Delegationsbericht
aus dem Zentrum von Van, 13.06.2011
Unsere Delegation
suchte insgesamt 14 Schulgebäude und 28 Wahlräume auf. Wir bekamen Zutritt
zu allen von uns aufgesuchten Gebäuden. Es gab lediglich einige Male kurze
Irritationen auf Seite der Polizei über unsere Anwesenheit, die sich jedoch
problemlos klären ließ. Auch die Wahlräume konnten wir betreten, lediglich
wurde unsere Besuchszeit in ca. 4 Büros von der uns in diesen Fällen begleitenden
Polizei auf wenige Minuten begrenzt.
Polizei in allen Wahlgebäuden
und Büros
In allen von uns besuchten Gebäuden waren Polizeibeamte anwesend. Bis
auf zwei Ausnahmen waren sie direkt vor den 28 Wahlräumen postiert. Sie
übernahmen auch organisatorische Aufgaben. Z.B. wurden sie damit beauftragt,
Wählerlisten vor den Klassenräumen aufzuhängen oder die Warteschlangen
zu ordnen. In acht Fällen hielten sich die Polizisten in den Räumen auf.
In vier Fällen verließen sie unmittelbar nachdem wir eintraten den Raum.
Darüber hinaus waren vor allen Wahlgebäuden Polizei postiert. Vor acht
Gebäuden wurden Körperkontrollen durchgeführt. Ansonsten wurden lediglich
die Wahlberechtigungsscheine kontrolliert.
Auf dem Gelände vor
fünf der Gebäude waren zusätzlich verankerte und teils schussbereite Militärfahrzeuge
postiert. In drei dieser Fälle waren Einheiten der Spezialeinheiten (Özel
Tim) anwesend. In einem Fall verließen die Fahrzeuge unmittelbar nach
unserer Ankunft das Gelände.
Auf unsere Nachfrage
hin wurde die Anwesenheit des Militärs und auch der Polizei in den Wahlräumen
damit begründet, dass es Vorfälle vor unserer Ankunft gegeben hätte, die
nun bis zur Schließung der Büros durch die Anwesenheit der Sicherheitskräfte
verhindert werden solle. Gemäß den Wahlgesetzen darf auch die Polizei
den Schutzabstand zur Urne von 15m nur überschreiten wenn sie ausdrücklich
vom Vorsitzenden der Wahlkommission dazu aufgefordert wird. Dass es in
allen von uns besuchten Büros zu Zwischenfällen kam ist unwahrscheinlich.
Vielmehr handelte es sich um einen systematischen geplanten Einsatz von
Polizei und Militär in allen Wahlbüros.
Ablauf in den Wahlbüros
Die Vorsitzenden der Wahlkommission gaben fast immer bereitwillig Auskunft
über den Verlauf der Wahlen, über ihren Umgang mit Analphabet_innen, alten
und kranken Wähler_innen. Die offiziellen Wahlbeobachter (Müşahit) berichteten
überwiegend, alles laufe sehr gut. Nur vereinzelt wurden entgegen der
Aussagen der leitenden Wahlkommission berichtet, dass z.B.Analphabet_innen
und alten Menschen praktische Unterstützung oder eine systematische Erklärung
der Wahlzettel verweigert wurde. Analphabet_innten sagten bzw. sollten
sagen, was sie wählen möchten, woraufhin ihnen das entsprechende Feld
gezeigt wurde. Dies steht dem Grundprinzip einer anonymen Wahl entgegen.
Oder es wurde gesagt ‘Mach doch hier dein Kreuz’. Es wurden uns berichtet,
dass alten und kranken Menschen teilweise die Unterstützung durch nahe
Verwandte z.B. die Begleitung in die Wahlkabine, so wie es gesetzlich
vorgesehen ist, verweigert wurde.
Beeindruckend war
eine ältere wählende Analphabetin die uns auf Nachfrage stolz erklärte,
dass sie selbstverständlich wisse, wo sie ihr Kreuz machen müsse. Insbesondere
die Unterstützer_innen der unabhängigen Kandidat_innen hatten für die
Bevölkerung Vorbereitungsveranstaltungen und zahlreiche Hausbesuche durchgeführt.
