Kurdisches Frauenbüro für Frieden e.V.
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28.April 2002

 

Kurdistan...

Kurdistan, eines der ältesten Siedlungsgebiete der Hochkultur Mesopotamiens, war Schauplatz vieler verschiedener Hochkulturen. Durch seine Brückenfunktion zwischen Asien und Europa war Kurdistan von den Kriegen zwischen Ost und West betroffen. Seit Jahrhunderten erlebt die Region in diesem Zusammenhang immer wieder schwerste Verwüstungen. In Kurdistan, das in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts durch den Vertrag von Lausanne in vier Teile geteilt wurde, lebten 40 Millionen Kurden und Kurdinnen unter der Souveränität vier verschiedener Staaten und verschiedener kultureller und gesellschaftlicher Einwirkungen.

Das kurdische Volk sah sich einerseits aufgrund des Einflusses der staatlichen Souveräne und andererseits durch die feudale Struktur der eigenen Gesellschaft mit einer tiefen Rückständigkeit konfrontiert. Die kurdische Frau hat dabei stärker als der Mann an den eigenen nationalen Besonderheiten festgehalten, weil sie weniger Kontakt zu staatlichen Einrichtungen als der Mann hatte, der zudem durch Aufenthalte in der Stadt von fremden Einflüssen mehr geprägt wurde. Die kurdische Frau lebte stärker abgeschirmt und hat so ihre Liebe zum Land und kulturelle Eigenheiten bewahren und weitertragen können.

Das kurdische Volk hat, obwohl es auf einem großen Gebiet verteilt lebt und eine reiche und alte Kultur besitzt, den Status eines staatenlosen Volkes. Zu verschiedenen Zeiten gab es Versuche einen eigenen Staat zu gründen, jedoch waren diese immer nur von kurzer Dauer. In der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts gab es mehrere Aufstände, die aber jedes mal blutig niedergeschlagen wurden. Seit dieser Zeit wurde eine Leugnungs- und Vernichtungspolitik gegen die Kurden praktiziert, deren Ziel es war, Realität und Existenz dieses Volkes auszulöschen. Eine massive Assimilierungspolitik führte zur Entfremdung des kurdischen Volkes sich selbst gegenüber.


Frauen...

Um auch die Frau zu assimilieren, wurden staatlicherseits spezielle Schreib- und Lesekampagnen ins Leben gerufen. In Institutionen und Zentren, die von den Ehefrauen der Generäle und Staatsbeamten gegründet wurden, gab es Versuche, kurdische Frauen an das System zu binden. Dies nannte man "soziale und kulturelle Entwicklung der Frauen". Derartige Unternehmungen dauern heute noch an. In solchen Zentren wird den kurdischen Frauen die türkische Sprache beigebracht und als Maßstab für das moderne Leben wird die türkische Frau dargestellt. Jedoch wird das Bedürfnis der kurdischen Frauen nach soziokultureller, psychologischer und pädagogischer Schulung nicht gestillt. Die kurdische Frau, die zumeist über keinerlei Informationen zu Familienplanung verfügt und - anstatt die Zukunft zu sichern - immer mehr Kinder zur Welt bringt, wird massiv ausgebeutet. Sie hat nicht einmal Zugang zu den einfachsten Gesundheitsdiensten.

Die tiefgreifenden religiösen Einwirkungen in Kurdistan führten in der Gesellschaft zu eigenen Wertmaßstäben. Negative Strukturen wie traditionelle Bräuche, Stammestraditionen etc. drängten die Frau in vielen Bereichen in den Hintergrund. Das Verhältnis zwischen Frau und Mann ähnelt stark dem Verhältnis zwischen Volk und Staat. Der psychologische Zustand der Kurden, der durch die Assimilierung als Perser, Araber oder Türke entstanden ist, deckt sich weitgehend mit dem Gefühl der Frau, nicht sich selbst, sondern anderen zu gehören. Beides ist als massive Sklaverei und aufgezwungene Willenlosigkeit zu verstehen.

Die kurdische Frau ist neben ihrer Unterdrückung als Kurdin auch noch der Ausbeutung ihrer Arbeit und Sexualität ausgesetzt. Es war die Frau, die während des seit dreißig Jahren andauernden kurdischen Kampfes für Demokratie und nationale Selbstbestimmung und des 15 Jahre währenden Krieges am meisten gelitten hat. In Polizeigewahrsam und bei Überfällen auf ihre Dörfer wurden kurdische Frauen nur all zu oft sexuell belästigt, vergewaltigt und gefoltert. Neben den Repressionen von Seiten des Staates sind sie auch innerhalb der Familie einem starken feudalistischen Druck ausgesetzt. Frauen gegenüber herrscht ein erbarmungsloses Verständnis von Ehre, so dass über erlebte sexuelle Folter und sexuellen Terror lange Zeit nicht einmal gesprochen werden konnte. Aus Angst vor den Traditionen und dem Ausschluss aus der Gesellschaft sind sie auch heute noch teilweise nicht in der Lage, sich zu öffnen.

