Projekt:
Rechtliche Hilfe für Frauen, die durch staatliche Sicherheitskräfte vergewaltigt oder auf andere Weise sexuell gefoltert wurden

Presseerklärung, August 1998

Als wir mit dem Projekt begonnen haben, war uns die Dimension der an Frauen in allen ihren Lebensbereichen wie z.B. in der Familie, Schule und am Arbeitsplatz verübten sexuellen Gewalt sehr wohl bewußt. Basis unserer Arbeit ist jedoch ein Bereich, den zu erreichen und zu verfolgen besonders schwer ist:
rechtliche Hilfe gegen staatlich verübte sexuelle Gewalt.
Unser Ziel ist es, denjenigen Frauen rechtlichen Beistand zukommen zu lassen, die durch staatliche Sicherheitskräfte wie Polizei, Militär, Dorfschützer, Abschwörer und Spezieleinheiten in Polizeihaft oder während der in den Kriegsgebieten häufig vorkommenden Operationen in den Dörfern sexuell gefoltert oder vergewaltigt wurden. Kern der Arbeit besteht darin, den von staatlicher sexueller Gewalt bestroffen Frauen die Möglichkeiten, ihr Recht zu verlangen, zu vermitteln und bewußt zu machen.

Innerhalb eines Jahres Projektarbeit haben sich 66 Frauen an uns gewandt. Vier der Frauen lehnten es jedoch ab, rechtliche Schritte einzuleiten, während in den Fällen von 62 Frauen juristische Schritte unternommen wurden. 46 Verfahren befinden sich nach wie vor im Stadium staatsanwaltlicher Ermittlungen. 8 der eröffneten Gerichtsverfahren befinden sich in der 1. Instanz, 3 vor dem Kassationsgericht in der 2. und letzten Instanz. in 4 Fällen wurden Beschwerden zur Europäischen Komission für Menschenerchte erhoben.

Die ethnische Herkunft der jeweiligen Frauen verteilt sich wie folgt: 43 der Frauen sind Kurdinnen, 17 Türkinnen, 1 Deutsche und 4 Frauen gehören den Roma und Sinti an.

52 der Frauen wurden aus politischen Gründen, 13 aus nicht politischen Gründen festgenommen, bzw. waren faktischer Repression ohne Festnahme ausgesetzt.

Die Qualifizierung der verübten sexuellen Gewaltdelikte läßt sich wie folgt einteilen: 21 Fälle von Vergewaltigungen, 42 Fälle sexueller Folter anderer Art (sexuelle Mißhandlung), 1 Fall von Zwangsprostitution, 1 Tötungsdelikt mit sexuellem Hintergrund.

Bei den staatlichen Tätern handelt es sich um 53 Polizisten, 5 Dorfschützer, 6 Gendarma, 1 Abschwörer und 1 Soldat.

Es ist offensichtlich, daß die gesetzlichen Regelungen, die im Arbeitsbereich des Projektes von Bedeutung sind, männliche Einstellungen wiederspiegeln und die weibliche Identität in keinster Weise berücksichtigen. Im Türkischen Strafgesetztbuch sind die Sexualstrafdelikte unter der Überschrift “Straftaten gegen die allgemeine Moral und die familiäre Ordnung” zusammengefaßt. Die Definition von Vergewaltigung ist in äußerstem Maße eng und ungenügend und sexuelle Mißhandlung bzw. Nötigung hat als eigenständige Straftat im Türkischen Strafgesetzbuch keinen Eingang gefunden, obwohl die überwiegende Mehrheit der in unseren Arbeitsbereich fallenden Fälle solche sexueller Mißhandlung/ Nötigung darstellen.
Auch wenn etliche Aktivistinnen aus der Menschenrechtsarbeit es für ausreichend befinden, die Aussagen einer Frau über die durch staatliche Kräfte erlebte sexuelle Gewalt zur Grundlage des Strafverfahrens zu machen, muß in der Praxis der Gerichtsverfahren doch die Frau den Beweis für die Richtigkeit ihrer Aussage erbringen.
In der Praxis türkischer Gerichte ist der mögliche Nachweis erlebter sexueller Gewalt generell auf Gutachten beschränkt, die körperliche Spuren der Tat dokumentieren. Es ist jedoch allgemein bekannt, daß derartige Gutachten nur dann einen Sinn haben, wenn die Verletzung des Hymens innerhalb von 10 Tagen nach der Tat bei Betroffenen, die noch Jungfrauen waren, und sonst Spuren wie Sperma innerhalb von ca. 48 Stunden nachgewiesen werden kann. Sind diese Zeitspannen vergangen, sind entsprechende Gutachten schwer einer Beweisführung zugänglich, da z.B. der Riß des Hymens als “alter” in das Attest eingeht.

