DOSSIER,
NOVEMBER-2004
ANSICHTEN DER KURDISCHEN FRAUEN BEZÜGLICH
DES BEITRITTES DER TÜRKEI ZUR EUROPÄISCHEN UNION
Cenî –
Kurdisches Frauenbüro für Frieden e.V - Düsseldorf, Anatolisches
Frauenzentrum – Duisburg, Dest-Dan Frauenverein – Berlin,
Mesopotamien Freier Frauenverein Hamburg, Roza Frauenverein – Darmstadt,
Kurdischer Frauenverein – Frankfurt, Zilan Frauenverein –
Rotterdam, Helin Frauenstiftung – Den Haag, Kurdischer Frauenverein
– Amsterdam, Amara – Denge Jinan - Arnheim, Helina Kurdan
Frauenverein Anwers, Kurdische Frauenunion – Wien, Amara Kurdischer
Frauenverein – Linz, Kurdischer Frauenverein – Graz, Kurdischer
Frauenintegrationsverein – Göteborg
c/o Ceni - Kurdisches Frauenbüro für Frieden e.V., Grupellostr.
27, D- 40210 Düsseldorf, tel. +49 (0) 211 17 11 080, Fax: +49 (0)
211 17 11 078, Email: ceni_frauen@gmx.de, www.ceni-kurdistan.de
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ANSICHTEN
DER KURDISCHEN FRAUEN BEZÜGLICH DES BEITRITTES DER TÜRKEI ZUR
EUROPÄISCHEN UNION
Zum 17. Dezember 2004 wird die Entscheidung zur Aufnahme der Verhandlungen
mit der Türkei seitens der Europäischen Union erwartet.
So wie insgesamt als
kurdisches Volk und im besonderen als kurdische Frauen, welche durch die
Lasten des 15 - jährigen Krieges besonders betroffen sind, unterstützen
wir den Beitritt der Tütkei in die EU.
Wir stehen zu dem Beitritt einer Türkei, welche die nationale Identität
des kurdischen Volkes anerkennt, den immer noch andauernden Krieg beendet
und eine friedliche Atmosphäre sicherstellt.
Wie bekannt sein
dürfte, ist auf der kurdischen Seite seit sechs Jahren eine Linie
zu beobachten, welche in der Lage ist, die kurdische Frage mit demokratischen
und friedlichen Mitteln zu lösen.
Selbstverständlich unterstützt das kurdische Volk und auch die
kurdische Frau diese friedliche Lösung.
Man kann sagen, daß die KurdInnen insgesamt dem Wunsch nach Frieden
nahestehen.
Die Aufrichtigkeit
und Ernsthaftigkeit der Türkei an diesem Punkt muss allerdings hinterfragt
werden.
Auch wenn die Türkei in der letzten Zeit wichtige gesetzliche Veränderungen
bezüglich der Demokratisierung verabschiedet hat, so dauert doch
in der Praxis die alte Repression und das System der Verleugnung der Völker
der Türkei an. Die verfassungsmässigen Rechte des kurdischen
Volkes sind noch nicht anerkannt und in der Praxis existieren die Verbote
und die Repression bezüglich der Sprache, Identität und Kultur
weiter.
Weshalb weisen wir
darauf hin?
Weil, obwohl die kurdische Frage eine politische und kulturelle Frage
ist, die Türkei die kurdische Frage bis heute als eine militärische
und eine Frage der Sicherheit betrachtet.
Weshalb wird dieses
Problem auf diese Weise angegangen?
Weil die aufgrund der Struktur des türkischen Staates existierende
Mentalität eine vereinheitlichende Struktur besitzt. Eine Mentalität
der einen Sprache, einer Nation, einer Religion, einer Fahne und dies,
obwohl es keine Versuche zur Spaltung der Türkei seitens der KurdInnen
gibt.
Für uns drückt sich darin das patriarchale Verständnis
von Herrschaft selber aus.
Eine solche vereinheitlichende Grundstruktur wird natürlich niemals
Verschiedenheiten miteinschliessen wollen. Dies ist der Grund für
die bis heute nicht umgesetzten offiziell verabschiedeten Gesetzesänderungen
und auch die Quelle der immer noch andauernden Lösungslosigkeit in
der Türkei.
So gibt es z.B. in der Türkei eine massive Repression gegen legale
kurdische Institutionen, die friedliche politische Arbeit der KurdInnen
wird behindert. Der Prozess gegen 120 kurdische und türkische Frauen,
welche im letzten Jahr in der Stadt Bingöl einen “Friedenstisch”
für Frieden und Dialog aufgebaut haben, dauert noch immer an.
Noch immer sind Tausende kurdischer PolitikerInnen im Gefängnis und
physischer sowie psychischer Folter ausgesetzt. Herr Abdullah Öcalan
befindet sich weiterhin unter Isolationsbedingungen als einziger Gefangener
auf einer Gefängnisinsel.
