junge
Welt, 18.08.2001
Wie
verlief der Prozeß gegen Erin Keskin?
jW
sprach mit Inge von Allwersleben vom Berliner Frauenrechtsbüro gegen
sexuelle Folter. Sie war Prozeßbeobachterin in Istanbul
*** Eine Gruppe kurdischer Frauen war im Oktober 2000 in den Nordirak
gereist, wo sie die kriegführenden Parteien um Frieden bitten wollten.
Bei ihrer Rückkehr in die Türkei wurden sie festgenommen und
zur Gendarmeriewache Silopi gebracht. Im Gefängnis besuchte die Anwältin
Eren Keskin die als Friedensmütter bekanntgewordenen Frauen, die
ihr von sexuellen Mißhandlungen berichteten. »Die Mütter,
deren Augen verbunden und die völlig entkleidet wurden, sind durch
Militärs im Alter ihrer Enkelkinder sexuell mißhandelt worden«,
so Eren Keskin in der inzwischen verbotenen Tageszeitung Yeni Gündem.
Wegen diesen Ausführungen ist sie zusammen mit dem Verleger Erol
Tas wegen Verunglimpfung der Streitkräfte angeklagt, im Juni wurde
der Prozeß eröffnet, am 16. August war der zweite Prozeßtermin.
F: Wie verlief der Prozeß gegen Erin Keskin und Erol Tas?
Von den Angeklagten war wieder nur Eren Keskin anwesend, und der Prozeß
wurde nach zwei Minuten beendet und auf den 31. Oktober verschoben.
F: Was sind die Gründe für die Vertagung?
Eren Keskin hat inzwischen im Namen der Friedensmütter gegen die
Folterer Anzeige erstattet. Sie hat nach dem Stand der Anzeige gefragt.
So weit man den Richter trotz der laut hämmernden Schreibmaschinen
verstehen konnte, liegt diese Anzeige dem zuständigen Gericht in
Silopi vor, aber die Ermittlungen laufen noch. Das Gericht in Istanbul
kann den Prozeß gegen Keskin und Tas aber erst weiterführen,
wenn der Prozeß gegen die Militärs in Silopi entschieden ist.
F: Ist eine Verurteilung der Folterer zu erwarten?
Nein, diese Männer werden genauso wenig verurteilt werden, wie alle
anderen, die in der Türkei wegen sexueller Folter oder Vergewaltigung
angezeigt wurden. Würden sie verurteilt, dann hieße das natürlich,
Eren Keskin hätte die Wahrheit gesagt und nicht das Militär
diffamiert, der Prozeß gegen sie müßte beendet werden.
Aber wir gehen davon aus, daß es nicht zu einer Verurteilung der
Täter kommt. Dann wird bei dem Termin im Oktober der Staatsanwalt
seinen Strafantrag stellen, aber es ist unklar wie das weitergehen wird.
F: Wie war das öffentliche Interesse an dem Prozeß?
Es waren zwei unabhängige Frauen von der Presse da und anfangs noch
ein Mann vom deutschen Konsulat. Aber insgesamt war das Interesse nicht
sehr groß, vielleicht weil viele politische Gruppen im Moment vom
Militär massiv unter Druck gesetzt werden. Letzte Woche wurde ein
Geheimdienstpapier veröffentlicht, dort werden über 100 Gruppen
genannt, die beschuldigt werden, die PKK zu unterstützen. Darunter
Dicle, der Frauenkulturverein, die HADEP und das mesopotamische Kulturzenrum.
Es gibt landesweit Razzien und Festnahmen. Es wird davon ausgegangen,
daß das Militär versucht, die verschiedenen Gruppen von einer
Beteiligung an einer Friedensdemonstration abzubringen, die am 1. September
von der HADEP organisiert wird.
Interview: Andrea Schanz
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