Jeder
Tag des Jahres muss ein Frauenkampftag sein Alle Kundgebungen und Demonstrationen zum 8. März waren bestimmt vom Kampf der Frauen gegen die „Ehrenmorde“. Diese gehörten bislang zum Alltag, über jeder Frau, die sich nicht völlig dem Willen der Familie und des Ehemannes unterwarf, hing dieses Damoklesschwert. Viele Frauen haben ihr Aufbegehren mit dem Tode bezahlt. Die „Ehrenmorde“ waren so selbstverständlich wie tabuisiert. Es wurde nicht darüber gesprochen. Dieses Schweigen haben die Frauen in Kurdistan durchbrochen. Sie haben das Tabu zerstört, in dessen Schatten die schrecklichen Taten geschahen. Sie haben Nein geschrien: „Schluss mit den Ehrenmorden! Wir sind nicht eure Ehre! Wir haben das Recht auf ein eigenes Leben!“ Sie gründen Frauenhäuser. Bedrohte Frauen flüchten dorthin. Allein in Diyarbakir haben im letzten Jahr 42 vom Tode bedrohte Frauen Zuflucht gesucht, zwei von ihnen wurden schließlich doch ermordet, aber 40 Frauen gerettet. Und auch Männer suchen dort Hilfe. Sie werden durch die Familien gezwungen, ihre Töchter, Schwestern oder Ehefrauen zu töten. Tun sie es nicht, werden sie selber bestraft. Aber das Bewusstsein wächst, dass es Unrecht ist zu morden. Dass es andere Lösungen geben muss, dass die Ehre der Frauen neu definiert werden muss und dass es die Frau selber ist, die über sich, ihr Leben und ihre Ehre bestimmt. Aktionen zum 8. März: Auf der Weltfrauendemonstration in Ankara, die unter Beteiligung verschiedenster Frauenorganisationen und Projekte durchgeführt wurde, gab es eine Aktion, wobei Postkarten an die politischen und sozialen gefangenen Frauen verschickt wurden. Maxmur: Auch die Frauen im kurdischen Flüchtlingslager Maxmur in Südkurdistan (Nordirak) begingen den Frauenkampftag mit einer Demonstration durch das Lager und einer Kulturveranstaltung. Themen waren die Bewahrung des Friedens und die Demokratisierung der Türkei als Voraussetzung für ihre Rückkehr nach zwölf Jahren Flucht, aber auch der innergesellschaftliche Kampf der Frauen um das Recht auf Selbstbestimmung über den eigenen Körper, gegen Zwangsheiraten und „Ehrenmorde“. Die Frauen in Maxmur sind sehr aktiv, eine Frauenakademie, Frauenparlament, Frauenzentrum, Gesundheitsstation, Näherei und kleine Betriebe, Kindergärten und Schulen wurden im Flüchtlingslager aufgebaut. Die Demonstration zum 8. März in Istanbul vom Sarachane-Park zum Beyazit-Platz hat in der europäischen Öffentlichkeit traurige Berühmtheit erlangt. Sie wurde durch die Polizei mit Pfeffergaseinsatz und Knüppeln angegriffen. Während der ausbrechenden Panik schoss die Polizei weitere Gasgranaten in die Seitenstraßen. Viele Frauen wurden verletzt. Hunderte von Frauen sammelten sich danach am Beyazit-Platz in Istanbul, um gegen die Angriffe auf die Demonstration zu protestieren. Betül Altindag vom Vorbereitungskomitee sagte auf der Protestkundgebung, weder Angriffe wie im Sarachane-Park noch Repression oder Festnahmen würden die Frauen aufhalten können. Später tanzten die Frauen zu den Liedern einer Musikgruppe. Als sich dann die Frauen Parolen rufend in kleineren Gruppen auf den Weg nach Hause machten, wurden sie erneut angegriffen. In den kleinen Seitengassen machte die Polizei Jagd auf die Demonstrantinnen. Dabei wurden auch JournalistInnen zusammengeknüppelt. 65 Demonstrantinnen wurden festgenommen und sollten dem Haftrichter vorgeführt werden. Auch am Hafen von Kadiköy in Istanbul gab es eine Demonstration von ca. 1 500 Personen. Die Demo wurde vom Bund der werktätigen Frauen (Emekci Kadinlar Birligi) organisiert. Sie forderten die Einführung eines bezahlten Feiertages am 8. März. Auch die Frauendemonstration in Malatya wurde brutal durch die Polizeikräfte angegriffen. Dies ebenfalls zu dokumentieren hat die europäischen Medien scheinbar schon wieder überfordert. Die Repression soll die europäische Öffentlichkeit nur in kleinen Häppchen präsentiert bekommen. So ist sie besser zu manipulieren. Die 8.