FrauenRechtsBüro gegen sexuelle Folter e.V.
Cinsel Iskenceye Karsi Kadin Hukuk Bürosu
Friedelstr. 52 ? 12047 Berlin
tel: 030 – 627 37 941 ? fax: - 942
email: info@womensrightsproject.de
internet: www.womensrightsproject.de

Jahresbericht Berlin 2002

„...Sie müssen wissen, ich bin wie ein Fluß, der zu lange eingedämmt war. Eine einzige Bresche im Damm und der Schwall ist nicht mehr aufzuhalten...“ (Amin Maalouf)

Danksagung

Der Verein finanziert sich ausschließlich über Zuwendungen humanitärer Institutionen und Spenden. Wir möchten daher an dieser Stelle insbesondere dem „Weltgebetstag der Frauen - Deutsches Komitee“ in Stein danken, ohne dessen Unterstützung die Durchführung der Tätigkeiten des Vereins nicht möglich gewesen wäre. Wir bedanken uns weiterhin beim AStA der TU Berlin und der Stiftung Umverteilen / Berlin, durch deren Unterstützungen Delegationsfahrten in die Türkei und Veranstaltungen mit Teilnehmerinnen aus der Türkei ermöglicht wurden. Unser herzlicher Dank gilt allen privaten Spenderinnen und Spendern, Vereinen und Institutionen, die uns durch ihre Beiträge immer wieder anspornten, diese Tätigkeiten trotz aller Frustrationen und Wut weiter zu verfolgen und durch deren Beiträge erst die Weiterführung auch unserer Büroräume ermöglicht wurde.

Allgemeiner Tätigkeitsbericht

1. Projektbeschreibung

1.1. Entstehungsgeschichte

Sexuelle Folter gelangt sowohl als Methode des Verhörs als auch als Mittel der Kriegsfüh-rung in der ganzen Welt als schärfstes Instrument der Repression gegen Frauen zum Einsatz. Auch in der Türkei und den kurdischen Gebieten setzen staatliche Sicherheitskräfte, d.h. Polizei, Gendarmerie, Militär und „Dorfschützer", sexuelle Folter weit verbreitet und systematisch mit dem Ziel ein, die einzelne Frau zu demütigen und innerlich zu zerstören. Gleichzeitig richtet sich die Gewalt immer wieder gegen die eth-nische Gruppe, der die Frau angehört.

Das FrauenRechtsBüro gegen sexuelle Folter e.V. knüpft mit seiner Arbeit an das Istanbuler Projekt “Recht-liche Hilfe für Frauen, die von staatlichen Sicherheitskräften vergewaltigt oder auf andere Weise sexuell mißhandelt wurden” an. Dieses wurde 1997 von vier Rechtsanwältinnen, darunter der damaligen IHD – Vorsitzenden der Sektion Istanbul, Eren Keskin, gegründet und ist bis heute tätig. Ziel war und ist es, den betroffenen Frauen und Mädchen unentgeltlich rechtliche Hilfe anzubieten. Gegen die staatlichen Täter werden bei den Staatsanwaltschaften Strafanzeigen erstattet; kommt es zur Anklageerhebung, werden die Interessen der Betroffenen vom Projekt vertreten. Bei ergebnisloser Ausschöpfung des innerstaatlichen Rechtsmittelwegs legen die Anwältinnen des Projekts Beschwerde beim Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte ein. Zugleich wird durch Zusammenarbeit mit medizinisch-psychologischen Einrichtungen, von denen es jedoch in der Türkei nur sehr wenige gibt, versucht, Gutachten über die insbesondere psychischen Langzeitfolgen zu erhalten, um diese als Beweise zu verwerten. Es wird auch versucht, den Frauen zu dringend nötigen Therapien zu verhelfen. Es wurde zunehmend deutlich, daß sich die Probleme der betroffenen Frauen auch im Exil fortsetzen bzw. noch verschärfen. Etliche Frauen mußten aus begründeter Furcht vor erneuten Übergriffen ins Ausland fliehen.

