Licht am
Horizont
Annäherungen an die PKK |
V. Rolle der Führung
in geschichtlichen und revolutionären Prozessen
V.6.4. Einige Methoden, Selbstbild und Sprache V.6.5. Abdullah Öcalan zu seiner Entwicklung |
V.6.5. Abdullah Öcalan zu seiner eigenen Entwicklung
Große Revolutionen entstehen nicht unter den weitentwickelten Zivilisationen. Diejenigen, die um ihre Lage nicht zu kämpfen haben, empfinden nicht das Bedürfnis, eine Revolution zu machen.
Soweit ich mich erinnere, kenne ich mich als einen Menschen, der Schwierigkeiten hat, sich selbst zu gefallen. Auch das Volk, das ich vertrete - oder zu vertreten versuche -konnte und kann ich nicht so akzeptieren, wie es ist. Wenn ich mich an meine Kindheit erinnere, kommt mir zu erst meine ablehnende Haltung in den Sinn. Diese starke Ablehnung existiert nicht nur auf der Gefühlsebene. Es ist vielmehr ein Nicht-akzeptieren der Gründe und Umstände des tiefen Sturzes eines Volkes. Diese Tatsache prägt meine Persönlichkeitsentwicklung, erst in der Familie und im Dorf, dann auch in meinem späteren Leben. Dieses Volk und seine Menschen kann ich heute immer noch nicht akzeptieren: sie sind in eine Lage geraten, die einfach nicht zu akzeptieren ist. Das Resultat ist etwas sehr abstoßendes, eine große Lethargie, eine große Niederlage.
Die Realität dieses Volkes ist, daß es nicht noch weiter erniedrigt werden kann, weil es schon ganz unten angekommen ist. Als ob das nicht ausreichen würde, verleugnet es sich selbst noch mehr als es schon seine Feinde tun. Es ist noch sehr weit davon entfernt, die eigene Existenz als einen Wert zu begreifen. Es will weder die Menschheit noch sich selbst kennenlernen, es empfindet Angst und Ekel vor sich selbst. Darin ist eine Art künstliche Persönlichkeit entstanden, doppelgesichtig, unecht, verlogen. Dieser Mensch ist so am Ende, daß er nur noch tiefer in die Sackgasse seiner Existenz, seines Volkes hineinläuft. Außerdem läuft er dem Feind hinterher, er kniet vor ihm. Es ist die vollständige Kapitulation derjenigen, die im Namen dieses Volkes auftreten, dabei aber nur die Herrschenden in unerträglicher Weise nachahmen. Die Reihe der unakzeptierbaren Dinge ist sehr lang, wie man sieht.
Wenn ich meine Erinnerungen darlege, wird vielleicht einiges besser verständlich. Was für ein Unglück, aus diesem Volk zu kommen. Ein Unglück auch, aus diesem Dorf, aus dieser Familie zu stammen. Ich sage dies nicht, um meine eigene Realität zu verleumden oder abzuwerten, sondern um meine Herkunft offen darzulegen. Revolutionäre müssen sich zu ihrer eigenen Wirklichkeit loyal verhalten. Wer den Bezug zu seiner eigenen Realität verloren hat, wie kann dieser Mensch ein Revolutionär sein? Muß man diesem nicht auch sein Menschsein überhaupt in Frage stellen? Als ich in meiner Kindheit meine unheilvolle Wirklichkeit erkannte, stellte ich mir typische Fragen: Kann ich mich retten? Kann ich mich selbst ablehnen? Kindliche Träume... ich wünschte mir damals, ich hätte eine andere Familie, ich gehörte einer anderen Nation an. Wären doch meine Eltern anders! Wäre ich doch in einer anderen Gesellschaft geboren!
Ich kann mich erinnern, daß ich oft solche Fragen und Gedanken hatte. Doch merkte ich irgendwann, daß es keine Flucht gibt, daß es keine Flucht geben darf. Das einzig Entscheidene war die grundsätzliche ... Die Träume und Wünsche, anders zu sein, durften keine große Rolle spielen. Was kann man in diesem Zustand der Hilflosigkeit tun? In einer Volksrealität ohne erhabene Werte, schon an der Freude zur Selbstverleugnung, sich mit dem Zustand der Verdammnis schon abfindend, der Entwicklung, der Menschheit hinterherhinkend... Das Leben ist alles andere als lebenswert. Dieses Dorf wirkt wie gelähmt, alles Nationale, alles Gesellschaftliche hat sich fast ganz aufgelöst. Und in diesem Dorf diese Familie, die sich wirtschaftlich nur mit viel Mühe auf den Beinen halten kann.
