Frauenschutzhäuser in der Türkei

Von MEDINE KILIÇ

Frauenschutzhäuser gibt es in der Türkei zu wenige. Die vorhandenen entsprechen nicht den weltweiten Standards. Die Aufnahmebedingungen passen nicht zu der Situation von Frauen, die vor Gewalt flüchten.

Seit Jahren schon wird die Notwendigkeit von Schutzhäusern für Frauen, die von Gewalt betroffen sind, von der Frauenbewegung in der Türkei thematisiert. Wenn man sich vor Augen hält, dass 52 Prozent der Bevölkerung der Türkei Frauen sind, gewinnt das Thema noch stärker an Bedeutung. Es gibt keine zuverlässigen Daten zu Frauen, die von Gewalt betroffen sind. Allgemein wird angenommen, dass jede dritte Frau Gewaltanwendung erfährt. Das ist eine hohe Anzahl. Die Anzahl der Schutzhäuser für Frauen liegt nach Angaben der Stiftung für Frauenschutzhäuser der unabhängigen Frauenorganisation Mor Çati (Lila Dach) insgesamt bei 15. Die Staatsministerin Nimet Çubukçu spricht dagegen von 26 Häusern.

Nicht nur zahlenmäßig gibt es wenige Schutzhäuser. Auch qualitativ sind die bestehenden weit davon entfernt, den Bedarf zu decken. Die Schutzhäuser, die von Stadtverwaltungen, Landratsämtern oder der Institution Soziale Dienste und Jugendschutz getragen werden, entsprechen nicht den EU-Standards.

Bestehende Vorschriften zum Aufbau von Schutzhäusern werden nicht eingehalten. Dem Gesetz nach müssen Ortschaften mit einer Bevölkerung von über 50.000 EinwohnerInnen Frauenhäuser einrichten. Die bestehenden Einrichtungen werden von Frauenorganisationen kritisiert, weil sie nicht aus Frauensichtweise aufgebaut sind. Unabhängige Frauenhäuser gibt es überhaupt nicht. Eine von Mor Çati eröffnete Einrichtung musste aufgrund finanzieller Probleme wieder geschlossen werden. Die Frauenbewegung betrachtet die staatlichen Schutzhäuser als problematisch. Kritisiert wird die Tatsache, dass keine der bisherigen Regierungen die Erfahrungen und Vorschläge von Fraueninstitutionen beachtet hat. Es besteht lediglich eine zeitweilige Kooperation zwischen Stadtverwaltungen oder Landratsämtern mit Fraueninstitutionen. Kommunale Verwaltungen haben oftmals Schwierigkeiten, der gesetzlichen Pflicht nachzukommen, weil ihr Budget nicht ausreicht. Die Diskussion über die Frage, unter wessen Verantwortung die Frauenhäuser stehen sollten, dauert ebenfalls an. Frauenorganisationen fordern, dass Schutzhäuser nicht als politische Propagandamittel benutzt werden und die Leitung der Häuser außer ihrer Finanzierung Fraueninstitutionen überlassen wird.

Die Kommunalverwaltungen nennen ihre Schutzhäuser meistens “Gästehaus”. Die Frauenbewegung spricht dagegen von “Schutzhäusern”, weil sich der Bedarf danach aus der Flucht von Frauen vor Gewalt ergibt. Der Begriff “Gästehaus” zeugt von dem Unwillen zu einer Konfrontation mit männlicher Gewalt weckt nicht die Assoziation mit einer Problemlösung.

In der [kurdischen] Region ist die Lage noch schlechter. Wenn die in geringer Anzahl existierenden Frauenberatungszentren nicht dazu gezählt werden, gibt es keine Einrichtungen, die Frauen direkt Schutz bieten. Es bestehen Bemühungen der Stadtverwaltungen, Beratungszentren einzurichten oder die bereits bestehenden zu unterstützen. Aber in einer Gegend, in der es häufig zu sogenannten Ehrenmorden kommt, ist das Nichtvorhandensein eines einzigen Schutzhauses bemerkenswert. In dieser Hinsicht wird in der Region am intensivsten gespürt, dass der Staat seiner sozialen Verantwortung nicht nachkommt. Als eines der Hindernisse wird der Gedanke genannt, dass aufgrund der geringen Größe der Städte das Prinzip der Geheimhaltung nicht gewährleistet werden kann. Die Frauenbewegung plädiert jedoch dafür, dass dieses Problem mit einer ständigen Zirkulation zwischen den Schutzhäusern gelöst wird. Demnach wird eine Frau, die in Diyarbakir vor Gewalt flüchtet und deren Sicherheit bedroht ist, in eine Einrichtung in Trakya geschickt und umgekehrt.

