Staatlich verübte sexuelle Gewalt an Frauen Bericht des Istanbuler Projektes "Rechtliche Hilfe für Frauen, die von staatlichen Sicherheitskräften vergewaltigt oder auf andere Weise sexuell mißhandelt werden" Als wir mit dem Projekt begonnen haben, war uns die Dimension der an Frauen in allen ihren Lebensbereichen wie z.B. Familie, Schule und am Arbeitsplatz verübten sexuellen Gewalt sehr wohl bewußt. Basis unserer Arbeit ist jedoch ein Bereich, den zu erreichen und zu verfolgen besonders schwer ist: rechtliche Hilfe gegen staatlich verübte Gewalt. Unser Ziel ist es, denjenigen Frauen rechtlichen Beistand zukommen zu lassen, die durch staatliche Sicherheitskräfte wie Polizei, Militär, Dorfschützer, Abschwörer und Spezialeinheiten in Polizeihaft oder während der in Kriegsgebieten häufig vorkommenden Operationen in den Dörfern sexuell gefoltert oder vergewaltigt wurden. Kern der Arbeit besteht darin, den von staatlicher Gewalt betroffenen Frauen die Möglichkeiten, ihr Recht zu verlangen zu vermitteln und bewußt zu machen. Innerhalb eines Jahres Projektarbeit haben sich 66 Frauen an uns gewandt. Vier der Frauen lehnten es jedoch ab, rechtliche Schritte einzuleiten, während in den Fällen von 62 Frauen juristische Schritte unternommen wurden. 46 Verfahren befinden sich nach wie vor im Stadium staatsanwaltlicher Ermittlungen. 8 der eröffneten Gerichtsverfahren befinden sich in der ersten Instanz, 3 vor dem Kassationsgericht in der 2. und letzten Instanz. In 4 Fällen wurden Beschwerden zur Europäischen Kommission für Menschenrechte erhoben. Die ethnische Herkunft der jeweiligen Frauen verteilt sich wie folgt: 43 der Frauen sind Kurdinnen, 17 Türkinnen, 1 Deutsche und vier Frauen gehören den Roma und Sinti an. 52 der Frauen wurden aus politischen Gründen, 13 aus nicht politischen Gründen festgenommen, bzw. waren faktischer Repression ohne Festnahme ausgesetzt. Die Qualifizierung der verübten sexuellen Gewaltdelikte läßt sich wie folgt einteilen: 21 Fälle von Vergewaltigungen, 42 Fälle sexueller Folter anderer Art (sexuelle Mißhandlung), 1 Fall von Zwangsprostitution, 1 Tötungsdelikt mit sexuellem Hintergrund. Bei den staatlichen Tätern handelte es sich um 53 Polizisten, 5 Dorfschützer, 6 Gendarmen, 1 Abschwörer und 1 Soldat. Es ist offensichtlich, daß die gesetzlichen Regelungen, die im Arbeitsbereich des Projektes von Bedeutung sind, männliche Einstellungen widerspiegeln und die weibliche Identität in keinster Weise berücksichtigen. Im türkischen Strafgesetzbuch sind die Sexualstrafdelikte unter der Überschrift "Straftaten gegen die allgemeine Moral und familiäre Ordnung" zusammengefaßt. Die Definition von Vergewaltigung ist in äußerstem Maße eng und ungenügend, und sexuelle Mißhandlung und Nötigung hat als eigenständige Straftat im türkischen Strafgesetzbuch keinen Eingang gefunden, obwohl die überwiegende Mehrheit der in unseren Arbeitsbereich fallenden Fälle solche sexuelle Mißhandlung/Nötigung darstellen. Auch wenn etliche Aktivistinnen aus der Menschenrechtsarbeit es für ausreichend befinden, die Aussagen einer Frau über die durch staatliche Kräfte erlebte sexuelle Gewalt zur Grundlage des Strafverfahrens zu machen, muß in der Praxis der Gerichtsverfahren doch die Frau den Beweis für die Richtigkeit ihrer Aussagen erbringen. In der Praxis türkischer Gerichte ist der mögliche Nachweis erlebter sexueller Gewalt generell auf Gutachten beschränkt, die körperliche Spuren der Tat dokumentieren. Es ist jedoch allgemein bekannt, daß derartige Gutachten nur dann einen Sinn haben, wenn die Verletzung des Hymens innerhalb von zehn Tagen nach der Tat bei Betroffenen, die noch Jungfrauen waren, und sonst Spuren wie Sperma innerhalb von ca. 48 Stunden nachgewiesen werden können. Sind diese Zeitspannen vergangen, sind entsprechende Gutachten schwer einer Beweisführung zugänglich, da z.B. der Riß des Hymens als "alter" in das Attest eingeht. Seit Beginn unserer Arbeit im Projekt betonen wir daher die Wichtigkeit "psychologischer Gutachten" für die Beweisführung. Die Durchführung einer "Begutachtung aus psychischer Sicht ist in der Türkei jedoch fast unmöglich, was einerseits daran liegt, daß nur offizielle GutachterInnen der Gerichtsmedizin anerkannt sind und andererseits daran, daß die Zahl alternativer, unabhängig arbeitender Gutachterlnnen äußerst