Wie habe ich diese Zeit meiner Kindheit empfunden? Auf welche Einflüsse habe ich reagiert? Es gibt nicht allzuviele Erinnerungen aber meine ersten Schritte waren die einer Rebellion. Wenn man dieses Kind richtig verstehen will, so hatten für es weder die Familie, das Dorf, noch die Gesellschaft eine große Bedeutung. Nehmen wir das Beispiel der Mutter. Jede Mutter hat gegenüber ihrem Sohn bestimmte Rechte, sie kann ihm gegenüber Forderungen und Wünsche ausdrücken. Aber meine Antwort auf mütterliche Forderungen war, auf ein Huhn und seine Küken zu zeigen und zu sagen: „Du kannst für mich nichts anderes darstellen als dieses Huhn für seine Küken."... Ich erinnere mich sogar noch an die Farbe der Küken. Warum habe ich das gesagt? Weil ich ein merkwürdiger Mensch war oder schon so klug? Ich weiß nur, daß die Stimmung der Küken fröhlicher war als meine eigene. Es ist offensichtlich, daß ich anfing, mich ablehnend und widerspenstig zu verhalten, eine Bewegung voller Reaktionen auf meine Umwelt zu werden.
Auch die Mutter merkte damals schon, daß dieses Kind nie auf sie hören wird. Als die Agenten des Kolonialismus sie später fragen, warum sie mich so erzogen habe, antwortet sie: „Natürlich wollte ich auch nie, daß er mich verläßt. „ Darüber wurde in der Vergangenheit viel spekuliert. Es sagt auch nichts über die Realität der Mütter, die sich Ihnen auf immer verbundene Kinder wünschen. Dieser Wunsch meiner Mutter realisierte sich in keiner Minute.
Ich denke darüber nach, warum ich mich als Kind immer dagegen gewehrt habe, das Vorhandene und Aufgezwungene abzulehnen. Der Zustand begrenzter Zufriedenheit oder schon Unzufriedenheit setzt sich auch noch in der Kindheit fort. Es ist zugleich eine Unzufriedenheit mit mir selbst. Ich frage mich nach den Maßstäben dafür.
Ich erinnere mich, daß ich sehr früh anfing, nach Freundschaft zu suchen. Dabei fand ich merkwürdigerweise immer nur Interesse an einem Kind, mit dessen Familie sich meine eigene in unversöhnlichen Streit befand. Unsere Familien erzogen uns so, daß wir darauf vorbereitet waren, diesen Konflikt später fortzusetzen und unsere Familienehre zu schützen - was unsere Vernichtung bedeutete. Ich weiß nicht, ob mein Streben nach Kontakt mit diesem Kind ein Zeichen von Intelligenz ist oder aus dem Bedürfnis stammt, sich selbst zu verteidigen. Ich habe den schlichten Wunsch, gerade mit diesem Kind eine Freundschaft zu beginnen. Hasan wurde mein Freund, später ist er auf sehr unglückliche Weise als Märtyrer gefallen. Die Freundschaft mit ihm war meine erste geheime „Organisation", die ich vor meiner Familie verstecken mußte. Ich erinnere mich, daß ich mit großer Freude den Weg mit meinem Freund fortsetzte, sobald wir uns vom Dorf entfernt hatten. Doch einmal sah uns meine Großmutter und sie schrie meine Mutter an: „Dieses Kind von dir wird zu einem Ehrlosen!" Trotzalledem habe ich meinen Freund nicht verraten. Auch unter dem Druck der gesellschaftlichen Normen habe ich diese Freundschaft, wenn auch in anderer Form, fortgesetzt und vertieft.
Ich fing an, mich gegen eines der wichtigsten feudalistischen Prinzipien zu stellen; ich will nicht nach den vorgegebenen festgesetzten Gesetzen leben, nicht nach den Regeln des Vaters oder der Mutter - so mache ich meine frühesten Revolutionen.
Als ich die ersten Schritte in die bürgerliche Gesellschaft dieser kemalistischen Republik mache, habe ich wenig Selbstvertrauen, keine großen Ziele. Ich empfinde die gleiche Hilflosigkeit, die Einsamkeit dieser Gesellschaft. Aber ich sehe auch die Notwendigkeit, einen falschen Weg zu beginnen. Obwohl ich keine wirkliche Aufstiegsmöglichkeit sah, zwang ich mich, auf der gesellschaftlichen Leiter Schritt für Schritt nach oben zu steigen. In den Schulen absolviere ich alle Klassenstufen als Bester. Bis zum Abschluß der Universität habe ich nichts von dieser Ausbildung verstanden, nichts angenommen - aber immer war ich Erster. Es muß eine Art innerer Widerstand gewesen sein. Mit der Sprache des Systems erfolgreich das System überwinden - aber in Wirklichkeit nicht daran glauben, nichts davon wissen wollen. Auch das ist eine Art zu kämpfen, die ich noch heute anwende. Einige Wörter spreche ich in der Sprache, die alle Welt versteht, aber ich habe ein eigenes Verständnis, wenn es um das Leben geht. Ich glaube nicht, daß diese Wörter Bedeutung für mich haben. Meine Situation ist eine andere. Warum?
