Bundesarbeitskreis „Demokratie in der Türkei, Frieden in Kurdistan“ DIE LINKE
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Erklärung, 02.10.2014

Kobani darf nicht fallen!

Die Terrororganisation Islamischer Staat hat alle Kräfte mobilisiert, um die Region Kobani und die gleichnamige Stadt in Rojava (Syrisch-Kurdistan) einzunehmen. Seit dem 15. September greift der IS vom Westen, Osten und Süden mit erbeuteten modernsten Waffen und vielen Tausenden Kämpfern an. Die Türkei unterstützt trotz anderslautender Erklärungen den IS bis zum heutigen Tag und propagiert eine Puffer- und Flugverbotszone im Norden Syriens. Dabei geht es ihr nicht um den Kampf gegen den IS, sondern um die Eliminierung der demokratischen Selbstverwaltung in Rojava. Die Bombardierung durch die US-geführte Anti-IS-Koalition gegen IS-Einheiten bei Kobani erfolgte spät und war bisher weitgehend unwirksam. Die Volksverteidigungseinheiten YPG1 leisten zusammen mit der Bevölkerung erbitterten Widerstand. Jederzeit können die IS-Terroristen in die Hauptstadt dieses selbstverwalteten Kantons von Rojava eindringen. Das Leben von vielen Tausenden Menschen ist in Gefahr, ein zweites Shengal (Sinjar), infolge dessen Eroberung durch den IS hunderttausende Menschen flohen, steht bevor!

Die LINKE hat die westlichen Waffenlieferungen an die Peshmergas der kurdischen Regionalregierung im Nordirak in den letzten Wochen kritisiert, weil sie gerade diejenigen kurdischen AkteurInnen ausschließen, die am effektivsten gegen die IS-Terrorbanden kämpfen, nämlich die KämpferInnen der YPG und der PKK. Es waren gerade die YPG, welche die Yesiden in Shengal gerettet haben und seit knapp zwei Jahren erbittert und bislang erfolgreich gegen den ISIS und andere Djihadisten kämpfen.
Diese einseitige Unterstützung der nordirakischen Peshmergas ebenso wie die Aufrechterhaltung des PKK-Verbots ist einer falschen Rücksichtnahme auf die Türkei geschuldet, die den IS erst hat groß werden lassen. Wäre im August 2014 – also kurz nach der Vertreibung der Yesiden - der Druck auf die Türkei, ab sofort jede Unterstützung des IS zu stoppen, erhöht worden, und hätte man Rojava international anerkannt und unterstützt, wäre die Ausgangslage für die YPG besser gewesen und der IS hätte vermutlich nie so nah an Kobani heranrücken können.

Weil wir und viele andere die Gefahr von immer neuen Angriffen gegen Rojava sahen und nach wie vor sehen, fordern wir seit über einem Jahr:
- Auf die Türkei muss ernsthafter Druck ausgeübt werden, damit der IS nicht mehr von türkischem Staatsgebiet aus operieren, seine Kämpfer aus aller Welt über die Türkei nach Syrien holen, in der Türkei ausbilden, bewaffnen, sowie agitieren und seine Verletzten in türkischen Krankenhäuser behandeln lassen kann.
- Das Embargo gegen Rojava durch die Türkei und die Kurdistan Regionalregierung muss beendet werden.
- Rojava muss international anerkannt und politisch unterstützt werden. Es muss als Dritter Weg zwischen Baath-Regime und nationalistisch-islamistischer Opposition gefördert werden.
- Der IS und seine Strukturen müssen in Deutschland, der EU und der ganzen Welt bekämpft werden
- Das die in der BRD lebenden KurdInnen und den Freiheitskampf der KurdInnen im Mittleren Osten kriminalisierende PKK-Verbot muss aufgehoben werden.

Die Menschen von Rojava haben das Recht auf bewaffnete Selbstverteidigung

Wer will ihnen dieses Recht verwehren? Sie kämpfen mit den wenigen ihnen zur Verfügung stehenden Mitteln und ihrer enormen Willenskraft für ihre Freiheit. Aber ihre Selbstverteidigungskräfte sind den IS-Banden waffentechnisch eindeutig unterlegen und auch die Munition geht ihnen aus. Das führte bereits dazu, dass KämpferInnen, um IS-Einheiten aufzuhalten, sich selbst in die Luft sprengten. Der Widerstand der YPG ist im wahrsten Sinne des Wortes heldenhaft.
Die Bevölkerung von Kobani ruft die Menschen aus ganz Kurdistan, der Türkei, dem Mittleren Osten und der Welt zur aktiven Solidarität auf. Zehntausende sind dem gefolgt und halten seit zwei Wochen Wache an der Grenze zu Kobani, um das Einsickern von IS-Kämpfern aus der Türkei und mögliche Angriffe des türkischen Militärs auf die YPG und Flüchtlinge zu verhindern. Viele von ihnen, auch zuvor aus Kobani Geflüchtete, haben den Grenzzaun niedergerissen und haben sich dem Widerstand in Kobani angeschlossen. Auch die KurdInnen in Europa sind in höchstem Maße mobilisiert und führen täglich Solidaritätsaktionen durch. Alle wissen: Kobani darf nicht fallen, Rojava und das von ihr praktizierte demokratische Gesellschaftsmodell muss verteidigt werden! Ein Vergleich mit der Verteidigung der Spanischen Republik in den 1930er Jahren ist nicht überzogen, weil auch mit der Revolution in Rojava große Hoffnungen verbunden sind.

Massaker in Kobani verhindern!

Zwar halten wir die oben genannten Forderungen nach wie vor für richtig. Angesichts der kurz bevorstehenden Einnahme von Kobani und der unmittelbaren physischen Bedrohung durch den IS müssen wir uns jedoch alle fragen, was die Menschen dort jetzt noch vor einem Massaker bewahren kann. Wir befinden uns in einem Dilemma: Friedenspolitisches Engagement verträgt sich schlecht mit einem Ruf nach Waffen. Solidarität mit der von einem Massaker bedrohten Bevölkerung Kobanis bedeutet für uns jedoch, ihre Forderungen ernst zu nehmen und zu unterstützen. Und das ist die jetzt notwendige internationale Solidarität!

Die Forderungen der Menschen von Kobani sind:

- Verstärkte und wirksame Luftschläge der Anti-IS-Koalition auf IS-Stellungen um die belagerte Stadt Kobani!
- Die türkische Regierung muss YPG-KämpferInnen und von ihr mitgebrachte Waffen aus der Region Cizîre die Passage nach Kobani über türkisches Staatsgebiet gewähren. Ebenso sollen Peshmerga-KämpferInnen aus Südkurdistan nach Kobani kommen dürfen.
- Lieferungen von schweren Waffen zur Verteidigung an die YPG in Kobani!

1) Hier sind immer gemeint: YPG und YPJ (Frauenverteidigungseinheiten). YPJ sind organisatorisch unabhängig, kooperieren aber eng mit den YPG.