Rojava, Delegation
der Kampagne TATORT Kurdistan, Mai 2014
Asayis – Selbstverteidigungskräfte
der Gesellschaft – nicht des Staates
Mit der Revolution in Rojava
kamen auf die Selbstverwaltungsinstitutionen der Region eine Vielfalt
neuer Aufgaben zu, eine davon ist der Aufbau einer besonderen Form von
Sicherheitskräften, welche dem rätedemokratischen gesellschaftlichen Anspruch
gerecht werden soll und überparteilich ist. So entwickelte sich die Form
des Asayis von Rojava, was übersetzt so viel wie Sicherheitskräfte bedeutet.
Der Begriff Polizei ist dabei eher unerwünscht, da, wie es ein Ausbilder
an der Akademie der Asayis in Rimelan herausstellte: „Wir verstehen uns
als Sicherheitskräfte zur Selbstverteidigung der Gesellschaft, nicht des
Staates.“
Das bedeutet konkret, es geht den Asayis nicht um die Verteidigung eines
Status quo, einer Machtstruktur, die sich in Form eines Staates ausdrückt,
sondern darum, ein freies und selbstbestimmtes Agieren der Gesellschaft
in ihrer ganzen Vielfältigkeit zu ermöglichen.
Asayis
–Verteidigung gegen Geheimdienste und Terrorangriffe
Die Basis für ein solches Leben ist gerade im heutigen Syrien, und besonders
auch in Rojava, der Schutz der körperlichen Unversehrtheit. So ist eine
der Hauptaufgaben der Asayis die Angriffe dschihadistischer Banden, der
Geheimdienste des Assad-Regimes, der Türkei und der PDK abzuwehren. Uns
wird immer wieder aus der Bevölkerung mitgeteilt: „Gäbe es keine Asayis,
dann könnte hier keiner von uns leben.“ Gerade als wir die Stadt Heseke
am 22.05.2014 besuchen, wird uns das auch noch einmal deutlich vor Augen
geführt. Das Regime versuchte mit Stützpunkten in Richtung selbstverwaltete
Zone vorzudringen, dass konnte die Asayis nicht zulassen. Bei der Verteidigung
der kurdischen Stadtviertel fielen in Heseke unter anderem auch zwei Mitglieder
der Asayis. Wir stiegen zusammen mit einer jungen Genossin auf ein Dach
und hatten eine gute Aussicht über die Großstadt. Etwa 35% der Stadt mit
etwa 700.000 EinwohnerInnen befindet sich in Selbstverwaltung. Vielleicht
zwei Kilometer von unserem Standpunkt aus entfernt beginnt der von dschihadistischen
Banden kontrollierte Teil von Heseke. Berfin, eine junge Frau aus Heseke,
erklärt uns, dass sie dort im T-Shirt nicht herumlaufen könnte, es wird
dort eine besonders strenge und willkürliche Auslegung der Scharia praktiziert,
was zu schwersten Übergriffen und Verstümmelungen führt. So wurden immer
wieder sowohl in Heseke als auch in Serê Kaniyê Menschen, die beim Rauchen
beobachtet wurden, Finger abgeschnitten. Große Teile der Bevölkerung fliehen
vor diesem Terrorregime, und so gewinnt der relative Frieden und die gesellschaftliche
Freiheit in den von den Asayis geschützten Regionen noch einmal eine besondere
Dimension. Rojava ist trotz des Krieges in Syrien durch das Asayis eine
der sichersten Regionen des Mittleren Ostens geworden. Mitglieder der
syrianischen Gemeinde von Derik erklären uns, dass ihre Töchter nun nach
der Revolution sich sogar um vier Uhr nachts alleine auf der Straße bewegen
könnten, was zu Regimezeiten nicht möglich gewesen sei.
