Şengals Widerstand
ist ein Widerstand der Menschlichkeit
Der Angriff des Islamischen
Staats (IS) gegen die mehrheitlich êzîdische Stadt Şengal (Sinjar) in
Südkurdistan/Nordirak seit dem 2. August ist der vorläufige Höhepunkt
des Krieges dieser Gruppe gegen die Menschlichkeit.
Der IS richtet sich mit seinen Angriffen und der folgenden Schreckensherrschaft
gezielt gegen die Zivilbevölkerung. Von daher ist es nicht falsch von
einer „Terrororganisation“ zu reden. Gefährdet sind alle, die nicht das
salafistische Weltbild der Gruppe teilen, vor allem „Andersgläubige“ (ÊzîdInnen,
ChristInnen, AlevitInnen, SchiitInnen, aber auch SunnitInnen), Frauen
generell, politische GegnerInnen. Das Massaker an der êzîdischen Gemeinschaft
in Şengal mit ethnisch-religiöser Säuberung, massenhafter Vergewaltigung
von Frauen, Verschleppung der Bevölkerung (vor allem jungen Frauen) und
brutalen Hinrichtungen Hunderter hat das Ausmaß eines Genozids angenommen
und muss als solcher verurteilt werden. Der Widerstand Şengals gegen die
Menschenverachtung des IS ist zu einem Widerstand der Menschlichkeit geworden.
Zehntausende Menschen in der Region befinden sich auf der Flucht – im
Irak und Syrien sind es mittlerweile mehrere Hunderttausend. Die humanitäre
Lage ist katastrophal. Die Flüchtlinge sind im Hochsommer ohne Wasser-
und Lebensmittelversorgung dem sicheren Tod ausgeliefert, wenn die internationale
Gemeinschaft nicht mit zivilen Hilfslieferungen reagiert.
Bereits seit über
einem Jahr kämpft der IS gegen die Demokratische Autonomie in den Kantonen
Rojavas (Westkurdistan/ Nordsyrien), einem System der politischen, sozialen
und ökonomischen Selbstverwaltung, in das sich auf demokratischer Grundlage
alle Teile der Gesellschaft unabhängig von Ethnie, Religion und Geschlecht
einbringen – ein Novum für die Region des Mittleren Ostens. Den Juli über
führte IS eine massive Großoffensive gegen den Kanton Kobanê. Zum Einsatz
kamen dabei schwere Waffen wie Panzer und Artillerie, die zuvor beim Überfall
des IS auf irakische Städte erbeutet wurden. Zuletzt führte der IS schwere
Kämpfe im südkurdischen Maxmûr, einem Camp von Flüchtlingen aus Nordkurdistan/Türkei,
das in den 90er Jahren errichtet wurde und unter Kontrolle der Vereinten
Nationen (UN) steht. Damit ist der IS nur 40km von der Hauptstadt der
südkurdischen Autonomieregion, Hewlêr entfernt.
Die Kantone in Rojava konnten bisher erfolgreich von ihren multiethnischen
und -religiösen Volksverteidigungseinheiten (YPG) geschützt werden. Die
YPG waren es auch, die dem IS in Şengal Einhalt gebot, nachdem sich die
militärischen Einheiten der südkurdischen Autonomieregion, sogenannte
Peshmerga, unter Kontrolle der Demokratische Partei Kurdistans (PDK),
aus der Region zurückgezogen hatten. Gemeinsam mit den nordkurdischen
Volksverteidigungskräften (HPG), die ebenso wie die YPG der Arbeiterpartei
Kurdistans (PKK) nahe stehen, konnten sichere Korridore geschaffen werden,
über die ein Teil der Zivilbevölkerung aus der Region Şengal fliehen konnte.
Gemeinsam mit der Bevölkerung konnte Şengal teilweise vom IS befreit werden.
Auch die Grenzregion Rabia zwischen Syrien und Irak sowie das Flüchtlingscamp
Maxmûr wurden von YPG bzw. HPG gemeinsam mit Peshmerga und der Bevölkerung
befreit. Die Angriffe sind also zunächst abgewehrt, der IS allerdings
nicht geschlagen.
Es sind nicht die Armeen der südkurdischen Autonomieregion, des irakischen
oder syrischen Staats, die dem IS Einhalt gebieten oder die Zivilbevölkerung
schützen – auch das Bombardement US-amerikanischer Kampfflugzeuge war
lediglich Makulatur. Die Bevölkerung organisiert sich und baut Einheiten
auf, um sich selbst zu verteidigen. Dies geht wie in Rojava oder Maxmûr
mit einer demokratischen Selbstverwaltung einher. Eine Unterstützung der
Selbstverwaltung und -verteidigung sowie die Anerkennung der politischen
AkteurInnen dieser Projekte als DialogpartnerInnen wäre die konsequenteste
Maßnahme, um einen Frieden und demokratische Aufbrüche in der Region zu
fördern.
Für die EU bedeutet das, die PKK von der Listen terroristischer Organisationen
zu streichen; für die BRD, das PKK-Verbot aufzuheben, anstatt darüber
zu diskutieren, immer neue Waffen in die Region zu schicken.
Eben die demokratischen
Aufbrüche der Bevölkerung sabotieren Regionalmächte wie die Türkei, Saudi
Arabien und Katar. Sie destabilisieren die Region, um ihren eigenen Einfluss
zu wahren und erfahren bei dieser gefährlichen Politik uneingeschränkte
Unterstützung durch NATO, EU und auch die BRD.
Die Türkei etwa lässt den IS seit zwei Jahren ungehindert auf ihrem Staatsgebiet
und über die Grenze nach Syrien hinein operieren. Das NATO-Mitglied Türkei
macht sich dabei an den Verbrechen des IS mitschuldig.
Daher fordern
wir:
Humanitäre Hilfe für die Zivilbevölkerung!
Anerkennung der Selbstverwaltung Rojavas und Dialog mit allen Beteiligten!
Rechenschaft der regionalen Unterstützer des IS Türkei, Saudi Arabien
und Katar!
NAV-DEM – Zentrum
der demokratischen Gesellschaft
FKÊ – Föderation der êzîdischen Vereine
YXK – Verband der Studierenden aus Kurdistan
13. August 2014
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