Die Antwort muß wieder in der Realität gesucht werden. In dieser Wirklichkeit hat der Mensch die Grundeigenschaften des menschlichen Seins verloren, seine Sensibilität ist an einem bestimmten Punkt verloren gegangen. Jeder spricht von meiner Empörung und Wut gegenüber der türkischen Republik. Das ist erst einmal richtig. Über das „ Wie" wird jedoch sehr wenig oder nichts gesagt. Das gilt sowohl für die Partei, in der wir uns bewegen, als auch für die Kämpfenden an unserer Seite. Warum befindet sich dieser Kampf in einem Gleichgewicht?
Wären die Möglichkeiten der TR nicht vorhanden gewesen, hätte ich mich nicht soweit entwickeln können. So, wie diese Republik die ganze Gesellschaft geprägt hat, beeinflußte sie auch meine Entwicklung. Zumindestens das künstliche Heranwachsen, das Studium, die Karriere sind ihr zu verdanken, daß muß ich zugeben. Aber den Inhalten dieses Weges stimme ich nicht zu und empfinde dies als eine Vernichtungsaktion gegen meine eigene Identität. Hier beginnt sich der Revolutionär zu entwickeln: sich anpassen, wenn es sein 'muß', doch niemals den eigenen Geist verraten. Die Gedanken und grundlegenden Ideen nicht zu verkaufen, weil sie nötig sind für die Interessen der eigenen Bevölkerung. In einem Zustand, in dem sich das Individuum hundertmal am Tag an das System verkaufen könnte, dies nicht zu tun - um des persönlichen Stolzes willen.
Was daraus zu schlußfolgern ist: wenn dich die Familie der Menschheit als nicht existent betrachtet, wenn du gegen all die Ungerechtigkeit deine Stimme nicht erheben kannst und dennoch in dieser Situation deine Seele nicht verkaufst, um die menschliche Ehre zu schützen - wenn du das vermagst, kannst du viele Dinge in Gang setzen. Wenn es über meine Person zutreffende Analysen geben soll, könnte dieser Zusammenhang ein Teil dazu sein. Ich bin noch immer in der Situation, mich nicht ausreichend, umfassend genug beschreiben zu können....
Es ist sehr schwer sich gegen diese Verleugnung, gegen den Druck, nicht fallen zu lassen, noch aufrecht zu bleiben, sich auf den Beinen zu halten und sich selbst nicht zu verlieren. Eine wirklich große Persönlichkeit muß es verstehen, voranzugehen, ohne hinzufallen. In unserem Fall hat die Persönlichkeit nicht die Basis wie bei anderen Nationen, bei anderen Klassen oder Befreiungsbewegungen. Als es um die russische Revolution geht, gibt es eine lebendige russische Bevölkerung. Sowohl bei der chinesischen Revolution als auch bei den Revolutionen in Europa gibt es eine nationale Basis; die soziale, kulturelle, historische und sogar die politische Entwicklung ist weit vorangeschritten. Man kann sich also fragen, auf welche Basis willst du dich stützen, wenn es um eine Revolution in Kurdistan, um die gegebene kurdische Realität gehen soll? Und wenn du dies auf deine eigene Kraft, auf deine eigene Persönlichkeit stützen willst - eigentlich bist auch du am Ende.
Es gibt die Redewendung 'Vom Winde verweht'; die Nation ist vom Winde verweht, die Klasse ist vom Winde verweht, die eigene Persönlichkeit ist schon längst vom Winde verweht.
Wenn es entwickelte nationale Voraussetzungen, Vorraussetzungen im Bereich der Klassenstruktur, vielleicht sogar historische Persönlichkeiten gab, die Erfolge erzielten -wo sind dann diese Erfolge zu sehen? Wie lange haben sie angesichts des Feindes durchgehalten? Inwieweit konnten sie im Namen der Nation auftreten? Von ihrer Kriegsführung gegen den Feind ganz zu schweigen, wieviel Menschen haben sie überzeugen können? Inwieweit konnten sie ihren nächsten Verwandten, ihren eigenen Kindern die Wirklichkeit nahe bringen?
