Cenî – Kurdisches Frauenbüro für Frieden e.V.
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Düsseldorf, 02. Juli 2003

Anhang:
Presseerklärung KADEK
Presseerklärung von Cenî zur Frauendelegation in Istanbul
Interview mit Gülbahar Gündüz

Kein Waffenstillstand kann auf Dauer einseitig bleiben

In der Türkei ist vergangene Woche der Inhalt des geplanten Reuegesetzes veröffentlicht worden. Auch der neue Name („Gesetz zur Integration in die Gesellschaft“) kann nicht darüber hinweg täuschen, dass es in seiner Logik den im Laufe der Jahre erlassenen sechs Reuegesetzen entspricht und damit in keiner Weise zu gesellschaftlichem Frieden beitragen kann. Nach dem nun im Kabinett vorliegendem Entwurf trifft das Gesetz ausschließlich auf Guerilla-Kräfte zu, die mit dem Staat zusammenarbeiten und nicht an bewaffneten Aktionen beteiligt gewesen sind. Diejenigen, die bewaffnet gekämpft haben, können nach Angaben von Innenminister Aksu mit Strafminderung rechnen, wenn sie sich selbst, ihren Kampf und ihre MitkämpferInnen verraten und »Informationen preisgeben«.

Die Unfähigkeit des türkischen Staates, zu einer Lösung der kurdischen Frage beizutragen, lässt gefährliche Entwicklungen vermuten. Seit knapp fünf Jahren hält die kurdische Seite einen einseitigen Waffenstillstand ein. Vor vier Jahren wurden auf Aufruf von Abdullah Öcalan die bewaffneten Einheiten aus dem Staatsgebiet der Türkei abgezogen und damit der Krieg gestoppt. Innerhalb dieser vier Jahre ist es zu einigen Fortschritten gekommen. Niemals zuvor wurden so viele zivilgesellschaftliche Institutionen und Initiativen ins Leben gerufen. Der konsequent demokratische Kampf der kurdischen Bevölkerung und der zivilgesellschaftlichen Kräfte in der Türkei hat zu Diskussionen in Medien und Öffentlichkeit geführt, die zuvor undenkbar gewesen wären.

Aber trotz einiger kosmetischer Veränderungen im Rahmen der EU-Anpassungsgesetze haben die Angriffe des türkischen Staates auf allen Ebenen niemals aufgehört. Nach wie vor folgt der Staat der Logik von Vernichtung und Verleugnung kurdischer Identität. Die Angriffe richten sich gegen die demokratischen Forderungen der Bevölkerung und hierbei insbesondere der Frauen, sowie gegen die Guerilla, die sich in Verteidigungsposition befindet. Der Fall von Gülbahar Gündüz, die Mitte Juni von vier Zivilpolizisten in Istanbul entführt und vergewaltigt wurde, ist nur ein Beispiel, das weltweit bekannt wurde (siehe Anhang).

Ein Waffenstillstand ist einseitig auf Dauer nicht aufrecht zu erhalten. Die kurdische Seite hat mehrmals betont, dass sie sogar bereit ist, die Waffen niederzulegen, wenn eine Partizipation am politischen Prozess über demokratische Reformen ermöglich wird. Im Verlauf der Beratungen um ein Amnestie-Gesetz hätte der Staat die Möglichkeit nutzen können, zu einem dauerhaften Frieden beizutragen. Stattdessen beharrt er auf der Illusion, die kurdische Frage könne mit einer Fortsetzung der seit Jahrzehnten erfolglosen betriebenen Verleugnungs- und Vernichtungspolitik gelöst werden. Es wird versucht, den Widerstand zu beseitigen, anstatt die Ursachen für den Widerstand. Der türkische Staat scheint seine historische Chance vertan zu haben. Der jetzt veröffentlichte Gesetzesentwurf und die Angriffe auf die Kampagne für gesellschaftlichen Frieden und demokratische Partizipation machen dies deutlich.

Als Kurdisches Frauenbüro für Frieden sind wir der Überzeugung, dass eine Demokratisierung und Frieden zum Wohle aller in der Türkei lebenden Menschen sind und darüber hinaus einen positiven Einfluss auf die gesamte, sich in einem Veränderungsprozess befindliche Region haben können. Aber solange der türkische Staat nicht seine patriarchal geprägte Denkweise ändert, gemäß der ein Frieden nur über Vernichtung einer Seite entstehen kann, solange gestehen wir allen, die vernichtet werden sollen, das Recht auf Selbstverteidigung zu.