Auch im Exil leben unzählige Frauen aus der Türkei und den kurdischen Gebieten, die bis heute nicht über die an ihnen begangenen Verbrechen reden konnten. Die geltenden Glaubwürdigkeitskriterien in Asylverfahren, wie z.B. Detailreichtum in der Darstellung des Erlebten und das Erinnern von Daten, mißachten völlig die Realität, in der sich die Betroffenen befinden. Scham und Angst vor möglichen Racheakten sowohl der Familien als auch insbesondere des Staates selbst hindern die Frauen häufig am Sprechen.
In der BRD führen so fehlende Kenntnisse der Rechte, Möglichkeiten und Notwendigkeiten im Bereich Asylverfahren, Sprachprobleme, fehlende Vertrauensverhältnisse, eine Retraumatisierung insbesondere durch verständnislose und demütigende Behandlung auf Behörden und Ämtern und eine mangelnde Zukunftsperspektive für die betroffenen Frauen oft zu totaler Isolierung und Selbst-aufgabe. Diese Realität machte es notwendig, auch im Exil tätig zu werden und führte zur Gründung des Vereins: „FrauenRechtsBüro gegen sexuelle Folter e.V.“ mit Sitz in Berlin.

1.2. Projektziele

Es ist das Ziel unseres Vereins, gemeinsam mit betroffenen Frauen ein Netz aufzubauen, das alle Lebensbereiche umfassen soll. Hierfür suchen wir die Zusammenarbeit mit Anwältinnen, Ärztinnen, Therapeutinnen aus Behandlungszentren für Folterüberlebende, weiteren Medizinerinnen, Sozialarbeiterinnen, Sprachmittlerinnen, Flüchtlingsorganisationen und allen anderen interessierten und engagierten Frauen.
Die Hauptlinien unserer Arbeit können wie folgt zusammengefaßt werden:

a. Durchsetzung der Strafverfolgung staatlicher Täter von Folter generell und sexualisierter Folter an Frauen speziell sowohl auf nationaler als auch auf internationaler Ebene;
b. Durchsetzung der Anerkennung frauenspezifischer Verfolgungssituationen als politische Verfolgung i.S.d. Genfer Flüchtlingskonvention und des Asylrechts der BRD;
c. Dokumentationen, Archivierung, Übersetzungen und Öffentlichkeitsarbeit zum Thema.
Was wir tun / konkretisierte Ziele

- Unterstützung bei der Anzeigenerstattung gegen staatliche Täter, die auch aus dem Exil heraus innerhalb der Verjährungsfrist von 5 bis 10 Jahren möglich ist, Einleitung von Verfahren vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte in Zusammenarbeit mit dem Istanbuler Projekt;
- Unterstützung bei allen Fragen im Zusammenhang mit Asylverfahren, Vorbereitung auf die Anhörung, Vermittlung von erfahrenen Rechtsbeiständen, Bereitstellung von Dokumenten und Materialien zur Situation von Frauen in der Türkei einschließlich der kurdischen Gebiete, Argumentationshilfen;
- Vermittlung qualifizierter Therapieplätze bei physischen und psychischen Folterfolgen einschließlich der Möglichkeit zum Erhalt ärztlicher Gutachten, Vermittlung vertrauenswürdiger Dolmetscherinnen;
- Vermittlung von Ansprechpartnerinnen und Gruppen in verschiedenen Regionen Deutsch-lands, die mit uns zusammenarbeiten;
- Übersetzung und Archivierung von Hintergrundmaterial; Herausgabe von Informationen über die soziale, kulturelle, politische und ökonomische Situation in den Herkunftsländern der betroffenen Frauen;
- Durchführung von Veranstaltungen, Fortbildungskursen und Seminaren;
- Beratung und Auseinandersetzung in Bezug auf Behörden und Unterkunft, Sprachkurse, Vermittlung von Schul- und Berufsausbildung sowie politische Bildung;
- Organisation von Delegationen in die Türkei zum Zwecke der Prozeßbeobachtung;
- Erarbeitung von Beiträgen, Stellungnahmen, Gutachten etc. als Informationsquelle zur Sensibilisierung der Öffentlichkeit, der Behörden, der Gerichte und der politischen Ent-scheidungsträger bezüglich der Realität frauenspezifischer Verfolgungssituationen durch staatliche Stellen mit dem Ziel der offiziellen Anerkennung derselben;
- Aufbau von Kontakten zu Frauen und deren Organisationen aus anderen Ländern.