Seit Beginn unserer Arbeit im Projekt betonen wir daher die Wichtigkeit “psychologischer Gutachten” für die Beweisführung. Die Durchführung einer “Begutachtung aus psychischer Sicht” ist in der Türkei jedoch fast unmöglich, was einerseits daran liegt, daß nur offizielle Gutachter/innen der Gerichtsmedizin anerkannt sind und andererseits daran, daß die Zahl  alternativer, unabhängig arbeitender Gutachter/innen äußerst gering ist. Es ist weiterhin allgemein bekannt, wie ungeheuer schwer bis unmöglich es ist, Frauen, die sich in Polizeihaft oder in einer Haftanstalt befinden, in ein Krankenhaus überweisen zu lassen und durch entsprechende Einrichtungen ein qulifiziertes “psychologisches Gutachten” zu erhalten.

Weiterhin ist festzustellen, daß Frauen in den Kriegsgebieten, die die erlebte sexuelle Gewalt zur Sprache und zur Anzeige bringen, mit noch schwerwiegenderen Folgen konfrontiert sind. Im allgemeinen werden Frauen, die Vergewaltigung und sexuelle Mißhandlung zur Anzeige bringen, durch staatliche Sicherheitskräfte gezwungen, gemeinsam mit ihren Familien die Gegend zu verlassen. Die Veröffentlichung und Anzeige erlebter sexueller Gewalt durch staatliche Kräfte bedeutet für die betroffenen Frauen und ihre Familien, jegliche Lebenssicherheit in diesem Gebiet zu verlieren.

Einerseits bestehen die Probleme, mit denen Frauen in der Türkei und in den kurdischen Gebieten bezüglich sexueller Gewalt auf rechtlicher und tatsächlicher Ebene konfrontiert sind, andererseits sind jedoch auch die internationalen Abkommen mangels eindeutiger Definitionen von gegen Frauen gerichteter sexueller Gewalt völlig unzureichend. Auf dem Krongreß der Vereinten Nationen von 1951, auf dem die Rechte und der Status der Flüchtlinge geregelt wurde, ist z.B. “Unterdrückung auf Grundlage des Geschlechts oder der sexuellen Identität” nicht als anerkannter Fluchtgrund aufgenommen worden.

Eine wichtige Schlußfolgerung, die wir aus den Erfahrungen mit den an uns gerichteten Anträgen ziehen können, ist die, daß unabhängig vom Hintergrung der Gewaltausübung wie z.B. die nationale Identität der Frauen oder ihre politischen Ansichten oder ihre soziale Situation, die anschließend durchlebten physischen und psychischen Traumata einander sehr ähnlich sind.

Wir werden anhand von Beispielen aus unserem Arbeitsbereich die Probleme verdeutlichen, die bei der Verfolgung staatlicher sexueller Gewalt entstehen. Hierbei wurden sowohl neue Anträge als auch Verfahren, die noch andauern oder nach Ausschöpfung der innerstaatlichen Rechtsmittel bei der Europäischen Kommission für Menschenrechte anhängig sind, berücksichtigt.

