FrauenRechtsBüro
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info@womensrightsproject.de Fatal für Frauen Kommentar zum Lagebericht Türkei 7/01
Als Quellen zur Erstellung der Lageberichte sind, so das Auswärtige Amt selbst, vor allem die Erkenntnisse lokaler Menschenrechtsgruppen und vor Ort vertretener Nichtregierungsorganisationen auszuwerten. Nach Auskunft des Staatsministers des Auswärtigen Amtes, Ludger Volmer, soll auch das Wissen in Deutschland ansässiger Organisationen, die sich mit der Situation in der Türkei befassen, mit einbezogen werden. Umso erstaunlicher ist es, dass weder die Erkenntnisse des Istanbuler Büros "Rechtliche Hilfe für Frauen, die von staatlichen Sicherheitskräften vergewaltigt oder auf andere Weise sexuell misshandelt wurden" (im Jahr 1997 u.a.von der Rechtsanwältin und Vorsitzenden der Istanbuler Sektion des Menschenrechtsvereins Türkei IHD gegründet) noch unseres in Berlin ansässigen Partnerprojekts (seit Anfang diesen Jahres tätig) zur spezifischen Situation von Frauen in den neuen Lagebericht angemessen eingeflossen sind. Im Gegenteil, der neue Lagebericht zur Türkei enthält erneut erhebliche Fehlinformationen und Lücken. Die Konsequenzen dieser Fehler haben zum Beispiel Frauen, die aufgrund sexueller Übergriffe durch türkische Sicherheitskräfte verfolgt werden und in der BRD Schutz suchen, zu tragen. Wir konzentrieren uns als ein Projekt, das die Unterstützung dieser Frauen zum Ziel hat, mit unserer Kritik auf die insoweit relevanten Abschnitte. Im Abschnitt zur geschlechtsspezifischen Menschenrechtslage (S. 29f) wird ignoriert, dass sexuelle Folter sowohl als Methode des Verhörs als auch als Mittel der "Kriegsführung" in der Türkei einschließlich der kurdischen Gebiete weit verbreitet ist und systematisch zum Einsatz kommt. Bis heute haben sich an das Istanbuler Frauenrechtsbüro gegen sexuelle Folter 150 Frauen gewandt, das Berliner Büro hat bislang 26 Anträge erhalten. 25 Verfahren von Frauen gegen die staatlichen Täter sexueller Folter sind mittlerweile nach Ausschöpfung des innerstaatlichen Rechtswegs in der Türkei als Individualbeschwerde beim Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte anhängig. Die geschilderten Verfolgungserlebnisse lassen folgende Muster ausmachen, die sexueller Folter zugrunde liegen: 1.
Geständnisse über vermeintliche eigene politische Aktivitäten
der Frauen oder solche ihrer Angehörigen sollen erpresst werden; Sämtliche
Schilderungen der betroffenen Frauen sowie alle Informationen zu den anhängigen
Verfahren liegen dem Auswärtigen Amt vor. Dennoch begnügt sich
das Auswärtige Amt mit vagen Formulierungen, wie z.B.: "Es gibt
Berichte, wonach ... festgenommene Frauen und Mädchen ... vergewaltigt
werden"; Vorwürfe "werden erhoben, lassen sich aber schwer
überprüfen" etc. und verschweigt so die systematische Anwendung
sexueller Folter. Das Auswärtige Amt gesteht in einem Halbsatz (S.
14f) lediglich zu, dass es "Verhöre und Misshandlungen von Angehörigen
mutmaßlicher PKK-Kämpfer" gibt. Als
Reaktion auf die Aufdeckung der Praxis sexueller Folter durch einzelne
Betroffene und Unterstützerinnen auf einem Kongress gegen sexuelle
Folter, der im Juni 2000 in Istanbul stattfand, sind 18 Frauen und ein
Mann wegen der "Verunglimpfung des Staates und seiner Organe"
angeklagt. Dieses noch andauernde Strafverfahren zeigt, dass empfindlich
auf den Versuch der Aufdeckung und Enttabuisierung sexueller Folter sowie
die Forderung nach Strafverfolgung der staatlichen Täter reagiert
wird. Weitere Verfahren gegen Betroffene und ihre Anwältinnen vom
Frauenrechtsbüro in Istanbul (unter ihnen Eren Keskin und Fatma Karakas)
nach Aufdeckung sexueller Folter und Anzeigenerstattung gegen die Folterer
sind z.T. vor den Staatssicherheitsgerichten der Türkei anhängig.
