Projekt:
Rechtliche Hilfe für Frauen, die durch staatliche Sicherheitskräfte vergewaltigt oder auf andere Weise sexuell gefoltert wurden Presseerklärung, August 1998 Als wir mit dem Projekt begonnen haben, war uns die Dimension der an
Frauen in allen ihren Lebensbereichen wie z.B. in der Familie, Schule
und am Arbeitsplatz verübten sexuellen Gewalt sehr wohl bewußt.
Basis unserer Arbeit ist jedoch ein Bereich, den zu erreichen und zu verfolgen
besonders schwer ist: Innerhalb eines Jahres Projektarbeit haben sich 66 Frauen an uns gewandt. Vier der Frauen lehnten es jedoch ab, rechtliche Schritte einzuleiten, während in den Fällen von 62 Frauen juristische Schritte unternommen wurden. 46 Verfahren befinden sich nach wie vor im Stadium staatsanwaltlicher Ermittlungen. 8 der eröffneten Gerichtsverfahren befinden sich in der 1. Instanz, 3 vor dem Kassationsgericht in der 2. und letzten Instanz. in 4 Fällen wurden Beschwerden zur Europäischen Komission für Menschenerchte erhoben. Die ethnische Herkunft der jeweiligen Frauen verteilt sich wie folgt: 43 der Frauen sind Kurdinnen, 17 Türkinnen, 1 Deutsche und 4 Frauen gehören den Roma und Sinti an. 52 der Frauen wurden aus politischen Gründen, 13 aus nicht politischen Gründen festgenommen, bzw. waren faktischer Repression ohne Festnahme ausgesetzt. Die Qualifizierung der verübten sexuellen Gewaltdelikte läßt sich wie folgt einteilen: 21 Fälle von Vergewaltigungen, 42 Fälle sexueller Folter anderer Art (sexuelle Mißhandlung), 1 Fall von Zwangsprostitution, 1 Tötungsdelikt mit sexuellem Hintergrund. Bei den staatlichen Tätern handelt es sich um 53 Polizisten, 5 Dorfschützer, 6 Gendarma, 1 Abschwörer und 1 Soldat. Es ist offensichtlich, daß die gesetzlichen Regelungen, die im
Arbeitsbereich des Projektes von Bedeutung sind, männliche Einstellungen
wiederspiegeln und die weibliche Identität in keinster Weise berücksichtigen.
Im Türkischen Strafgesetztbuch sind die Sexualstrafdelikte unter
der Überschrift “Straftaten gegen die allgemeine Moral und die familiäre
Ordnung” zusammengefaßt. Die Definition von Vergewaltigung ist in
äußerstem Maße eng und ungenügend und sexuelle Mißhandlung
bzw. Nötigung hat als eigenständige Straftat im Türkischen
Strafgesetzbuch keinen Eingang gefunden, obwohl die überwiegende
Mehrheit der in unseren Arbeitsbereich fallenden Fälle solche sexueller
Mißhandlung/ Nötigung darstellen. Seit Beginn unserer Arbeit im Projekt betonen wir daher die Wichtigkeit “psychologischer Gutachten” für die Beweisführung. Die Durchführung einer “Begutachtung aus psychischer Sicht” ist in der Türkei jedoch fast unmöglich, was einerseits daran liegt, daß nur offizielle Gutachter/innen der Gerichtsmedizin anerkannt sind und andererseits daran, daß die Zahl alternativer, unabhängig arbeitender Gutachter/innen äußerst gering ist. Es ist weiterhin allgemein bekannt, wie ungeheuer schwer bis unmöglich es ist, Frauen, die sich in Polizeihaft oder in einer Haftanstalt befinden, in ein Krankenhaus überweisen zu lassen und durch entsprechende Einrichtungen ein qulifiziertes “psychologisches