gering ist. Es ist weiterhin allgemein bekannt, wie ungeheuer schwer bis unmöglich es ist, Frauen, die sich in Polizeihaft oder in einer Haftanstalt befinden, in ein Krankenhaus überweisen zu lassen und durch entsprechende Einrichtungen ein qualifiziertes "psychologisches Gutachten" zu erhalten. Weiterhin ist festzustellen, daß Frauen in den Krisengebieten, die die erlebte sexuelle Gewalt zur Sprache und zur Anzeige bringen, mit noch schwerwiegenderen Folgen konfrontiert sind. Im allgemeinen werden Frauen, die Vergewaltigung und sexuelle Mißhandlung zur Anzeige bringen, durch staatliche Sicherheitskräfte gezwungen, gemeinsam mit ihren Familien die Gegend zu verlassen. Die Veröffentlichung und Anzeige erlebter sexueller Gewalt durch staatliche Kräfte bedeutet für die betroffenen Frauen und ihre Familien, jegliche Lebenssicherheit in diesem Gebiet zu verlieren. Einerseits bestehen die Probleme, mit denen Frauen in der Türkei und den kurdischen Gebieten bezüglich sexueller Gewalt auf rechtlicher und tatsächlicher Ebene konfrontiert sind, andererseits sind jedoch auch die internationalen Abkommen mangels eindeutiger Definitionen von gegen Frauen gerichteter sexueller Gewalt völlig unzureichend. Auf dem Kongreß der Vereinten Nationen von 1951, auf dem die Rechte und der Status der Flüchtlinge geregelt wurde, ist z.B. "Unterdrückung auf Grundlage des Geschlechts oder der sexuellen Identität" nicht als anerkannter Fluchtgrund aufgenommen worden. Vergewaltigung ist ein Kriegsverbrechen. Vor den nach dem zweiten Weltkrieg eingerichteten internationalen Kriegsverbrechertribunalen in Nürnberg und Tokio wurden etliche Kriegsverbrechen verfolgt, die Situation hunderttausender Frauen, an denen sexuelle Gewalt begangen worden war, war jedoch nicht Gegenstand der Tribunale. Erst nach den Ereignissen in Ruanda und Bosnien werden nunmehr das erstemal vor den durch die Vereinten Nationen eingerichteten internationalen Kriegsverbrechertribunalen an Frauen begangene verschiedene Formen sexueller Folter und Vergewaltigung eigenständig als (a) schwere Verletzung der Genfer Konventionen und ihrer Zusatzprotokolle, d.h. als schwere Kriegsverbrechen und (b) als Verbrechen gegen die Menschlichkeit verfolgt. Jede gegen die sexuelle Integrität von Frauen gerichtete Form von Gewalt, wie z.B. Vergewaltigung, Zwangsprostitution, zwangsweises Entkleiden vor den Augen anderer etc., auch wenn diese Tat einmalig und nur an einer Frau begangen wurde, zählt nun als Verletzung der Genfer Konventionen und damit als Kriegsverbrechen. Sobald diese Methoden in weit verbreiteter und systematischer Form zur Anwendung kommen, stellen sie zugleich ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit dar. Die in Rede stehenden Tribunale machen es nicht zur Bedingung, daß diese Taten auf Befehl eines Vorgesetzten hin erfolgten, sondern es genügt die Eigeninitiative einer am Konflikt beteiligten Person, um die Tat als Kriegsverbrechen zu bewerten. Im Juli 1998 wurde in Rom unter der Beteiligung von 120 Ländern ein ständiger internationaler Strafgerichtshof gegründet. Im Gründungsabkommen sind Taten, welche gegen Frauen gerichtete sexuelle Gewalt wie Folter, Vergewaltigung, sexuelle Sklaverei, Zwangsprostitution, etc. betreffen, als eigenständige Verbrechen in den Straftatenkatalog aufgenommen worden. Leider sind jedoch auch hier, wie in allen internationalen Beziehungen, die wechselseitigen staatlichen Interessen ausschlaggebend gewesen und für die mögliche Verfolgung eines Kriegsverbrechers vor diesem Gericht die Einwilligung desjenigen Landes vonnöten, dessen Staatsangehöriger er ist. Trotzdem hat die türkische Republik, die so viele Kriegsverbrecher bei sich beherbergt, noch nicht einmal dieses Abkommen unterzeichnet. Eren Keskin Dieser Beitrag ist gekürzt entnommen aus dem Kongreßreader "Texte zum internationalen Seminar in Istanbul: Staatlich verübte sexuelle Gewalt an Frauen." Die Autorin Eren Keskin ist Vizevorsitzende des IHD. Im Herbst muß sie eine einjährige Haftstrafe antreten. Begründung: Sie hat in einem Artikel den Begriff "Kurdistan" benutzt. (Aus: Türkei/Kurdistan. Mit deutschen Waffen gegen Menschenrechte, hrsg. vom Verein für friedens- und entwicklungspädagogische Öffentlichkeitsarbeit und der BUKO-Kampagne "Stoppt den Rüstungsexport!", Bremen 1999, S. 29f.) |