Licht am
Horizont
Annäherungen an die PKK |
V. Rolle der Führung
in geschichtlichen und revolutionären Prozessen
V.1.1. Menschwerdung und Entstehung der Klassen V.1.2. Religion und Philosophie im Zeitalter der Sklaverei V.1.3. Das Beispiel der Weltreligionen |
V.1.2. Religion und Philosophie im Zeitalter der Sklaverei
Bereits in der Urgesellschaft werden nicht erklärbare, oft unvermittelt eintretende Naturerscheinungen, zumal, wenn sie massive Auswirkungen auf die Lebensbedingungen der Stämme hatten, der Macht imaginärer Kräfte zugeschrieben. Religiöse Ideen reflektierten das Widersprüchliche zwischen Elementen der eigenen Umwelt. Als ursprüngliche Formen von Religionen tauchen Schamanismus und Naturkulte auf, Übernatürliche Kräfte wurden auf Tiere, Pflanzen, Himmelskörper und andere Naturerscheinungen projeziert. Die Personifizierung der Götter erfolgte in den Sklavenhaltergesellschaften: Selbst lebendige Menschen, wie die Pharaonen in Ägypten, wurden als Götter verehrt. In Griechenland wiederum kam es zur Vermenschlichung der Gestalten des Olymp. Die vielfältigsten Formen der Kulte und eine zum Teil bis heute beeindruckende Kultarchitektur entstanden. Schamanen und Priesterinnen wurden im Laufe der Gesellschaftsentwicklung zu konstituierenden Elementen der herrschenden Klasse. Von Jagdzaubern bis zur regelrechten Vermarktung des Orakels von Delphi zog sich die Herausbildung dieses ersten Bestandteils des gesellschaftlichen Überbaus. Legitimation für Herrschaft im allgemeinen wurde seitdem über Jahrtausende aus der irdischen Vertretung göttlicher Macht abgeleitet. Und umgekehrt: Führungsansprüche ließen sich nicht ohne oder gar entgegen den gerade herrschenden religiösen Gedanken durchsetzen.
Der Widerspruch zwischen Ausbeutern und Ausgebeuteten verwurzelte sich in der menschlichen Gesellschaft. Mit den Klassen der Sklaven und Sklavenhalter trat zugleich der Kampf zwischen diesen Menschengruppen auf die Bühne der Weltgeschichte. Die zur Ingangsetzung und Inganghaltung der versklavten Arbeitskraft notwendige Gewalt setzte der Produktivität dieser Gesellschaftsformation ihre Grenzen. Ihre großartigsten Leistungen beruhen auf Raubzügen und Eroberungen, auf den ersten Ausdifferenzierungen des gesellschaftlichen Überbaus mit Entdeckungen und Erfindungen wie der Schrift, der Grundlagen von Mathematik und Astronomie, aber auch der Verwaltung und Bewässerungslandwirtschaft. Die Schöpferkraft der Epoche war jedoch bei den freien Mitgliedern der Gesellschaft konzentriert.
Erste Ansätze einer materialistischen Philosophie entstanden im Griechenland des 6. Jahrhunderts vor unserer Zeitrechnung. In Milet nutzten Thales und Anaximander ägyptische und babylonische Erkenntnisse und Erfahrungen in der Auseinandersetzung mit der Natur. Thales sah den Ursprung der Erde im Wasser. Die Atomisten wiederum kamen mit ihren Überlegungen zum Aufbau der Materie zweitausend Jahre zu früh. Ihre Theorie von den kleinsten, unteilbaren Teilchen, den Atomen, wurde ersetzt durch das Bild einer Welt, die sich aus den Elementen Luft, Wasser, Erde und Feuer zusammensetzt. Diese Auffassung beeinflußte die europäische Wissenschaft bis in die Renaissance. Die zweite große Linie der Philosophie und zugleich die über Jahrtausende einflußreichere, die des Idealismus, wurde ebenfalls in Griechenland begründet, verkörpert am nachhaltigsten und deutlichsten durch Sokrates und seinen Schüler Platon. Wiewohl Sokrates heute als Sinnbild des denkendes Menschen schlechthin gilt, wurde er 399 v.u.Z. von seinen Athener Mitbürgern wegen Verführung der Jugend und Gottlosigkeit hingerichtet. Seine geistige Leistung berührte die Mehrheit der freien Griechen also kaum, die weiterhin in einem Kokon von Aberglauben und traditioneller Irrationalität beharrten. Führung im ideellen Bereich, selbst regelrechte Revolutionen im Denken, müssen also nicht zeitgleich zu ihrer Entstehung akzeptiert und Gemeingut der Gesellschaften oder bestimmter Klassen werden. Fast die Regel ist die über größere Zeiträume verschobene Anerkennung dieser Leistungen, möglich auch der sich immer wiederholende Bezug auf sie in verschiedensten Epochen. Eines der frühesten, aber auch beeindruckensten Beispiele dafür stellt das Schaffen Platons dar. Von ihm stammt mit dem Werk 'Der Staat' der erste Text philosophischen Denkens, der erste Entwurf einer Gesellschaft, die mit einem ethischen Ziel geleitet und geplant wird. Platon beschreibt in eine Reminiszenz an Sparta einen autoritären Staat, in dem die wenigen, die ihn führen, von der geistigen und moralischen Verfassung sind, die sie zur Realisierung einer gerechten Gesellschaft befähigt. Platon war also noch der Meinung, daß es unmöglich wäre, die Mehrzahl der Menschen an der gedanklichen Erkundung der Wirklichkeit im weitesten Sinne zu beteiligen. Führung blieb auch unter dem Einfluß dieser Idee für Jahrhunderte die Sache einzelner, und zwar vor allem der Vertreter der herrschenden Klassen.
Jedoch kam auch der Antagonismus der Sklavenhaltergesellschaft mitunter
zu heftigen Ausbrüchen - wie beim Aufstand des Spartakus. Obwohl grausam
niedergeschlagen, verlor dieses Ereignis lange über das Römische
Reich hinaus nichts an symbolischer Kraft für die fortschreitende
Menschheit - einer der ersten Funken eines Bewußtseins von der Notwendigkeit
kollektiven Widerstandes, über persönliche, beschränkte
Interessen hinaus. Zu untersuchen wären die Fragen: Was befähigt
einen Sklaven, Vertreter der Unterdrückten, einen der Namenlosen,
zur Organisation dieser geschichtlichen Tat? Warum mußte er scheitern?
Fehlte die Ideologie, das übergreifende Ziel oder die geschichtliche
Perspektive der Slaven als Klasse?