Das erste der Beispiele betrifft das Verfahren Remziye DINÇ’s. Wie in der Öffentlichkeit bekannt ist, wurde die Verletzte Anfang 1995 im Dorf Sican in der Provinz Batman/ Kozluk an verschiedenen Tagen durch drei Dorfschützer vergewaltigt. Sie wurde schwanger und brachte ein Kind zur Welt, das sie nicht wollte. Gegen die Dorfschützer wurde vor dem Schwurgericht Batman ein Verfahren wegen Vergewaltigung gem. Art. 416 Türkisches Strafgesetzbuch eröffnet. Bei diesem Verfahren handelte es sich um ein Verfahren, in dem die Vergewaltigung an sich nachgewiesen und die Beweismittel genügend waren. Durch einen Vaterschaftstest war einer der Dorfschützer als Vater des Kindes festgestellt und durch Gutachten sowohl der Gerichtsmedizin als auch des Psychosozialen Traumazentrums der medizinischen Fakultät Çapa/ Ýstanbul war die psychische Traumatisierung der jungen Frau aufrund der erfahrenen Gewalt bestätigt worden. Am Tag der Urteilsverkündung bestätigte sich durch das ergangene Urteil jedoch ein weiteres Mal, daß in der Türkei sowohl innerstaatlichem Recht als auch internationalen Rechtsnormen keinerlei Bedeutung zukommt. Wichtig ist lediglich, die Ehre der in den Reihen staatlicher Sicherheitskräfte Dienst tuenden Dorfschützer und damit indirekt das Ansehen des Staates zu schützen.
Das Gericht kam zu der Entscheidung, daß die am Tag der Tat kaum 18-jährige Remziye Dinç mit dem sie vergewaltigenden Dorfschützer eine freiwillige sexuelle Beziehung eingegangen sei. In der Akte befand sich jedoch keinerlei Beleg, der eine solche Entscheidung rechtfertigen könnte.
Das Verfahren Remziye Dinç’s hat uns ein weiteres Mal gelehrt, daß die rechtlichen Regelungen in diesem Land nur für eine mit Gewaltbefugnissen ausgestattete Minderheit Geltung haben.

Ein weiteres Beispiel ist die Geschichte H.Ö.’s. H.Ö., 22 Jahre alt und verheiratet, lebte im Dorf Nordin bei Mus/Malazgirt und ist Mutter eines am Tag der Tat gerade sechs Tage alten Kindes.
Am 9.Juni 1998 betrat einer der im Dorf agierenden Dorfschützer, Abdulkadir ERKOÇAK, ihr Haus, als sie sich dort gerade alleine aufhielt. Er richtete seine Waffe auf sie und vergewaltigte sie. Gleich nach dem Vorfall rannte sie ins Dorf und berichtete das Erlebte ihrer Familie. Sie erstatteten Anzeige bei der Staatsanwaltschaft. Ab diesem Moment begannen die Drohungen. H.Ö. und ihre gesamte Familie wurde von den Dorfsdchützern mit dem Tode bedroht und gezwungen, ihre Ausage zu ändern. Ihr blieb nur die Wahl zwischen zwei Möglichkeiten: Entweder bleibt sie bei ihrer alten Aussage und bringt  damit sich und ihre Familie in eine lebensbedrohliche Situation oder sie ändert ihre Aussage ab und versucht so, ihre Familie zu schützen. Verständlicherweise wählte sie den zweiten Weg. Jedoch auch hiermit gaben sich die Dorfschützer nicht zufrieden und diesmal boten sie ihr Geld an, damit sie vollständig von dem Verfahren Abstand nimmt.
Die Familie, die es bis zu diesem Tage trotz aller Drohungen und Repressionen abgelehnt hatte, sich durch den Staat bewaffnen zu lassen und Dorfschützer zu werden, lehnte nun diesen unmoralischen Vorschlag auch ab. Hierdurch waren für sie jedoch alle Möglichkeiten verloren, in dem Dorf weiter zu leben. Zuletzt war die Familie nicht mehr in der Lage, dem physischen, psychischem und sozialen Druck standzuhalten und sah sich gezwungen, wie soviele vor ihnen, ihre Heimat zu verlassen. Trotz all dieser negativen Entwicklungen ist H.Ö entschlossen, ihr Recht einzufordern. Durch das Projekt wird jetzt versucht, einen Untersuchungebericht über die psychischen Traumafolgen der Tat zu erhalten. Sobald dieser Bericht vorliegt, werden sämtliche innerstaatlichen und internationalen Rechtswege ausgeschöpft.

Bevor wir zum nächsten Beispiel kommen, muß erwähnt werden, daß das Ziel staatlich verübter sexueller Gewalt in der Zerstörung der durch die Frau repräsentierten z.B. nationalen Identität oder der von ihr vertretenen poloitischen Ansichten bestehen kann, daß aber insbesondere die Zerstörung der weiblichen Identität beabsichtigt ist.

