Aus Kurdistan Report Nr 97 Für einen neuen Menschen und eine neue Gesellschaft Die PJKK will die Befreiung der Frauen und Männer von repressiven Systemen Ein Interview mit Jiyan Deniz, Mitglied des Zentralkomitees der PJKK Die kurdische Frauenzeitschrift Jina Serblind führte ein Interview mit Jiyan Deniz, Mitglied des Zentralkomitees der im März 1999 gegründeten PJKK (Partiya Jinen Karkeren Kurdistane - Partei der werktätigen Frauen Kurdistans) über die Hintergründe der Gründung dieser Partei und ihre Ziele. Türkische und kurdische Frauen haben genug Schmerzen erlebt, um eine schönere Zukunft zu wollen, und sie haben auch genug Gründe, diese Zukunft miteinander aufzubauen. Wie wird sich der Schritt zur Gründung einer eigenen Partei weiter entwickeln? War dieser Schritt Ihrer Meinung nach überhaupt notwendig? Die werktätigen Frauen und ihr Bestreben nach Freiheit und einem ehrenhaften Leben in der Geschichte gingen unter neben dem Kampf der unterdrückten Völker und Klassen, die gegen ihre Unterdrücker um Freiheit und Gleichheit kämpften und einen hohen Preis dafür zahlen mussten. Nach Erreichung freier gesellschaftlicher Verhältnisse bekamen sie nie den ihnen angemessenen Platz. Unsere Partei wurde als eine Anwort auf die vielen Bestrebungen dieser Frauen gegründet und hat zum Ziel, einen neuen Menschen und eine neue Gesellschaft zu schaffen. Anläßlich der Gründung unserer Partei, der PJKK, wollen wir zuerst den kurdischen Frauen, jedoch auch allen anderen werktätigen und unterdrückten Frauen der Welt gratulieren. Dem Vorsitzenden Apo bringe ich im Namen der PJKK meine Hochachtung zum Ausdruck und grüße ihn. Er hat, von der Rettung eines Volkes ausgehend, indem er freie Menschen und eine freie Gesellschaft schaffen wollte, am meisten zur Befreiung der Frau beigetragen. Die Gründung der PJKK und die Tatsache, eine der ersten Frauenparteien der Geschichte zu sein, und die Verwirklichung dieses Vorhabens mit der kurdischen Frau ist sehr bedeutend und wichtig nicht nur aus Sicht der kurdischen Frau, sondern für alle Frauen, die von der Notwendigkeit einer Befreiung ausgehen. In diesem Punkt ist die von unserem Vorsitzenden innerhalb der PKK vollzogene Befreiung der Frau vielleicht aus dem Befreiungsgedanken des kurdischen Volkes ausgegangen. Die Diskussionen innerhalb der PKK über die Befreiung der Frau und die Umsetzung davon haben viele unterschiedliche Stufen durchlaufen. Jede hat auf den realen Verhältnissen und dem Niveau des revolutionären Kampfes aufgebaut. Schritt für Schritt waren Erfolge zu verzeichnen und es wurde konkret. In dem Zeitraum von der Gründung der YAJK bis zur PJKK hat nach und nach die ideologische, soziale und politische Entwicklung der Frau begonnen und schließlich zur Bildung einer eigenen Partei geführt. Die Frau hat durch ihre eigene Lage und Unterdrückung die Notwendigkeit erkannt und die Willenskraft entwickelt, gegen die Ungleichheit einen organisierten Kampf zu führen. Deshalb hat sich die PJKK aus der YAJK in der Einheit von Geist, Gedanken und Emotionen der Frau entwickelt. Ihr Freiheitskampf, den sie aus eigener Kraft führt, zeigt auch den Grad ihrer Organisiertheit. Die YAJK hat bereits die selbe Funktion gehabt. Jetzt kann man sich fragen, ob es denn notwendig war, eine eigene Partei zu gründen, um diese Organisiertheit zu schaffen. Das hat damit zu tun, wie es innerhalb der PKK zu diesem Scheidepunkt der Freiheitsbestrebungen gekommen ist. Innerhalb der PKK ist die Frauenfrage nicht nur unter sozialen Aspekten oder in einem ideologischen Rahmen behandelt worden. Zwar sind beide Faktoren auch bedeutend, aber in der Umsetzung waren genau so auch politische und militärische Aspekte ausschlaggebend. Es wurde versucht, die Ungleichheit innerhalb der Gesellschaft zwischen den Geschlechtern aufzugreifen und sie zu überwinden. Die Frauen sollten sich im Rahmen einer Freiheitsideologie und mit einer politischen