Wir bieten geschützte Räume für Frauen zum Erfahrungsaustausch, der Entwicklung gemeinsamer Strategien und der Selbstorganisierung. Die Arbeiten sind grundsätzlich orientiert an den Vorstellungen und Wünschen der Betroffenen. Wir sichern den Frauen, die sich an uns wenden, absolute Diskretion zu.


2. Projektverlauf 2002

Im Jahr 2002 wurden die 30 Frauen aus den Vorjahren in verschiedener Hinsicht weiter begleitet. Hierzu gehörten insbesondere:

- Nervenaufreibende Auseinandersetzungen mit verschiedenen Behörden vor, aber auch nach der Anerkennung als Asylberechtigte oder nach § 51 AuslG;
- Unterstützung bei der Lebensgestaltung und in phasenweise auftretenden Konflikt- und Krisensituationen;
- Juristische Unterstützung in den anhängigen Verwaltungs- und Gerichtsverfahren;
- Erstellung von Gutachten und Stellungnahmen sowohl bei Erstantragstellung als auch in laufenden Verwaltungs- und Gerichtsverfahren;
- Förderung eigener Kreativität;
- Bereitstellung geschützter Räume für Treffen und Aktivitäten der Selbstorganisierung.

Die Begleitung einzelner Frauen in jeder Lebenslage wurde zum Teil so energie- und zeitaufwendig, daß wir im Frühsommer einen sogenannten Aufnahmestopp beschließen mußten. Dies hatte zur Folge, daß wir eine „umfassende“ Begleitung nur dann anbieten konnten, wenn die Frauen überlegten, zugleich die Strafverfolgung der staatlichen Täter zu betreiben.
Aufgrund dieser Situation wurden im Jahr 2002 elf neue Frauen aufgenommen.
Diese „Aufnahme“ bedeutet zunächst, über unsere Arbeit und Möglichkeiten der Unterstützung zu unterrichten und im Laufe der Zeit ein Vertrauensverhältnis aufzubauen, um sodann behutsam die Erlebnisse in Erfahrung zu bringen, die die Frauen gezwungen haben, ihr Herkunftsland zu verlassen. Wir achten hierbei darauf, daß die Frauen nicht mehrmals gezwungen sind, hierüber zu sprechen, so daß wir sie auf verschiedene Möglichkeiten hinweisen, z.B:
- Verbale Mitteilung einer Vertrauensperson gegenüber (das kann unser Büro oder eine Therapeutin oder auch eine Freundin sein), welche den Bericht schriftlich festhält;
- Eigenes Schreiben in Form eines Tagebuchs oder eines Briefes;
- Aufnahme des eigenen Berichts auf Tonträger.
Hierbei weisen wir die Frauen immer darauf hin, daß sie aufhören sollen, sobald sie merken, daß sie es nicht mehr aushalten und sich selbst verlieren. Auch in den Gesprächen mit uns war es bis jetzt keiner Frau möglich, in nur einem Gespräch alle Dimensionen und Erlebnisse zu berichten, so daß die Rekonstruktion und durch die Verbalisierung auch die Transformation des Erlebten zur endgültigen Realität etliche Zeit mit z.T. wochenlangen Pausen in Anspruch nahm.
Im Anschluß an diese „Erstgespräche“ verfassen wir soweit notwendig Stellungnahmen für die Behörden und Gerichte. „Umfassende“ Begleitung bedeutet sodann Unterstützung in jeder Lebenslage, Krisenintervention und Aufbau eigener Ressourcen.

