Özgür Politika, Gespräch der Woche 10.06.2001

Im Frieden werden wir noch stärker sein

von Nurdogan Aydogan

Guerilleras, die wir in den Bergen Süd-Kurdistans trafen, erklärten uns, dass sie für die Umsetzung des Projektes "Demokratische Republik" ihre Auseinandersetzung mit dem Frieden intensivieren. Sie bezogen sich dabei auf die Worte des Generalsekretärs der PKK: "der Krieg ist für uns nur ein Mittel, nicht das Ziel".

Das Gespräch dieser Woche führten wir mit Mitgliedern der PJA. Wir fragten, wie sie zur PKK kamen und wie sie sich auf den vom PKK-Generalsekretär Abdullah Öcalan begonnenen Demokratie- und Friedensprozeß vorbereiten. Unser Interview mit den Guerilleras war sehr herzlich. Sie sind begeistert und erfüllt vom Wunsch und Willen nach Gleichheit und Solidarität der Völker in der demokratischen Republik Türkei.


Kurdistan Piling:

Ich bin in der Kleinstadt Hilal in Uludere geboren. Meine Familie ist patriotisch und ihre Beziehungen zur Partei sind stark. Ich habe mich der PKK mit 13 Jahren, mit dem Wunsch nach nationaler Unabhängigkeit angeschlossen. Jetzt bin ich 22 Jahre alt. Wir sind 12 Geschwister und ich habe mich als Siebte der Guerilla angeschlossen. Ein Bruder ist gefallen, zweien meiner Brüder sind die Füße durch Minen abgerissen worden, Opfer des Krieges. Meine übrigen Geschwister nehmen an der Frontarbeit teil.

Ich hatte besonders Schwierigkeiten, die neue Strategie, die unsere Führung in der Gefangenschaft entwickelt hat, zu verstehen. Kann ein demokratischer Prozeß umgesetzt werden? Wird dies für das kurdische Volk möglich sein? Viele solcher Fragen habe ich in meinem Kopf hin- und hergewälzt. Gleichzeitig habe ich mich gefragt, ob ich mit einem Übergang zur Demokratie einverstanden sein kann, nachdem ich viele Jahre für die vollständige Unabhängigkeit gekämpft habe. Durch Schulungen und eine Versammlung, die der Führungsrat für uns vorbereitet hat, habe ich begonnen zu verstehen. Mein Einverständnis wuchs. Am meisten widersprüchlich erschien mir die Tatsache, dass wir immer mit der Verleugnungs- und Vernichtungspolitik des Staates konfrontiert waren. Das stellte für mich eine Unsicherheit dar. Mein Vertrauen, dass die neue Politik durch die Bemühungen - sind es auch einseitige - unserer Führung und Partei verwirklicht wird, gab mir später Zuversicht. Fragen wie "unsere Partei möchte solch einen Prozeß umsetzen, wird der Staat darauf eingehen?" bereiteten mir Unsicherheit. Zumindest teilweise von diesen Sorgen befreit, begann ich mich auf die neue Phase vorzubereiten.
Ich habe mich zu meinen Gedanken in den vergangenen Phasen befragt. Indem ich mich intensiver mit meiner Persönlichkeit auseinandersetzte, habe ich versucht diese Phase zu verstehen. Ich war unsicher, ob ich mich gemäß dieser Phase verhalten könnte, wo ich mich über Jahre hinweg in der Guerilla mit dem Krieg auseinandergesetzt habe. Später war ich überzeugt, dass solch ein Denken für einen Menschen und erst recht für eine(n) Militante(n) keine Basis sein kann. Ich denke, dass alles von dem Willen nach Wandel und Veränderung, den Bemühungen der/s Einzelnen abhängt. Ich habe mich bemüht, mich in dieser Hinsicht weiter zu entwickeln. Dies ist meine eigene Überzeugung. Ich befragte mein Gewissen ob ich alles in meiner Macht stehende für den demokratischen Prozeß tun werde und vertraue darauf, es zu schaffen. Es werden besonders die Frauen sein, die sich am stärksten für die Demokratie im gesellschaftlichen Wandel einsetzen. Wie auch ich meine Aufgabe als Frau wahrnehmen werde, fordere ich alle in der Türkei und im Mittleren Osten lebenden Frauen auf, die Führung bei der Entwicklung der Demokratie zu übernehmen. Die Demokratie wird am meisten von den Frauen benötigt, weil sie in der Gesellschaft am meisten unterdrückt sind. Nach dem Erreichen unseres Ziels der Demokratischen Republik, haben wir noch viele weitere Ziele. Ich will nur zwei nennen, die für mich im Vordergrund stehen. Mein erstes Projekt wird es sein, einen Revolutionsroman zu schreiben, mein zweites, Mädchen zusammenzurufen und unter einem Zeltdach eine Schule zu eröffnen. Denn besonders in Kurdistan und in der gesamten türkischen Gesellschaft sind es die Mädchen, die am häufigsten ohne Schulbildung bleiben. Wenn nun eine gesunde Demokratie entwickelt wird, wird Frauen eine bessere Bildung und Entwicklung zuteil.