Perspektive vereinheitlichen: deshalb war der Schritt zur Parteigründung unumgänglich. Können Sie ein wenig auf die besondere Beschaffenheit der PJKK eingehen? Obwohl die Frau in der Geschichte bei den unterschiedlichen nationalen und Klassenkämpfen ihren Platz eingenommen hat, hat sich ihre Stellung nach Erreichung der politischen und gesellschaftlichen Ziele nicht wirklich geändert. Die Frau hat ihr Dasein nicht in einer gleichberechtigten Form in der neuen Gesellschaft führen können. Auch wenn man im Hinblick auf gesellschaftliche Umwälzung gegen die Ungerechtigkeiten von Nationen und Klassen etwas erreicht hat, hat die Unterdrückung der Frau auch innerhalb des neuen Systems nicht aufgehört. Bis in unsere Gegenwart ist die Frau zwar physisch vorhanden, aber nicht als entscheidende Kraft, die sich an der Gesellschaft beteiligt. Die Frau ist im Grunde genommen ein verlorenes Wesen. Die Frau hat ihren Widerwillen gegen ihre Stellung auf verschiedene Weise zum Ausdruck gebracht. Die Zuneigung der Frauen zu revolutionären Widerständen ist ein solcher Ausdruck. Die andere Seite ist die vor allem in der Gegenwart sehr oft anzutreffende Organisierung der Frau in Frauengruppen und Vereinen und auch Parteien, was eine lange Tradition hat. Wir sind nicht gegen eine solche Organisierung. Wir sehen diese Vereinigungen als eine Art Suchen, das wir selbstverständlich unterstützen und aus dessen Erfahrungen wir lernen wollen; aber wir betrachten es auch kritisch in Bezug auf die gesellschaftliche Veränderung. Diese Organisationen und Vereinigungen sind eher darauf aus, im System selber einige Rechte zu erkämpfen und haben nicht zum Ziel, ein grundsätzliches Umdenken zu erreichen. Wenn nun eine Kraft von diesem Ziel ausgeht, dann ist es schwierig, dass das Freiheitsbestreben in eine ideologische Richtung geht oder gar eine politische Richtung einschlägt und sich organisiert. Die PJKK ist in diesem Sinn nicht nur eine Frauenpartei, sondern sie zielt auf eine Befreiung der Gesellschaft, in der auch die Frauen befreit werden. Die gesellschaftliche Befreiung wird nicht auf eine nationalistische Sichtweise reduziert. Der Kampf der Frauen weltweit ist ein wichtiges Anliegen bei uns. Unsere Arbeit beschränkt sich nicht auf die Befreiung der Frau, sondern umfasst auch die des Mannes im repressiven System. Wir haben auf allen Gebieten, wenn notwendig auf militärischer, politischer und kultureller Ebene, unseren Platz einzunehmen. Die Bekanntmachung der Gründung der PJKK ist zu einer sehr schwierigen Zeit erfolgt. Wie haben sich diese Schwierigkeiten bei Ihnen geäußert? Die Befreiung der Frau wurde vom Vorsitzenden der PKK, Abdullah Öcalan, eingeleitet. In der momentanen Situation wird sie nicht möglich sein. Wie sehen Ihre zukünftigen Arbeiten aus? Die Gründung der Partei ist in einer schwierigen Phase erfolgt. Sowohl der VI. Kongress als auch der YAJK-Kongress wurden unter schweren Bedingungen durchgeführt, jedoch haben uns die richtungweisenden Erklärungen unseres Vorsitzenden zu den letzten Entwicklungen erreicht. Die von unserem Vorsitzenden vor allem im Kampf der Frauen und auch für die anderen Bereiche entwickelten Perspektiven und Antworten machen im Grunde das Unmögliche möglich. Es gab Hindernisse, die in der kurdischen Kultur begründet sind, in den feudalen Strukturen, in die die Frauen eingebunden sind. Unser Vorsitzender hat versucht, die Frau aus dieser Gefangenheit zu befreien und die patriarchalen Strukturen, die auf dieser Unterdrückung aufgebaut sind, zu brechen und die unterdrückenden Faktoren aus der Welt zu schaffen. Mit der Gründung der PJKK sollte eine entwickeltere Kraft gegründet werden. Mit der Teilnahme der Frau als gleichberechtigte Kraft sollte die Gleichberechtigung zuerst innerhalb der Partei durchgesetzt werden, es sollten gezielt die schwachen Seiten der Persönlichkeit der Frau gestärkt und die unterdrückerische Art des Mannes aus dem