Vom Kurdistan-Kongress für Freiheit und Demokratie (KADEK) ist angekündigt worden, der Türkei eine letzte Frist bis zum 1. September 2003 zu gewähren. Zu Recht wird darauf hingewiesen, dass eine Lösung nur über einen Dialog möglich ist. Als Vermittler zwischen Staat und KADEK hat sich die Demokratische Volkspartei (DEHAP) angeboten. Daraufhin haben die Demokratieplattform Diyarbakir, ein Bündnis von Dutzenden zivilgesellschaftlichen Organisationen, sowie die Initiative „Mütter für den Frieden“ ebenfalls ihre Bereitschaft erklärt, als Vermittler zur Verfügung zu stehen. Wir rufen den türkischen Staat dazu auf, diese vorläufig letzte Möglichkeit, einen erneuten Ausbruch von Krieg und Gewalt zu verhindern, unter allen Umständen zu nutzen.


Cenî – Kurdisches Frauenbüro für Frieden e.V.

 

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Wir dokumentieren eine Presseerklärung des KADEK-Präsidialrats zum geplanten Reuegesetz der türkischen Regierung:

Presseerklärung

Die Regierung hat angekündigt, dass das zuvor als ‘Reuegesetz’ bezeichnete Gesetz unter dem Namen ‘Gesetz zur Integration in die Gesellschaft’ verabschiedet werden wird. Als Ziel des Gesetzes wird eine Entwaffnung und damit die Beendigung des ‘Terrors’ genannt. Der genaue Inhalt des Gesetzesentwurfs ist zwar noch nicht vollständig veröffentlicht, aber an die Medien wurde lanciert, dass außer der Führungsebene Organisationsmitglieder von einem Strafnachlass profitieren können.
Der Regierungssprecher hat in seiner Erklärung auch das ‘Bedürfnis nach einem Leben in Ruhe und Frieden’ zur Sprache gebracht. Wenn dieses Gesetz aus einem Bedürfnis heraus entstanden ist, so wird deutlich, dass das Problem nicht richtig analysiert wurde und dem Bedürfnis nicht entspricht.
Das Problem und die Organisation, auf die das Gesetz ausgerichtet sind, betrifft das grundlegende politische und Sicherheitsproblem der Türkei seit dreißig Jahren. Die Hauptursache dieses Problems ist die schwere Repression gegen das kurdische Volk auf jedem Gebiet unter Verleugnung kurdischer Identität. Der Gedanke, das Resultat könne beseitigt werden, ohne die Ursache zu beseitigen, ist nichts weiter als Selbstbetrug.
Die Aussage des türkischen Staates, das Problem lösen zu wollen, ohne mit den Vertretern derjenigen ein einziges Mal gesprochen zu haben, die dieses Gesetz ansprechen soll, hat keinerlei politischen und praktischen Wert. Bis heute hat weder mit unserem Vorsitzenden Abdullah Öcalan, noch mit dem KADEK noch mit dem Kurdistan-Nationalkongress (KNK) ein Gespräch stattgefunden. Für eine Lösung des Problems ist keine einzige Übereinstimmung erreicht worden. Es entbehrt jeder Logik, zu behaupten, das Problem zu lösen, ohne mit denen gesprochen zu haben, die den Kampf des kurdischen Volkes für Freiheit und Demokratie führen. Nirgendwo auf der Welt sind politische Probleme und bewaffnete Auseinandersetzungen auf diese Weise gelöst worden. Ohnehin zeigt die Ausgrenzung des Vertretungsorgans der Organisation, dass das Ziel nicht die Lösung des Problems ist. Gewollt ist eine Fortsetzung der seit Jahrzehnten angewandten Politik der Unterdrückung und Vernichtung unter neuen Bedingungen. Die Aufgabe einer Politik, die Jahrzehnte zu keinem Ergebnis geführt hat und auch in Zukunft zu keinem Ergebnis führen wird, erfordert zu aller erst ein Gespräch mit den Ansprechpartner in dieser Frage. Über ein solches Gespräch kann eine bleibende Lösung in realistischer Form gefunden werden.
Die Freilassung der Gefangenen und die Rückkehr einiger, die gezwungenermaßen im Ausland leben, reichen nicht aus für einen gesellschaftlichen Frieden. Gesellschaftlicher Frieden kann entstehen, wenn ein solches Gesetz gleichzeitig mit einer umfassenden demokratischen Reform und einem Gesetz zur demokratischen Partizipation am politischen Leben erlassen wird.
Unser Vorsitzender und unser Kongress haben immer mit gesundem Menschenverstand rationale Lösungsvorschläge hervorgebracht. Der Krieg wurde gestoppt und damit die Gelegenheit für eine Lösung innerhalb einer demokratischen Einheit gegeben. Vier Jahre lang haben wir in Selbstverteidigungsposition verharrt und somit unsere Aufrichtigkeit bewiesen. Unsere Haltung müsste als große Gelegenheit betrachtet werden, aber diese vier Jahre wurden von der Gegenseite vertan, weil keine Schritte für eine Lösung unternommen wurden. Das jüngste Gesetz, das erlassen werden soll, verstärkt unsere Sorge um verschwendete Zeit.
Aufrichtig wollen wir Einigung und Frieden zwischen dem kurdischen Volk, dem türkischen Staat und der Gesellschaft in einer Atmosphäre, in der die Verleugnung kurdischer Identität überwunden ist. Unzählige Male haben wir wiederholt, dass wir innerhalb der Einheit der Türkei leben wollen, nicht als separatistischer Einfluss, sondern als vervollständigendes und stärkendes Element. Wir sind davon überzeugt, dass das mit demokratischen Reformen zu verwirklichen ist.

