult. Immer wieder ging es auch um die
Lage in Rojava. Dann kam militärische Ausbildung, die theoretische und
praktische Ausbildung an den Waffen hinzu. Dies geschah in einem Militärcamp
in der Nähe von Hewler. Der Vorsitzende der El-Parti, Abdul Hakim Bashar
und Said Omar, wie auch der regionale Peschmergakommandeur Aziz Veyzi
waren ebenfalls immer wieder anwesend. Am Ende der Schulung gab es noch
ein gemeinsames Treffen mit Mesut und Necirvan Barzani. Necirvan Barzani
erklärte ihnen, dass die südkurdische Regierung, könne sie nicht die Kontrolle
über die Region Rojava übernehmen, auch in Südkurdistan in eine schwierige
Lage geraten könne. Auch Mesut Barzani kündigte intensive Unterstützung
der El-Parti an.
Auf eine Frage von
Pesheng, was geschehen würde, wenn jemand aus dieser Arbeit aussteigen
wolle, wurde ihm durch Agiri deutlich gemacht, dass man dies nicht akzeptieren
werde und er um sein Leben fürchten müsse.
Abdul Hakim Bashar
und Agiri sprachen vor allem über die PYD. Agiri erklärte, es stünden
„im richtigen Moment“ 7.000 militärisch ausgebildete politische Kader
bereit, um gegen die PYD vorzugehen, die auch durch 100.00 Peschmerga
unterstützt werden könnten. Schließlich, am Ende des Kurses, gab es für
Pesheng ein persönliches Treffen mit Dilshad Mizuri, dem Sicherheitschef
von Mesud Barzani. Dilshad Mizuri wählte ihn als Geheimdienstmitarbeiter
für die Region Tirbespi aus, und er sollte zunächst herausfinden, wer
in der El-Parti aktiv arbeitete und wer sich nicht ausreichend engagierte.
Man wolle die Partei auf die richtige Linie bringen.
Er bekam 300 $ und
begann seine Spitzeltätigkeit. Nachdem er einige Zeit auf diese Weise
effizient gearbeitet hatte, bekam er nun plötzlich den Auftrag, Einrichtungen
von YPG und Asayiş und Strukturen der PYD auszuforschen. Auf einem Treffen
lernte er eine Person, die sich Ramadan nannte, kennen. Diese Person hatte
eine große Menge Akten, welche die YPG vom Assad-Regime beschlagnahmt
hatte, gestohlen. Es handelte sich um Informationen, wer in Tirbespi vor
dem Umsturz mit dem Assad-Regime zusammengearbeitet hatte. Pesheng sorgte
dafür, dass diese Akten des syrischen Geheimdienstes Dilshad Misuri erreichten.
Dilshad erklärte Pesheng, dass die Akte nicht reiche und er auch Informationen
über die Strukturen der PYD, die Waffen, die Truppen in Tirbespi beschaffen
müsse. Von nun an war der Hauptauftrag von Pesheng gegen die PYD gerichtet.
Pesheng verweigerte sich dem nach eigenen Angaben zunächst, er habe gesagt,
es sei nicht demokratisch andere kurdische Parteien zu bespitzeln. Pesheng
fragte Dilschad Mizuri was geschehen werde, wenn der diesen Auftrag nicht
ausführe, ob er dann getötet würde. Mizuri habe daraufhin gesagt, „Nein,
nicht dich, deinen Bruder werden wir töten“. Weiterhin unterstrich er
seine Drohung damit, dass auch Nusreddin Behik, vom Politbüro der PDK
Syrien 2011 getötet worden sei, weil er von der Linie abgewichen sei und
militärisch gegen das Baath-Regime vorgehen wollte, wie auch vor zehn
Jahren Sami Abdurrahman vom Politbüro der PDK beseitigt worden sei, weil
er die Partei verlassen habe. An dieser Stelle ist der emotionale Druck,
den diese Drohung bei Pesheng auslöste, in seinem ganzen Verhalten greifbar.
„Wir werden die töten, die uns nicht folgen.“
Dilshad forderte Pesheng
mehrfach auf, seine Familie nach Südkurdistan zu schicken, dieser lehnte
aber ab, weil er Angst hatte, dann noch erpressbarer zu sein. Nach einem
Treffen im Sipan Hotel in Hewler wurde er mit 1200 $ nach Rojava zurückgeschickt.
In Rojava traf er erneut auf Ramadan, der sieben Bomben aus einem Depot
der YPG gestohlen hatte. Diese waren von ISIS-Terroristen zurückgelassen
worden. Ramadan arbeitete für die Stadtverwaltung von Tirbespi im Bereich
Stromverteilung, er kam so an viele Orte und kannte sich aus. Nach Informationen
des Asaiyiş-Verantwortlichen Zana Rustem habe die Person mit dem Namen
Ramadan in einer illegalen PDK-Zelle gearbeitet.