Die zwei Frauen des folgenden Beispiels sind aus sehr anderen Gründen festgenommen worden, als diejenigen der Fälle, die wir bis heute veröffentlicht haben. N. und P. wurden auf einem Spaziergang durch zivile Beamte wegen Verdachts auf Diebstahl festgenommen. Sie wurden zum Polizeipräsidium Gayrettepe gebracht und unter Gewaltanwendung völlig entkleidet, wobei die Beamten sie sexuell mißhandelten und ihre Brüste quetschten.
N. war zu dieser Zeit schwanger, was sie den Beamten auch mitteilte. Diese interessierte das jedoch keineswegs. Sie warfen N. zu Boden, spreitzten mit Gewalt ihre Beine und ein Polizist spuckte ihr zwischen die Beine. Unter Beschimpfungen drückten sie ihren Kopf zwischen ihre Beine und schlugen mit ihren Schlagstöcken auf ihren Rücken. Einer der Beamten drohte ihr: “Dieses Kind wirst du verlieren und dann bekommst du eins von mir.”
P. war erst 14 Jahre alt. Auch sie wurde splittenackt ausgezogen und beschimpft. Einer der Beamten zog seinen Penis aus der Hose, quetschte ihn ihr in den Mund und zwang sie so zu oralem Sex. Danach warfen sie sie, nackt wie sie war, in eine Zelle mit männlichen Gefangenen.
Nachdem eine Weile vergangen war führten Beamte die beiden Frauen in entkleidetem Zustand durch die Korridore in einen anderen Teil des Gebäudes. Hier warfen sie sie zu Boden und zielten mit einem unter Hochdruck gespritztem Wasserstrahl insbesondere auf ihre Vaginas.
Sie führten den Schlauch in die Vagina P.’s und haben sie damit nach unserer Definition von Vergewaltigung gem. Art. 414 ff. Türkisches Strafgesetzbuch vergewaltigt.

Wir denken, daß auch das Beispiel E.J.’s  zum Verständnis der Logik, die staatlich angewandter sexueller Gewalt zugrunde liegt, von Bedeutung ist.

E.J. wurde am 6.10.1997 in Südkurdistan am Ufer des Flusses “Avaþin” durch Einheiten der Gebirgskommandos der Türkischen Republik festgenommen. Ab dem Augenblick ihrer Festnahme war sie sowohl im Hinblick auf die Gesetze der Türkei als auch im Hinblick auf internationale Abkommen etlichen rechtswidrigen Behandlungen ausgesetzt. Sie wurde psychisch unter Druck gesetzt und es wurde ihr damit gedroht, sie aus dem fliegenden Helikopter zu werfen. Am 24.10.1997 wurde sie zum Staatskrankenhaus Hakkari gebracht. Hier zogen sie 6 - 7 Gendarma unter Gewaltanwendung nackt aus und sie wurde von einem Arzt, der den “Schwur des Hippokrates” leistete, gegen ihren Willen zwangsweise einer Jungfräulichkeitskontrolle unterzogen. Während dieser Untersuchung blieben die Gendarma, die sie mit Gewalt festhielten, im Raum.

In einer der Hauptverhandlungen des gegen E.J. eingeleiteten Strafverfahrens wurde von uns der Antrag gestellt, daß gegen die Beteiligten an dieser gesetzeswidrigen Jungfräulichkeitskontrolle, die offensichtlich eine Straftat in Form eines sexuellen Angriffes darstellt, Ermittlungen eingeleitet werden. Die auf unseren Antrag hin erfolgte staatsanwaltliche Stellungnahme bringt in Schriftform die offizille staatliche Politik zu diesem Thema sehr klar zum Ausdruck.
So führte der Staatsanwalt aus, daß “weibliche Terroristen mit dem Ziel, die Staatssicherheitskräfte zu verunglimpfen, ständig behaupten, sei seien vergewaltigt worden. Die Durchführung von Jungfräulichkeitskontrollen sollen diesen Behauptungen vorbeugen und stellen daher keine Straftat dar.”
Mit dieser Erklärung tritt nochmals klar zu Tage, daß die in den letzten Tagen veröffentlichten Stellungnahmen des Ministers für Menschenrechte Hikmet Sami TÜRK und der Ministerin für Familie Iþilay SAYGIN, unter Zwang durchgeführte Jungfräulichkeitskontrollen würden nunmehr als Straftaten verfolgt, reine Augenwischerei sind.