Axin Cele:

Den Reihen der Partei trat ich 1992 mit 14 Jahren in Cukurca bei. Ich habe mich dafür entschieden, um für die nationale Unabhängigkeit Kurdistans zu kämpfen.
Mein Vater war Beamter und von demokratischer Haltung. Deshalb habe ich mich nicht ausschließlich aus militärischen Gründen dem Kampf angeschlossen. Ich sah ihn als ein Mittel, das eingesetzt wird, um die ideologischen Ziele zu verwirklichen. Die Führung unserer Partei hat sich immer bemüht, uns mit Aufrufen und Perspektiven im Hinblick darauf, dass der Krieg keine Lösung ist, sondern wir den Krieg mit anderen Mitteln gewinnen müssen, zu erreichen. Ich war nicht erstaunt, ich habe das positiv bewertet.

Durch die Beschäftigung mit der durch die strategische Veränderung entwickelten neuen Linie, bemerkte ich bei uns ein großes Manko. Ich habe mich an sozialen und kulturellen Aktivitäten der Partei beteiligt. Ich habe festgestellt, dass ich große Defizite habe, wenn ich daran denke, was ich dem Volk in der Zukunft geben kann, wenn der Frieden Realität geworden ist. Auf welchen Gebieten bin ich weit genug entwickelt, habe ich mich gefragt und festgestellt, dass es auf keinem Gebiet ausreicht. Was Krieg, Politik, Kultur und Kunst angeht, haben wir uns viel angeeignet, jedoch tue ich mich noch schwer, Zusammenhänge herzustellen. Um in Zukunft die Demokratie zu entwickeln, werde ich meine soziale Kompetenz noch weiterentwickeln müssen. Alles hängt zusammen, nichts ist vom anderen unabhängig. Es ist eine Grundvoraussetzung, eine vollständige Persönlichkeit, eine vollständige Entwicklung zu sichern. Wo auch immer, was auch immer die Bedingungen erfordern, muß diese Kraft erreicht werden. In der letzten Zeit bin ich am stärksten damit beschäftigt, mich in dieser Hinsicht weiterzuentwickeln. Ich strenge mich an, in jeder Arbeit und Aktivität das Kriterium, ob etwas für den demokratischen Prozeß richtig und von Vorteil ist, als Grundlage der Bewertung zu nehmen. Der Mensch, der sich dem Weg der Freiheit verpflichtet und so die Unterstützung des Volkes hat, wird in der Lage sein, das Leben überall zu organisieren.
Dies ist auch aus Frauensicht so. Wenn das Hauptziel der Frau die Freiheit ist, wird sie es auch sein, die den größten Vorteil durch die Demokratie hat. Ich glaube daran, dass ich mit der Partei die Kraft erlangen werde, mein Leben und mich selbst zu organisieren. Wie unsere Parteiführung sagt, Menschen mit der Hartnäckigkeit, dem Willen und den Anstrengungen von - wenn notwendig - sogar Heiligen und Nonnen, können in dem überaus wichtigen Demokratieprozeß sehr viel schaffen.

Mizgin Xumaro:

