„Ich seh’ in
dein Herz, sehe gute Kurden, schlechte Kurden“
Eine Reaktion zu
Mariam Laus Artikel „Kurden:
Plötzlich Helden“ in der ZEIT
Von Rosa Burc und
Dilar Dirik
Als kurdische, in Deutschland aufgewachsene Frauen, möchten wir hiermit
unsere Empörung über Mariam Laus Artikel „Kurden: Plötzlich Helden“ in
der ZEIT und gleichzeitig unsere Ablehnung des aktuellen „Guter Kurde/Schlechter
Kurde“ – Diskurses in Deutschland und dem Rest der Welt, angesichts der
Waffenlieferungen an die Kurden in Südkurdistan (Nordirak) für den Kampf
gegen den Islamischen Staat, ausdrücken.
Wie viel Neues wir von der Autorin, Mariam Lau, über uns KurdInnen in
Deutschland selbst gelernt haben, Tatsachen über unsere eigene Identität,
die uns irgendwie entgangen sein müssen! Zum Beispiel, dass wir KurdInnen
aus der Türkei eher als Landeier gelten, während KurdInnen aus den anderen
Teilen Kurdistans als „unerschrockene Kämpfer“ respektiert werden. Da
wir, in den Augen Frau Laus, anscheinend auch sonst ziemlich extremistisch,
zurückgeblieben, eingeschränkt und dogmatisch sind – und frauenfeindlich
nicht zu vergessen – haben wir das wahrscheinlich bewusst verdrängt!
Nur gut, dass die Autorin mit einem Streifzug durch Berlin, in ihren Worten,
erklären will „wie sich die Kurden selbst verstehen“, sich dabei jedoch
nur eine kleine Nische innerhalb der kurdischen Gemeinde aussucht, die,
wie sie selbst gesteht, eigentlich nicht die Mehrheit hier repräsentiert,
uns so unparteiisch und gut recherchiert über uns selbst aufklärt.
Es ist herrlich zu sehen, wie die Autorin darauf hinweist, dass die meisten
KurdInnen in der BRD aus der Türkei stammen und mit der PKK sympathisieren,
oder der Einfachheit zu liebe, wie sie selbst etikettiert, „PKK-Leute“
sind. Natürlich fällt ihr dabei jedoch nicht ein, mit einer einzigen Person
aus diesem „Milieu“ zu sprechen. Da sie diese doch selbst sprechen lassen
wollte, war es sicherlich keine Absicht, nur Stimmen einzuholen, die der
PKK sowieso nicht besonders freundlich gesinnt sind.
Eins muss man ihr jedoch lassen. Sie leistet einen wunderbaren Beitrag
zur aktuellen Schwarz-Weiß-Malerei die momentan gegen KurdInnen geführt
wird. „Wer dient dem Westen? Wen mögen unsere Partner nicht?“ So suchen
wir uns die guten Kurden und bösen Kurden aus, unabhängig davon wie die
eigentlichen Dynamiken ausschauen. Natürlich passt solch ein Diskurs auch
gerade gut, um von anderen essentiellen Fragen abzulenken, wie beispielsweise
weshalb der Islamische Staat in Deutschland noch nicht auf der Liste der
Terrororganisationen steht oder warum im Nahen Osten mit deutschen Waffen
gekämpft wird.
Mariam Lau ergänzt somit den aktuellen Mediendiskurs, der damit beschäftigt
ist zu kalkulieren, ob und welche Kurden Unterstützung „verdienen“. Dass
die Rettung eines Volkes, das momentan einem Genozid ins Gesicht starrt,
davon abhängig ist, wie „nützlich“ diese für westliche Interessen sein
kann, macht aus den Kurden nicht nur auswechselbare Objekte internationaler
Machtpolitik, sondern ist absolut unverschämt, rücksichtslos und erniedrigend.
Über die Köpfe von Menschen hinweg wird spekuliert, welche Kurden westlichen
Interessen besser dienen können und ob diese es verdienen mit den gleichen
Waffen, die vom Westen zuvor an korrupte Regierungen verkauft wurden,
die diese dann leichtherzig an Dschihadisten übergeben haben, gesegnet
werden sollten. Und wir sollen das einfach so hinnehmen.
Als Frauen waren wir besonders über die Aussage zur angeblichen „Verbindung
zwischen den PKK-Milieus und der frauenfeindlichen Kultur“ schockiert.