Hierüber liegen ausführliche Dokumentationen unseres Berliner
Büros vor. Der Lagebericht erwähnt diese Kriminalisierungspraxis
des türkischen Staates mit keinem Wort. Die
in letzter Zeit angeblich gehäuft auftretenden Selbstmorde von Frauen
aus den kurdischen Gebieten werden in der Analyse des Auswärtigen
Amtes allein als Ausdruck mangelnder Entfaltungsmöglichkeiten von
Frauen aufgrund der patriarchalen Familien- und Gesellschaftsstruktur
(arrangierte Hochzeiten etc.) verstanden (S. 30). Diese Analyse erinnert
an die Darstellung der Selbstmorde in den türkischen Medien. Nach
uns vorliegenden Informationen verschiedener Organisationen aus der Türkei
(u.a. Frauenkulturzentrum "Dicle", Istanbul; Frauenzeitschrift
"Pazartesi"; Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft Egitim-Sen,
Sektion Diyarbakir; Untersuchungen der Diyarbakirer Universität Dicle
sowie der Anwaltskammer Batman) und der BRD (Kurdisches Frauenbüro
für Frieden e.V.), der in der Türkei als Buch veröffentlichen
Analyse "Batman`da Kadinlar Ölüyor" von Müjgan
Halis sowie Briefen Betroffener an unser Büro sind die Gründe
für die Selbstmorde wesentlich vielschichtiger. Auch bei den Ausführungen zur medizinischen Versorgung leistet sich das Auswärtige Amt eine massive Fehleinschätzung. Es wird behauptet, dass die Behandlung psychisch kranker Menschen in allen Krankenhäusern mit psychiatrischer Abteilung möglich und die Behandlung posttraumatischer Belastungsstörungen durch medikamentöse oder psychotherapeutische Therapien gewährleistet sei. Der Anhang des vorherigen Lageberichts, der eine detaillierte Analyse der Versorgungslage vornahm und vom Gegenteil zu berichten wusste, wurde komplett gestrichen. Darin hieß es u.a., dass die Behandlung traumatisierter Menschen, vergewaltigter Frauen, Menschen mit Angsttraumata nach Misshandlungen und stark selbstmordgefährdeten Menschen eine der größten Schwierigkeiten darstellt. Weiterführende Therapien oder Anschlusstherapien für Menschen, die z.B. in der BRD mit einer Therapie angefangen haben, könnten nicht angeboten werden. Eine Retraumatisierung sei zu befürchten. Es
fragt sich, wie sich die dieser unserer Ansicht nach zutreffenden Einschätzung
zugrundeliegende Situation in der Türkei so schnell geändert
haben kann. Dies fragt sich u.a. auch insofern, als das Generalkonsulat
der Bundesrepublik Deutschland in Istanbul noch am 12.3.2001 auf eine
Einzelanfrage des Regierungspräsidiums Osnabrück Einschätzungen
zur medizinischen Versorgungslage psychisch kranker Menschen abgab, in
der die Dominanz krankenhausorientierter Betreuung und der totale Mangel
differenzierter ambulanter und komplementärer Versorgungseinrichtungen
festgestellt wurde. Bezüglich
der Finanzierung der medizinischen Versorgung wird im Lagebericht erwähnt,
dass mittellose Personen von der Gesundheitsverwaltung eine "Grüne
Karte" (yesil kart) bekommen und sich darüber kostenlos behandeln
lassen können. Nach unserem Kenntnisstand wird diese Karte seit einiger
Zeit, wenn überhaupt, nur vom Bürgermeister oder der Gendarma
ausgestellt, die hierfür zunächst die Einholung eines polizeiliches
Führungszeugnisses verlangen. Aus Angst vor Repression verzichten
viele Menschen auf die Beantragung eines solchen. Insgesamt
ist der neue Lagebericht von Auslassungen und Fehlern geprägt.
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