Gutachten” zu erhalten. Weiterhin ist festzustellen, daß Frauen in den Kriegsgebieten, die die erlebte sexuelle Gewalt zur Sprache und zur Anzeige bringen, mit noch schwerwiegenderen Folgen konfrontiert sind. Im allgemeinen werden Frauen, die Vergewaltigung und sexuelle Mißhandlung zur Anzeige bringen, durch staatliche Sicherheitskräfte gezwungen, gemeinsam mit ihren Familien die Gegend zu verlassen. Die Veröffentlichung und Anzeige erlebter sexueller Gewalt durch staatliche Kräfte bedeutet für die betroffenen Frauen und ihre Familien, jegliche Lebenssicherheit in diesem Gebiet zu verlieren. Einerseits bestehen die Probleme, mit denen Frauen in der Türkei und in den kurdischen Gebieten bezüglich sexueller Gewalt auf rechtlicher und tatsächlicher Ebene konfrontiert sind, andererseits sind jedoch auch die internationalen Abkommen mangels eindeutiger Definitionen von gegen Frauen gerichteter sexueller Gewalt völlig unzureichend. Auf dem Krongreß der Vereinten Nationen von 1951, auf dem die Rechte und der Status der Flüchtlinge geregelt wurde, ist z.B. “Unterdrückung auf Grundlage des Geschlechts oder der sexuellen Identität” nicht als anerkannter Fluchtgrund aufgenommen worden. Eine wichtige Schlußfolgerung, die wir aus den Erfahrungen mit den an uns gerichteten Anträgen ziehen können, ist die, daß unabhängig vom Hintergrung der Gewaltausübung wie z.B. die nationale Identität der Frauen oder ihre politischen Ansichten oder ihre soziale Situation, die anschließend durchlebten physischen und psychischen Traumata einander sehr ähnlich sind. Wir werden anhand von Beispielen aus unserem Arbeitsbereich die Probleme verdeutlichen, die bei der Verfolgung staatlicher sexueller Gewalt entstehen. Hierbei wurden sowohl neue Anträge als auch Verfahren, die noch andauern oder nach Ausschöpfung der innerstaatlichen Rechtsmittel bei der Europäischen Kommission für Menschenrechte anhängig sind, berücksichtigt. Das erste der Beispiele betrifft das Verfahren Remziye DINÇ’s.
Wie in der Öffentlichkeit bekannt ist, wurde die Verletzte Anfang
1995 im Dorf Sican in der Provinz Batman/ Kozluk an verschiedenen Tagen
durch drei Dorfschützer vergewaltigt. Sie wurde schwanger und brachte
ein Kind zur Welt, das sie nicht wollte. Gegen die Dorfschützer wurde
vor dem Schwurgericht Batman ein Verfahren wegen Vergewaltigung gem. Art.
416 Türkisches Strafgesetzbuch eröffnet. Bei diesem Verfahren
handelte es sich um ein Verfahren, in dem die Vergewaltigung an sich nachgewiesen
und die Beweismittel genügend waren. Durch einen Vaterschaftstest
war einer der Dorfschützer als Vater des Kindes festgestellt und
durch Gutachten sowohl der Gerichtsmedizin als auch des Psychosozialen
Traumazentrums der medizinischen Fakultät Çapa/ Ýstanbul
war die psychische Traumatisierung der jungen Frau aufrund der erfahrenen
Gewalt bestätigt worden. Am Tag der Urteilsverkündung bestätigte
sich durch das ergangene Urteil jedoch ein weiteres Mal, daß in
der Türkei sowohl innerstaatlichem Recht als auch internationalen
Rechtsnormen keinerlei Bedeutung zukommt. Wichtig ist lediglich, die Ehre
