junge Welt, 27.11.2002

jW-Bericht

Sterilisationen an der Tagesordnung

Schwere Menschenrechtsverletzungen an kurdischen Frauen angeprangert

Das Kurdische Frauenbüro für Frieden mit Sitz in Düsseldorf hat am vergangenen Wochenende Sterilisationen kurdischer Frauen angeprangert: »Stellen Sie sich vor, Sie sind eine Frau in einer Gegend in Kurdistan, in die sich selten ein Arzt verirrt. Und dann kommen gleich drei Ambulanzen, erzählen Ihnen etwas über notwendige Gesundheitsmaßnahmen in einer Sprache, die Sie nicht beherrschen, bringen sie in ein Krankenhaus in die nächste Stadt. Dort werden Eingriffe an Ihnen vorgenommen, die Sie nicht verstehen und über die Sie aus Scham nicht sprechen können. Und nach Monaten stellen Sie fest, daß Sie keine Kinder mehr bekommen können.«

So erging es dem kurdischen Frauenbüro zufolge am 16. Januar 2002 mindestens 17 Frauen aus der Ortschaft Özekli im Südosten der Türkei. Öffentlich gemacht worden sei der Fall auf dem »Symposium zu Gewalt gegen Frauen und Medizin« durch die Vorsitzende der Frauenkommission der Anwaltskammer von Diyarbakir, Meral Danis.

Nachforschungen haben ergeben, daß ein dem Gouverneur von Diyarbakir unterstelltes Ärzteteam in dem betreffenden Fall von Haus zu Haus gegangen ist und die Frauen ins Krankenhaus gebracht wurden. Die Betroffenen wußten nicht einmal, weshalb sie operiert werden. Wie Danis erklärte, seien ähnliche Fälle auch aus Mardin, Adiyaman, Adana und Van bekannt geworden.

Sterilisierungsmaßnahmen gegen kurdischen Frauen wurden bereits Mitte der 90er Jahre durchgeführt, als der türkische Nationale Sicherheitsrat erklärte, daß der Bevölkerungszuwachs des kurdischen Bevölkerungsteils eine »Gefahr für die Türkei« darstelle. Es wurde daraufhin ein Maßnahmenpaket zur »Bevölkerungsregulierung« beschlossen. Damals wurden Frauen mit Hormonspritzen unfruchtbar gemacht. Seitdem sind immer wieder ähnliche Fälle bekanntgeworden. Die betroffenen Frauen werden entweder ohne ihr Wissen sterilisiert oder mit verschiedenen Methoden unter Druck gesetzt, damit sie den Eingriff an sich vornehmen lassen. Organisationen wie das Frauenzentrum Selis in Diyarbakir, der türkische Menschenrechtsverein IHD sowie Ärzte- und Anwaltskammer führen zur Zeit weitere Nachforschungen zu dieser besonderen Form von Menschenrechtsverletzung.

* Weitere Informationen: Kurdisches Frauenbüro für Frieden e.V., Email: ceni_frauen@gmx.de