Diese demokratischen Reformen, die wir auch Gesetze für gesellschaftlichen Frieden nennen können, müssen folgendes beinhalten:

1- Die Verleugnung kurdischer Identität muss aus der Verfassung und Gesetzgebung verschwinden. Die kurdische Identität muss gesetzlich anerkannt und respektiert werden.
2- Alle Verbote des Gebrauchs und der Entwicklung von kurdischer Sprache und Kultur müssen aufgehoben werden. In der Grundschule muss das Recht auf kurdischen Unterreicht gewährleistet werden. Die Tatsache, dass türkisch die offizielle Sprache der Türkei ist, sollte dabei nicht als Hindernis betrachtet werden.
3- Kurdische Veröffentlichungen in Radio, TV und Presse sollten keiner weiteren Beschränkung unterliegen als andere Veröffentlichungen auch.
4- Die Befugnisse regionaler Regierungsstrukturen müssen erweitert werden. Insbesondere Dienste wie Gesundheit und Kultur müssen der Region überlassen werden, um demokratische Strukturen zu vertiefen.
5- Politische Betätigung, die keine Gewalt anwendet und die politische Gesamtheit der Türkei nicht gefährdet, darf keiner Beschränkung unterliegen.
6- Für einen gesamtgesellschaftlichen Frieden müssen die Gefangenen einschließlich unseres Vorsitzenden, die bewaffneten Guerillakräfte und die im Exil lebende Bevölkerung alle politischen und sozialen Rechte zugesprochen bekommen.
7- Es muss eine Ausbildungs- und Bewusstseinskampagne durchgeführt werden, mit der die Gesamtbevölkerung und insbesondere das türkische und kurdische Volk nationalistische Vorurteile abzubauen lernt und sich auf jedem Gebiet eine Einheit verfestigt. Für einen wirtschaftlichen Aufschwung müssen die sozialen Probleme mit einem Sonderprogramm gelöst werden. Die materiellen und ideellen Schäden auf allen Gebieten müssen wieder gut gemacht werden und mit juristischen, sozialen und wirtschaftlichen Maßnahmen die Wunden geschlossen werden.

Wenn diese rationalen und bescheidenen Forderungen unseres Volkes, dem alle Rechte genommen worden sind, erfüllt werden, wird in der Türkei ein bleibender Frieden und Ruhe einkehren. Als strategische Partner werden zwei untrennbare Völker die Türkei zu einem der stärksten Länder im Mittleren Osten und der Welt machen.
Eine Abspaltung ist nicht im Interesse der Kurden. Wir glauben daran, dass dieses Bewusstsein bei beiden Völkern besteht.
Eine Politik, die die kurdische Identität leugnet sowie eine Entwicklung kurdischer Sprache und Kultur zu verhindern sucht, führt zu nichts anderem, als zu neuen bewaffneten Auseinandersetzungen. Die Türkei ist an einer Weggabelung angelangt. Es ist endlich die Zeit gekommen, die kurdische Frage zu lösen. Die Bedingungen für eine Lösung sind herangereift. Wenn im Denken und in der Politik unter diesen Bedingungen, in denen sich eine Lösung der kurdischen Frage förmlich aufdrängt, keine Veränderung stattfindet, dann bedeutet das ein Beharren auf der Ausweglosigkeit. Ein solches Beharren wird zu einer neuen Kriegsphase führen.
Wenn Bedarf nach Frieden und Ruhe besteht, dann ist es Aufgabe aller sich in verantwortlicher Position Befindender, diesen endlich auch zu verwirklichen. Aufgrund der Verantwortung, die wir gegenüber dem türkischen und kurdischen Volk empfinden, sind wir dazu bereit, diese Aufgabe zu erfüllen. Wir rufen die Entscheidungsträger in der Türkei dazu auf, dieser Verantwortung gerecht zu werden, indem anstatt Gesetzen, die zu keinen oder negativen Ergebnissen führen, mit demokratischen Reformen für eine demokratische Partizipation ein Gesetz für gesellschaftlichen Frieden erlassen wird.


