DIHA, 11.02.2003 Aus dem Funken ist ein Feuer entstanden Interview
mit der Soziologin Pinar Selek zur Fahrt des Antikriegs-Frauenbündnisses
nach Silopi - Warum haben Sie sich als Antikriegs-Frauenbündnis zur Fahrt nach Silopi entschlossen? Insbesondere sind wir als Frauenbündnis sehr besorgt über die Kriegsvorbereitungen, die weltweit und in der Türkei getroffen werden. Auch die Oppositionsformen, die dagegen entstanden sind, kritisieren wir. Die Opposition protestiert und übersieht dabei den Militarismus im eigenen Land. Unserer Meinung nach muss noch vor den USA die Haltung der Türkei kritisiert werden, die in letzter Zeit zunehmend auf eine Anspannung der ohnehin gespannten Atmosphäre, auf Isolation und Vernichtung setzt. Die Opposition hätte Stellung beziehen müssen gegen den Krieg, der in der Türkei herrscht und erneut in bewaffnete Auseinandersetzungen eskalieren wird. Außerdem denken wir, dass die Entwicklungen auf Zypern und im Irak miteinander in Verbindung stehen. Insofern geht es nicht nur um einen Protest gegen den Imperialismus, sondern auch gegen den Militarismus. Unsere Aktion haben wir dementsprechend ausgerichtet. - Wie ist die Aktionsform zustande gekommen? Aus unseren Diskussionen ist als Ergebnis hervorgegangen, dass wir uns zwar an den allgemeinen Antikriegsaktionen beteiligen, aber unsere Haltung als Frauen dabei nicht offen legen. Deshalb haben wir uns entschieden, eine andere und wirkungsvolle Aktion zu machen. Aufgrund der Überlegung, dass eine wirkungsvolle Aktion in Istanbul oder einer anderen Metropole nicht möglich sein wird, haben wir beschlossen, nach Silopi zu fahren. Und was wir zu sagen hatten, haben wir in Silopi gesagt. Zunächst haben wir uns mit Frauen aus mehreren Städten der Türkei in Diyarbakir getroffen und sind von dort aus gemeinsam nach Silopi aufgebrochen. Wir hatten nicht damit gerechnet, dass diese Aktion soviel Wirkung haben wird. Wir sind sozusagen als Repräsentantinnen nach Silopi gefahren, die für Tausende von Frauen stehen. Was wir zu sagen hatten, war: „Wir werden einen Krieg in der Türkei nicht zulassen“. Unsere Botschaft richtete sich auch an die USA, aber vor allem an die Türkei. - Können Sie ein bisschen von der Fahrt nach Silopi erzählen? Bereits
in Nusaybin hat uns die Bevölkerung auf der Straße empfangen.
Aus der Fahrt wurde ein Serhildan. Obwohl militärische Einheiten
versuchten, uns zu behindern, war das Interesse der Bevölkerung sehr
groß. Sie fingen an Parolen zu rufen: ‚Nein zur Isolation,
Nein zur Vernichtung’ und mit ihrer Aktion haben sie unsere übertroffen.
Wir haben einen Funken entzündet, die Bevölkerung hat daraus
ein Feuer gemacht. Als die Menschen hörten, dass wir kommen, sind
sie massenweise auf die Straße gegangen. Wir kamen kaum noch vorwärts.
Die Vermummten [=Sondereinheiten] versuchten zwar, die Menschenmenge aufzulösen,
aber es gelang ihnen nicht. Die Begeisterung der Bevölkerung ließ
sich nicht dämpfen. Bis zur Grenze sind sie mit uns gekommen. Wir
sind nach Silopi gefahren, aber die Menschen von Silopi haben der Aktion
ihre eigenen Farbe verliehen. Alle Medienvertreter sagten uns, dass hier
das erste Mal eine Aktion stattfindet. In Silopi ist es für die Bevölkerung
sehr schwer, alleine Aktionen zu machen, sie haben einen hohen Preis bezahlt.
Silopi wartet darauf, dass die Türkei ihre Stimme erhebt. Was für
uns so aufregend war, war zum einen die Tatsache, dass unsere Gruppe nur
aus Frauen bestand und zum anderen das große Interesse, dass uns
entgegen gebracht wurde. Wir schwenkten unsere weißen Kopftücher
und die Bevölkerung begleitete uns bis zum Schluss, trotz der möglichen
Folgen, die sie damit in Kauf genommen haben. Wir haben gesagt, wir lassen
nicht zu, dass Krieg ausbricht. Durch die Haltung der Bevölkerung
ist daraus ein Satz wie aus einem Mund geworden. Die Menschen von Silopi
und Siirt sagen, dass sie ohnehin seit Jahren für Frieden sind. Die
Bevölkerung hat einen sehr hohen Preis gezahlt. Eigentlich notwendig
wäre es, die hier herrschende Atmosphäre mit der Türkei
zusammen zu bringen. Die Fahrt hat uns sehr berührt, wir waren die
ganze Zeit in Aktion. - Sind sie auf Repression oder Behinderungen gestoßen? Wir nicht, aber auf die Bevölkerung wurde starker Druck ausgeübt, damit sie nicht zu uns stoßen. Weil die Medien so stark vertreten waren, haben sie uns nicht aufgehalten, aber eben versucht, die Bevölkerung daran zu hindern, sich uns anzuschließen. Auf dem Weg sahen wir Soldaten, die in Busse stiegen, um neu in den Militärdienst zu treten. Sie haben uns zugewinkt. Manche sind heimlich zu uns gekommen und haben gesagt: „Wir hoffen, Ihr könnt diesen Krieg aufhalten, wir wollen nicht in den Krieg ziehen“.
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