Unabhängig davon, dass sie generalisierend von einer ganzheitlichen „frauenfeindlichen
Kultur“ spricht, meint sie auch diese, nach einem Gespräch mit bewusst
ausgewählten Personen, besser zu kennen, als wir kurdische Frauen selbst.
Wer sich in „PKK-Mileus“ auskennt, was bei der Autorin offensichtlich
nicht der Fall zu sein scheint, wird wissen, dass eines der Hauptgrundsätze
dieser Bewegung die Befreiung der Frau ist, in Ideologie sowie in der
Praxis. In kurdischen Gemeinden in Deutschland wird Gewalt an Frauen nicht
toleriert und gewalttätige Männer werden ausgegrenzt. Die patriarchalen
Strukturen in unserer Gesellschaft, die zu häufiger Gewalt an Frauen führen,
kritisieren wir selbst am stärksten. Es finden Seminare, Kundgebungen,
ganze Festivals gegen das Patriarchat – welches in allen Teilen unserer
Welt herrscht – statt. Ob sich Frau Lau bewusst ist, dass sie sich selbst
einer patriarchalischen Logik bedient, indem sie die Aussage der Berliner
Politologin Birgit Ammann nicht unkommentiert stehen lässt, sondern darauf
hinweist, dass Frau Ammann einen irakisch-kurdischen Ehemann hat? Aber
wahrscheinlich hat sich die Autorin gedacht, dass wir Frauenfeinde, die
ihren Artikel auch lesen werden, nur so Frau Ammann Glauben schenken können.
Als Akademikerinnen, die die Frauenbewegung in Kurdistan wissenschaftlich
erforschen und auch als kurdische Frauen selbst wissen wir, wie weit das
Statement über eine Kausalität zwischen „PKK-Milieu“ und „frauenfeindlicher
Kultur“ hergeholt ist. Auch hier hätte die Autorin sich nur etwas mehr
bemühen müssen, ordentlich zu investigieren, statt sich ihre voreingenommenen
Ideen gegenüber KurdInnen in Deutschland bestätigen zu lassen.
Ihr Wissen über die derzeitigen Ereignisse in Kurdistan scheint ebenfalls
begrenzt zu sein, genauso wie ihre Darstellungen über die Unterschiede
zwischen den verschiedenen politischen Sektionen in Kurdistan. Die Peshmerga-Kämpfer
selbst haben mehrmals deutlich betont, dass die PKK und die westkurdischen
Kämpfer der YPG und YPJ aus Syrien die entscheidensten Beiträge gegen
IS geleistet haben. Präsident Barzanî selbst hat sich bei der PKK dafür
bedankt. Aber irgendwie lässt die Autorin das bequem aus, genauso wie
die Tatsache, dass die meisten Jesiden ihre Rettung der YPG/YPJ und der
PKK zuschreiben, nachdem die Peshmerga-Kräfte sich aus Sengal (Sindschar)
zurückzogen.
Wir wollen nicht als „plötzliche Helden“ dastehen, nur weil es jetzt die
Kurden sind, die gegen den Islamischen Staat kämpfen. Auch wenn die Welt
erst heute aufgewacht ist, sind es seit 2 Jahren die KurdInnen der YGP/YPJ,
die gegen islamistische Gruppen in Rojava (der „kurdisch besetzte Teil
Syriens“ wie es die Autorin es nennt) kämpfen.
Was die Autorin mit ihrer Hetze gegen die Linke erreichen will ist ebenfalls
unklar. Anders als die, die ohne Wissen über die Köpfe der Kurden hinweg
Entscheidungen über Leben und Tod treffen wollen, waren Vertreter der
Linken zumindest vor Ort in Kurdistan und sind von allen deutschen Parteien
am besten über die Situation informiert. Nicht zu vergessen, dass sich
die Linke stets aufrichtig mit der kurdischen Gemeinde in Deutschland
solidarisiert hat, statt sie zu kriminalisieren. Sie setzt sich dafür
ein, die deutsche Verantwortung und Mitschuld an Konflikten und Kriegen
aufzudecken, die uns überhaupt nach Deutschland getrieben haben. Während
die anderen Parteien enthusiastisch Waffenexporte vor allem an menschenrechtsverletzende
Regierungen wie Saudi Arabien, Katar oder die Türkei unterstützt haben,
war die Linke immer dagegen. Und siehe da, die Dschihadisten wurden von
eben diesen Ländern logistisch, finanziell und –mit deutschen Waffen!-
militärisch ausgerüstet. Kein Kommentar, Frau Lau?
