Aus Kurdistan Report Nr.100
Das Leben für Frauen ist schwer genug
Ein Besuch beim Dicle Kulturzentrum für Frauen
Von Karin Leukefeld
Der folgende Bericht von Karin Leukefeld über das Dicle Kulturzentrum
für Frauen wurde im April 2000 geschrieben. Inzwischen wurde die
Niederlassung des Zentrums in Diyarbakir vom türkischen Staat - ebenso
wie andere Basiseinrichtungen in der Stadt - wieder geschlossen. Die kurdischen
Frauen lassen sich nicht einschüchtern. Mit einer großen Zahl
anderer Basisorganisationen beteiligen sie sich an den Kampagnen gegen
die Einführung der Isolationshaftzellen in türkischen Gefängnissen.
Sie fordern Generalamnestie für alle politischen Gefangenen der Türkei.
Das Dicle Kulturzentrum für Frauen in Istanbul will den kurdischen
Frauen in der Türkei zu mehr Selbstbewusstsein verhelfen
Herzlich werden wir von Mürüvvet Yilmaz, der Vorsitzenden des
Dicle Kulturzentrums für Frauen begrüßt. Die Räumlichkeiten
des Zentrums sind großzügig, im Seminarsaal ist Platz für
gut 50 Frauen, weitere Räume stehen der Theatergruppe und den Mädchen
zur Verfügung, eine Küche, eine Bibliothek und natürlich
das Besprechungszimmer, in das uns die Vereinsvorsitzende zum Gespräch
bittet. Auch wenn das Zentrum hoch unter dem Dach einer Passage der Istiklal
Caddesi im westlich geprägten Istanbuler Stadtteil Beyoglu gelegen
ist, wird schon beim Eintreten deutlich, das Dicle Kulturzentrum für
Frauen ist ein Zentrum für kurdische Frauen. Der Name weist darauf
hin, der eigentlich bedeutet, dass man sich in einem Kulturzentrum für
Frauen vom Dicle befindet und Dicle ist der kurdische Name für den
Tigris, der unterhalb der Stadtmauern von Diyarbakir Kurdistan vom Norden
in Richtung Syrien durchfließt. Auch die Kleidung der Frauen zeigt
ihre Herkunft: lange, bunt gemusterte Kleider und weiße, feingewebte
Kopftücher tragen die älteren Frauen. Die Jüngeren kleiden
sich in Hosen und langärmligen, hochgeknöpften Blusen.
Seit der Gründung des Zentrums 1998 konnte die Arbeit des Frauenzentrums
erweitert werden, berichtet Mürüvvet Yilmaz nicht ohne Stolz.
Heute gibt es Zweigstellen in Diyarbakir und Izmir. In diesem Jahr sollen
weitere Niederlassungen in Van, Mersin, Urfa und Adana eröffnet werden.
Ein ursprünglich geplantes Projekt, ein Zufluchtshaus1 für in
Polizeihaft misshandelte und/oder vergewaltigte Frauen, konnte leider
nicht verwirklicht werden, doch durch die auftretenden Probleme seien
sie auch realistischer in ihrer Planung geworden. Viele der kurdischen
Familien hätten den Aufenthalt ihrer Töchter in einem solchen
Haus nicht akzeptiert, auch die vereinbarte Fortbildung mit Unterstützung
eines deutschen Netzwerkes habe Probleme mit sich gebracht. Die Frauen,
die zur Fortbildung nach Deutschland geschickt werden sollten, konnten
keinen Pass in der Türkei erhalten. Außerdem wäre das
ganze Projekt ohne finanzielle Unterstützung aus Deutschland oder
anderen europäischen Staaten nicht durchzuführen gewesen. Sie
hätten einfach versucht, zu viele Stufen auf einmal zu nehmen.
Nun sind neue Projekte geplant, die sich alle mehr an den Lebensbedingungen
und den sozialen Problemen der kurdischen Frauen orientierten: Regelmäßig
finden Alphabetisierungskurse in den Räumen des Zentrums statt, sowohl
in kurdischer als auch in türkischer Sprache. Das Zentrum habe eine
sehr aktive Theatergruppe, eine Gruppe beschäftige sich mit künstlerischer
Gestaltung. Speziell in diesen Bereichen sollten zukünftig mehr Therapeutinnen
mitarbeiten, um die durch Flucht, Vertreibung und Misshandlung teilweise
schwer traumatisierten Frauen zu unterstützen. Eine Archivgruppe
sammele Material über die Geschichte und Entwicklung von Frauen in
aller Welt. Im Juni werde das Kulturzentrum einen Wettbewerb durchführen:
die Frauen sollten Geschichten schreiben, das Thema werde noch bekannt
gegeben. Weiter sei geplant, Gruppenarbeit mit einer Psychologin anzubieten.
Mit Hilfe von therapeutischer Arbeit wolle man die Frauen dazu befähigen,
sich selbst noch aktiver einzubringen, ihr Selbstbewusstsein solle gestärkt
werden. Das sei schließlich eines der Hauptprobleme der kurdischen
Frauen, deren alltäglicher Überlebenskampf nie Anerkennung gefunden
habe.
Viel Zeit verbringen die Aktivistinnen des Dicle-Kulturzentrums bei der
Stadtteilarbeit. Man sammele Unterschriften für zwei Petitionen,
so käme man mit vielen Frauen ins Gespräch.