“Wie spät ist es, und haben Sie überhaupt einen Ausweis?”

Neben der Kritik an den mangelnden Standards und an der Tatsache, dass die Leitung der Häuser nicht Frauen überlassen wird, wird auch die Aufnahmeprozedur bemängelt.

Stellen Sie sich vor, Ihr Mann, Freund oder Vater wendet gegen Sie mitten in der Nacht Gewalt an. Sie werden verprügelt und auf die Straße geworfen oder konnten weglaufen. Dann wenden Sie sich an ein Schutzhaus. Aber dort passiert Ihnen folgendes: Sie werden zunächst nach Ihrem Ausweis gefragt. Ohne Ausweis können Sie nicht aufgenommen werden. Außerdem müssen Sie schon zu den regulären Öffnungszeiten erscheinen. Wenn Sie also außerhalb der Arbeitszeit von Gewalt betroffen sind und außerdem keinen Ausweis haben, sieht es schlecht aus. Denn ohne die Erfüllung dieser Bedingungen können Sie nicht aufgenommen werden.

Eine interessante Aufnahmebedingung stellt auch das vom Gouverneursamt getragene Schutzhaus in Izmit. Dort werden lediglich Opfer aus Izmit aufgenommen. Von außerhalb Kommende werden abgewiesen.

Unter den Gewaltopfern benötigen die Opfer sogenannter Ehrverbrechen den stärksten Schutz. Die bestehenden Häuser können für einen begrenzten Teil der Opfer einen Schutz bieten. Aber das gilt nicht für alle Opfer von Ehrverbrechen. Einige Einrichtungen wollen keine Frauen aufnehmen, hinter denen eine ganze Familie her ist und deren Leben in Gefahr ist. Sie scheuen die Gefahr, in die ein Opfer die gesamte Einrichtung bringen kann.


Im Folgenden ein Vergleich zwischen universellen Standards von Frauenschutzhäusern und der in der Türkei bestehenden Praxis:

Gemäß universeller Standards

- werden die Adressen der Schutzhäuser geheim gehalten. Dieses Prinzip ist für den Schutz der Gewaltopfer notwendig.

In der Türkei

- findet das genaue Gegenteil statt. Einige Stadtverwaltungen veranstalten sogar offizielle Eröffnungsfeiern.

Weltweit

- gilt die praktische Regel, dass den von Gewalt betroffenen Frauen vertraut und ihnen nicht mit Zweifeln begegnet wird.

In der Türkei

- werden Frauen verhört wie bei der Polizei. Dadurch wird die Vertrauensbeziehung zwischen den Opfern und der Leitung der Einrichtung zerstört.

Internationalen Standards entsprechend

- werden Gewaltopfer, von sexuellem Missbrauch betroffene Kinder und Sexarbeiterinnen getrennt untergebracht.

In der Türkei

- findet eine solche Aufteilung nicht statt. Für Sexarbeiterinnen gibt es landesweit nur ein einziges Schutzhaus.

Weltweit

- wird Gewalt zwischen den Bewohnerinnen des Hauses und gegen ihre Kinder verboten. Zwischen den Beschäftigten (Pädagoginnen, Psychologinnen etc) und den Opfern dürfen keine hierarchischen Beziehungen entstehen.

In der Türkei

- sind die Schutzhäuser staatlich, obwohl bekannt ist, dass die Leitung einer Einrichtung durch offizielle staatliche Institutionen hierarchische Verhältnisse hervorruft.

Quelle: Özgür Gündem, 11.10.2005, ISKU