Eindrücke vom Prozess gegen Eren Keskin und Erol Tas am 15.6. 2001 in Istanbul.

Friedensmütter in Istanbul nach dem Prozess

Prozessbericht vom Fluechtlingsplenum Aachen

Verfahrenshintergrund

Fünf Frauen der "Friedensmütter-Initiative" waren im Oktober 2000 an der Grenze Habur festgenommen worden, als sie von einer Reise in den Nordirak zurückkehrten, wo sie die kriegführenden Parteien um Frieden bitten wollten. Nach ihrer Festnahme wurden ihnen die Augen verbunden und sie wurden erst nach Silopi, später nach Mardin gebracht. Die Frauen zwischen 39 und 65 wurden in der Polizeihaft durch staatliche Täter sexuell misshandelt. Am 7. Oktober besuchte Anwältin Eren Keskin die Friedensmütter im Gefängnis Mardin, wo diese ihr von der sexuellen Folter berichteten. Nach ihrer Rückkehr stellte Eren Keskin ihren Bericht auf Grundlage der Aussagen der fünf Frauen als Presseerklärung der Öffentlichkeit vor. Die (inzwischen geschlossene) Tageszeitung "2000'de Yeni Gündem" berichtete am 27. Oktober über diese Pressekonferenz.

Jetzt sind Eren Keskin und der verantwortliche Verleger der "Yeni Gündem", Erol Tas, nach Art. 159 türk. StGB wegen "Diffamierung des Militärs" vor einem Istanbuler Strafgericht angeklagt. Die Anklageschrift nennt Sätze von Eren Keskin wie "die Mütter, die nackt ausgezogen und deren Augen verbunden waren, wurden von Soldaten, die im Alter ihrer Enkel waren, sexuell gefoltert" als Beispiele ihres angeblichen Verbrechens. Das vorgesehen Strafmaß liegt zwischen einem und sechs Jahren Haft. (Abschnitt übernommen aus http://www.mediensyndikat.de/prozess/content0220.htm).

Der Prozess wurde nach ca 20 Min. aus formalen Gründen vertagt, unseres Wissens auf den 16. August. Genaueres blieb uns unklar. Der ff. Text ist zweigeteilt, da es eine von uns beiden schaffte, in den Gerichtssaal zu gelangen. Der andere musste mit vielen anderen draussen warten.

Eindrücke aus dem Prozessumfeld

Der Prozess war für 11 Uhr terminiert, begann jedoch tatsächlich erst gegen 12.30 Uhr. Ca 60-70 Menschen aus verschiedenen Ländern wollten dem Prozess beiwohnen, darunter die Friedensmütter selbst, eine größere französische Delegation, VertreterInnen von Amnesty international u.a. Aus Deutschland da waren eine Vertreterin der Flüchtlingsrates Düsseldorf, wir zu zweit aus Aachen, zwei VertreterInnen der deutschen Botschaft (+ Übersetzerin) und ein taz-Redakteur. Auffällig war die Präsenz von vielen Zivil- PolizistInnen und Özel-Tim -Kräften (Spezialeinheiten der Polizei) im und vor dem Gerichtsgebäude. Vor dem Prozess gab die AI-Vertreterin Erklärungen zu den Hintergründen des Verfahrens ab. Soweit unsere Nachfragen in Publikumsteilen ergaben, war Erol Tas nicht vor Ort. Nach Aufruf des Prozesses blieb die Tür zum Gerichtsaal ca 3 Minuten offen. Trotz ruhigen Auftretens und bei weitem nicht gefülltem Gerichtssaal wurde nur einem Drittel der Anwesenden der Zutritt zum Gerichtssaal möglich. Gerichtsangestellter und ein zivil auftretender Einsatzleiter* der Polizei forderten nach Schließen der Saaltür die beharrende Öffentlichkeit auf, von der Tür wegzutreten. Auch die Angehörigen des dt. Konsulats erhielten trotz Verweis auf ihren Status keinen Zutritt. Eine Verteidigerin wurde auch so aufgehalten und konnte so nur verzögert in den Gerichtssaal treten. Dort wurde sie für ihr zu spät kommen sofort gerügt. Die im Hintergrund einsatzbereiten Polizeikräfte wurden nicht zum Abdrängen eingesetzt. Auch ein direktes Abdrängen und Berührung der abgewiesenen ProzessbeobachterInnen erfolgte selten, da wohl angesichts der vielen Presse Unsicherheit im Auftreten bestand. Gegen 12.50h öffnete sich wieder die Türe des Gerichtsaals. Der Prozess wurde auf den auf den 16. August vertagt. Eren Keskin, die AI-Vertreterin, und eine Vertreterin der franz. Delegation gaben gegenüber Presse und Öffentlichkeit Erklärungen ab.