1994 habe ich mich in Yüksekova der Guerilla angeschlossen. Die Umgebung in der ich lebte, war feudal geprägt. Da meine Familie im Handel tätig war, war sie etwas offener. Diese Offenheit hat auch das soziale Leben der Familie beeinflusst. Doch das Leben der Töchter war begrenzt, hat mich unterdrückt, und ich wollte dies überwinden. Ich hatte seit meiner Kindheit zwei Freundinnen, die ich sehr geliebt habe. Noch bevor sie 15 Jahre alt waren, wurden sie verheiratet. Als ich sie später besuchen ging, konnte ich nichts mehr von der alten Lebendigkeit, Laune, Fröhlichkeit und der Schönheit sehen. Physisch und psychisch sind sie derart gealtert, als wären sie mit einem Schlag erwachsen geworden. Dies hat in mir so starke Widersprüche geweckt, dass ich Angst bekam. Einen Ausweg sah ich im Freiheitskampf Kurdistans. Beeinflusst dadurch, dass viele liebe FreundInnen sich auf derselben Suche der Partei angeschlossen hatten, ging auch ich zur PKK.
Die häufig wiederholten Worte unserer Parteiführung "der Krieg ist für uns ein Mittel, kein Ziel" haben mich sehr zum Nachdenken gebracht, jedoch ging es in den damaligen Phasen in unseren Schulungen und in unserer Ausbildung hauptsächlich um den Krieg. Ich habe nicht viel Gewicht auf die Vertiefung der Ideologie gelegt, weil ich mir sagte, was jetzt zählt und gefragt ist, ist der Krieg. Durch den Strategiewandel war ich sehr verwirrt. Auf einen demokratischen Prozeß war ich überhaupt nicht vorbereitet. Ich habe gemerkt, dass mit der neuen Phase neue Aufgaben auf uns zukommen und neue Erwartungen an uns gestellt werden. Durch die Schulungen und Versammlungen, die die Partei für die Vorbereitung auf die neue Phase entwickelte, begriff ich, dass wir unsere Rolle in dieser Phase am besten als revolutionäre Militante erfüllen. Nur hatte ich Schwierigkeiten, meine diesbezüglichen Defizite zu sehen. Um nicht außerhalb des Prozesses zu bleiben, habe ich mich auf die Suche gemacht. Bin ich nicht arbeitsfähig, werde ich meine Rolle als Militante nicht spielen können, werde diese Phase nicht erwidern können, dachte ich mir. Dies macht aber ein großes Maß an Bemühungen nötig. Auch wenn meine Anstrengungen groß waren, hatte ich Probleme, meine Entwicklung in dem Maß zu festigen, wie ich es mir vorgenommen hatte, da mein Wissen zu gering war. Ich habe mich auf Bücher über den demokratischen Prozeß konzentriert. Ich habe mich bemüht, meine Mängel zu überwinden, indem ich die Schulungen der Partei besonders ernst genommen habe. Ich war sehr angespannt. Ich hatte Schwierigkeiten zu verstehen.

Ich kann nicht sagen, dass ich für den demokratischen Prozeß genauso bereit bin, wie ich es für die Kriegsphase war. Aber es ist eine Grundlage geschaffen. Ich vertraue darauf, dass ich mit der Intensivierung auf dem Niveau der Parteischulung und -vorbereitung jede Aufgabe, wenn auch nicht in höchster Qualität, so doch erfolgreich erfüllen werde. Die Herrschenden in der Türkei sind Kriegsprofiteure. Durch ihre rückwärtsgewandten und provozierenden Bemühungen kann sich die Demokratie nicht entfalten. Ich denke, dass wir die Kraft haben müssen, die Profiteure unschädlich zu machen, damit sich die Demokratie entwickeln kann. Dafür sind weitreichende Vorbereitungen nötig. Die Unzulänglichkeit, vor der unsere Parteiführung immer wieder gewarnt hat, trifft auch auf mich zu. Ich strenge mich an, dies zu überwinden. Es ist notwendig, sich mit der gesamten Ideologie der Partei auszurüsten und einen demokratischen Kampf zu führen. Das System ist ein Ungeheuer. Um von diesem Ungeheuer nicht geschluckt zu werden, müssen wir unsere Persönlichkeit ein weiteres Mal systematisch betrachten und sie uns ganz aneignen. Wenn ich mir jedoch vor Augen führe, wie der Feind seit hunderten von Jahren das Leben unseres Volkes beeinflusst hat, spüre ich bei mir eine Unsicherheit.
Eine Militante muß in jeder Umgebung auf ihren eigenen Füßen stehen können und die Erfahrungen der Partei in kreativer Weise im eigenen Leben umsetzen können. Wir müssen über einen freien Willen und freie Initiative verfügen. Zur Zeit mache ich mich genau dafür bereit. Meine Familie ist reich und patriotisch. Vielleicht könnte ich etwas tun, indem ich mich auf sie stütze, aber das kann nicht ausreichen.
Ich glaube, dass ich der demokratischen Volksrepublik der Partei dienen kann, indem ich mich auf ihre Werte beziehe und meine eigene Kreativität entwickele.