-März-Frauenplattform von Izmir feierte den Frauentag am Bornova-Platz. Etwa 3 500 Frauen riefen Parolen wie: „Es lebe die Geschwisterlichkeit der Völker! Keine Chance dem Krieg! Wundere dich nicht, AKP, wir werden in die Berge gehen!” Anschließend gab es Redebeiträge in kurdischer und türkischer Sprache. Insbesondere wurden die ansteigende staatliche Gewalt und die Angriffe auf Frauen verurteilt. Die Frauenplattform zum Weltfrauenmarsch protestierte auf ihrer Kundgebung in Antalya mit Beiträgen in kurdischer und türkischer Sprache gegen die Massaker an Frauen, die klassenspezifische Ausbeutung und gegen Kriege. Die Demonstration wurde von einem großen Polizeiaufgebot begleitet. Auch in Adana, Eskisehir, Kars, Ankara, Van, Cukurova und Antep und in vielen anderen Städten fanden Aktionen statt. Der 8. März in Deutschland Aufgrund der mangelnden Kontakte und Diskussionen, aufgrund früherer Erfahrungen oder einfach Nichtwissens, aufgrund falscher und negativer Berichte in den herrschenden Medien haben sich auf beiden Seiten Vorurteile und/oder Interesselosigkeit entwickelt. Dies wollen wir durchbrechen. Aus diesem Grunde hat sich die kurdische Frauenbewegung zum diesjährigen 8. März entschlossen, auf regionaler Ebene zusammen mit unterschiedlichsten Frauen den internationalen Frauenkampftag zu begehen, um gemeinsame Diskussionen und Aktionen für die Entwicklung gemeinsamer Perspektiven zu beginnen oder zu verstärken.“ Dies ist ein Auszug aus dem Aufruf von CENI zum diesjährigen Frauenkampftag am 8. März. In verschiedensten Städten wurde dieser Aufruf zur Stärkung der internationalen Frauensolidarität mit Kundgebungen, Demonstrationen und Veranstaltungen praktisch umgesetzt. Nun muss es darum gehen diese Kontakte zu vertiefen, kontinuierliche Diskussionen zu führen und weitere gemeinsame Aktionen zu realisieren. Die Parole: „Jeder Tag ist ein Frauenkampftag” sollte auch in diesem Sinne umgesetzt werden. Durch unsere Arbeit in den Sozialforen, mit unserem internationalen Zilan-Frauenfestival und verschiedenen lokalen Initiativen, durch Seminare und Filmveranstaltungen versuchen wir CENI`s, unseren Beitrag dazu zu leisten. Die Auswirkungen des sozialen Kahlschlags auf Frauen, die Kämpfe gegen Krieg und Gewalt und insbesondere der sich entwickelnde Widerstand von Frauen gegen die unmenschliche Praxis der „Ehrenmorde“ bestimmten den diesjährigen 8. März. Vielerorts gab es aber nur
kleinere Kundgebungen oder Veranstaltungen, Demonstrationen waren die
Ausnahme. Wieder einmal zeigt sich die Schwäche der Frauenbewegungen
in Deutschland. Wo auch immer kurdische Frauen gemeinsam mit Frauen anderer
Kulturen gemeinsam auf die Straße gingen, wurde die Stimmung hoffnungsvoller,
gab die Vielfältigkeit und Farbigkeit der Aktionen neue Kraft und
motivierte auch Außenstehende zum Hinsehen und Nachdenken. So z.
B. in Wuppertal, wo CENÎ zusammen mit der Frauenorganisation Courage
eine kleine, aber bunte und mobilisierende Kundgebung mit einem internationalen
Kulturprogramm organisierte. Schaffen wir es, diese Zusammenarbeit zu
verbessern und zu erweitern, werden wir alle daraus gestärkt hervorgehen.
Eine Möglichkeit dazu besteht in der Initiative für einen FrauenRaum
auf dem Sozialforum für Deutschland vom 21.–24. Juli in Erfurt.
Auch CENÎ beteiligt sich aktiv daran und steht für Informationen
gern zur Verfügung. Aus Kurdistan Report 119
|