Kurdische weibliche Gefangene werden in der Polizeihaft und in den Gefängnissen
weiterhin Opfer von sexueller Folter und Vergewaltigung. Kurdische Frauen
sind seitens staatlicher Sicherheitskräfte jeder Art von körperlicher
und seelischer Gewalt ausgesetzt.
In den kurdischen Gebieten wird staatlicherseits eine Sterilisationspolitik
gegen kurdische Frauen betrieben, die zur Unfruchtbarkeit Tausender Frauen
führte. Auch die über 4000 zwangsgeräumten Dörfer
in den kurdischen Gebieten wurden nicht wieder aufgebaut.
Nicht einmal die Erlaubnis zur Rückkehr in die Dörfer wird den
KurdInnen erteilt. Und das allerwichtigste, der kurdischen Identität,
Muttersprache und Kultur wurden keine verfassungsrechtlichen Sicherheiten
gewährt. Es ist offensichtlich, dass die Quelle der politischen,
ökonomischen und sozialen Probleme in der Türkei der Verleugnungslogik
geschuldet sind.
Die Türkei ist
als laizistische Republik bekannt, aber die zur Zeit regierende Partei
ist die einen moderaten Islam vertretende AKP. Ist es nicht widersprüchlich,
dass eine Regierung, die sich selber als laizistische, demokratische und
rechtstaatliche Regierung bezeichnet, in die Ausweise aller islamischen
und nichtislamischen StaatsbürgerInnen ”Angehöriger der
islamischen Religion“ schreibt?
Wendet ein Rechtsstaat immer noch Jungfräulichkeitskontrollen gegen
jungen Frauen an ?
Formell ist die türkische
Regierung eine rechtstaatliche, also demokratische Regierung aber in der
Praxis vertritt sie Religiösität und Unitarismus. Und diese
Mentalität ist die Grundlage der Probleme.
Eine Türkei, welche eine solche, die Probleme nicht lösende
Verleugnungspolitik betreibt, trägt mit ihrem Beitritt all diese
Probleme in die EU hinein.
Wir als kurdische Frauen sind für den Beitritt der Türkei in
die EU, aber wir möchten nicht versäumen, die Wichtigkeit der
Rolle der EU für die Lösung dieser Probleme, allen voran der
kurdischen Frage zu betonen.
Wir als kurdische
Frauen werden unseren Kampf die Demokratisierung der Türkei fortführen.
Die Türkei muss jedoch zur Erreichung der Kriterien der EU ihre doppelgesichtige
Maske ablegen und sich der gewünschten demokratischen Ordnung aufrichtig
annähern.
Diese Aufrichtigkeit zeigt sich in der verfassungsmässigen Sicherung
der kurdischen Identität, Sprache und Kultur.
Ebenso muss eine Atmosphäre des Friedens geschaffen werden, die über
die Beendigung des Krieges in der Türkei und die Entlassung der politischen
Gefangenen verläuft.
Frühestens danach ist die Türkei wahrhaft Respektvoll gegenüber
Demokratie, Freiheiten, Laizismus, Menschen- und Frauenrechten und ein
Land, welches zum Eintritt in die EU bereit ist.
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LÖSUNGSVORSCHLÄGE BETREFFEND DES EU-BEITRITTS DER TURKEI:
Damit die Türkei
die Stellung eines demokratischen Staates erlangt, die Bürger ein
bequemeres Leben erlangen, in Frieden und Brüderlichkeit zusammenleben
und sich in dieser Lage auf den Beitritt in die Europäische Union
vorbereiten können, sollten folgende Punkte ernstgenommen werden;
Eine dauerhafte Lösung hinsichtlich der kurdischen Frage und die
Anerkennung der kurdischen Nationalität.
Wenn man es aus dem Blickwinkel des Sprichwortes „Die Frau ist das
Spiegelbild der Gesellschaft“ betrachtet, muss sich die Anschauung
des türkischen Staates bezüglich der Herangehensweise an die
Frau grundsätzlich ändern.
Die Betrachtungsweise, als wäre sie nur das zweite Geschlecht, die
Tabus und Verbote der Frauen, die Ausbeutung an ihnen, das ausgrenzende
Herantreten und Verhalten ihnen gegenüber und das sie durch religiöse
und sexistische Anschauungen Gewalt ausgesetzt sind, muss aufhören.
Durch gesellschaftssoziale Erziehung muss die Herangehensweise der Menschen
bezüglich Freiheit und Gleichberechtigung wiederhergestellt werden.
Wir denken, dass ein Staat, welcher sich hinneigend für die Rechte
der Frauen einsetzt, sich auch für die Lösung der kurdischen
Frage einsetzten wird, denn die Nichtanerkennung der Frauenrechte bedeutet
die Nichtanerkennung der Rechte der Kurdinnen und Kurden.