Wir kennen die Schwierigkeiten im Innenleben der Frauen, die durch staatliche Kräfte sexuell mißhandelt und vergewaltigt wurden und auch das Ausmaß staatlicher Repression gegen die Frauen, die die erlebte staatliche sexuelle Gewalt öffentlich zur Sprache gebracht haben. Die staatliche Repression kann dabei soweit gehen, daß die selbe Gewaltstraftat nochmals an der Frau begangen wird. Die Situation M.F.’s, die unser Büro mit ihrer Vertretung beauftragt hat, ist ein Beispiel hierfür.

M.F. wurde 1994 nach ihrer ersten Festnahme in Diyarbakir schwer gefoltert. In der 8. Nacht ihrer Polizeihaft wurde sie durch Beamte zu einem offenen Gelände gebracht. Dort wurde sie vollständig entkleidet, verkrümmt in einen Reifen gequetscht und in diesem durch die Gegend gerollt. Nachdem sie wieder aus dem Reifen hinausgezogen worden war, warfen die Beamten sie zu Boden und einer der Beamten vergewaltigte sie.
Im Anschluß an die Polizeihaft erging Haftbefehl gegen sie und sie wurde ins Gefängnis überführt.
Lange Zeit konnte M.F. mit niemandem über das Erlebte sprechen. Nach ihrer Entlassung wurde sie 1997 in Istanbul erneut festgenommen. Wieder wurde sie schwer gefoltert und im Anschluß in U-Haft genommen. Aufgrund der erlebten Angriffe war sie psychisch traumatisiert und durchlebte schwere Krisen. Erst jetzt berichtete sie uns von der sexuellen Folter, die 1994 an ihr begangen worden war und über die sie so lange nicht reden konnte. Unser Projekt hat daraufhin Anzeige erstattet. Ohne jedoch auch nur die Aussage M.F.’s aufzunehmen oder andere Ermittlungen durchzuführen hat die zuständige Staatsanwaltschaft Diyarbakir das Verfahren eingestellt. Die hiergegen durch unser Projekt erhobene Beschwerde wurde durch das zuständige Strafgericht Diyarbakir verworfen. Hiermit sind die innerstaatlichen Rechtsmittel erschöpft und die Beschwerde im Fall M.F. an die Europäische Kommission für Menschenrechte befindet sich in Vorbereitung.

Mittlerweile war M.F. erneut aus der Haft entlassen worden. Nach der Entlassung begab sie sich für kurze Zeit in eine Therapie, wordurch sie sich “relativ” stabilisiert hat. Aber aufgrund des erlebten Traumas, konnte sie sich nicht mehr vorstellen, in diesem Land weiterzuleben. Sie wollte nach Europa. Eine Weile meldete sie sich bei niemandem. Doch eines Tages rief sie unser Büro an und das, was sie uns am Telefon mitteilte, belegt nochmals die erschreckende Dimension der durch staatliche Kräfte praktizierten sexuellen Gewalt in der Türkei: M.F. war kurz vor ihrer Ausreise ein weiteres Mal festgenommen worden und dieses Mal war die Festnahme bei der Staatsanwaltschaft nicht registriert worden. Die Polizisten drohten ihr: “Niemand weiß, daß du dich in unseren Händen befindest, also...” und “Warum hast du von der Vergewaltigung berichtet und was soll die Anzeigenerstattung gegen die Polzei?” Sieben Tage lang wurde sie mit verbundenen Augen festgehalten und an diesem Ort von den Beamten jeden Tag vergewaltigt.
Als sie am Telefon hiervon berichtete, sagte sie, daß sie unbedingt eine Therapie möchte, daß sie keine Widerstandskräfte mehr habe und daß sie sich sonst umbringen würde.

All diese Ereignisse, von denen wir hier berichtet haben, mögen Außenstehenden vielleicht wie “böse Geschichten” erscheinen. Aber es sind die offiziellen staatlichen Sicherheitskräfte eines Staates an der Schwelle zum 21. Jahrhundert, der damit liebäugelt, “Europäisch” zu sein, die die “Helden” dieser “bösen” aber wahren Geschichten stellen.