26. Juni 2003
KADEK Präsidialrat

 

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Düsseldorf, 1. Juni 2003

Pressemitteilung

Frauendelegation in Istanbul unter ständiger Beobachtung


Heute ist die vom Kurdischen Frauenbüro für Frieden e.V. organisierte internationale Frauendelegation aus Istanbul zurückgekehrt. Die sechs Frauen aus Holland, Österreich und Deutschland haben sich fünf Tage lang in Istanbul aufgehalten.

Anlass für die Delegationsreise war die Verschleppung, Folter und Vergewaltigung von Gülbahar Gündüz am 14. Juni 2003 durch vier Männer, die sich als Zivilpolizisten zu erkennen gaben. Die Frauendelegation war von den Frauen der Demokratischen Volkspartei (DEHAP) eingeladen worden. An Gülbahar Gündüz wurde ein Dossier mit Grußbotschaften aus aller Welt überreicht. Ein Interview mit Gülbahar befindet sich im Anhang.

In Gesprächen wurde deutlich, dass der staatliche Angriff gegen Gülbahar kein Einzelfall ist. So erfuhr die Delegation, dass am 21. Juni 2003, als in Sarachane als dem Ort der Verschleppung Gülbahars eine große Protestkundgebung von der Polizei unter dem Motto “Schlagt zuerst die Frauen” brutal aufgelöst wurde, versucht wurde, die Vorsitzende der DEHAP-Frauenkommission von Istanbul-Gaziosmanpasa zu entführen. Ihr wurde gedroht, sie in einen entlegenen Wald zu bringen und zu vergewaltigen. Nur durch einen glücklichen Zufall konnte sie entkommen. Ihre Arme sind voller Blutergüsse.

Als Gülbahar Gündüz Anzeige stellen wollte, sollten möglichst viele Frauen sie begleiten. Einer DEHAP-Aktivistin, die zu diesem Zweck unterwegs war, um andere Frauen zu mobilisieren, wurde auf der Straße damit gedroht, dass ihr dasselbe passieren würde wie Gülbahar, wenn sie ihre Aktivitäten nicht einstelle.

Einen Tag vor Gülbahars Entführung fand der erste Prozesstag gegen vier Polizisten der Antiterrorabteilung von Istanbul-Vatan statt. Sie sind angeklagt, die beiden DEHAP-Mitglieder Sunay Yesildag und Naciye Cokaltin, die kurz vor den Wahlen im November letzten Jahres Stadtteilarbeit geleistet haben, festgenommen und sexuell misshandelt zu haben. Die Angeklagten sind offiziell nicht zum Gerichtstermin erschienen, zwei von ihnen haben sich aber getraut, zivil auf dem Korridor des Gerichtes aufzutauchen. Die Frauen haben sie wiedererkannt.

Wie der Delegation mitgeteilt wurde, sind in den vergangenen vier Monaten sieben Menschen entführt und misshandelt worden. Die fünf Frauen darunter wurden auch sexuell gefoltert.

Neben Gesprächen bei der DEHAP, dem Menschenrechtsverein IHD, der Initiative „Mütter für den Frieden“, den Frauenprojekten Amargi, Katagi und Gökkusagi u.a. führten die Delegationsteilnehmerinnen Gespräche im deutschen und holländischen Konsulat, bei denen sie über den Fall Gülbahar Gündüz informierten und eine Beachtung der Menschenrechtssituation in Lageberichten forderten. Außerdem informierten sie europäische Politikerinnen und Politiker per Fax über die Situation in Istanbul.

Die Delegation stand während ihres Aufenthaltes unter ständiger Beobachtung der Polizei, die sich sogar selbst am ersten Tag bei den Teilnehmerinnen vorstellte.

Die Delegationsteilnehmerinnen werden über den Verlauf der Reise einen Bericht schreiben, der in Kürze veröffentlicht werden wird. Dieser und weitere Informationen zu den Angriffen auf Frauen in der Türkei sowie zur aktuellen Kampagne für gesellschaftlichen Frieden und politische Partizipation können bei uns im Büro angefragt werden.

 

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junge Welt, 2. Juni 2003

Interview: Marifet Kaya/Susanne Rössling, Istanbul


Sexuelle Folter in der Türkei: Haben sich die Täter verkalkuliert?