Dort wurden auch die Wahlzettel erklärt, wodurch sich Analphabet_innen
damit abhelfen konnten entweder die Wahlzettel auf eine bestimmte Art
und Weise zu falten, bis sie zum gewünschten Feld kamen oder die Felder
einfach abzählten.
Die offiziellen Wahlbeobachter,
die in den Wahlräumen den Ablauf der Wahlen und später auch die Auszählung
beobachten durften, schienen in Anwesenheit der offiziellen Wahlkommission
sowie der Polizei teils eingeschüchtert. In mehreren Fällen wurden wir
nach Verlassen des Büros von diesen Wahlbeobachtern noch einmal aufgesucht.
Uns wurde dann von weiteren Unregelmäßigkeiten berichtet. Ihr Schweigen
im Wahlbüro begründeten sie mit der Angst vor Verhaftung.
Die Urnen waren überwiegend
versiegelt. In vier Fällen schien uns die Versiegelung nur teils effektiv,
in einem Fall gab es keine Versiegelung. Was unmittelbar nach unserem
Hinweis nachgeholt wurde.
Die Auszählung
Wir konnten der Auszählung in einem Wahlgebäude beiwohnen. Es waren Polizeibeamte
in allen Auszählungsbüros anwesend. Ansonsten wurden die Umschläge ordnungsgemäß
geöffnet und ausgewertet. Die Wahlzettel wurden im Anschluss unter dem
Schutz eines Wasser/Gas-Werfers und einem kleineren Panzerfahrzeug zum
zentralen Sammelort beim Vali gebracht. Die Bevölkerung sammelte sich
bereits vor Beginn der Auszählung vor dem von Polizeieinheiten zugestellten
Eingangstor und einer im Hintergrund agierenden Sondereinheit. Von BDPlern
wurde uns berichet, dass sich die Bevölkerung dort postiert, um zu verhindern
dass wieder einmal Wahlurnen verschwinden. Mehrfach wurde von der Polizei
unter Androhung vom Einsatz von Wasser- und Räumfahrzeugen versucht die
Menge zu zerstreuen. Erst nach dem Abtransport der Urnen jedoch zerstreute
sich die Menge und strömte ins Zentrum um die Wahlen zu feiern.
Schwere Übergriffe
auf BDP Anhänger_innen in Van
Bereits ab 18 Uhr zogen feiernde Autokolonnen und kleinere Gruppen durch
das Zentrum der Stadt. Polizei- und Militäreinheiten waren überall präsent.
Polizisten schwengten Maschinengewehre über ihren Köpfen und liefen im
Trupp und militärische Parolen rufend durch die Straßen. Auch um das Gebäude
des Vali waren mehrere Einheiten und Fahrzeuge postiert. Wir konnten vom
Hotel aus am gleichen Platz schwere Übergriffe beobachten. Immer wieder
wurden vorbeifahrende Fahrzeuge und deren Insassen, die Fahnen hochhielten,
Siegeszeichen zeigten und Parolen riefen von am Rand stehenden Polizisten
bedroht und einige Male mit Schlagstöcken geschlagen. Auch wurde willkürlich
auf vorbeiziehende Fußgänger_innen geprügelt. In einem Fall wurden ein
passierender Kleinbus und deren Insassen von ca. 10 behelmten Polizist_innen
angegriffen. Die Türen wurden aufgerissen, es wurde brutal mit Schlagstöcken
auf die Insassen eingeprügelt, die Fenster wurden zerschlagen. Schließlich
wurde der blutüberströmte Fahrer aus dem Fahrzeug gezerrt und unter weiterer
Prügel zum Gebäude des Vali geschleppt. Der Minibus und die anderen vermutlich
verletzten und unter Schock stehenden Insassen konnten unmittelbar nach
diesem Angriff weiterfahren.
Darüber hinaus wurde
das Gebäude der Kommunalverwaltung in Van angegriffen, Wasserwerfer, Gasgranaten
und nach einzelnen Berichten auch scharfe Munition und Gummigeschosse
gegen die feiernde Bevölkerung eingesetzt. Erst kurz vor Mitternacht zogen
sich die Einheiten zurück.
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