Hexen, Teufelinnen und zu verbrennende Frauen Von HANDAN ÇAGLAYAN Perihan Magden. Eine Meisterautorin. Eine mutmaßliche „Gedanken-Straftäterin“. Sie ist angeklagt, die Beziehung der Bevölkerung zum Militär abgekühlt zu haben. Sie verfügt über eine gute Ausbildung, hat mehrere literarische Werke geschaffen. Ist eine scharfe Kritikerin. Mit ihren Kolumnen, die sie eine Zeitlang geschrieben hat, hat sie die Behaglichkeit derjenigen gestört, deren Sessel weich und stabil waren, der scheinheiligen Politiker, der Korrupten. Sie ist eine Frau mit spitzer Zunge. Bei den Wahlen hat sie verkündet, ihre Stimme der HADEP zu geben. Sie war nicht Mitglied oder ähnliches, und außer kritischen Äußerungen ist sie auch nicht in der Parteienpolitik aktiv. Sie tat es lediglich, um die Repression gegen die HADEP und ihre WählerInnen anzuprangern und Solidarität zu zeigen. Sie sagte: Ich bin gegen die Begrenzung des aktiven und passiven Wahlrechts durch die Zehn-Prozent-Hürde und ich zeige mich solidarisch. Das war natürlich nicht ganz geheuer. Neben einer gottbegnadeten Intelligenz verfügt Magden über viele Fähigkeiten. Aber sie ist eine richtige „Hexe“. Zum einen ist sie nicht im werten Heiligenschein der eigenen Klasse geblieben. Und darüber hinaus hat sie die Klassen und die Grenzen der offiziellen Ideologie übermäßig beansprucht. Sie hat den Mut, gegen den Strom zu schwimmen. Wenn sie nur mutig wäre, hätten ihre Worte ignoriert werden und im Nichts verschwinden können. Aber sie ist nicht nur mutig, sondern auch fähig. Sie ist nicht von der Art, die man ignorieren könnte. Wenn diese Frau nicht verrückt ist, dann muss sie einfach eine Hexe sein. Pinar Selek. Soziologin. Friedenskämpferin. Jahrelang wurde sie für eine Explosion verantwortlich gemacht, von der Gutachter sagen, dass sie durch austretendes Gas verursacht wurde. Für die Straßenkinder war sie die große Schwester. Während sie sich bemühte, die blutenden Wunden der Gesellschaft zu erfassen und eine Lösung zu finden, wurde sie als „Bombenattentäterin vom Misir-Basar“ vorgeführt. Sie verbrachte eine furchtbare Zeit, wurde verhaftet, verlor ihre Mutter, wurde auf der Straße angegriffen. Am schwersten sei für sie nicht die Verhaftung auf einer Veranstaltung, die erlittene Folter oder der Angriff auf offener Straße gewesen, sondern eben diese Darstellung als Bombenattentäterin, sagt sie. Das ist wahrscheinlich auch das schlimmste, was einer antimilitaristischen Frau, einer Friedensaktivistin angetan werden kann. Eren Keskin. Eine unbeschreibliche Menschenrechtlerin. Zur Zeit wird ihr wegen Beleidigung des Militärs der Prozess gemacht. Selbst in Tagen, in denen die Mitgliedschaft im IHD mit Terrorismus gleichgesetzt wurde, ließ sie sich nicht einschüchtern. Als Akin Birdal niedergeschossen wurde, zögerte sie nicht, ihren Kampf für Menschenrechte fortzusetzen. Eine mutige Frau. Sie haben Eren Keskin nicht gesehen, wie sie Parolen ruft. Auf Demonstration schwenkt sie auch nicht die Faust. Ihre schönen Augen sind auf ihre eigene Art geschminkt, ihre Haare toupiert. Diejenigen, die stets versuchen, MenschenrechtlerInnen zu marginalisieren und zu unterdrücken, müssen lange Zeit darüber nachgedacht haben, in welche Kategorie sie sie stecken sollen. Sie ist eine schicke Frau, eine von dem Typ, der sie den Vortritt lassen würden, wenn sie sie zufällig auf der Straße treffen würden. Aber wo auch immer ein Unrecht geschieht, wo Menschenrechte verletzt werden, dort ist auch diese Frau, immer noch schick, immer noch liebenswürdig elegant, aber in entschlossener Form stellt sie sich dagegen. Und dann hat sie auch noch angefangen, zu Frauen, die nach der Festnahme sexuelle Gewalt erfahren haben, zu arbeiten. Ihre Beobachtungen und Feststellungen teilt sie mit der Öffentlichkeit. Das ist nicht geheuer. Wenn sie keine Hexe ist, dann eine Teufelin. Elif Safak. Die Autorin von „Med-Cezir“, „Bit Palas“ und „Araf“. Sie schreibt auf türkisch und englisch. Was sie schreibt, wird nicht nur in der Türkei, sondern an vielen Orten der Welt gelesen. Ihre Bücher sind immer auf der Bestsellerliste. Aufgrund ihres letzten Buches wird sie der „Beleidigung des Türkentums“ bezichtigt. Falls es der Staatsanwalt für richtig befindet, wird ihr der Prozess gemacht. Sie ist eine mutmaßliche „Gedanken-Straftäterin“. Gemeinsam haben diese Frauen, dass sie sich gegen Nationalismus und Militarismus stellen. Bekanntlicherweise sind Militarismus und Nationalismus die steigenden Werte unseres Landes. Was sie an einem solchen Ort, an dem militaristische und nationalistische Werte so gelobt und verbreitet sind, gemacht haben, das kann nicht jeder. Es erfordert Mut. Es erfordert Herz. Im Mittelalter haben sie unsere Schwestern als Hexen oder Teufelinnen verbrannt, weil sie gegen die im Mittelalter hochgehaltenen Werte das Leben verteidigt haben. Liebe Hexen, Ihr seid wie klare Wassertropfen, die ins Feuer des Nationalismus fallen, in den unsere Gesellschaft gezogen werden soll. Gut, dass es Euch gibt. Ihr macht den stillen Gewissenhaften Mut. caglayanhandan@yahoo.com Quelle: ÖP, 12.06.2006,
ISKU |