Drohungen…

Von Pinar Selek

Die Technologie erneuert sich. Auch Gewalt wird heute wissenschaftlicher und raffinierter angewendet. Die Mode der groben Gewalt ist vorbei. Psychologie und Psychiatrie machen aus der Gewalt eine Wissenschaft.

Das Internet als ein wichtiges Mittel der Kommunikation wird gleichzeitig als Schauplatz eines speziellen Krieges eingesetzt. Der psychologische Krieg wird neben TV und Zeitung insbesondere im Internet geführt.

Wie Hunderte anderer Menschen innerhalb des Demokratiekampfes bekomme auch ich über das Internet seit langer Zeit verschiedene Nachrichten. Neben Desinformations-Meldungen beinhalten diese Nachrichten im Allgemeinen Drohungen.

Wenn es sich um eine Frau handelt, ändert sich die Sache noch einmal. Weil ich eine Frau bin, sind die Angriffe meistens sexuellen Inhaltes. Wenn Du Dir eine eigene Beschreibung von Weiblichkeit ausgedacht hast und auf dem Weg bist, Dir Deine eigene Identität aufzubauen, dann will die Männlichkeit Dich zu der Frau machen, die sie im Kopf hat.

Im Internet, das voller Unbekanntem steckt, wird der psychologische Krieg noch wirkungsvoller. Manchmal erwischt es Dich unvorbereitet. Und es wird jede Art von Tricks eingesetzt. Beispielsweise wird mit Fotomontage ein Bild von Dir in den gewünschten Zustand gebracht und damit virtuelle Gewalt angewendet. Die Dosierung dieser Gewalt kann im gewünschten Ausmaß gesteigert werden.

In letzter Zeit bekomme auch ich solche Nachrichten. Sie öffnen sich von selbst. Auf den Bildern, die meinen Computer besetzen, werde ich oder eine andere Frau vergewaltigt.

Warum tun sie das? Warum greifen sie nicht nur mich, sondern Tausende von Frauen sexuell an?

Die Kriegsmechanismen funktionieren wie die männlichen Mechanismen, mit denen Frauen unter die Herrschaft gezwungen werden. Männlichkeitsmaßstäbe und militärische Maßstäbe sind eng miteinander verbunden. Es ist kein Zufall, dass die Anwendung von Militarismus normalerweise Männern aufgebürdet wird. Es handelt sich um eine Art Bündnispolitik.

Die männliche Herrschaftslogik ist gleichzeitig Kriegslogik. Beide basieren auf Herrschaft, Eroberung, Willensbrechung des Gegenübers, Schaffung von Abhängigkeit und Versklavung.

Sexualität ist ein weiter Kriegsschauplatz für den männlichen Geist, der über die Herrschaft über andere Lebewesen funktioniert. Sexualität im männlichen Sinne findet nicht als ein Teilen statt, sondern als Eroberung. Kämpfe, bei denen der Gegner besiegt und vernichtet werden muss, werden oft mit sexuellen Ausdrücken belegt.

Da die Frau in sexueller Hinsicht als ein Lebewesen betrachtet wird, das „beschmutzt“ oder „erobert“ werden kann, ist es auch kein Zufall, dass Beschimpfungen zumeist sexuellen Inhalts sind.

In Kriegen oder in allen Machtkämpfen verfolgen sexuelle Angriffe zwei Ziele. Erstens geht es darum, über die Frau dem Mann zu schaden, von dem angenommen wird, dass sie ihm gehört. Aufgrund der weiten Verbreitung dieses Zieles gehören Frauen, die keine Kämpferinnen sind, zu der gesellschaftlichen Gruppe, die im Krieg am meisten Gewalt erleiden müssen. Das Ziel ist dabei jedoch nicht die Frau, sondern der kriegsführende Mann. Wenn Frauen vergewaltigt werden, dann wird das nicht als Schmerz von Frauen betrachtet, sondern als Niederlage der Männer. Über das Mittel Vergewaltigung wird das Ziel erreicht, das Lebewesen, über den der als Feind auserkorene Mann Herrschaft ausübt, in Besitz genommen zu haben. Der sexuelle Angriff gegen eine Frau tötet die Männlichkeit, die sich über jene Frau bestätigt. Die Sexualität der Frau ist die Hauptstütze des Mannes. Und die Hauptstütze des Krieges ist der Mann. Dann baut der Krieg der Gegenseite darauf auf, die Stütze der Männlichkeit zu zerstören. Und deshalb wird die Frau angegriffen. Um den Mann zu treffen.

Das zweite Ziel ist die Frau selbst. Frauen, die auf dem Weg zur Freiheit sind, bekommen die erste Ohrfeige der Macht durch sexuelle Angriffe. Damit wird Frauen die Botschaft vermittelt: Du bist ein Nichts, ich mache Dich zum Weib, ich nehme Dich über Sexualität in Besitz, ich mache Dich mit Vergewaltigung fertig. Frauen, die für Demokratie kämpfen und nach Freiheit suchen, werden an historischen Schmerz erinnert. Sie werden dazu gebracht, die tausendjährigen Wurzeln der Sklaverei zu empfinden. Diese Wurzeln werden über Sexualität zum Leben erweckt.

Der psychologische Krieg im Internet richtet sich heute am meisten gegen Frauen. Aber wir Frauen haben endlich gelernt, uns von diesem Quatsch der Männlichkeit nicht mehr beeinflussen zu lassen.

Diese mit allen Mitteln der Technologie hervorgebrachten Bedrohungen lassen Menschen wie uns sogar spüren, dass wir auf dem richtigen Weg sind.

Ja, es ist merkwürdig, aber mit den Drohungen gewinnen wir an Stärke.

Quelle: Özgür Politika, 22.05.2005