Pesheng und Ramazan
diskutierten den Plan, die Bomben zu legen. Ramadan erklärte, die Bomben
sollen im arabischen Dorf Al Thaura bei Tirbespi auf einem öffentlichen
Platz, vor einer Tankstelle und vor einer Moschee in Al Tanik, Tirbespi
gelegt werden.
Da Pesheng an diesem
Plan zweifelte, kontaktierte er Dilshad Mizuri, zunächst sagte dieser
nur, es sei in Ordnung, wenn diese Bomben an Orten mit arabischer Bevölkerung
detonierten, als Pesheng immer noch an dem Plan zweifelte, erklärte Dilshad
Mizuri ihm, es sei nicht nur in Ordnung, sondern er habe dies als einen
Befehl zu verstehen. Mizuri meinte, das Ziel der Aktion sei, eine Verbindung
zwischen PYD und den Anschlägen herstellen zu können und so eine chaotische
Situation durch einen ethnisierten Konflikt zwischen KurdInnen und AraberInnen
entstehen zu lassen. Die Bombe in Al Thaura und in Al Tanik vor der Moschee
sollten gleichzeitig gelegt werden.
Um sich noch einmal
abzusichern, rief Pesheng eine Person mit Namen Muhammed Amin Abbas, ein
Mitglied der Leitung der PDK-Syrien in Girke Lege an. Er sagte er müsse
Rücksprache halten und meldete sich nach zwei Tagen wieder, dass die Partei
zustimme, aber nichts auf sie zurückfallen dürfe.
Sie entschieden sich,
die Bombe am 09.05. zwischen 21:30 und 22:00 Uhr in Tirbespi/Al Thaura
zu legen. Pesheng, der seit einem Monat verheiratet war, schickte seine
Familie zu einer Tante, damit die Bombe in seiner Wohnung gebaut werden
konnte. Ramadan sagte, er wisse wie das geht. Sie transportierten die
Bombe mit einem Gewicht von 40–50kg in einem Müllsack in die Wohnung.
Pesheng wartete draußen, bis Ramadan die Bombe scharf gemacht hatte. Diese
explodierte jedoch vorzeitig. Pesheng rannte weg und brach weinend auf
der Straße zusammen, Nachbarn halfen ihm und so wurde er von den Asayiş
aufgefunden.
An diesem Punkt des
Berichtes ist Peshengs Erleichterung wirklich greifbar. Er erklärt frei
und nachvollziehbar, dass er vom Asayiş sehr gut behandelt worden sei
– er bat uns auch seinen Körper zu untersuchen, um zu beweisen, dass er
keinerlei Schläge oder sonstigem ausgesetzt war. Es gehe auch seiner Familie
gut, da sie von Asayiş beschützt würden, er stehe in Kontakt mit ihnen.
Hier sieht man ihm zum zweiten Mal in diesem Gespräch die Angst deutlich
an, dass der Geheimdienst der PDK seiner Familie etwas antun könnte. Er
erklärte, für ihn sei es kein Problem gewesen Berichte über die Mitglieder
seiner Partei anzufertigen, damit die Partei auf Linie zu halten und dafür
regelmäßig Geld zu erhalten, was er dringend brauchte. Alles Weitere habe
er jedoch nicht gewollt.
Es ging uns bei diesem
Besuch vor allem auch darum, zu untersuchen, wie die Haftsituation von
Beshir Abdulmecid Mussa ist und wir haben alles sehr genau beobachtet.
So waren nicht nur seine relativ entspannte Haltung und der lockere Umgang
mit den Asayiş-Kräften auffällig, ganz unbewusste Dinge fielen uns viel
stärker ins Auge. So stand er z. B. einfach auf und meinte beiläufig er
gehe jetzt auf die Toilette und ging unter Bewachung ins Nebenzimmer.
Seine Haltung und sein Verhalten schlossen aus unserer Sicht Zwang oder
Misshandlung aus. Er aß mit uns und verschiedenen Asayiş zu Mittag.
Uns
erscheint es aufgrund des Detailreichtums, der Art der Erzählung, seiner,
so weit feststellbar, körperlichen und psychischen Unversehrtheit sehr
unwahrscheinlich, dass die Aussagen von Pesheng unter Folter gemacht,
oder ihm diktiert wurden. Gemeinsame Fotos von ihm und Abdul Hakim Bashar
von der El-Parti, die im Haus von Pesheng gefunden wurden, unterstützen
Details seines Berichtes.
Delegation der Kampagne
TATORT Kurdistan, Anja Flach und Michael Knapp, 26.05.2014
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