Versuche, Aufstände gibt es - aber es sind Erhebungen, die von
den nächsten Verwandten verraten werden. Sie hinterlassen kein positives
Erbe. Jeder Aufstand zieht die nationale und gesellschaftliche Realität
nur noch ein Stück tiefer ins Grab. Es geht sogar soweit, daß
die türkische Republik ganz unbefangen sagen kann: „Jetzt sind sie
ganz sicher beerdigt, das Grab ist zubetoniert. In diesem Land wird nie
wieder ein Aufstand versucht, hier wird nie wieder eine Entwicklung zu
einer nationalen Wirklichkeit stattfinden können. Ihren Namen wird
man nie mehr hören, weil sie in den Gräbern schon zu faulen beginnen.
„ Diese Realität muß man natürlich im Auge behalten. Über
eine Entwicklung, die schon zu Erfolgen geführt hat, ist natürlich
leicht zu reden. Ich sehe nur das Heute an; es wird sehr viel über
die kurdische Realität debattiert, viele Konferenzen werden durchgeführt,
gewagte Thesen aufgestellt. Viel öfter, als ich das tue, wird in einem
Zustand des Rausches behauptet: „Der Sieg ist nicht mehr fern!" Solche
Bewertungen finde ich unverständlich, ich kann sie nicht sehr hoch
schätzen. Ich glaube nicht, daß die Realität damit spaßen
wird; ich bewerte die Zustände anders. Wie kann man die Welt verstehen,
wenn sogar fraglich ist, ob wir uns selbst verstehen?
Lassen wir erstmal die Realität unseres Volkes beiseite: ich bin
überzeugt davon, daß ich nicht einmal normale Helfer für
die Entwicklung unserer Sache ausbilden konnte. Ich muß offen gestehen,
daß ich trotz meiner Suche nach Freunden und Genossen, trotz aller
Bemühungen, keine richtigen Helfer entwickeln konnte, auch wenn sie
überall, in den Bergen, in den Gefängnissen sagen: „Wir leisten
heldenhaften Widerstand". Sie sind bereit zu sterben, doch wenn es darum
geht, die Rolle des Helfers zu übernehmen, sträuben sich alle.
Wie soll ich diesen Zustand nennen? Ist das die kurdische Ehrlosigkeit,
das Fehlen der Persönlichkeit?
Das Interesse, das für eine Zigarette aufgebracht wird, kann nicht für die wichtige Aufgabe eines Helfers entwickelt werden. Die Kraft dafür fehlt - so sieht das in der Praxis aus. Vielleicht ist dies wegen der längst vernichteten nationalen gesellschaftlichen Elemente nicht möglich.
Für andere kann der kurdische Mensch ein starker Lastenträger,
eine sehr gute Ehefrau, ein sehr guter Ehemann sein. Für andere kann
er ein sehr guter Soldat, ein sehr guter Kommandant sein. Für andere
kann er ein guter Arbeiter und Diener, sogar ein guter Intellektueller
oder ein guter Handwerker sein. Aber wenn es um die eigene Identität,
um die eigene Befreiung geht, sagt er: „lch bin nicht dabei. „ Das ist
die Tragödie.
Er findet keinen Bezug zu seiner Identität, zur Wirklichkeit.
Er fällt in sich zusammen, er zerfällt, macht Rückschritte.
. .
Letztendlich findet er keinen Bezug zu der Aufgabe des Helfers. Es
wäre gnadenlos, an diesem Punkt immer wieder anzusetzen, diese Bevölkerung
und diese Persönlichkeiten immer wieder mit dieser Forderung zu konfrontieren,
denn ihre Möglichkeiten sind begrenzt. Das, was sie am besten können,
ist sterben. Es ist schwer für mich, diese täglichen 'Selbstmorde'
auszuhalten. Das heißt für mich, daß ich an mir immer
mehr arbeiten muß. Gerade das bedeutet Führung. Eine Führung
eben, die dieser Tragödie im Leben gerecht werden muß.
Ist das eine Führung für das Leben, für Befreiung, für Identität? Man kann es nennen, wie man will. Natürlich ist für mich mittlerweile das Stadium der Leidenschaft erreicht. Gegen alle Ehrlosen, Schwachen, Lügner, Flüchtenden, gegen diejenigen, die tapfer nur ihren 'eigenen' Kampf führen können ... Egal, ob sie sich uns direkt oder indirekt aufzwingen wollen, innerlich oder äußerlich zum Ausdruck bringen: „Wir können es nicht - aus uns wird nie etwas werden." Langsam entsteht bei mir dagegen ein Widerwillen, mich selbst weiter zu entwickeln. Gegenüber dem Volk sage ich: „Wir werden euch nicht in Ruhe leben lassen, wenn ihr euch nicht weiterentwickelt. „ Das gleiche gilt für meine Umgebung, für die Partei.