Die Kurdin Gülbahar Gündüz ist Mitglied des Istanbuler Frauenvorstands der Demokratischen Volkspartei (DEHAP). Dort ist sie derzeit aktiv für eine »Generalamnestie« für politische Gefangene, Exilanten und die ehemalige Guerilla. Die 30jährige Textilarbeiterin ist alleinerziehende Mutter einer 10jährigen Tochter.

F: Sie wurden am 14.Juni verschleppt und misshandelt (siehe jW vom 18.Juni). Wie geht es Ihnen heute?

Inzwischen geht es mir wieder besser, vor allem, weil ich sehr viel Unterstützung bekommen habe. Sicher haben die Täter gedacht, dass ich in der DEHAP von dem Angriff berichten würde, und sie also die Parteifrauen einschüchtern könnten. Sie haben nicht damit gerechnet, dass der Angriff so konkret, schnell und weltweit öffentlich wird. Ich habe ihnen ihre eigene Dummheit gezeigt. Das bedeutet für mich einen Sieg.

F: Wer waren die Täter?

Es waren vier Personen. Als ein unbeteiligter Mann gegen meine Entführung eingreifen wollte und rief, sie sollten mich loslassen, antwortete einer der Entführer, er solle still sein, sie seien Polizisten.

F: Es ist schwer und folglich ungewöhnlich für eine Frau, die vergewaltigt wurde, damit an die Öffentlichkeit zu gehen. Was hat Sie zu diesem mutigen Schritt bewogen?

Ich hatte zwei Möglichkeiten: Entweder zu schweigen und jahrelang mit schweren psychischen Folgen zu leben – und das war auch das Ziel der Täter. Oder ich musste sprechen. Außerdem habe ich diesen Angriff nicht als gegen mich persönlich gerichtet begriffen, sondern als einen Angriff auf die Kampagne für eine Generalamnestie. Nachdem ich die Tat öffentlich gemacht habe, haben einige Frauen nach Jahren zum ersten Mal erzählt, dass auch sie vergewaltigt wurden. Erst jetzt konnten sie darüber reden.

F: Was, denken Sie, waren die Motive des Überfalls?

Das Motiv war einzig und allein, die Frauen einzuschüchtern und die Kampagne zu stoppen. Es gibt Foltermethoden, die hinterlassen keine Spuren. Neben medikamentöser gehört dazu auch sexuelle Folter, die schwer nachzuweisen und nicht sichtbar ist und natürlich die Betroffenen zum Schweigen bringen soll. Bei mir haben sie ganz bewusst sichtbare Spuren hinterlassen, angefangen mit dem Ausdrücken von Zigaretten in meinem Gesicht. Ich habe die Arme und Beine voller Blutergüsse sowie große Schürfwunden auf dem Rücken. Die Täter wollten die Frauen einschüchtern und die Kampagne stoppen.

F: Wie haben Ihre Eltern, Verwandte und Freundinnen reagiert?

Ich erhielt von allen Freunden und Freundinnen aus der Partei viel Unterstützung. Auch Menschen aus anderen Organisationen der Bewegung standen mir bei, »Friedensmütter«, die Frauenvereine »Amargi« und »Gökkusagi«, die Frauenplattform von Istanbul und vielen andere – auch viele aus dem Ausland. In Indien sind Frauen vor das türkische Konsulat gegangen, um zu protestieren.

Zu meinen Eltern habe ich schon lange keinen engen Kontakt mehr. Andere Verwandten haben gesagt: »Was hast du uns angetan?« Das war die erste Frage. Dann habe ich gleich den Hörer aufgelegt. Meine Schwester, die nicht politisch aktiv ist und wo ich mir nicht sicher war, wie sie reagiert, war sehr solidarisch. Zu meiner Überraschung interessiert sie sich jetzt für die politische Arbeit.

F: Sind weitere Proteste geplant? Gehen Sie juristisch gegen die Täter vor?

Ich habe Anzeige erstattet. Ich werde den juristischen Weg bis zum Ende gehen – wenn es sein muss, bis vor den Europäischen Menschenrechtsgerichtshof. Und wir werden verstärkt gegen die sexuelle Folter kämpfen. Es gab nach meinem Fall zwei weitere Entführungsversuche und Bedrohungen. Und es gab Kundgebungen dagegen, und es wird Demonstrationen für eine Generalamnestie geben. Unsere Kampagne läuft noch bis zum 15. Juli. Der Protest gegen diese Art von Folter ist ein Teil davon. Wir fordern außerdem demokratische Partizipation. Und Frieden natürlich.

vollständige Erklärung im pdf-Format