Gesellschaftliche
Aufgaben des Asayis
Eine weitere wichtige Aufgabe des Asayis ist die „innere Sicherheit“,
das bedeutet, dass Asayis bei allen Konflikten einschreitet, die nicht
direkt von der Gesellschaft und den gesellschaftlichen Institutionen gelöst
werden. Es geht dabei häufig um Übergriffe, Gewalt aber auch Drogenhandel
und ähnliche Delikte. Asayis ist an die Gerichte angebunden, das bedeutet,
dass niemand länger als 24 Stunden ohne Gerichtsbeschluss festgehalten
werden darf. Grundsätzlich geht es im Justizsystem in Rojava vor allem
um Perspektive, nicht um Strafe, sondern um Resozialisierung. Auf Unterricht
von Gefangenen wird sehr viel Wert gelegt. So trafen wir in Amude ein
Mitglied des Asayis, das vorher selbst inhaftiert gewesen war, aber danach
derartig vom Prinzip des Asayis überzeugt war, dass er sich selbst anschloss.
Dies ist kein Einzelfall. Da Haft keine Strafe darstellen soll, wird großer
Wert auf möglichst gute Haftbedingungen gelegt. Dies konnten wir auch
selbst in Augenschein nehmen, unter anderem, als wir den inhaftierten
Terroristen Besir Abdulmecid Mussa besuchten und wir uns mit ihm über
seine Haftbedingungen auseinandersetzten. Es gibt in Rojava keine politischen
Gefangenen, häufig aber, wie auch Human Rights Watch in seinem Bericht
bestätigte, Gefangene aus Parteien, die wegen anderen Delikten inhaftiert
sind und in der Öffentlichkeitsarbeit der Parteien als politische Gefangene
dargestellt werden. Dies zeigt ein anderes Problem der Asayis deutlich
auf, das es noch keine ausreichende Öffentlichkeitsarbeit gibt, die solchen
Meldungen eine eigene Darstellung entgegensetzen könnte. Das Justizsystem
ist noch im Aufbau und in der Entwicklung und vieles ist noch unklar.
Um die Einhaltung der Rechte der Gefangenen zu garantieren, haben die
Kommissionen für Menschenrechte immer Zugang zu den Gefangenen. Weiterhin
stehen die Gefängnisse auch internationalen Menschenrechtsorganisationen
offen, wie auch Human Rights Watch bestätigen konnte. Bei Übergriffen
durch Asayis werden sofort Konsequenzen von Suspendierung bei einfacher
Belästigung bis hin zum Gerichtsverfahren mit Inhaftierung bei schwereren
Übergriffen getroffen. Aufgrund von mangelnder Ausbildung kommt es insbesondere
bei Festnahmesituationen manchmal zu Gewalt, welche aber sofort geahndet
wird.
Struktur und
Organisation des Asayis
Die Mitarbeiter des Asayis arbeiten für eine geringe Aufwandsentschädigung
von etwa 125 $ im Monat. Die Mitglieder des Asayis gehen meist noch einer
anderen Arbeit nach und sind im Asayis vor allem aus der Überzeugung heraus,
die Gemeinschaft aktiv zu verteidigen. Es gibt in Rojava 110 Asayis-Stützpunkte
und hunderte Kontrollpunkte, an denen Fahrzeuge beispielsweise nach Sprengstoff
und Waffen durchsucht werden. Der Vorsitzende der Asayis von Qamislo,
Hevale Ahmed, selbst Kommunist, erklärt uns deutliche die Mechanismen,
nach denen Asayis organisiert ist, um ihre gesellschaftliche Aufgabe zu
erfüllen. Im Moment beträgt der Anteil an Frauen bei Asayis nur etwa 30%,
da viele Frauen sich den kämpfenden Einheiten der YPJ angeschlossen haben.
Die Asayis haben eine demokratische Kommandostruktur, das bedeutet, jede
Ebene wählt ihre VertreterInnen, einmal im Monat gibt es ein großes Treffen
bei dem neue Oberkommandierende vorgeschlagen und gewählt werden können.
Es gibt keine Rangabzeichen und es wird Wert auf ein möglichst kollegiales
miteinander gelegt.
Jede Gruppe besteht aus 30–45 Personen und ist noch weiter unterteilt.
Sie wählen jeweilige Verantwortliche.
„So wie alle
Welt nach Geld schreit, so rufen wir nach Bildung“
Ein wichtiges Instrument der Weiterbildung ist das regelmäßige Tekmil,
bei dem es um die Auseinandersetzung mit der eigenen Praxis und dem eigenen
Bewusstsein geht. Dies geschieht über das Prinzip von Kritik und Selbstkritik.