Hierüber hinaus wurden unzählige Anfragen von Betroffenen, Anwält/innen oder anderen humanitären Einrichtungen bearbeitet. Auch wenn eine Betroffene nicht direkt „aufgenommen“ wurde, wurden doch unterstützende Aktivitäten entwickelt. Häufig sind die Anfragen telefonischer oder schriftlicher Art. An unseren regulären Bürotagen wurden des weiteren etliche Beratungen durchgeführt.
Die Projektarbeit ist geprägt von persönlicher Beratung, der Beantwortung von Anfragen, Kontakten mit betroffenen Frauen, der Erstellung von Berichten und Dokumentationen, der Versendung von Informations- und Dokumentationsmaterial, Übersetzungen, Archivierung und Planung sowie Durchführung konkreter Aktionen und Veranstaltungen.

Schon wie im Jahr zuvor waren viele Anfragen darauf gerichtet, am jeweiligen Aufenthaltsort der betroffenen Frau oder zumindest in ihrer Nähe professionelle Therapiemöglichkeiten zu vermitteln. Ebenfalls wie im Jahr zuvor war uns das manchmal nicht möglich:

- Nach wie vor existieren im Verhältnis zum Bedarf viel zu wenig qualifizierte Therapiezentren;
- zum Teil bestehen extrem lange Wartelisten (bis zu zwei Jahren);
- Therapeutinnen außerhalb der Behandlungszentren besitzen oft nicht genügend Hintergrundwissen und trotz guten Willens sind Kenntnisse auf dem Gebiet hiesiger Traumatherapie nicht ohne Weiteres auf die Therapiebedürfnisse Folterüberlebender übertragbar;
- aufgrund mangelnder Übersetzungsmöglichkeiten in der jeweiligen Region.

Diese Situation von „Unterversorgung“ sprengt insbesondere in den neuen Bundesländern die Grenzen jeder Vorstellungskraft. Häufig einhergehend mit extremer Isolation hat sie für die betroffenen Frauen oft verheerende Auswirkungen beim Aufbau einer neuen Lebensperspektive und dem Entwurf eines neuen Lebensmodells, was zunächst ein „seelisches Gesund-Sein“ erfordert.

2002 waren wir das erste mal mit einem konkreten Suizidversuch einer unserer „Mandantinnen“ konfrontiert. Dieses Ereignis zeigt uns eindringlich, daß diejenigen Frauen, die häufig von Suizidgedanken sprechen, ernst zu nehmen sind in ihrer Verzweiflung. Leider ist es immer wieder die deutsche Bürokratie und die verständnislose, wenn nicht vorsätzlich schikanierende Behandlung auf deutschen Behörden, welche zu plötzlichen Einbrüchen der sowieso sehr dünnen Eisfläche führen, auf der sich die Betroffenen hier in der Fremde bewegen.

Im Jahr 2002 nahm die soziale Begleitung und psychosoziale Unterstützung der Frauen sehr viel Zeit und Kapazität in Anspruch: die konkrete Unterstützung bei der Wohnungssuche, Problemlösungen bei der Existenzsicherung, Vermittlung von Therapieplätzen, Deutschkursen, Ausbildungsplatzsuche, Behördengänge, ÄrztInnenbesuche und vieles andere mehr. Die betroffenen Frauen wünschen sich von uns, auch aus dem entstandenen Vertrauensverhältnis heraus, Hilfe und Begleitung in jeder Lebenssituation.
An diesem Punkt ist es wichtig, so stärkend wie möglich die eigene Fähigkeit zur Lebensplanung und Alltagsgestaltung zu motivieren sowie das verlorene Vertrauen in die eigene Selbständigkeit trotz enormer Sehnsucht nach umfassender Hilfe zu stärken.
Gemeinsam mit den betroffenen Frauen und TherapeutInnen arbeiten wir darauf hin, Ängste abzubauen und Eigenständigkeit zu fördern. Aufgrund der traumatischen Ereignisse, die diese Frauen erlitten haben, kann es sich jedoch um einen langwierigen Prozeß handeln, der Behutsamkeit und Geduld erfordert. Regelmäßige Kontakte mit und Besuche bei betroffenen Frauen, die gegenseitige Unterstützung und Stärkung sowohl gedanklicher wie emotionaler Art stellen die Grundlage für gegenseitiges Vertrauen dar.