Wir sagen: „lhr könnt nicht einfach so leben, wie ihr denkt. Wir
wollen euch von den Grundprinzipien des Lebens überzeugen." Das ist
unser größter Kampf. Natürlich bestimme ich die Art, das
Tempo, das Herangehen dabei, das ist meine Freiheit. Meine Legitimation
dafür ist alles, was ich im 'Bund der Menschheit' gelernt habe. Es
gibt mir die Sicherheit, daß der Druck, den ich mache, unbedingt
notwendig und vor allem sehr berechtigt ist. In dieser Hinsicht kann ich
mir bis zu letzt vertrauen. Meine Beobachtungen haben mich sehr schnell
zu Ergebnissen geführt; darin habe ich eine große Überlegenheit
gewonnen.
So wie ich im Bereich der Sprache eine Stärke gewonnen habe, so
auch im Bereich der Aktion, des Handelns. Natürlich mußte ich
lernen - wenn ich die jetzige Zeit mit der Zeit meiner Schwäche vergleiche
diese Kraft richtig einzusetzen. Bei einer Persönlichkeit, die als
Kind eine große Schwäche gegenüber all den gesellschaftlichen
Werten empfindet und sich selbst zu einer Position der Stärke entwickelt,
kann davon ausgegangen werden, daß sie selbst eine Führungsaufgabe
wahrnehmen kann. Es ist nicht so wichtig, ob das bei mir der Fall ist.
Ich mach mir oft Gedanken darüber, was ich als Mensch bin und was
die Sache der 'Führung' bedeutet. Es ist richtig, daß ich darauf
beharre, Mensch zu sein. Das kann auf der Basis der Realität des Volkes
oder der Realität einer Person sein -letztendlich sich dazu entschließen
Mensch zu sein ...
Auch wenn ich keinen einzigen Helfer habe, ist das erst einmal so.
In meinen Leben gibt es keinen Platz für die Bitte, die Forderung
nach Freundschaft. Diese Situation hasse ich am meisten. Überall wo
ich hingehe, sind die anderen auf mich angewiesen. Ich bin da, weil sie
es wollen, nicht, weil ich es selbst will. Ohne den Wunsch und die Forderung
von anderen mache ich keinen Schritt. Das heißt nicht, daß
ich die anderen als etwas Geringes betrachte. Ganz im Gegenteil, schon
bei meinen ersten Beziehungen, sei es mit anderen Kindern oder mit Menschen,
die sich in überlegenen Positionen wähnten, fühlten sie
eine große Nähe und Wärme.
Als ich mit jemandem das erste Mal zusammen traf, der heute in einer
ganz anderen Position sein könnte, sagte er mir: „lch kann mich an
dich wie an einen Freund aus meiner Kindheit erinnern." Ich wunderte mich
über seine Aussage. Eigentlich hat er damit die Realität getroffen.
Er, der durch die politische Realität sich selbst entfremdet wurde,
sah in mir nur seinen Kindheitsfreund. Damit sagte er etwas wesentliches
über mich.
Dieser Mann konnte in mir einen bescheidenen, einfachen Menschen sehen.
Das ist ein wichtiger Hinweis auf eine grundlegende Eigenschaft von Führung.
Gleichzeit sah er in mir einen Freund aus seinen Kindheitsjahren. Das heißt
auch, daß man in einer Führungsposition seine entfernte, früheste
Kindheit nicht verleugnen oder ablehnen darf. Noch mehr verallgemeinert:
Man muß selbst Besitz der Menschheit sein. Jeder Mensch, egal welche
Nationalität, welches Geschlecht er hat, unabhängig von seinem
sozialen und politischen Niveau, muß sich ein Stück in dir sehen
können. Ich glaube, jeder Mensch, der eine ähnliche Einschätzung
trifft, erwartet ein wenig Menschlichkeit von uns. Daß ich diesem
Wunsch ein wenig entsprechen kann, erfreut mich sehr. Das es noch Menschen
gibt, die den anderen verstehen und in ihm etwas finden wollen, beeindruckt
mich sehr - es gibt mir Hoffnung.