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DIESBEZÜGLICH
UNSERE ALLGEMEINEN FORDERUNG:
1. Die Europäische
Union sollte mit ihrer neutralen Stellung im Bezug auf den beidseitigen
Waffenstillstand hinsichtlich der kurdischen Frage als Richter eine Lösung
finden
2. Die kurdische Nationalität, Kultur und Sprache muss anerkannt
und in die Verfassung einbezogen werden.
3. Anstatt des Reuegesetzes, welches die Ehre des Menschen verletzt, sollte
sowohl für Herrn Abdullah Öcalan als auch für alle politischen
Gefangenen eine Generalamnestie ausgerufen werden.
4. Die Behinderungen und Verbote an den kurdischen Organisationen müssen
aufgehoben werden. Die Möglichkeit, freie Politik zu machen, muss
gegeben werden.
5. Die militärischen Operationen in den kurdischen Gebieten müssen
aufhören.
6. Die militärische Struktur in den kurdischen Gebieten muss geändert
werden.
7. Die Aufhebung des Dorfschützersystems muss erfolgen.
8. Die seitens des türkischen Staates verbrannten Dörfer müssen
erneut aufgebaut werden; denen zum Fortziehen gezwungenen Dörflern
muss Schadensersatz geleistet werden, um eine Rückkehr in ihre Dörfer
zu ermöglichen.
9. Es muss gewährleistet werden, dass das Kurdische Volk und die
Minderheiten in der Türkei ebenso wie das türkische Volk gebrauch
von ihren Rechten machen können.
10. Die Bezeichnung 'Zum Islam angehörig’, die sich in den
Personalien der türkischen Staatsbürger befindet, muss aufgehoben
werden. In diese Hinsicht ist der Laizismus zu gewähren.
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UNSERE FORDERUNGEN ZUR GESETZLICHEN SICHERUNG VON FRAUENRECHTEN:
1. Im türkischen
Strafgesetz im Teil: Verbrechen gegen Personen, Abschnitt Verbrechen gegen
das Leben regelt der § 82, Abs.j das Verbrechen des vorsätzlichen
Mordes an Menschen. Dem Motiv der Tradition muss explizit das Tatmotiv
der Ehre hinzugefügt werden.
2. Die Vorschrift im § 29 des türkischen Strafgesetzbuches sieht
im Rahmen der Grundsätze für Strafzumessung die Möglichkeit
der Aufhebung oder Minderung der Strafe im Falle provozierter Taten vor.
Hiervon müssen Ehrenmorde ( aufgrund angeblich provozierenden Fehlverhaltens
des Opfers) eindeutig ausgenommen werden.
3. Jungfräulichkeitskontrollen
müssen gänzlich verboten werden.Die Vorschrift zur Genitaluntersuchung
im türkischen Strafgesetzbuch muss in sofern neu geregelt werden,dass
darin Jungfräulichkeitsuntersuchungen eindeutig als verboten erklärt
werden.
4. Die Vorschrift
des § 104 des türkischen Strafgesetzbuches im Teil zur geschlechtlichen
Unberührbarkeit, welcher die Vorschriften zu:” Erlaubten geschlechtlichen
Beziehungen zu Jugendlichen zwischen 5+18 Jahren” gibt, muss nach
dem UN Kinderrechtsübereinkommen und der Internationalen Deklaration
der Menschenrechte geregelt werden.
5. Dem § 122 des türkischen Strafgesetzbuches müssen die
Freiheit der Wahl der geschlechtlichen Identität sowie die “politischen,
ökonomischen und sozialen” Rechte einer Person hinzugefügt
werden.
6. Die in den §§
99 und 100 des türkischen Strafgesetzbuches beschriebenen Abtreibungsfristen
müssen von 10 auf 12 Wochen erhöht werden.
7.Der §230 des
türkischen Strafgesetzbuches legt das Strafmas bezüglich Verbrechen
gegen die Famielienordnung fest, worunter auch Polygamie, Scheinehe und
religiöse Traditionen fallen. Dieser muss zum Zwecke der Abschreckung
deutlich erhöht werden.
8. Der Vorschrift
des § 76 des türkischen Strafgesetzbuches (Verbrechen des Genozid)
muss im Absatz d die Sterilisation hinzugefügt werden.
9. Dem im türkischen
Strafgesetzbuch die unzüchtigen Schriften und Darstellungen regelnde
§ 226 muss eine Definition der Pornografie hinzugefügt und die
Vorschrift unter Berücksichtigung der Freiheit der Meinung und der
Kunst neu bestimmt werden.
10. Der Einbau islamischen
Rechtes in die türkische Gesetzgebung muss aufgegeben und der Laizismus
verteidigt werden.
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