Die Autorin meint, die Linke romantisiere die PKK und Gregor Gysi werde
bloß ausgelacht für seine Solidarisierung mit den KurdInnen in Deutschland
und in Kurdistan. Vielmehr haben wir geschmunzelt – jedoch etwas verunsichert
über den Zusammenhang im Text – als die Autorin sich noch mal orientalistischer
Werkzeuge bedient und zum Schluss beschreibt, wie KurdInnen zum Newroz-Fest
Weizenkeimlinge, Äpfel und grüne Kräuter essen. Mit einem kurzen abschließenden
Exkurs über den Urspungsmythos der Kurden, ist es Frau Lau selbst, die
den realen Widerstand aller kurdischen Kräfte gegen den IS romantisiert.
Was wäre ein aktueller Beitrag über die Kurden ohne einen Hinweis auf
das Schicksal der Jesiden? Die Autorin lässt Stimmen zu Wort kommen, die
die jesidische Kultur als „abgeschottet und erzkonservativ“ beurteilen.
Davon ganz abgesehen, dass ethischer Journalismus hier eine geschichtliche
und anthropologische Relativierung bedarf – nicht zuletzt weil die sogenannte
„Abschottung“ auf die bislang 74 Massaker und konstante Assimilierungsgefahr
jesidischer Identität zurückzuführen ist – zitiert sie, wie einem die
Jesiden „trotz“ ihrer erzkonservativen Verhaltenweisen dennoch leidtun.
Aber wahrscheinlich ist das auch ganz aus Versehen in den Text gehuscht.
Der Versuch, die sozialen Umstände und politischen Realitäten, von patriarchalen
Strukturen bis hin zu ideologischen Loyalitäten, einer Bevölkerungsgruppe
von um die 40 Millionen, so banal und unkritisch und mit so einer Überzeugung
in ein paar hundert Wörtern erklären zu wollen, ist nichts weiter als
anmaßend.
Statt einer Auseinandersetzung mit deutscher Außenpolitik, deutschen Waffenexporten,
Ausländerfeindlichkeit, sozialer und wirtschaftlicher systematischer Diskriminierung
werden die Aussagen auch noch gepaart mit einem kitschigen Tattoo-Foto,
welches das gesellschaftliche Bild der KurdInnen in Deutschland als nationalistisch,
gewalttätig und gettoisiert erneut unterstreichen soll.
In ihrem Versuch, zu erläutern, wie die Kurden sich selbst darstellen,
hat die Autorin preisgegeben, wie sie die Kurden selbst darstellen möchte:
reaktionär, rückständig, frauenfeindlich, terroristisch. Nur wenn sie
dem Westen nutzen, Anzüge tragen, „hyperkorrekt“ sind und sich von linker
Politik abgrenzen, sind sie es wert, in der BRD toleriert zu werden. Die
Volks- und Frauenräte, Arbeits- und Lebenskooperativen und Frauenakademien,
sind wohl auch alle Nebenwirkungen, unserer Zurückgebliebenheit.
Es tut uns leid, Frau Lau sagen zu müssen, dass wir nicht in ihr Bild
passen. Ihre Darstellung unserer Identität ist anmaßend, erniedrigend
und journalistisch unethisch. Obwohl wir, so indoktriniert und reaktionär
wie wir angeblich sind, wahrscheinlich nicht so eine Autorität haben wie
sie, denken wir, dass man keine Kurdin sein muss, um zu erkennen, wie
schlecht recherchiert und einseitig dieser Artikel ist.
Vor dem Hintergrund der sensiblen aktuellen Situation und einer humanitären
Katastrophe, die das 21. Jahrhundert in diesem Ausmaß zum ersten mal erlebt,
ist es schwer, nicht auf den Verdacht zu kommen, dass die Autorin ein
persönliches Anliegen in ihrem Text hat. Diese vermeintlich objektive,
balancierte Berichterstattung, ist nichts weiter als eine auf eigenen
Vorurteilen basierende Darstellung einer gesamten Bevölkerungsgruppe –
natürlich angereichert mit etwas Orientalismus, einem Hauch Rassismus
und ganz viel Pauschalisierung.
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