Die materielle Lage unseres Zeitalters interessiert mich nicht. Auch fällt es nicht in meinen Interessenbereich - wie stark eine Nation ist, welcher Name am stärksten ist, wie sich die Ökonomie weltweit entwickelt. Für diejenigen, die menschliche Werte verloren haben und sich wieder auf der Suche nach Lösungen für die Probleme der Menschheit befinden, sind meine Interessen sehr wertvoll. Ich empfinde Stolz über jene, die sich aus hochentwickelten gesellschaftlichen und materiellen Verhältnissen losreißen und hierher kommen. In diesem Schritt sehe ich wirkliche Menschlichkeit. Auch die Menschen nehmen bei mir einen wichtigen Platz ein, die ihre gesicherte Situation im System verlassen, die ein Leben, in dem sie ihre materiellen Wünsche hätten erfüllen können, nicht wertschätzen - erst einmal unabhängig davon, welche Klassenzugehörigkeit sie haben. Leider gibt es nicht soviele von ihnen. Es vertreten mehr Menschen einen Vulgärmaterialismus als man denkt. Dieser Vulgärmaterialismus findet seinen Ausdruck in der Schwäche der eigenen Nation, der eigenen Klasse, ob als Unterdrückter oder als Unterdrücker, ob als Ausbeuter oder Ausgebeuteter, aber auch in der Schwäche der eigenen Familie, in der Schwäche gegen sich selbst. Das ist, was im allgemeinen gelebt wird; aber das, was sie menschlich oder Menschlichkeit nennen, ist genau das Gegenteil.
Ob wir als Einzelne und als Volk ein anziehendes und spannendes Buch für die Menschheit darstellen können? Ich will nicht übertreiben nach dem Motto: „Wir wollen für die Menschheit dieses oder jenes Beispiel darstellen. „ Ich mag es nicht sehr, zu philosophisch oder prophetenhaft zu reden, auch nicht wenn ich als das eine oder das andere, als Philosoph oder Prophet bezeichnet werde. Aber natürlich liegt mir nichts daran, den Marsch der Menschheit auch nur einen Augenblick zu stoppen.
Ich selber glaube nicht daran, daß ich so reich und stark bin,
wie das von anderen behauptet wird. Vielleicht könnte ich mir, wenn
auch nur mit Mühe, moralisch und materiell auch selber helfen. Wenn
es nur darum ginge, würde ich kaum Schwierigkeiten haben. Aber in
dieser Form ist das Leben nicht akzeptierbar - das ist offensichtlich.
Wenn es um die Verantwortung gegenüber einem Volk geht - und dieser
Aufgabe sehe ich mich verpflichtet -, so kann ich mir kein Recht auf ein
eigenes Leben zugestehen. Dazu habe ich mich auch entschieden. Vielleicht
entspricht dieser Zustand nicht den individuellen Rechten, die jeder Mensch
haben sollte. Kommen aber Rechte des Individualismus an erster Stelle?
Oder sollten dort nicht die Rechte des Volkes stehen? Eine klare Unterscheidung
kann ich in dieser Frage für mich nicht machen. Es ist eine Sache
der Würde, einem Volk, das sich selbst verleugnet und ablehnt, seine
Identität nahe zu bringen und sie zu akzeptieren.
Was ist das für ein Volk, daß dies nicht verstehen und verteidigen
will? Wie kann es diese Ehrlosigkeit gutheißen? An diesem Punkt empfinde
ich Empörung. Ich habe mich selbst für die Bewegung zur Seite
gestellt. Wie meine objektiven und subjektiven Verhältnisse sind,
interessiert mich zur Zeit nicht. Ich frage mich: „Bist du es, der sich
verleugnet? Bist du es, der sich selbst ablehnt und sich nicht als Mensch
betrachtet?" So kämpfe ich mit mir und ziehe mich zur Rechenschaft.
Das ist ein täglicher Kontrollmechanismus, der sich zwingend durchsetzt.
Mir gegenüber steht der Weltgendarm USA, von dem ich als 'Terrorist'
deklariert wurde. Den USA gefällt, wenn ihre Staatssekretäre
für Außenpolitik jeden Tag Erklärungen zu mir abgeben.
Nur: Wo stehe ich, und wo sind sie? Sie sind eine Weltmacht und ich bin
jemand ganz unten, der mit Mühe versucht, um die eigene Identität
zu kämpfen. Wenn das so ist, warum reden sie fortwährend das
Gleiche? Die Welt spielt ihre Komplizenrolle und empfindet keinen Hauch
von Schmerz. Natürlich wächst der Grad meiner Empörung parallel
dazu. Wenn ich das Menschsein verteidigen will, muß ich beweisen,
daß die Realität nicht so ist, wie von ihnen vorgegeben - bis
hin zu den Vorwürfen im Bereich der Menschenrechte. Wenn diese Menschen
nicht als Menschen gesehen werden, nicht dazu gezählt werden, warum
zwingt man ihnen Verhältnisse auf, in denen nicht einmal Tiere leben
können. Töte und begrabe sie -wäre das nicht eine konkretere
Lösung?
