III.6. Die Rolle des Parteivorsitzenden Abdullah Öcalan Die Tatsache, daß sich in der kurdischen Revolution gerade ein Mann die Befreiung der Frauen vorgenommen hat, mag aus europäischer Sicht verwundern, ist aber aus den kurdischen Gesellschaftsverhältnissen kaum anders vorstellbar. Eine Genossin sagt dazu: "Die Frauenarmee ist der Gedanke von Serok. Wir sind noch dabei zu verstehen, warum sie nötig ist. Die Frau, die gestern noch hinter der Tür ihres Hauses stand, kämpft heute für ihre Befreiung ... Der Schritt, den sie gemacht hat ist wichtig, doch noch wichtiger ist der, den sie noch machen muß. .. Jeder Schritt, den die Partei in einer bestimmten Phase gemacht hat, bedeutete für die Frau 10 Schritte, sich zu ändern. " In anderen Gesellschaften gab es Phasen, in denen sich die Rolle der Frau verändert hat, in Kurdistan waren die Frauen völlig an den Rand der Gesellschaft gedrängt. Von sich aus konnten sie keine Initiativen entwickeln, diese Strukturen zu verändern. Daß Frauen heute in der PKK, in der Guerilla immer größere Bedeutung erlangen, geht auf die Initiative des Parteivorsitzenden Abdullah Öcalan zurück. Er sagt dazu: " Wenn wir diesen Kampf nicht geführt hätten wäre die PKK heute längst nicht mehr existent. Es wären nicht einmal ein paar Kader dabei heraus gekommen. Die Kämpfe gegen diese Haltung der Männer, nach Herrschaft zu streben, war schwer. Wir haben großen Widerstand geleistet und sowohl Qualität wie auch Quantität angestrebt. Vielleicht ist es noch begrenzt, nicht vertieft, aber die Kommandantinnen der Frauenarmee sind ein Teil dieses Prozesses, Ergebnis eines großen Kampfes." Immer wieder hat der Parteivorsitzende gegen den Willen anderer Kader, auch führender Kommandanten, durchgesetzt, daß Frauen in alle Bereiche des Kampfes einbezogen und gestärkt werden. In der zentralen Parteischule werden Kader für alle Bereiche des Kampfes, vor allem Kommandantinnen ausgebildet. Hier hält der Generalsekretär mehrmals die Woche Vorträge. Der Unterricht wird von ihm bestimmt in Bezug auf Probleme und Diskussionen, die jeweils gerade innerhalb der Organisation aufgetreten sind. Er bietet Analysen an, die u. a. auch perspektivische Fragen behandeln. Diese Analysen (Cözümlemeleri) werden schriftlich festgehalten und sind Grundlage für den Unterricht in allen Ausbildungsstätten der Partei. Die Frauenfrage ist eines der zentralsten Themen und Bereiche, die in der kurdischen Gesellschaft tabuisiert sind. Liebesbeziehungen, Sexualität werden angesprochen, die Rolle von Frauen und Männern in der kurdischen Gesellschaft immer wieder unter anderen Aspekten analysiert. Abdullah Öcalan spricht die Genossinnen und Genossen auf ihre Meinung an, stellt Fragen, die Auseinandersetzungen anregen sollen. Zum Beispiel fragt er einen Genossen: "Du warst doch verheiratet, wie war die Beziehung zu deiner Frau, hast du sie geliebt?" Oder er fragt eine Genossin: "Du hattest in der Guerilla eine Beziehung zu einem Kommandanten, wie denkst du heute darüber? Sollen Frauen ihren Weg nicht durch die eigene Kraft machen?" Das Verhältnis zwischen den Geschlechtern wird so immer wieder thematisiert, jede wird mit ihrer eigenen Geschichte konfrontiert. Emotionale Beziehungen (Liebesbeziehungen) zwischen Frauen und Männern werden innerhalb der Partei abgelehnt, wenn die Genossinnen und Genossen nicht die Stärke und das Bewußtsein haben, wirklich freie Beziehungen aufzubauen, in denen die alten Besitz-, Konsumverhältnisse nicht reproduziert werden. Diese Thematik wird in den Analysen offen und breit diskutiert. Die Dialoge schaffen Klarheit über das eigene Verhältnis zur Geschlechterfrage, lösen Prozesse aus, das eigene Verhalten zu hinterfragen und nicht auf einer theoretischen Ebene zu bleiben. Der Generalsekretär gibt auch Beispiele aus seinem eigenen Leben, z.B: "lch kann es nicht leiden, wenn Frauen sich mir als Mann nähern, ich suche genossenschaftliche Beziehungen. " An Beispielen aus seiner eigenen Kindheit macht er deutlich, daß auch er unter einer traditionellen, feudalen Erziehung aufgewachsen ist, sich aber von dieser Rolle befreit hat, daß es möglich ist, dagegen Widerstand zu leisten. Eine Genossin antwortet auf die Frage, was sich für sie durch die Ausbildung verändert hat: "lch bin mit einigen Vorurteilen hierher gekommen, habe aber schnell bemerkt, daß es nur Vorurteile sind. Ich hatte Serok vergöttert, aber hier habe ich gelernt, er ist ein Mensch. Ein Mensch, der im sozialen Leben weit fortgeschritten ist, daß ich das auch erreichen muß und mich in der Beziehung weiterentwickeln muß, daß ich statt Vergötterung die Wirklichkeit so nehmen muß, wie sie ist. hat mich sehr beeindruckt, wie sehr sich Serok um die einzelnen kümmert, sich mit ihnen auseinandersetzt und sie dann zu Personen werden, die erste Schritte zur Befreiung machen. " Die Freundin, Newroz: "lch habe hier gelernt zu leben, einzuatmen und ich habe hier gelernt, was ich im Kampf nicht gelernt habe: Hätte ich das gelernt, wäre ich heute in einer ganz anderen Position. Denn ich wußte nicht so genau, warum eine Frauenarmee, warum überhaupt der Kampf politisch weiterentwickelt werden mußte. Das war uns alles nicht so bewußt, das haben wir nie gelernt, vor allem das Einatmen. " Unter dem Einfluß des Generalsekretärs werden traditionelle Geschlechterrollen radikal in Frage gestellt, nicht geduldet. An die Frauen hat er den Anspruch, daß sie ihr Leben selbst gestalten, eigene Meinungen, Maßstäbe und Kriterien entwickeln und auch ihn kritisieren, was z.B. die Entwicklung der Parteilinie zur Frauenfrage betrifft. Mit dem Eintritt in die Partei wird von beiden Geschlechtern erwartet, daß sie ihre eigene Haltung zur Geschlechterfrage analysieren und alles Alte in sich radikal bekämpfen. Die Frauen in der Guerilla stehen den Männern in ihrer Praxis heute in nichts mehr nach. Viele haben angefangen sich mit ihrer Rolle/ldentität als Frau auseinanderzusetzen und den Anspruch der Partei an sie selbst aufgegriffen. Vieles ist aber noch nicht wirklich verinnerlicht, Theorie und Praxis müssen ein Gleichgewicht finden, die Ideen des Generalsekretärs müssen von den Frauen weiterentwickelt werden, neue Lebenskonzepte müssen geschaffen werden, vieles ist noch am Anfang. Heval llgaz: "Serok kann weder die Frau noch den Mann befreien, kämpfen müssen sie selbst dafür. "
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