Gemeinsame Erklärung der internationalen Akademiker_innen Delegation nach Rojava - PDF
Im Dezember 2014 reisten wir als eine Delegation von Wissenschaftler_innen aus Europa, der Türkei und Nordamerika nach Rojava, um mehr über die Ideale und Praktiken dieser Revolution zu erfahren und in einem der Kantone direkt die Ansprüche der Realisierung von Geschlechterbefreiung und demokratischer Selbstverwaltung zu untersuchen. Leitfragen waren: Stellt die dortige Praxis wirklich eine Revolution dar? Entspricht die Praxis den demokratischen Idealen? Welche Rolle spielen Frauen tatsächlich? Am 1. Dezember überquerten wir den Tigris von der Autonomen Region Kurdistan (KRG) im Nordirak aus und betraten den Kanton Cizîre. Während der folgenden neun Tage, besuchten wir sowohl dessen größere Städte, wie auch kleinere Dörfer in ländlichen Regionen. Wir nahmen an einem Treffen eines Volksrats der Selbstverwaltung in einem Bezirk von Qamişlo teil und sprachen mit Repräsentant_innen von TEV-DEM, der breiten Bewegung für eine Demokratische Gesellschaft, welche die Institutionen der Selbstverwaltung aufgebaut hat. Wir trafen uns mit Journalist_innen, mit Vertreter_innen von Parteien, wie der Partei der Demokratischen Einheit (PYD) und anderen. Wir trafen Frauen aus allen Lebensbereichen, einschließlich Vertreterinnen der Frauendachorganisation YekîtiyaStar. Wir trafen uns ebenfalls mit den Vorsitzenden der Union der syrianischen Frauen und besuchten eine Frauenakademie in Rimelan. Außerdem trafen wir uns mit Zuständigen für ökonomische Entwicklung, Gesundheit und Außenbeziehungen in den Selbstverwaltungsstrukturen. Wir besuchten die Akademie für Wirtschaft und besuchten neuaufgebaute Kooperativen, im Sektor Molkerei, Bau und Gewächshauslandwirtschaft, wie auch eine Frauenkooperative, die Textilien produziert. Wir besuchten eine Getreidemühle und eine Raffinerie, beides überlebenswichtige, ökonomische Einrichtungen. Vor der Revolution befanden sich alle ökonomischen Aktivitäten im Staatsbesitz und Getreidemühlen gab es nur in Regionen außerhalb von Rojava, wie Aleppo oder Raqqa. Wir besuchten Nachbarschaftsgesundheitszentren, ein Krankenhaus und ein Rehabilitationszentrum, weiterhin ein kulturelles Zentrum und eine Jugendorganisation. Wir waren zu Gast an der großen Mesopotamischen Akademie für Sozialwissenschaften in Qamişlo, wo wir uns auch mit der Lehrer_innenvereinigung trafen. Vor der Revolution wendete der syrische Staat eine strenge Assimilations- und Arabisierungspolitik auf die kurdische Bevölkerung an. Dieser war nicht erlaubt ihre Sprache zu sprechen, ihren Kindern kurdische Namen zu geben, Läden mit kurdischen Namen zu eröffnen, private kurdische Schulen einzurichten oder Bücher oder Schriften auf Kurdisch zu publizieren. In den Regionen, die vorwiegend von Kurd_innen bewohnt werden, war es nicht möglich eine öffentliche Universität einzurichten. Um zu studieren mussten die Jugendlichen nach Aleppo, Deir al Zor, Hama oder Homs gehen. Nun aber hat die Selbstverwaltung von Rojava erste Schritte eingeleitet, um eine Universität in Qamişlo aufzubauen. Die Mesopotamia Akademie für Sozialwissenschaften in Qamişlo braucht jedoch internationale Solidarität, Austausch, Erfahrung und materielle Unterstützung, um erfolgreich zu sein. In diesem Sinne möchten wir hiermit auch den Appell an Dozent_innen weitergeben, die einige Zeit zum Lehren dorthin kommen können. Des weiteren braucht die EInrichtung Computer, Mikrofone undProjektore. Vor allem werden Bücher benötigt, um die Bibliothek zu erweitern. Das Endziel ist eine mehrsprachige, multidisziplinäre Bibliothek, aber im Moment betonten die Lehrenden, dass zu diesem Zeitpunkt Bücher auf Kurdisch, Arabisch und