Des weiteren wurden die verschiedenen Arbeitsbereiche des Projektes intensiviert und systematisiert. Die von uns erstellte, ständig aktualisierte und erweiterte Sammlung relevanter Gerichtsurteile, die unseren Arbeitsbereich betreffen (z.B. zur Problematik sog. gesteigerten Vortrags / Aussageverhalten bei Traumatisierung / frauenspezifische Fluchtgründe / nicht-bestehende inländische Fluchtalternative) stößt bei thematisch verwandten Projekten und Einrichtungen, bei AnwältInnen und TherapeutInnen auf großes Interesse.

2.1. Antragssituation

Fast alle Frauen, mit denen wir 2002 „Erstgepräche“ führten, waren von einer immensen inneren Zerstörung aufgrund der erlebten Demütigungen und Erniedrigungen geprägt. Die Rekonstruktion des Erlebten erforderte häufige mehrere Etappen, meist begleitet von Therapie, wobei noch nicht alle Frauen soweit sind, diejenigen Ereignisse, die sie als besonders zerstörerisch erlebten, auszusprechen. Die Mitteilungen waren oft begleitet von inneren und äußeren Zusammenbrüchen, heftigem Weinen, Krämpfen und Schütteln des Körpers, Selbstzerstörungshandlungen wie Schlagen gegen Brust und Kopf, Selbstbezichtigungen und Ekelgefühlen dem eigenen Sein gegenüber. Nicht selten wird „einfach abgeschaltet“ und sich im Kopf an einen anderen Ort bewegt.
Junge Frauen, die nicht gewagt hätten, mit ihrem Freund „Händchen zu halten“, erleben nicht nur die direkte Vergewaltigung sondern auch das „Vorher“, das Entkleiden und Anfassen ihres gesamten Körpers durch staatliche Sicherheitskräfte, als eine Beschmutzung und Zerstörung ihrer Würde und Selbstachtung, die es ihnen kaum mehr möglich macht, sich selbst als „liebenswert und lebensbejahend“ zu empfinden. Der Bericht hierüber transformiert die erlebte innere Zerstörung zur endgültigen Realität. Den Schmerz umzuwandeln in Kraft und Mut, gegen die eigene Zerstörung und diejenige der anderen betroffenen Frauen vorzugehen, erfordert einen erheblichen Kraftakt, der durch jede kleine „Ungerechtigkeit“ hier wieder zusammenbrechen kann.
Auffällig war, daß fast alle neu aufgenommenen Frauen in den Jahren 1999 – 2001 (sexuell) gefoltert wurden. Alle Antragstellerinnen sind Kurdinnen und die meisten wurden den staatlichen Übergriffen ausgesetzt, um Informationen über ihre Ehemänner zu erhalten bzw. diese dazu zu bewegen, sich selbst zu stellen. Der Großteil der Frauen wurde während der Übergriffe und Folter vergewaltigt. Manche Frauen umgehen diese Realität in der Verbalisierung, indem sie zu Umschreibungen greifen wie, „dann seien sie ohnmächtig geworden“, sie wüßten nicht genau, ob „es dazu gekommen sei“, die Beamten hätten „alles“ mit ihnen gemacht u.ä. Nicht wenige Frauen definieren „Vergewaltigung“ für sich selbst in der ihnen offiziell bekannter Art und Weise, d.h. als Penetration, und können erst nach einer Weile auch andere sexuelle Handlungen - vaginal, anal oder oral, körperlich oder mit Gegenständen - als Vergewaltigung benennen.