Das Ziel, auszubeuten, steht mittlerweile vor dem Ziel, zu morden. Das
Urteil lautet zwar letztendlich: „Töten!" ... Das ist ein unerträglicher
Zustand, es sind unmögliche Lebensverhältnisse, völlig menschenunwürdig.
Von den Feinden am Leben gelassen zu werden, obwohl sie ursprünglich
umgebracht werden sollten. Der Grund wird genannt: „Du sollst wie ein Tier
leben - und deshalb lassen wir dich leben." Die Weltmacht stimmt dem willkommen
zu, spielt sogar den Gendarmen. In dieser Situation wächst mein Wille
und mein Trotz. Ich bin sehr sensibel gegenüber den Schmerzen und
dem Leid des Volkes, aber ich mache die Revolution nicht, weil ich nur
diesen Ausgangspunkt habe. Wegen dem Leiden schon gar nicht. Ich habe ein
Ziel und bin selbst Bestandteil dieses Ziels. Mit Verleugnung, damit, sich
selbst als ein 'Nichts' zu betrachten, ist nichts zu erreichen. Für
mich ist ebensowenig zu akzeptieren, auf eine ehrlose Art zu leben wie
in absolut billiger Form zu sterben. Es ist die Ablehnung der aufgezwungenen
Realität, aber auch die Ablehnung eines Lebens als ehrloser Einzelner.
Aus dieser Situation heraus zu kommen, bedeutet für den Kurden den
billigen Tod; das ist bei ihnen sehr verbreitet. Sofort entsteht ein Aufstand,
sofort kommt der Tod, sogar die besten gehen so heran. Oder genau das Gegenteil
wird gelebt, doppelgesichtig. Beides ist für mich unerträglich
und falsch. Weder sterbe ich so, in dieser Art, noch lebe ich dieses Leben.
Alle Freundinnen und Genossinnen, die meine Lebensdialektik begreifen
wollen, müssen folgendes verstehen: gegen welche Art von Tod ich bin
und welche Art Leben ich ablehne. Wenn ich frage: „Was tun? Wie leben?",
dann habe ich die ganze Welt gegen mich. Diese Bevölkerung selber
und alle GenossInnen stehen gegen uns. Das schwierige Problem, das, was
ich als Führung lösen muß, liegt genau an diesem Punkt.
Hätte die Menschheit, oder einige ihrer Vertrete,r dieses unerträgliche
Leben des Volkes begriffen und etwas unternommen, bräuchte ich nichts
zu tun. Und wenn dieses Volk selbst seine eigenen Probleme, das eigene
Leid erkennen und sich nicht dermaßen erniedrigen lassen würde,
hätte ich nicht so massiv eingegriffen.
Wenn die Mitglieder der Partei, die KommandantInnen, die KämpferInnen, mit Respekt an sich selber herangehen und besser begreifen würden, bräuchte ich als Person meine Rolle als Führung nicht so umfassend zu spielen. Aber irgendwie bekommen sie das nicht hin.
Die USA ist die stärkste Macht. Rußland ist - nachdem es die Revolution verloren hat - die zweite. Sie wollen nicht verstehen. Wenn du ihnen die Realität vor Augen führst, fühlen sie sich gestört. Ich frage die Bevölkerung selbst: Sie ist schon längst gestorben, ihr Leben ist vernichtet, und oft sieht sie sogar das vom Feind aufgezwungene Leben als Ehre und Bereicherung an.
Du gibst den Genossinnen die Leidenschaft für die Freiheit, sie gehen um damit wie mit Kleingeld. Das geht nicht darüber hinaus, sich einen Tag als Paschas auszuleben, um am zweiten Tag sich den eigenen Tod zu bringen. Die Welt tritt uns ohne Verständnis gegenüber, die Bevölkerung ist verständnislos, die Parteimitglieder ebenso. So muß ich das größte Verständnis aufbringen und wissen, wie ich das ständig aufrecht erhalten kann. Das muß ich natürlich auf meine Art machen, nicht auf die Art, die mir aufgezwungen wird.
Das heißt also: Wir sagen 'Nein' zum Leben, das uns aufgezwungen wird. Wie aber sieht das Leben aus, das ich wünsche? Erkennt die Welt dieses Leben an?
