Memorandum deutscher
Friedens- und Menschenrechtsorganisationen
In einem Ende Mai
2000 veröffentlichten Memorandum, das durch die Initiative des Dialog-Kreises
"Krieg in der Türkei - Die Zeit ist reif für eine politische
Lösung" zustande kam und von vielen Friedens- und Menschenrechtsverbänden
in der Bundesrepublik Deutschland unterstützt wurde, werden fünf
Schritte aufgeführt, die als erste unternommen werden sollten, um
einen Beitrag zur Lösung des türkisch-kurdischen Konflikts zu
leisten. Zum Abschluss zitieren wir aus diesem Memorandum:
" Die von uns vorgeschlagenen ersten fünf friedenspolitischen
Weichenstellungen in der Türkei beziehen sich alle auf Vertrauen
bildende Maßnahmen. Sie können relativ einfach und schnell
vollzogen werden und eine erhebliche Entspannung bewirken. Damit würden
günstige Voraussetzungen für weitere Schritte gerade auch in
Bezug auf den beabsichtigten EU-Beitritt im demokratisch-politischen,
menschenrechtlichen, wirtschaftlichen, entwicklungspolitischen, sozialen
und rechtlichen Bereich geschaffen.
1. Die Einstellung der militärischen Operationen der türkischen
Armee gegenüber der sich aus der Türkei zurück ziehenden
Guerilla und ihren Sammelplätzen außerhalb des Landes wäre
ein unübersehbares Zeichen für die Bereitschaft Ankaras zu einer
friedenspolitischen Lösung. Ihm kommt eine herausragende Bedeutung
zu.
2. Die Beendigung des Ausnahmezustandes und die Auflösung der dazu
gehörenden Institutionen (Supergouverneur, Spezialteams und Dorfschützer)
sind die Voraussetzung für die Normalisierung des gesellschaftlichen
Lebens und die Entwicklung der kommunalen Selbstverwaltung durch die gewählten
Volksvertreter. In diesen Zusammenhang gehört auch die unbehinderte
Organisationsfreiheit für Verbände und Parteien. Hierdurch kann
ein Schub an Bereitschaft zur Bewältigung der Kriegsschäden
und eine Eigenzuständigkeit der Menschen vor Ort gefördert werden.
3. Freilassung und Amnestie für alle 'Meinungstäter' und Abschaffung
bzw. Außerkraftsetzung aller die freie Meinungsäußerung
und die Medien einschränkender Gesetze. Das Ziel ist, die Einschüchterung
in der Meinungsäußerung zu überwinden, und die öffentliche
Diskussion über die Gestaltung von Gesellschaft gleichberechtigt
zu ermöglichen.
4. Die am Krieg Beteiligten - seien es Türken, seien es Kurden -
werden durch ein Amnestiegesetz für die Kriegshandlungen, sowie für
die politischen Einstellungen und Handlungen, die damit verbunden waren
(z.B. Separatismusvorwurf), außer Strafverfolgung gesetzt. Das Ziel
ist es, den Kriegsteilnehmern und Verantwortlichen eine Rückkehr
und die Aufnahme eines verantwortlichen zivilen Lebens zu ermöglichen.
Dadurch können mögliche Ansatzpunkte für eine erneute Eskalation
von Gewalt auf beiden Seiten überwunden werden.
5. Die fünfte Weichenstellung ist die Aufhebung aller Einschränkungen
für die sprachlichen, kulturellen und religiösen Ausdrucksformen
der Menschen in der Türkei verschiedener ethnischer und religiöser
Herkunft. Die Türkei muss endlich als Vielvölkerstaat akzeptiert
werden. Dadurch würde die laizistische und nationale Grundausrichtung
des Staates nicht in Frage gestellt, jedoch die unterschiedlichen Identitäten
respektiert werden. Viele konfliktträchtige Problembereiche würden
so überwunden, welche die Geschichte des türkischen Nationalstaates
in der Vergangenheit schwerwiegend belastet haben. Gleichzeitig ließen
sich wichtige 'Kopenhagener Kriterien' erfüllen.
In der Zeit notwendiger friedenspolitischer Weichenstellungen gilt nach
wie vor der Satz aus dem 'Aufruf zu einem europäischen Friedensdialog'
(aus dem Jahre 1995): "Freundschaft zur Türkei kann in dieser
historischen Situation nur heißen, ihrer großen Gesellschaft
aus Türken, Kurden, Armeniern, aus Moslems, Christen und anderen
Völkern und Religionen beizustehen, um Gespräche und Verhandlungen
für das zukünftige friedliche Zusammenleben endlich beginnen
zu lassen." Friedenspolitische Weichenstellungen sind also auch von
den EU-Staaten zu fordern." *17
*17
NN 2/00
Fußnote
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