der in den Reihen staatlicher Sicherheitskräfte Dienst tuenden Dorfschützer
und damit indirekt das Ansehen des Staates zu schützen. Ein weiteres Beispiel ist die Geschichte H.Ö.’s. H.Ö., 22 Jahre
alt und verheiratet, lebte im Dorf Nordin bei Mus/Malazgirt und ist Mutter
eines am Tag der Tat gerade sechs Tage alten Kindes. Bevor wir zum nächsten Beispiel kommen, muß erwähnt werden, daß das Ziel staatlich verübter sexueller Gewalt in der Zerstörung der durch die Frau repräsentierten z.B. nationalen Identität oder der von ihr vertretenen poloitischen Ansichten bestehen kann, daß aber insbesondere die Zerstörung der weiblichen Identität beabsichtigt ist. Die zwei Frauen des folgenden Beispiels sind aus sehr anderen Gründen
festgenommen worden, als diejenigen der Fälle, die wir bis heute
veröffentlicht haben. N. und P. wurden auf einem Spaziergang durch
zivile Beamte wegen Verdachts auf Diebstahl festgenommen. Sie wurden zum
Polizeipräsidium Gayrettepe gebracht und unter Gewaltanwendung völlig
entkleidet, wobei die Beamten sie sexuell mißhandelten und ihre
Brüste quetschten. Wir denken, daß auch das Beispiel E.J.’s zum Verständnis der Logik, die staatlich angewandter sexueller Gewalt zugrunde liegt, von Bedeutung ist. E.J. wurde am 6.10.1997 in Südkurdistan am Ufer des Flusses “Avaþin” durch Einheiten der Gebirgskommandos der Türkischen Republik festgenommen. Ab dem Augenblick ihrer Festnahme war sie sowohl im Hinblick auf die Gesetze der Türkei als auch im Hinblick auf internationale Abkommen etlichen rechtswidrigen Behandlungen ausgesetzt. Sie wurde psychisch unter Druck gesetzt und es wurde ihr damit gedroht, sie aus dem fliegenden Helikopter zu werfen. Am 24.10.1997 wurde sie zum Staatskrankenhaus Hakkari gebracht. Hier zogen sie 6 - 7 Gendarma unter Gewaltanwendung nackt aus und sie wurde von einem Arzt, der den “Schwur des Hippokrates” leistete, gegen ihren Willen zwangsweise einer Jungfräulichkeitskontrolle unterzogen. Während dieser Untersuchung blieben die Gendarma, die sie mit Gewalt festhielten, im Raum. In einer der Hauptverhandlungen des gegen E.J. eingeleiteten Strafverfahrens
wurde von uns der Antrag gestellt, daß gegen die Beteiligten an
dieser gesetzeswidrigen Jungfräulichkeitskontrolle, die offensichtlich
eine Straftat in Form eines sexuellen Angriffes darstellt, Ermittlungen
eingeleitet werden. Die auf unseren Antrag hin erfolgte staatsanwaltliche
Stellungnahme bringt in Schriftform die offizille staatliche Politik zu
diesem Thema sehr klar zum Ausdruck. Wir kennen die Schwierigkeiten im Innenleben der Frauen, die durch staatliche Kräfte sexuell mißhandelt und vergewaltigt wurden und auch das Ausmaß staatlicher Repression gegen die Frauen, die die erlebte staatliche sexuelle Gewalt öffentlich zur Sprache gebracht haben. Die staatliche Repression kann dabei soweit gehen, daß die selbe Gewaltstraftat nochmals an der Frau begangen wird. Die Situation M.F.’s, die unser Büro mit ihrer Vertretung beauftragt hat, ist ein Beispiel hierfür. M.F. wurde 1994 nach ihrer ersten Festnahme in Diyarbakir schwer gefoltert.