Es darf auch nicht vergessen werden, daß die Zahl derjenigen Frauen, die sich während des einjährigen Bestehens unseres Projektes an uns wandten, nur einen Bruchteil des eigentlichen tatsächlichen Ausmaßes ausmacht. Wie wir bereits vorher beschrieben haben, braucht es manchmal Jahre, bis Frauen, die von staatlicher sexueller Gewalt betroffen waren, hiervon berichten und häufig geschieht dies gar nicht.

Dies ist jedoch nicht nur hier so: in allen Gegenden der Welt, in denen bewaffnete Auseinandersetzungen oder Kriege stattfinden, werden Frauen als “Kriegsbeute” und als Mittel in dem Bemühen, dem “Gegner” Niederlagen zu bereiten, betrachtet.

Hierzu einige Beispiele aus verschiedenen Ländern:
Während des zweiten Weltkrieges wurden über 200.000 Frauen Opfer sexueller Gewalt, von Vergewaltigung und Zwangsprostitution.
In der Periode des Hitlerfaschismus kam es zu tausenden Vergewaltigungen.
Im Jahre 1937 wurden während der Besatzung der chinesischen Stadt Nanking durch japanische Truppen innerhalb nur eines Monats über 20.000 Frauen vergewaltigt.
1971 wurden nach der Loslösung und Erklärung der Unabhängigkeit Bangladesh’s von Pakistan über 200.000 bengalische Frauen durch pakistanische Soldaten vergewaltigt.
Während der Besatzung Kuweits wurden über 5000 kuweitische Frauen durch Soldaten des faschistischen Saddam Regimes vergewaltigt.
Während des 1994 in Ruanda stattfindenden Genozids wurden 250.000 bis 500.000 Frauen vergewaltigt.
Und es ist bekannt, daß zehntausende Frauen in Bosnien von Vergewaltigungen betroffen sind.

Vergewaltigung ist ein Kriegsverbrechen.Vor den nach dem zweiten Weitkrieg eingerichteten internationalen Kriegsverbrechertribunalen in Nürnberg und Tokio wurden etliche Kriegsverbrechen verfolgt, die Situation hunderttausender Frauen, an denen sexuelle Gewalt begangen worden war, war jedoch nicht Gegenstand der Tribunale. Erst nach den Ereignissen in Ruanda und Bosnien werden nunmehr das erstemal vor den durch die Vereinten Nationen eingerichteten Internationalen Kriegsverbrechertribunalen an Frauen begangene verschiedene Formen sexueller Folter und Vergewaltigung eigenständig als
a) schwere Verletzung der Genfer Konventionen und ihrer Zusatzprotkolle, d.h. als schwere Kriegsverbrechen und
b) als Verbechen gegen die Menschlichkeit verfolgt.

Jede gegen die sexuelle Integrität von Frauen gerichtete Form von Gewalt, wie z.B. Vergewaltigung, Zwangsprostitution, zwangsweises Entkleiden vor den Augen anderer etc., auch wenn diese Tat einmalig und nur an einer Frau begangen wurde, zählt nun als Verletzung der Genfer Konventionen und damit als Kriegsverbrechen. Sobald diese Methoden in weit verbreitet und systematischer Form zur Anwendung kommen, stellen sie zugleich ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit dar. Die in Rede stehenden Tribunale machen es nicht zur Bedingung, daß diese Taten auf den Befehl eines Vorgesetzten hin erfolgten, sondern es genügt die Eigeninitiative einer am Konflikt beteiligten Person, um die Tat als Kriegsverbrechen zu bewerten.

Im Juli 1998 wurde in Rom unter Beteiligung von 120 Ländern ein ständiger internationaler Strafgerichtshof gegründet. Im Gründungsabkommen sind Taten, welche gegen Frauen gerichtete sexuelle Gewalt wie Folter, Vergewaltigung, sexuelle Sklaverei, Zwangsprostitution etc. betreffen, als eigenständige Verbrechen in den Straftatenkatalog aufgenommen worden. Leider sind jedoch auch hier, wie in allen internationalen Beziehungen, die wechselseitigen staatlichen Interessen ausschlaggebend gewesen und für die mögliche Verfolgung eines Kriegsverbrechers vor diesem Gericht ist die Einwilligung desjenigen Landes vonnöten, dessen Staatsangehöriger er ist.

Trotzdem hat die Türkische Republik, die so viele Kriegsverbrecher bei sich beherbergt, noch nicht einmal dieses Abkommen unterzeichnet.