Leserinnenbrief

Sehr geehrte Damen und Herren,

Mit Verwunderung habe ich den Artikel „Plötzlich Helden“ (http://www.zeit.de/2014/37/kurden-berlin-irak) von Mariam Lau über das gewandelte Bild der Kurden von „Terroristen“ zu „verlässlichen Partnern der Deutschen“ gelesen. Zumindest das Bild der PKK, deren Guerillakämpfer gerade zehntausenden vor den IS-Terroristen fliehenden Jesiden das Leben gerettet haben, scheint sich für Frau Lau und ihre Gesprächspartner nicht gewandelt zu haben.

Als Kronzeugen für die angeblichen Gräueltaten der PKK führt Frau Lau ausgerechnet Siamend Hajo an. Dieser betreibt allerdings nicht nur – wie im Artikel erwähnt – ein Kurdologieinstitut in einer Dachwohnung, sondern trat in der Vergangenheit auch als Sprecher der Partei „Kurdische Zukunftsbewegung“ in Europa sowie inzwischen als Vertreter des syrischen Oppositionsbündnisses ETILAF auf. Letzterem gehören zahlreiche jihadistische Gruppierungen an, die sich in Syrien schwerster Menschenrechtsverletzungen schuldig gemacht haben. Der bewaffnete Arm der Kurdischen Zukunftsbewegung, die Machal-Tammo-Brigade, beteiligte sich mehrfach gemeinsam mit ISIS und dem Al Qaida-Ableger al-Nusra-Front von der Türkei aus an Angriffen auf die syrisch-kurdische Grenzstadt Serekaniye (Ras al-Ain). Entsprechend leugnete Hajo in einer Presseerklärung die Ende Juli 2013 begangenen Massaker seiner jihadistischen Bündnispartner an Dutzenden Kurden bei nahe Aleppo gelegenen Orten Tall Hasil und Tall ʿAran. Als unparteiischer Experte kann Herr Hajo wahrlich nicht durchgehen.

Ich konnte mir während einer mehrwöchigen Reise durch die kurdischen Gebiete der Türkei, Syriens und des Irak im August selber ein Bild von der Situation vor Ort machen. Ich weiß nicht, mit welchen „kurdischen Frauenaktivistinnen“ Frau Lau gesprochen hat, die von einer „frauenfeindlichen Kultur im PKK-Milieu“ berichten. Im kurdischen Selbstverwaltungsgebiet Rojava im Norden Syriens konnte ich sehen, wie unter der Führung der PKK-Schwesterpartei PYD Frauen auf allen Ebenen mitbestimmen, in allen Gremien eine konsequente Geschlechterquotierung herrscht und sogar die Polizeimiliz wird von einer quotierten Doppelspitze geführt. In Frauenhäusern findet Fortbildung für die früheren Hausfrauen statt, eine eigene Frauenpolizei ist für häusliche Gewalt zuständig und Frauenkooperativen sollen Frauen ein von männlichen Verwandten unabhängiges Einkommen ermöglichen. Doch Frau Lau und ihre anonymen Gewährsleute behaupten, die PKK halte Selbstverwirklichung für reaktionär und dekadent.

Für Frauen in Syrien und dem Irak geht es heute nicht um individuelle Selbstverwirklichung im westlichen Sinn, sondern um das pure Überleben angesichts eines laufenden Feminizids. Tausende Frauen werden von den IS-Banden vergewaltigen, ermordet oder in die Sklaverei verschleppt. Unter denjenigen, die sich den IS-Terroristen entgegenstellen, sind zahlreiche Frauen, die in den Reihen der syrisch-kurdischen Volksverteidigungseinheiten YPG und der PKK-Guerilla kämpfen. Doch mit ihnen zu reden, kam Frau Lau gar nicht erst in den Sinn, lieber schreibt sie über PKK-Sympathisanten wahlweise als hilflose Opfer oder gefährliche Fanatiker.

Mit freundlichen Grüßen,

Ulla Jelpke