In der 8. Nacht ihrer Polizeihaft wurde sie durch Beamte zu einem offenen
Gelände gebracht. Dort wurde sie vollständig entkleidet, verkrümmt
in einen Reifen gequetscht und in diesem durch die Gegend gerollt. Nachdem
sie wieder aus dem Reifen hinausgezogen worden war, warfen die Beamten
sie zu Boden und einer der Beamten vergewaltigte sie. Mittlerweile war M.F. erneut aus der Haft entlassen worden. Nach der
Entlassung begab sie sich für kurze Zeit in eine Therapie, wordurch
sie sich “relativ” stabilisiert hat. Aber aufgrund des erlebten Traumas,
konnte sie sich nicht mehr vorstellen, in diesem Land weiterzuleben. Sie
wollte nach Europa. Eine Weile meldete sie sich bei niemandem. Doch eines
Tages rief sie unser Büro an und das, was sie uns am Telefon mitteilte,
belegt nochmals die erschreckende Dimension der durch staatliche Kräfte
praktizierten sexuellen Gewalt in der Türkei: M.F. war kurz vor ihrer
Ausreise ein weiteres Mal festgenommen worden und dieses Mal war die Festnahme
bei der Staatsanwaltschaft nicht registriert worden. Die Polizisten drohten
ihr: “Niemand weiß, daß du dich in unseren Händen befindest,
also...” und “Warum hast du von der Vergewaltigung berichtet und was soll
die Anzeigenerstattung gegen die Polzei?” Sieben Tage lang wurde sie mit
verbundenen Augen festgehalten und an diesem Ort von den Beamten jeden
Tag vergewaltigt. All diese Ereignisse, von denen wir hier berichtet haben, mögen Außenstehenden vielleicht wie “böse Geschichten” erscheinen. Aber es sind die offiziellen staatlichen Sicherheitskräfte eines Staates an der Schwelle zum 21. Jahrhundert, der damit liebäugelt, “Europäisch” zu sein, die die “Helden” dieser “bösen” aber wahren Geschichten stellen. Es darf auch nicht vergessen werden, daß die Zahl derjenigen Frauen, die sich während des einjährigen Bestehens unseres Projektes an uns wandten, nur einen Bruchteil des eigentlichen tatsächlichen Ausmaßes ausmacht. Wie wir bereits vorher beschrieben haben, braucht es manchmal Jahre, bis Frauen, die von staatlicher sexueller Gewalt betroffen waren, hiervon berichten und häufig geschieht dies gar nicht. Dies ist jedoch nicht nur hier so: in allen Gegenden der Welt, in denen bewaffnete Auseinandersetzungen oder Kriege stattfinden, werden Frauen als “Kriegsbeute” und als Mittel in dem Bemühen, dem “Gegner” Niederlagen zu bereiten, betrachtet. Hierzu einige Beispiele aus verschiedenen Ländern: Vergewaltigung ist ein Kriegsverbrechen.Vor den nach dem zweiten Weitkrieg
eingerichteten internationalen Kriegsverbrechertribunalen in Nürnberg
und Tokio wurden etliche Kriegsverbrechen verfolgt, die Situation hunderttausender
Frauen, an denen sexuelle Gewalt begangen worden war, war jedoch nicht
Gegenstand der Tribunale. Erst nach den Ereignissen in Ruanda und Bosnien
werden nunmehr das erstemal vor den durch die Vereinten Nationen eingerichteten
Internationalen Kriegsverbrechertribunalen an Frauen begangene verschiedene
Formen sexueller Folter und Vergewaltigung eigenständig als Jede gegen die sexuelle Integrität von Frauen gerichtete Form von Gewalt, wie z.B. Vergewaltigung, Zwangsprostitution, zwangsweises Entkleiden vor den Augen anderer etc., auch wenn diese Tat einmalig und nur an einer Frau begangen wurde, zählt nun als Verletzung der Genfer Konventionen und damit als Kriegsverbrechen. Sobald diese Methoden in weit verbreitet und systematischer Form zur Anwendung kommen, stellen sie zugleich ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit dar. Die in Rede stehenden Tribunale machen es nicht zur Bedingung, daß diese Taten auf den Befehl eines Vorgesetzten hin erfolgten, sondern es genügt die Eigeninitiative einer am Konflikt beteiligten Person, um die Tat als Kriegsverbrechen zu bewerten. Im Juli 1998 wurde in Rom unter Beteiligung von 120 Ländern ein ständiger internationaler Strafgerichtshof gegründet. Im Gründungsabkommen sind Taten, welche gegen Frauen gerichtete sexuelle Gewalt wie Folter, Vergewaltigung, sexuelle Sklaverei, Zwangsprostitution etc. betreffen, als eigenständige Verbrechen in den Straftatenkatalog aufgenommen worden. Leider sind jedoch auch hier, wie in allen internationalen Beziehungen, die wechselseitigen staatlichen Interessen ausschlaggebend gewesen und für die mögliche Verfolgung eines Kriegsverbrechers vor diesem Gericht ist die Einwilligung desjenigen Landes vonnöten, dessen Staatsangehöriger er ist. Trotzdem hat die Türkische Republik, die so viele Kriegsverbrecher
bei sich beherbergt, noch nicht einmal dieses Abkommen unterzeichnet.
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