Nujiyan Amed:

Ich bin 29 Jahre alt und habe mich 1994 der Guerilla angeschlossen. Ursprünglich bin ich aus einem Dorf bei Bismil/ Diyarbakir. Wegen ökonomischer Probleme und der Repression bin ich mit meiner Familie nach Tarsus gegangen. So wollte die Familie sich und ihre Kinder schützen. Um die Lage der Familie in Tarsus zu verbessern, mussten Mädchen wie Jungen arbeiten. Weil ich schon in jungen Jahren Verantwortung getragen habe, hatte ich viele Widersprüche, und ich habe mich auf die Suche gemacht.
Die Partei habe ich durch Zeitungen und Broschüren kennengelernt. Die Widersprüche, die ich in der Familie erlebt habe, haben mich motiviert, der PKK beizutreten. Ich konnte die traditionelle, feudale Haltung der Familie und die Politik gegen Mädchen nicht akzeptieren. Genau die Wertschätzung, die die PKK den Frauen entgegenbringt, hat meine Aufmerksamkeit erregt. Zeitweise hat mich meine Suche auch zur Religion geführt. Jedoch habe ich mich durch das Verständnis, dass Frauen nichts tun können, kein Recht und kein Rederecht haben unterdrückt gefühlt. Ich habe die Fotos der Guerilleras in den Zeitungen gesehen, habe ihre Geschichten gelesen. Ich habe gesehen, dass mensch in einem Zusammenschluß wie der PKK seine Wertschätzung nicht verliert, sondern noch gewinnt, dass es dort eine Gleichberechtigung zwischen Frauen und Männern gibt und mich entschlossen, der PKK beizutreten. Ich hoffte, in der PKK Lösungen auf meiner individuellen gedanklichen und emotionalen Suche zu finden. Mein Wunsch, mich und meine Fähigkeiten zu entwickeln, hat mich meine Ziele noch höher stecken lassen.
In meinen ersten Tagen in der Guerilla begann der Krieg mit der KDP. Auch wenn ich Teil der PKK war, so kannte ich diese nur militärisch. Nachdem eine Zeit vergangen war, erkannte ich meinen Irrtum. Da ich erst durch die PKK einen Sinn für mich gefunden hatte, erklärte ich mir alles auf der Grundlage, ob sie etwas wichtig fand. Ich selbst entwickelte nicht das geforderte Urteilsvermögen.
Mit der Gefangennahme unserer Parteiführung wurde ein demokratischer Prozeß auf der wissenschaftlichen Grundlage der PKK eingeleitet. Obwohl wir das wussten, war mit der Entführung des Vorsitzenden zunächst ein kollektiver Selbstmord im Gespräch, da wir es - auch wenn der Glaube und die Zusammengehörigkeit vorhanden war - nicht schafften, uns von der emotionalen Haltung zu lösen. Da wir uns aus der Unzulänglichkeiten unserer Persönlichkeiten heraus nicht davor retten konnten, ließen wir uns auf Rachegefühle ein. So war ich ein Opfer dieser Phase. Dann war die Demokratie- und Friedensphase im Gespräch. Ich hörte mir die früheren Reden unseres Vorsitzenden zu Demokratie an, ich las seine Bücher. Deshalb war ich nicht weiter irritiert. Ich wusste nun Bescheid, konnte den Sinn verstehen, aber weil ich die Strukturen meiner eigenen Persönlichkeit noch nicht geklärt hatte, habe ich den Krieg weiter als das Wesentliche gesehen. Innerlich hatte ich mich noch nicht aus der alten Situation gelöst. Mit der Erklärung des demokratischen Prozesses durch unsere Führung begriff ich, dass der Kampf noch intensiver geführt werden muß. Mit den Ergebnissen, die ich durch die Schulungen, Diskussionen und meiner Auseinandersetzung während dieser Phase erreicht habe, habe ich mich bemüht, meine früheren Unzulänglichkeiten und Schwierigkeiten zu überwinden und den Erfordernissen entsprechend vorzugehen. Ich bereite mich in vielerlei Hinsicht auf die Frage vor, was die Aufgabe einer Guerillera ist. Ich möchte meine ganze Kraft dafür einsetzen, unsere Führung, die Solidarität der Völker sowie den Kampf für Demokratie- und Frieden zu unterstützen. Im Krieg wie im Frieden - alles für das Glück der Freiheit. Würden wir sagen, dass es keine Erwartungen an die Intellektuellen und alle Organisationen, die für Demokratie und Frieden kämpfen, unsererseits gibt, wäre das nicht realistisch. Alle, die von sich als Menschen sprechen, im Alter zwischen sieben und siebzig, Frauen und Männer müssen sich um der Ehre der Menschheit willen, an den demokratischen Bemühungen beteiligen.