Hüseyin Çelebi - ein Nachruf
Hüsein: Çelebi wurde am 22. September 1967 als Sohn einer
türkischen Mutter und eines kurdischen Vaters in Hamburg geboren,
wo er bis zu seinem 18.Lebensjahr aufwuchs. Dort besuchte er die Grundschule
bis zur Mittelstufe. Anschließend ging er zur Fachoberschule für
Sozialpädagogik und brach das Studium Anfang 1986 ab. Seine ersten
politischen Aktivitäten begannen 1974, als er an einer Demonstration
gegen die Abschiebung von 169 Kurden durch den damaligen türkischen
Premierminister Ecevit an das Saddam Regime im Irak teilnahm. Alle 169
Kurden wurden nach der Abschiebung hingerichtet. Seine Schule veröffentlicht
eine Broschüre von ihm, die er mit 13 Jahren verfaßte und den
Titel trug: "Die Ausländer sollen als Ausländer akzeptiert
werden". Nach dem Abbruch seines Studiums widmete er sich ganz der
politischen Arbeit. Er arbeitete vor allem, um mehr Öffentlichkeit
für die kurdische Frage in Deutschland und Österreich zu erreichen.
Im Februar 1988 wurde er mit 20 anderen kurdischen Politikern unter dem
Vorwurf des Terrorismus von der bundesdeutschen Regierung festgenommen.
Doch auch während der Haft hörte er nicht auf, für eine
gerechte Lösung der kurdischen Frage zu kämpfen. Im Sommer 1991
ging er nach Kurdistan, um endlich das Land kennenzulernen, er hatte sich
für den Guerillakampf entschieden
Mitte Oktober 1992 kam unser Freund und Genosse bei dem Angriff der südkurdischen
Kollaborateure und der türkischen Armee, unterstützt von den
imperialistischen Staaten, auf die Camps der ARGK in der Region Haftanin
ums Leben. Es ist besonders schmerzlich für alle, die ihn kannten,
daß er dem verräterischen Zweckbündnis, das KDP und PUK
mit der Türkischen Republik gegen den nationalen Befreiungskampf
Kurdistans eingingen, zum Opfer fiel!
Hüseyin hat lange in Deutschland gelebt und war zu einer lebendigen
Brücke zwischen den InternationalistInnen der reichen westlichen
Metropolen und dem kurdischen Befreiungskampf geworden. In seinem kurzen
und intensiven Leben blieb ihm nichts erspart, in Deutschland als jüngster
"Terrorist" größten "Terroristen" -Prozeß,
dem 129a-Verfahren gegen Freunde und Mitglieder der PKK in der BRD, unter
unwürdigen Bedingungen eingesperrt und angeklagt zu werden. Zwei
Jahre verbrachte er in den Isolationstrakten deutscher Gefängnisse.
Er verlor nie seinen Humor: noch lebhaft erinnern wir uns wie er von seiner
Festnahme erzählte, wie er die militärische und politische Maschinerie,
die 1988 in Gang gesetzt wurde, verhöhnte. Von Anfang an sagte er
voraus, daß der Prozeß wie ein Luftballon platzen würde,
was - zwar nicht mit einem Knall, aber doch nach und nach geschah. Die
Luft ist raus aus der Anklage, die meisten Verfahren wurden eingestellt!
Hüseyin war neugierig, offen und sprühte vor Humor so sehr,
daß sich viele fragten, wie ein Mensch, der soviel Schweres erlebt
hatte, in allem, was geschah immer noch die komische Seite sehen konnte.
Das heißt aber nicht, daß er nicht verwundbar war: er litt
unter der ständigen Observation, unter der Schnüffellei der
deutschen Behörden in seinem täglichen Leben, er litt unter
dem Rassismus der Richter und Staatsanwälte, der Polizei und der
Medien. Nachdem sein Haftbefehl aufgehoben war, war es für ihn kaum
möglich, auf offener Straße einen Schritt zu tun. Vor unverschlossenen
Türen blieb er stehen, als warte er auf den Wärter, der ihm
aufschließen sollte. Aber bald schon hatte er das überwunden:
im Frühjahr 1991 verabschiedete er sich aus Deutschland, um am Kampf
seines Volkes teilzunehmen.
Hüseyin machte nie einen Hehl aus seiner politischen Meinung, jede
Art von Geheimnistuerei lehnte er ab und lachte darüber. Mit der
gleichen Offenheit konnte er die eigenen Fehler, die er in seiner früh
begonnenen politischen Laufbahn gemacht hatte, zugeben und sich darüber
amüsieren. Im Alter von 7 Jahren ging er mit seinem Vater und einem
Freund der Familie auf die erste Kurdendemo Deutschlands, die aus zwei
Erwachsenen und einem Kind bestand. Sie protestierten gegen die Aggression
des Irak gegen die Bewegung von Barzani. Es bleibt wütende Sprachlosigkeit
und zeigt doch die Tragik der kurdischen Geschichte, daß er als
Kind Bilder von Barzani an seiner Wand hängen hatte und nun durch
die Peschmergas des Barzani-Clans ermordet wurde.
Hüseyin blieb in seiner politischen Arbeit nicht auf Kurdistan beschränkt:
er verfolgte aufmerksam die Entwicklung in Deutschland, die internationalen
Ereignisse ermöglichten ihm besser zu verstehen, was in seinem Land
passierte. Mit Ausdauer und unermüdlicher Hoffnung arbeitete er -
auch in der Redaktion des Kurdistan Reports - täglich und oft die
Nächte hindurch, um Bewegung in die Geschichte seines Volkes zu bringen
und auch um etwas im erstarrten Deutschland zu bewegen. Er war ein geschickter,
kluger Diplomat, doch nie getrennt vom Leben der KurdInnen in den Bergen,
nie getrennt vom Kampf in Kurdistan, nie getrennt von den Arbeitern. Es
gab viele Seiten an Hüseyin zu entdecken. Er konnte träumen
wie es Lenin schon formuliert hatte: wenn sich der Traum als Illusion
herausstellte konnte er ihn mühelos verwerfen. Aber er tat alles
aus seiner Verwirklichung, wenn er gespürt hatte, daß der Traum
authentisch war.
Hüseyin hat einen solchen Traum, ein Stück politischer Utopie
gewagt zu leben. Er war ohne Bitterkeit, ohne Rachegelüste trotz
der schweren Anfeindungen, denen er in Deutschland ausgesetzt war. Nichts
dergleichen konnte ihm den Blick verstellen, seine Großzügigkeit
einschränken oder ihm den Humor nehmen. Als er schon in Kurdistan
war, sollten ihn noch prozeßbehördliche Maßnahmen treffen,
und weil er nicht mehr greifbar war, wurde statt ihm der Vater traktiert.
Wir erinnern uns als Hüseyin lachend in die Kamera eines Fersehteams
in Kurdistan auf die Frage, ob sie denn nicht "Terroristen"
seien, antwortete, daß auch Jesus Christus nach Deutscher Definition
ein "Terrorist" gewesen sei und so befänden sich die Kurden
ja in bester Gesellschaft.
Hüseyins Tod ist ein großer Verlust für alle, die ihn
kannten und besonders für seine Eltern, die wir hoch schätzen.
Viele teilen ihren Schmerz und erfahren doch hoffentlich auch Hüseyins
große Kraft, die in ihnen weiterlebt.
aus: Kurdistan Report Nr. 53 Dezember
1992
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