Weg geschafft werden. Die Reaktionen des Mannes sind wichtig. Unser Vorsitzender hat versucht, den Kampf zwischen Mann und Frau unter Kontrolle zu halten. Die Gefangenschaft unseres Vorsitzenden war während unserer Arbeiten zur Gründung einer eigenen Partei schwierig, auch vom Emotionalen her; wir haben nicht unbeschwert gearbeitet. Aber an dem Punkt, an dem der Kampf der Frauen angelangt ist, wird er nicht so schnell Rückschritte machen. Wir diskutieren sehr viel darüber, wie wir vorwärts kommen können, denn das hat auch unseren Vorsitzenden Apo ausgezeichnet, dass er aus jeder Situation Gewinn ziehen kann. Wir haben momentan mit Widersprüchen zu kämpfen, weswegen wir uns noch mehr anstrengen müssen. Wir versuchen, die ideologische Diskussion und Theoriebildung, auf den Erklärungsversuchen unseres Vorsitzenden aufbauend, voranzutreiben und in die Praxis umzusetzen. Die Frauen sind bereits erwacht. Wenn ihnen die Freiheit ein Bedürfnis ist, so müssen sie sich auch diesem Kampf auf jeder Ebene widmen. Der Vorsitzende Apo hat mit der PKK Grundlagen für ein eigenständiges Denken der Frau geschaffen. Die Frau darf diese Errungenschaft nun nicht aufgeben, sondern muss sie nutzen und umsetzen. Können Sie uns sagen, wie die PJKK nun innerhalb des vom Vorsitzenden Herrn Öcalan entwickelten Projektes einer Demokratischen Republik ihren Platz einnehmen wird? Der Ausdruck "die Rolle der Frau in der Demokratie" gibt die Geschichte der Frau nicht ausreichend wieder. Denn angefangen vom Matriarchat bis heute ist die demokratische Organisierung eine den Frauen entsprechende Regierungsweise. Heute sind die ökonomischen Bedingungen männerdominiert und deshalb die Praxis der Demokratie im Westen weit weg vom Weiblichen. Aber wir wissen, dass bevor der Begriff "Pluralistische Demokratie" aufgetaucht ist, diese Art des Regierens weibliches Regieren hieß. In der Natur der Frau gibt es keine Unterdrückung und Ausbeutung und so ist auch ihre Art des Regierens demokratisch. Deshalb ist es falsch, nur von ihrer Funktion in der Demokratie zu sprechen, denn indem sie sich nämlich von den patriarchalen Strukturen abwendet und ihre eigene Strukturen schafft, schafft sie in diesem Sinn auch Demokratie. Von daher muss natürlich bei einer Demokratisierung der Türkei die Frau eine wichtige Rolle spielen. Der Kampf der Frau um Gleichberechtigung bedingt ihre aktive Teilnahme. Der Lebensstil und der Lebensstandard der in der Türkei lebenden Völker ist für uns wichtig, ebenso die Situation in den anderen Ländern, in denen Kurden leben. Aus Sicht der Befreiungsbewegung der Frau ist die Lebensweise von Bedeutung. Wir kämpfen auf jedem Gebiet für ein friedlicheres und demokratisches Zusammenleben. Die Türkei ist von dem seit 15 Jahren dauernden Krieg getroffen; während sich im Westen der Lebensstandard erhöht, ist die Abhängigkeit der Türkei auch auf Grund des Krieges gestiegen, was wiederum Ungleichheit mit sich bringt. Wenn ein Land nach außen hin abhängig ist, können nicht innerhalb des Landes unabhängige Strukturen geschaffen werden, was wiederum Auswirkungen auf die Gesellschaft hat. Durch die Verhältnisse auf der Welt ist es nicht einfach, unabhängig zu sein, aber zumindest die Unabhängigkeit der Personen kann schrittweise erreicht werden und darauf ist unser Kampf ausgerichtet, was nicht einfach sein wird. Wir als Partei haben unseren Platz in der Umsetzung des Projektes der Demokratischen Republik festgelegt. Wir sehen es als unsere Aufgabe und Verantwortung, die Gedanken unseres Vorsitzenden in die Praxis umzusetzen. Demokratie ist auch eine kulturelle Angelegenheit. Eine kulturelle Öffnung und zu erreichen, dass verschiedene Kulturen ineinandergreifen, ist hauptsächlich Aufgabe der Frau. Denn das Kulturelle hat mit der Frau einen Anfang genommen und wurde auch durch sie bewahrt, während der Mann mit seiner Überlegenheit in der Technik mehr den Zerfall dieses Kulturellen