Eine andere Form des "nicht sich selbst gehörens" wird innerhalb der Familie erlebt. Es ist Realität, dass Mädchen schon im jungen Alter zwangsverheiratet oder verkauft werden. Bei Streitigkeiten zwischen den Stämmen werden sie als Gegenwert für vergossenes Blut vergeben. Die Frau ist zu Hause Eigentum des Vaters und ihrer Brüder. Nach der Heirat ist sie das Eigentum des Ehemannes. Sie hat kein Recht auf Gefühle, Wünsche, Mitsprache oder Entscheidungen.

In Südkurdistan (Irak) wurden in den letzten zehn Jahren mehr als 2000 Frauen mit dem Argument, sie würden sich den Traditionen widersetzen, umgebracht. In der Vergangenheit mussten viele Frauen, die sich gegen das System gewehrt hatten, ihr Leben lassen. Teilweise wurden sie vom Staat umgebracht, weil sie gegen den Status, der ihnen aufgedrückt wurde, aufbegehrten und ihre nationalen Rechte forderten und teilweise wurden sie von der eigenen Familie getötet, weil sie sich gegen die Traditionen wehrten. Dieser Tod war manchmal physisch und manchmal psychisch. Doch der Mörder war immer das männliche Herrschaftssystem.

... und Widerstand

Der Widerstand gegen den Status quo in den letzten 30 Jahren des Befreiungskampfes wurde zu einem großen Teil von Frauen geführt. Der Grund für die starke Beteiligung der kurdischen Frau am nationalen Kampf liegt darin, dass sie den Druck am deutlichsten erlebt und das dringendste Bedürfnis nach Freiheit hat. Der Weg Tausender Frauen zur Guerilla in die Berge war der größte Schlag gegen die Struktur der feudalen kurdischen Gesellschaft. Von den Studentinnen an den Universitäten bis hin zu den Bäuerinnen, für die die Welt oftmals nicht größer als der Garten vor ihrem Haus war: die kurdische Frau ist voller Interesse am Kampf und leistet Widerstand gegen die Rückständigkeit in ihrer eigenen Gesellschaft und gegen die staatlichen Praxis. Dabei hat sie schon jetzt grosse Erfolge erzielt. In den letzten Jahren haben ihre Bemühungen in der PJA (Partiya Jina Azad - Partei der Freien Frau) eine Organisierung als Partei erreicht.

Die kurdischen Friedensbemühungen, die Initiativen des ehemaligen PKK- und heutigen KADEK-Vorsitzenden Abdullah Öcalan sind bis heute einseitig geblieben und finden seitens des türkischen Staates keine positive Antwort. Um die Schmerzen des Krieges nicht noch einmal erleben zu müssen, möchten das kurdische Volk und allen voran die kurdischen Frauen diesen Krieg beenden. Wir glauben daran, dass durch die Einheit und die gemeinsamen Bemühungen der Frauen aus aller Welt und besonders der türkischen, arabischen und persischen Frauen der Frieden gesichert werden kann. Durch die Veränderung der matriarchalen Gesellschaft in eine patriarchale wurde die Welt zu einem System der Sklaverei verdammt. Im männlichen Herrschaftssystem kommen Herz und Kopf der Frau nicht vor. Es hat den Menschen nichts außer Krieg, Hunger, mit Verelendung einhergehender Verstädterung und ökologisches Ungleichgewicht gebracht. Gegen die Versklavung der Frau, die so alt ist wie die Geschichte der Sklaverei selbst, muss ein radikaler Kampf geführt werden.

Aufgrund dieser Tatsache haben wir uns als kurdische Frauen in Europa dazu entschlossen, innerhalb der Kurdinnen eine Organisierung zu schaffen und im Januar 2000 das Kurdische Frauenbüro für Frieden eröffnet.

Unsere Ziele

  • als kurdische und türkische Frauen einen Beitrag zur Beendigung des langjähriges Krieges in der Türkei und Kurdistan, zur Demokratisierung der Türkei, zum Zusammenleben aller Völker in Frieden und zur Schaffung von Gleichberechtigung von Mann und Frau zu leisten;
  • eine Vernetzung von Frauenorganisationen zu schaffen und Kurdinnen und Türkinnen mit anderen Frauen dieser Welt zusammen zu bringen, um einen gemeinsamen Kampf für die Freiheit der Frau zu führen;
  • den Kampf der Frauen des Mittleren Ostens für Frieden und Demokratie der Öffentlichkeit zu vermitteln und um die Unterstützung von internationalen demokratischen Organisationen zu sichern, mit diesen in Kontakt zu treten und mit ihnen zusammen zu arbeiten;
  • Frauen zu unterstützen, die Folter oder ähnlichen Maßnahmen ausgesetzt wurden oder deren Partner inhaftiert oder im Krieg gefallen sind; eine der Hauptaufgaben unserer Einrichtung liegt in der Unterstützung von Frauen, denen durch den Krieg Schaden zugefügt wurde;
  • die Bildung von Frauen und Kindern in den Bereichen Sprache, Kultur und Gesundheit zu erweitern.

Bankverbindung: Frau und Frieden, Stadtsparkasse Düsseldorf, KtNr. 360 257 99 BLZ 300 50 110