Englisch am wichtigsten seien. Diejenigen, die eine Spende machen wollen, können für weitere Informationen die Facebookseite „PirtûkekboAkademiyaMezopotamyayê - Donate a booktoMesopotamia Academy“ besuchen. Wir besuchten das Newroz Flüchtlingslager, wo Ezid_innen aus demSindschar-Gebirge ihren Wunsch nach Selbstverwaltung und Selbstverteidigung betonten und internationale Unterstützung forderten. Die Flüchtlinge hoben besonders hervor, dass sie unter dem Embargo gegenüber Rojava litten und aufgrund dessen nicht einmal ihre Grundbedürfnisse erfüllt werden könnten. Die Ezid_innen erklärten uns gegenüber, dass ihr Leid von Einheiten wie der Kurdischen Regionalregierung (KRG), verschiedenen Staaten, einschließlich der sogenannten Anti-IS Koalition und auch von internationalen Organisationen wie den UN instrumentalisiert würde, demgegenüber betonten sie, dass sie von der YPG (Volksverteidigungseinheiten) und der YPJ (Frauenverteidigungseinheiten), wie auch den Guerillas der PKK vom Sindschar-Gebirge im August 2014 gerettet worden seien und sie von diesen seitdem trotz des Embargos und des Krieges um Kobanê versorgt würden. Überall im Kanton konnten wir die Spuren der Jahrzehnte der Unterdrückung, wie auch der gegenwärtigen Kämpfe mit al Nusra und ISIS beobachten. Wir verbrachten ebenfalls Zeit mit Vertreter_innen der Verteidigungskräfte von Rojava. Wir trafen uns mit dem Militärkommando der YPG in Serekaniye und mit einemBatallion der YPJ in Amûde. Wir besuchten die Akademie der Sicherheitskräfte (Asayîş)in Rimelan. Die Rolle der Türkei beim Aufstieg von al Nusra und ISIS wurde explizit von fast allen, die wir getroffen haben, betont. Menschen aus allen Bereichen des Lebens berichteten uns von Zusammenstößen in der Nähe der türkischen Grenze, bei denen die Türkei militärische, logistische und auch finanzielle Unterstützung besonders für die beiden genannten Gruppen zur Verfügung stellte. Obwohl wir verschiedene Hintergründe haben, so teilen
wir doch einige Eindrücke unserer Reise. Wir meinen, dass Rojava eine alternative Zukunft für
den Mittleren Osten aufzeigt, eine Zukunft in der Menschen verschiedener
Ethnizität und Religion zusammen, vereint durch gegenseitige Toleranz
und gemeinsame Institutionen, leben können. Kurdische Organisationen haben
den Weg gezeigt, aber sie gewinnen zunehmende Unterstützung von Araber_innen,
Assyrer_innen und Tschetschen_innen, die an dem gemeinsamen System der
Selbstverwaltung teilnehmen und sich autonom organisieren. Als Wissenschaftler_innen und Aktivist_innen, verließen wir alle Rojava mit tiefem Respekt und großer Bewunderung der Bevölkerung, ihrem progressiven politischen Programm und ihren gegenwärtigen gesellschaftlichen Errungenschaften gegenüber. Sie haben durch die demokratische Selbstverwaltung einen Weg gefunden, ihre eigenen Probleme zu lösen. Es bleibt aber auch festzuhalten, dass Rojava unter schweren Bedingungen leidet, deren Ursache außerhalb der Kontrolle derBürger_innen liegt. Deshalb schließen wir mit folgenden Empfehlungen, die
so schnell wie möglich umgesetzt werden sollten: Zweitens, die andauernden Konflikte in Syrien und im
Irak haben eine Vielzahl von Flüchtlingen geschaffen, die gerade von der
Selbstverwaltung versorgt werden. Diese Flüchtlinge brauchen dringend
medizinische Hilfe, Medikamente und Krankenhausausstattung. Es wurden
ebenfalls viele Menschen im Krieg verletzt, die eine angemessene Versorgung
benötigen, welche durch das Embargo nicht möglich ist. Die internationale
Gemeinschaft muss dafür eintreten, dass Hilfe für diese Menschen im Dialog
mit den Institutionen der Selbstverwaltung nach Rojava gelangen kann.
Kontakt: Civaka Azad - Kurdisches Zentrum für Öffentlichkeitsarbeit
e.V. |