bewirkt hat. Aber gerade für eine Kultur des Friedens und des Miteinander ist es wichtig, die Verantwortung dafür zu tragen. Angefangen bei der politischen Auseinandersetzung bis zum kleinsten Detail im Leben spielt im Kampf um Demokratie die PJKK eine große Rolle. Die PJKK selber ist eigentlich der Inbegriff einer Demokratie. Auf dieser Basis bauen unsere Arbeiten auf. Wie wird sich die PJKK auf Frontebene organisieren? Die Frontebene wird die EJAK (Eniya Jinen Azadiya Kurdistan - Union der Freien Frauen Kurdistans) übernehmen. Die YAJK hat hier bereits gute Arbeit geleistet, aber es ist nicht annähernd soviel erreicht worden wie auf Ebene der Partei oder auf militärischer Ebene. Unser Ziel ist es, eine Organisation zu schaffen, in der die Frauen aus eigener Kraft zu einer den Männern ebenbürtigen Macht werden. Deshalb ist es uns ein Anliegen, diese Arbeiten nicht auf die kurdischen Frauen zu beschränken, sondern besonders türkische Frauen ebenfalls mit einzubinden. Ziel ist, alle Frauen zu erreichen, denn unsere Ideologie der Befreiung der Frau ist ein universelles Anliegen. Unsere Arbeiten werden schwerpunktmäßig im sozialen und politischen Bereich wie etwa der Diplomatie, Publizistik, Kunst und Kultur erfolgen. Die Frauen sollen in diesen Bereichen ihre Fähigkeiten ausbilden und festigen. Unser Ziel ist es, das bereits Gewonnene auszuweiten und die soziale Revolution zu beschleunigen. Die Frau hat in dieser Phase eine führende Position übernommen. Aber sie wurde auch zum Werkzeug gemacht, um den Chauvinismus zu festigen. Wie möchten Sie die Frauen für diesen Friedensprozess aufrufen? Die Frauen haben am meisten unter diesem Krieg gelitten. Sie wurden in Tränen erstickt, vergewaltigt, gefoltert, ihre Emotionen wurden ausgebeutet, ihre Leichen wurden zerstückelt, ihre nackten Leichen wurden in den Medien zur Schau gestellt. Deshalb müssten die Frauen sich diesen Frieden am meisten wünschen. Es gibt natürlich viele Widersprüche in der Entwicklung der Frauenfrage. Während die Frau einerseits in diesem Widerstand einer schnelleren Entwicklung unterzogen und frei wurde, wurde sie andererseits von der Türkei regelrecht als Werkzeug in diesem schmutzigen Krieg benutzt. Selbst die Mutterschaft wurde zu Propagandazwecken und zur Verfestigung nationalistischer Gedanken benutzt. Die Freitagsmütter z.B. wurden gegen die für den Frieden eintretenden Samstagsmütter aufgehetzt. In diesem Krieg sind türkische und kurdische Mütter gemeinsam in Tränen erstickt. Ohne zu wissen, was der eigentliche Grund für ihre Schmerzen war, haben sie sich gegeneinander aufhetzen lassen. In der Natur der Frau ist kein Platz für Krieg und Chauvinismus, sie ist tief im Inneren für Frieden und Miteinander. Das kurdische Volk und die Völker in Anatolien verbindet eine Freundschaft älteren Datums. In dem seit 15 Jahren andauernden Krieg wurden diese Völker gegeneinander ausgespielt, aber an dieser Freundschaft hat sich grundsätzlich nichts geändert. Das wird sich vor allem in der Freundschaft der kurdischen und anatolischen Frauen widerspiegeln, die nämlich eine Freundschaftsbrücke zwischen den Völkern bilden. Heute gibt es wieder Gelegenheit, diese Brückenrolle zu übernehmen. Die Frauen müssen vereint gegen jene ankämpfen, die ihren Nutzen aus diesem Krieg ziehen. In Vietnam zum Beispiel waren es Frauen, Soldatenmütter, die sich mit großem Einsatz für den Frieden ausgesprochen haben. Die türkischen und kurdischen Frauen haben ebenfalls große Schmerzen erleiden müssen. Die Frauen in den Metropolen und in Europa können sich in einer Anti-Kriegs-Kampagne vereinen. Wir beabsichtigen in unseren weiteren Arbeiten, uns mit den anatolischen Frauen zu vereinen. Türkische und kurdische Frauen haben genug Schmerzen erlebt, um eine schönere Zukunft zu wollen, und sie haben auch genug Gründe, diese Zukunft miteinander aufzubauen.
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