Massive Gefechte in Kobanê – Tausende Menschen flüchten über Grenze

Artikel der internationalistischen Rojava-Jugenddelegation über die Ereignisse vom 19.09.14 an der türkisch-syrischen Grenze bei Suruç/ Kobanê

Die Gefechte zwischen dem Islamischem Staat (IS) und Volksverteidigungseinheiten (Yekniyên Parastina Gel/ YPG) aus Rojava, um mehrere Dörfer des westkurdischen Kantons Kobanê im Norden Syriens geführt werden, nehmen zu. Die Situation eskaliert derart, dass bereits mehrere Tausend Menschen über die türkisch-syrische Grenze geflohen sind.

Suruç/ Türkei - Seit dem 15.09.14 führt der IS eine Grossoffensive mit schweren Waffen, wie Mörsern und Panzern, welche von den syrischen und irakischen Armeen erbeutet wurden, gegen den selbstverwalteten Kanton Kobanê in Rojava. Rojava ist der kurdische Name Nordsyriens, wo seit zwei Jahren eine basisdemokratische Selbstverwaltung in drei Kantonen aufgebaut wird. Vor allem die Umgebung der Dörfer Qaramox, Çelebiyê, Xerbesan und Lehê im Kanton Kobanê ist in den letzten Tagen schwer umkämpft.

Am 19.09.14 erreichen die BewohnerInnen des Dorfes Qaramox, das unmittelbar an der türkisch-syrischen Grenze liegt, sowie Flüchtlinge aus weiter entfernten Dörfern die Grenze. Mehrere tausend Menschen sammeln sich direkt an den Grenzanlagen. Unter ihnen sind nahezu keine Jugendlichen oder Männer mittleren Alters. Auf Nachfrage wird erklärt, dass diese sich der YPG angeschlossen haben.

Die Familien mit vielen Kleinkindern werden gewaltsam von der türkischen Armee und Polizei am Grenzübertritt gehindert. Warum sie trotzdem zur Grenze flüchteten, begründet eine Geflohene: "Lieber lassen wir uns vom türkischen Militaer erschiessen oder kommen im Minenfeld um, als der DAIŞ (arabisch für ISIS /IS) in die Hände zu fallen."

140919 Suruc02Die Bevölkerung auf der türkischen Seite strömt zu Hunderten an die Grenze, um Druck auf die türkischen Behörden auszuüben. Bereits am Vorabend hatten kurdische Medien berichtet, dass sich die Situation in Kobanê drastisch verschlechtern würde. Die Bevölkerung errichtet mit der Unterstützung der Partei der Demokratischen Regionen (Demokratik Bölgeler Partisi/ DBP vormals BDP) ein Protestzelt im Dorf Oğan, das Qaramox auf der syrischen Seite gegenüber liegt. Von dort aus sind die Gefechte zwischen IS und YPG um Qaramox deutlich zu hören und teilweise auch zu sehen.

Als die Flüchtlinge in ihrer Verzweiflung in den Stacheldraht und das Minenfeld der Grenzbefestigung laufen, wollen ihnen die DemonstrantInnen auf der türkischen Seite zu Hilfe kommen. Daraufhin werden diese von den Sicherheitskräften mit Tränengas angegriffen und die Armee lässt Panzer auffahren, die auf die Demonstranten zielen. Den Angriffen stellen sich die Abgeordneten der Demokratischen Partei der Völker (Halkların Demokratik Partisi/ HDP) im türkischen Parlament Ibrahim Ayhan und Ibrahim Binici entgegen. Sie verhandeln mit den Sicherheitskraeften, woraufhin diese zusagen, die Flüchtlinge über die Grenze zu lassen.

Letztendlich werden die Flüchtlinge über die Genze gelassen und auch die Panzer zogen sich wieder zurück. Nach einer kurzen Rast, bei der sie von der Bevölkerung an der Grenze mit Wasser und ein wenig Nahrung versorgt werden, ziehen sie weiter, um bei Verwandten im türkischen Teil Kurdistans unterzukommen oder wie viele vor ihnen zuvor – vor allem êzîdische Flüchtlinge aus Südkurdistan/ Nordirak – in der Grenzregion in Flüchtlingscamps oder in den Städten zu stranden. Auf diesem Weg werden sie von der Bevölkerung, die ihre Privatfahrzeuge zur Verfügung stellt, transportiert.

Die Ereignisse des 19.09.14 an der Grenze bei Suruç zeigen, welch Katastrophe der Zivilbevölkerung in Rojava droht. Der Widerstand der YPG wird von der Bevölkerung sowohl in Syrien, als auch auf der anderen Seite der Grenze getragen. Dieser Widerstand wird jedoch nicht unendlich lang aufrecht erhalten werden können, wenn nicht humanitäre Hilfe die Zivilbevölkerung entlastet und das Projekt der Demokratischen Autonomie in Rojava endlich anerkannt wird.

Die kurdische Bewegung hat für die kommenden Tage zu Massenprotesten an der Grenze zu Kobanê aufgerufen, um den Widerstand leistenden Menschen zur Hilfe zu kommen. In nordkurdischen Städten wie Wan, Colemêrg, Gever, Batman und Sêrt haben sich Menschen bereits auf den Weg zur Grenze gemacht.

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