FrauenRechtsBüro
gegen sexuelle Folter e.V. Friedelstr.
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info@womensrightsproject.de Aufruf
zur Delegationsreise zur Prozessbeobachtung in Istanbul Wie wohl die meisten von Euch schon wissen findet am 05.02.2002 um 14.45 Uhr vor dem Strafgericht Beyoglu/Istanbul der nächste und damit vierte Prozesstermin gegen die 18 angeklagten Frauen und einen Mann (Vater einer betroffenen Gefangenen) statt, denen vorgeworfen wird, an einem am 10./11. Juni 2000 in Istanbul stattgefundenen Kongress gegen sexuelle Folter als Rednerinnen oder Organisatorinnen teilgenommen zu haben, und die aufgrund dessen wegen "Verunglimpfung des Staates und seiner Organe" nach Art. 158 Abs.1 Türkisches Strafgesetzbuch angeklagt worden sind. Wir haben in unseren letzten Aufrufen zur Beobachtung des Prozesses über die Hintergründe dieses Verfahrens berichtet, das auch im Zusammenhang steht mit zwei weiteren Verfahren, die derzeit in Istanbul verhandelt werden: Zum
einen werden - ebenfalls vor dem Istanbuler Strafgericht in Beyoglu -
die Rechtsanwältin Eren Keskin, Vorsitzende der Istanbuler Sektion
des Menschenrechtsvereins und Mitbegründerin des Istanbuler Projekts
"Rechtliche Hilfe für Frauen, die von staatlichen Sicherheitskräften
vergewaltigt oder auf andere Weise sexuell misshandelt wurden" sowie
der Chefredakteur der Zeitung Yeni Gündem, Erol Tas wegen "Verunglimpfung
der staatlichen Sicherheitskräfte" gem. Art. 159 Abs.1 Türkisches
Strafgesetzbuch i.V. m. Art. 16 Abs. 1 des Pressegesetzes angeklagt. Zum
anderen müssen sich fünf der erwähnten 18 angeklagten Frauen
vor dem Staatssicherheitsgericht Istanbul verantworten wegen "separatistischer
Propaganda" und "Aufstachelung zu Hass und Feindschaft durch
das Aufzeigen ethnischer, klassenbedingter und regionaler Verschiedenheiten"
gem. Art. 8 Abs. 1 "Anti-Terror-Gesetz " i.V.m. Art. 312 Abs.
2 Türkisches Strafgesetzbuch. Diese Anklage stützt sich ebenfalls
auf den eingangs erwähnten Sachverhalt. Angeklagt ist in diesem Verfahren,
wie auch in dem Verfahren gegen 19 vor dem Strafgericht Angeklagten, auch
die Rechtsanwältin Fatma Karakas, Mitarbeiterin in dem Istanbuler
Frauenrechtshilfeprojekt. Die Verschleppung dieses wie auch der anderen beiden Prozesse lässt unseres Erachtens auf zweierlei schließen. Zum einen scheint das Gericht nicht freisprechen zu wollen. Andererseits scheut es jedoch angesichts der großen Öffentlichkeit derzeit auch eine Verurteilung. Es ist daher wichtig, dass weiterhin viele nach Istanbul fahren und den Prozess beobachten und dass ein Interesse der Öffentlichkeit an diesem Prozess aufrecht erhalten wird. Auch die angeklagten Frauen haben sich dahingehend geäußert, dass es für sie selbst sehr wichtig ist, zu sehen, dass sie mit den gegen sie erhobenen Vorwürfen nicht alleine dastehen, und dass die Prozessöffentlichkeit für sie ein Schutz darstellt. Parallell
zum Prozessbesuch wollen wir die Zeit in Istanbul für Recherchearbeiten
nutzen, die für die politische Arbeit von Flüchtlingen, AnwältInnen,
Solidaritätsprojekten und Menschenrechtsgruppen von Bedeutung sein
können. Nun planen wir ein weitergehendes Rechercheprojekt zu folgenden Themen: 1. Hat sich durch die Arbeit des Istanbuler Frauen-Rechtshilfeprojektes der Umgang mit den von sexueller Folter betroffenen Frauen geändert ? Wie spiegelt sich das Brechen dieses Tabus in der gesellschaftlichen Realität wider ? 2. In unserem Jahresbericht für 2001 können wir aufzeigen, dass von 30 betroffenen Frauen, die sich an unser Büro gewandt haben, 21 aufgrund der politischen Aktivitäten von Familienangehörigen gefoltert wurden; sei es um Informationen bezüglich der Angehörigen zu erhalten, oder um die Frauen stellvertretend für die Angehörigen zu bestrafen. Dies soll durch weitere Untersuchungen belegt werden. Wir wollen damit die Behauptung des Auswärtigen Amtes widerlegen, die sogenannte Sippenhaft gäbe es in der Türkei höchstens in vereinzelten Fällen. 3. Bei den bisherigen Recherchen der vorangegangenen Delegationen haben TherapeutInnen, mit denen wir in Istanbul gesprochen haben, immer wieder betont, dass die sozialen Probleme der Betroffenen eine erfolgreiche Therapie stark beeinträchtigen oder gar verunmöglichen. Dies wollen wir in Interviews mit geeigneten Stellen sowie mit Betroffenen konkretisieren. Schwerpunkt soll dabei die Situation der "Inlandsflüchtlinge" und insbesondere die der geflüchteten Frauen und Mädchen sein. 4. Ein weiteres längerfristiges Projekt soll auf die Finanzierung von Frauenprojekten in der Türkei und den kurdischen Gebieten bezogen sein. Motiviert hat uns dazu die Initiative des kurdischen Frauen-Kulturzentrums Dicle in Istanbul. Sie verkaufen von Frauen in Kurdistan gewebte Teppiche und Taschen und finanzieren mit dem Erlös Ausbildungsmöglichkeiten für kurdische Frauen und Mädchen. Die Erweiterung dieses Projekt nach Deutschlands wäre lohnenswert und gleichzeitig eine gute Möglichkeit für Fraueninitiativen hier dauerhafte Verbindungen zur kurdischen Frauenbewegung aufzubauen. Dies sind Vorschläge, die über die Möglichkeiten einer einzelnen Delegation hinausgehen. Wir halten es aber für sinnvoll, damit anzufangen und wünschen uns Reaktionen Eurerseits. An welchen Themen seid Ihr interessiert ? Habt Ihr Ergänzungen oder weitere Vorschläge ? Bitte meldet Euch bald, da wir die entsprechenden GesprächspartnerInnen informieren wollen. Die nächste Delegationsreise sollte vom Wochenende 2./3. Februar bis zum darauffolgenden Wochenende, 9./10. Februar stattfinden. Der Prozeßtermin ist am 5. Februar 2002, um 14.45 Uhr vor dem Strafgericht Istanbul-Beyoglu. Bitte informiert uns auch über Euren Bedarf an Hotelzimmern, Flugverbindungen o.ä. Auf bald,
Berlin,
8. Januar 2002 |