Die Petitionen fordern kurdischen muttersprachlichen Unterricht an den
Schulen sowie die Anerkennung der Staatsbürgerschaft für Kurdinnen
und Kurden in der Türkei. Die Petitionen sollen später dem Parlament,
also der Türkischen Nationalversammlung in Ankara überreicht
werden. Auch wenn das Parlament das wahrscheinlich ablehnen werde, sei
die Arbeit nicht umsonst. Vielleicht könne man eigene Schulen auf
privater Basis aufbauen, das müsse noch rechtlich überprüft
werden. Ihre Stadtteilarbeit sei besonders wichtig, so Mürüvvet
Yilmaz. Die Mitarbeiterinnen des Zentrums besuchen vor allem die kurdischen
Flüchtlingsfrauen in den Armenvierteln am Rande von Istanbul, den
Gecekondus2. Der Staat kümmere sich kaum um die Menschen dort und
sie könnten viele Frauen für die Arbeit in ihrem Zentrum interessieren.
Eine Krankenschwester bietet regelmäßig Gesundheitsversorgung
und -beratung an, einmal wöchentlich veranstalten die Dicle-Frauen
Lesestuben. Dann treffen sich alle interessierten Frauen in der Wohnung
einer Familie und man lese gemeinsam. Mal in türkischer, mal in kurdischer
Sprache, beides sei möglich. Die Gespräche und Diskussionen
mit den Frauen haben immer Rückwirkungen auf die ganzen Familien.
Wie sie ihre Arbeit in Istanbul bekannt machen würden? Monatlich
erscheinende Programme des Dicle-Kulturzentrums für Frauen werden
verteilt oder mit Zeitungsanzeigen wird auf besondere Termine hingewiesen.
Einmal im Monat werden Seminare angeboten, zu denen Referentinnen eingeladen
werden. Anschließend wird diskutiert. Auch die eigene Theatergruppe
tritt regelmäßig im Kulturzentrum auf. Sie wird inzwischen
auch in andere Zentren der Stadt und sogar in andere Städte eingeladen.
Die 25 aktiven Frauen im Dicle-Kulturzentrum diskutieren untereinander
und mit anderen Frauenorganisationen in Istanbul viel darüber, wie
Bildung für Frauen aussehen kann, wie sie zu organisieren ist. Die
Leserunden in den Wohnungen der Familien sind nur ein Anfang, um das Interesse
zu wecken. Die kurdischen Frauen müssen lernen, aus ihren Wohnungen
herauszukommen, um sich beispielsweise zu Kursen im Kulturzentrum zu treffen.
Sie wollen den Willen und das Selbstbewusstsein der kurdischen Frauen
stärken. Die Frauen sollen lernen, sich aktiv in die soziale, politische
und kulturelle Gesellschaftsentwicklung einzubringen. Um ökonomisch
unabhängiger zu werden sei derzeit auch eine Frauenwerkstatt in Planung.
Natürlich richte sich das ganze Angebot auch an türkische Frauen,
die kämen allerdings nur selten, bemerkt Mürüvvet Yilmaz
auf Nachfrage. Die Dicle-Kulturfrauen suchen den Kontakt zu anderen Frauenorganisationen,
in der Türkei ebenso, wie in anderen Staaten Europas. Es gibt Beziehungen
zu Frauen in Finnland, in Italien und in Deutschland. Aufgrund der Entfernung
sei es nicht leicht, die Kontakte lebendig zu erhalten. Die Zusammenarbeit
mit Frauenorganisationen in der Türkei sei nicht einfach, es gäbe
viele Vorbehalte gegen organisierte kurdische Frauen. Zum 8. März,
dem Internationalen Frauentag allerdings sei es zum ersten Mal gelungen,
sich mit 20 verschiedenen Organisationen auf eine gemeinsame Kundgebung
zu einigen. 7000 Menschen hätten teilgenommen, ein wirklicher Erfolg.
Die Reden zu den vier vereinbarten Themen Armut, Frieden, Rassismus und
Gewalt seien in türkischer und kurdischer Sprache gehalten worden.
Ob das nicht strafrechtlich verfolgt würde, immerhin hätten
Hadep-Mitglieder für kurdische Reden in Van und Adana an Newroz inzwischen
Strafverfahren bekommen. "Istanbul ist nicht Kurdistan," lächelt
Mürüvvet. "Aber natürlich können noch Verfahren
eröffnet werden. Wir erwarten das auch."
Die Repression gegen ihre Arbeit im Dicle-Kulturzentrum gebe es nach wie
vor . Ein Neujahrsessen, das sie durchführen wollten, wurde verboten,
ebenso eine Frauenkonferenz und auch die Aktivitäten zum Newrozfest.
Am 8. März hingegen wurden sie nicht behindert. "So ist das
in der Türkei," sagt Mürüvvet Yilmaz zum Ende des
Gesprächs, "die Politik gegenüber den Kurden ist unberechenbar."
Ob die Europäische Union das ändern könnte? "Wir werden
sehen. Es ist gut, dass die Türkei den Aufnahmestatus erhalten hat.
Wichtig ist jetzt, wie sich die europäischen Staaten in Zukunft verhalten
werden, erst dann wird sich zeigen, ob die Entwicklung positiv ist."
1) Weitere Informationen über das Projekt "Zufluchtshaus"
gibt es bei der Fraueninitiative "Freiheit für Leyla Zana",
c/o DFG-VK, Bildungswerk HRW, Braunschweiger Str. 22, 44145 Dortmund
2) Gecekondu, d.h. "über Nacht gebaute Unterkunft"
|