Von den 20-25 Minuten im Gerichtssaal ein atmosphärischer Bericht: Vorne, hinter erhöhten Pulttischen thronen der Richter mit zwei Beisitzern sowie von den Zuschauern aus links gesehen offenbar ein Vertreter der Staatsanwaltschaft (er unterscheidet sich durch eine Art goldener Kordel an der rechten Brustseite des Talars). Direkt unter dem Richter sozusagen mit seiner Stimme im Genick sitzt eine Gerichtsschreiberin deren Aufgabe darin besteht, JEDES Wort des Richters auf einer riesigen, mechanischen, extrem lauten Schreibmaschine mit mehreren Durchschlägen zu protokollieren. Jedes Wort des Richters will heißen, dass meiner Beobachtung nach, wenn die Angeklagte oder eine ihrer Anwältinnen gesprochen haben, die Schreiberin nicht schrieb. Erst bei der mündlichen verkürzten zur Protokoll-Gabe / ,Übersetzung' des Richters hieb sie wieder in die Tasten, was diese Prozessbeteiligten laut Richter-Wiedergabe gesagt haben sollen. Auf Nachfrage habe ich später erfahren, dass auch türkischsprachige Leute wegen dieser Maschine oftmals nur Bruchstücke des Gesagten verstehen konnten (es liegt nahe zu unterstellen, dass der im Raum vorhandene leise Computer durchaus bewusst nicht benutzt wurde). Ein Büttel ist nur dafür da, der Schreiberin bedarfsweise akkurat zusammengelegte neue leere Schreibsätze mit Blaupausen zu geben bzw. die fertig geschriebenen Seiten zu verteilen. Ein anderer beobachtet die Zuschauer in der Art eines Habichtblick-Aufsehers während einer Prüfung. Die Anwältinnen sitzen auf der Fensterseite des Raumes - meinem Eindruck nach müssen sie massiv dafür kämpfen, dass eine von ihnen überhaupt einmal was sagen darf (zu dritt aufstehen, mehrfach um das Wort bitten, aber bloß nicht den Bogen überspannen), andernfalls wären sie eben an dem Tag nicht zu Wort gekommen. In großer Entfernung zum Richtertisch, frontal gegenüber ein Holzbänkchen für die Angeklagte - die allerdings darf sich offenbar nur einmal während der 20-25 Minuten Prozessdauer setzen und muss ansonsten die ganze Zeit stehen. Mir ist vollkommen schleierhaft, wie ein Mensch in ihrer Situation sich überhaupt noch normal bewegen und ausdrücken soll, denn es ist wirklich jedes Element in diesem Raum beklemmend, einschüchternd und erniedrigend. Und was ich noch schäbiger finde: das ganze hat System, die Erzeugung dieser Atmosphäre erscheint mir ganz genau durchdacht. Im übrigen wird Frau Keskin bei ihren Einlassungen mehrfach und rabiat vom Richter unterbrochen. Auf der einzigen Zuschauerbank, die direkt hinter den Angeklagtenbank steht, finden genau 8 Leute Platz - weitere 14 konnten sich noch stehenderweise dahinter und an die Seiten quetschen, bevor der Richter ,Tür zu, genug, Schluss jetzt!' bellte. Den Prozess hatte er übrigens schon begonnen, als erst die Angeklagte, zwei ZuschauerInnen und nur zwei der drei Anwältinnen im Raum waren. Im übrigen ist der Verhandlungsraum durchaus so groß gewesen, dass man ohne Probleme zwei, drei, vier Sitz-Reihen für Prozessbesucher hätte einfügen können, aber deren Präsenz ist sicher nicht im Sinne dieses Justizsystemes ... .

Zusätze

Nahezu alle ProzessbeobachterInnen fuhren anschließend zum IHD Büro in Istanbul zu einem 10-minütigem Sitz-Protest gegen die unnachgiebige Haltung des Staates gegenüber den politischen Gefangenen, die gegen die Isolationshaft im Hungerstreik sind.

*Besagter Mensch zeigte sich als der Chef vor Ort für das Polizeiauftreten gegenüber weiteren politischen Veranstaltungen (Sitzprotest bei IHD-Büro, Sitzprotest beim ÖDP-Büro Beyoglu am 17.6. wegen der 24. Toten im Todesfasten mit massivem Polizeiaufgebot).

Fluechtlingsplenum Aachen
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