Schulungen im Bereich Menschenrechte werden ebenfalls wöchentlich durchgeführt
und jede Einheit hat jeden Tag eine Stunde Bildung. Ein Lehrer der Asayis
Akademie von Rimelan erklärte dazu: „So wie alle Welt nach Geld schreit,
so rufen wir nach Bildung. Das wichtigste bei der Bildung ist der Glaube
an die Demokratie, Ökologie, Frauenbefreiung, Menschenrechte und dementsprechend
die Gesetze zu entwickeln.“
Asayis ist
eine unparteiische Institution
Asayis sind weder an eine Organisation, noch an eine Partei gebunden,
sondern den oben genannten Werten verpflichtet. Allerdings erklärt der
Vorsitzende des Asayis von Rojava Ciwan Ibrahim, dass die Basis der linken
PYD von Beginn der Revolution an in allen Bereichen und insbesondere im
Bereich der Sicherheit mit besonderer Opferbereitschaft und hoher Aktivität
teilgenommen haben und Dutzende von ihrer Mitglieder gefallen seien. Deswegen
gibt es im Moment im Asayis etliche Mitglieder der PYD. Aber das Asayis
ist sehr darum bemüht, dass daraus keine Diskriminierung entsteht, denn
sie verstehen sich als politisch und religiös neutrale Kraft. Es gibt
keinerlei politische Anbindung an irgendwelche Parteien.
Hevale Ahmed erklärte uns zur Haltung des Asayis zur Religion, „Die Religion
gehört Gott, die Erde gehört uns“. Deshalb arbeiten im Asayis, wie auch
in den anderen Institutionen der Selbstverwaltung, AraberInnen, KurdInnen
und AssyrerInnen, also auch SunnitInnen, ChristInnen, JezidInnen ohne
Ansehen der Religion zusammen. Die Gruppe der Syriani hat aufgrund von
Forderungen der Exilcommunity in Europa eine eigene Asayis Organisation
mit dem Namen Sutoro gegründet, die jedoch sehr eng mit dem allgemeinen
Asayis verbunden sind. So sind in Kommandostruktur von Asayis Mitglieder
von Sutoro und umgekehrt. Hevale Ahmed erklärt uns, dass im Prinzip jede/r
Asayis werden kann, der oder die nicht nationalistisch ist, sondern PatriotIn,
das heißt bereit ist, Rojava mit allen seinen BewohnerInnen zu verteidigen.
Das Eintrittsalter bei Asayis wurde gerade von 18 auf 25 Jahre hochgesetzt,
da in der Arbeit mit der Gesellschaft insbesondere auch auf Sozialkompetenz
Wert gelegt wird.
Asayisa
Jin – die Fraueneinheiten des Asayis
Die Asayis sind eine gemischte Struktur. Dennoch gibt es eigene Fraueneinheiten,
Asayisa Jin, die insbesondere bei patriarchaler Gewalt und allgemein Gewalt
gegen Frauen intervenieren und in enger Kommunikation mit den Frauenräten
stehen, so wie das allgemeine Asayis mit den Volkshäusern und den Rätestrukturen
im Austausch steht. Bei Asayis Jin können Frauen ihre Anzeigen bei Frauen
aufgeben, was eine offene Kommunikation häufig erst möglich macht. Für
Frauen wäre es eine sehr hohe Hemmschwelle, eine Vergewaltigung, oder
Gewalt in der Familie in einem gemischten oder männlichen Asayisbüro anzuzeigen.
Sie haben viel weniger Hemmungen zu den jungen Frauen zu gehen. Die jungen
Frauen, wie auch die Männer, wohnen quasi in den Asayis. Sie leben und
arbeiten dort zusammen, gehen nur selten nach Hause. Die meisten arbeiten
ehrenamtlich, d.h. sie bekommen nur ihre Kleidung, ihr Essen und ein geringes
Taschengeld. Sie führen ein kollektives Leben, im Dienste der Bevölkerung
und zum Schutz des Systems der demokratischen Autonomie.
Gibt es in ihrer Stadt Angriffe von außen, sei es durch ISIS oder die
syrische Armee, stehen sie an der Seite der YPG und YPJ.
Rojava, Delegation
der Kampagne TATORT Kurdistan, Mai 2014
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