Es bleibt ihnen überlassen, ob sie es anerkennen oder nicht. Erkennen es die Parteimitglieder an? Es bleibt ihnen überlassen. Ich werde trotzdem weiterhin alles Nötige für sie tun, ob sie das selber auch wollen oder nicht. Trotzdem werde ich wissen, auf unsicherem Weg weiterzugehen.
Obwohl ich keine ernsthafte Ausbildung bekam, hatte ich keine Schwierigkeiten, von zwei Sätzen ausgehend, die Charakteristiken, die 'Persönlichkeit' eines jeden Zeitabschnittes in der Geschichte festzustellen. Warum? Weil das, was ich lebe, irgendwie Geschichte selbst ist, es ist ein Resümee davon. Bin ich damit einverstanden, freu ich mich darüber? Diese Fragen sind wohl überflüssig. Für mich ist das nicht die Frage des Erfolges oder der Erfolgslosigkeit. Das heißt, ich kämpfe ganz alleine mit der Welt, mit der eigenen Bevölkerung, mit meiner Umgebung - Tag für Tag. Wenn ich dabei Leidenschaft und Freude empfinde, hat das mit meiner eigenen Lebensauffassung zu tun. Bis wohin kann ich gehen? Wo sind die Grenzen? Was könnte mit mir passieren? Wenn ich mich wieder bewerten sollte, sind im Gegensatz zu früher die Ängste weniger, ist die Armut geringer. Das Niveau dieses sich selbst genügenden Menschen hat sich erhöht.
Eine produktive Ebene, die Ebene des produktiven Menschen ist erreicht. Alles, was im Namen des gefallenen, verkommenen Menschen gelebt wurde, im Namen des immer verlierenden, ausgebeuteten Menschen - all dies ist verschwunden.
Eine Persönlichkeit, die sich selbst genügt, stark, produktiv, voller Willenskraft und Durchhaltevermögen, die gegen das Häßliche das Schöne erreicht hat und so auf dem Weg der 'Vollkommenheit' ist.
Ohne Zweifel mache ich das nicht für mich selbst. Ich versuche,
diese Gefühle, für die wir hier kämpfen, an die Bevölkerung
zu vermitteln und an andere interessierte Menschen. Ob auch aus anderen
Teilen der Welt Menschen kommen werden, die sich als Freund sehen, oder
die unsere Genossen werden wollen? Unser Wunsch und unser Handeln sind
selbst eine Lösung. Wir werden keine gewöhnlichen Aufrufe zur
Freundschaft machen. Damit können eh keine guten Freunde und Genossen
gewonnen werden. Aber wenn es Menschen gibt, die diesen Wunsch im Herzen
tragen, sollen sie wissen, daß wir unsere unbegrenzte Kraft und Stärke
in ihren Dienst stellen. Das kann eine Person sein oder ein Volk. Hier
ist nicht der Platz mit 'Bitten' nach Unterstützung und Solidarität
zu rufen. Das ist auch kein Sinn von Größe - wenn du groß
sein willst, führe ein großen Kampf. Solche Menschen gab es
in der Geschichte, und ich glaube daran, daß es sie auch noch in
Zukunft geben wird.
Für mich wäre es ausreichend, wenn sich ein oder zwei Freundinnen
von jeder Nation, in jedem Volk finden, die sich uns in dieser Form annähern,
aber unter der Vorraussetzung, daß sie wirklich einen großen
Kampf führen wollen. Wenn sie dieses Ziel haben, sollten sie sich
ein wenig analysieren und möglichst ihre eigenen Aktionen entwickeln.
Hier ist der Name meiner Partei, der Name meines Volkes überflüssig.
Diejenigen, die der Menschheit etwas geben wollen, können nicht dieses
'Ich' denken. Sie können diese Eigenschaften, Charaktere nicht gutheißen.
An diesem Punkt gebe ich mir sehr viel Mühe. Diese Menschen werden
von uns in dieser Hinsicht sehr geschätzt. Wenn sie uns in dieser
Hinsicht richtig verstehen und sie als Freunde und Genossen innerhalb der
eigenen Bevölkerung stehen, sich ihr verständlich und begreifbar
machen, wenn dieses Volk von ihnen lernt, andere Völker zu verstehen
- dann glaube ich fest daran, daß ich auch für andere Völker
das sein kann, was ich für das eigene bin. An diesem Punkt habe ich
großes Vertrauen zu mir.
Wenn wir nach dieser Bewertung unsere zukünftigen Mühen entwickeln,
können wir, wenn auch verspätet, ein gutes Beispiel für
eine Freundschaft entwickeln. Hierherzukommen ist ein wichtiges Zeichen
der Freundschaft, es stellt ein Glied in der Kette der Freundschaft dar.