Antragssituation

Zeitraum 2000 / 2001 2002
schon vor Flucht an Istanbuler Projekt gewandt, hier durch Berliner Büro begleitet 3 2
nach Flucht, vor Eröffnung des Berliner Büros, an Istanbuler Projekt gewandt, hier weiterhin begleitet 1 -
nach Flucht direkt an Berliner Büro gewandt 26 9
gesamt 30 11

Zeitpunkt der Kontaktaufnahme in Bezug auf das Asylverfahren

Zeitraum 2000 /2001 2002
vor Anhörung beim Bundesamt 5 5
nach Anhörung, aber vor Entscheidung durch das Bundesamt 3 -
im laufenden verwaltungsgerichtlichen Verfahren 14 4
im laufenden Folgeverfahren 8 2

Im Jahr 2002 wandten sich im Verhältnis mehr Frauen schon vor der Anhörung beim Bundesamt an unser Büro. Zwei der Frauen waren schon vor ihrer Flucht Mandantinnen des Istanbuler Projekts. Die anderen Frauen hatten von Freundinnen und Bekannten von unserem Büro gehört. Von den fünf Frauen, die sich vor der Antragstellung beim Bundesamt an uns wandten, wurden zwei Frauen als Asylberechtigte anerkannt und zwei Frauen aufgrund ihrer psychischen Situation noch nicht angehört. Ein Antrag ist noch nicht entschieden.
Die Kenntnis der wichtigen Erwartungen im Asylverfahren und des wesentlichen Verfahrensgangs durch eine entsprechende Vorbereitung haben die Frauen gestärkt. Auch war es möglich, daß die AnhörerInnen von einem Nachfragen der Details der Mißhandlungen und Folter absahen, nachdem zuvor schriftliche Berichte, Stellungnahmen und Gutachten eingereicht wurden.

Alle Erstgespräche, in denen es darum geht, das Erlebte zu erfassen, zu benennen, ins Gedächtnis zurück zurufen und durch die gedankliche und verbale Formulierung zur endgültigen Realität werden zu lassen, waren ungeheuer schmerzvoll und für die betroffenen Frauen mit etlichen Zusammenbrüchen verbunden. Unsere Arbeitsweise besteht darin, entweder selbst oder durch die vermittelten Therapeutinnen eine Rekonstruktion des Erlebten vor der Anhörung beim Bundesamt anzustreben. Dies kann z.T. sehr langwierig sein, da Gespräche dieser Art ein großes Vertrauen und die innere Bereitschaft der betroffenen Frauen voraussetzen, sich der eigenen, schmerzhaften Realität zu stellen. Hiernach verfassen wir Stellungnahmen und Berichte. Bisher war es durch diese Arbeitsweise möglich, daß weder die AnhörerInnen beim Bundesamt noch die Gerichte nochmals direkt auf die Einzelheiten der traumatisierenden Verfolgungserfahrung eingegangen sind, um den Betroffenen eine Retraumatisierung zu ersparen.

Alle anderen Frauen waren mit extrem negativen Situationen konfrontiert, was wir durch ein Beispiel aufzeigen wollen:

Besonders schmerzhaft ist die Erfahrung einer jungen Frau, die ohne vorherigen Kontakt und ohne jegliche Beratung / Vorbereitung zur Anhörung ging, hier aber trotzdem stark genug war, über die erlebte Folter und Vergewaltigung zu berichten. Dies führte dazu, daß die Anhörerin begann, auf eine Art und Weise nach den Einzelheiten der Vergewaltigung zu fragen, die zwangsläufig in eine Retraumatisierung führen mußte. Fangfragen und eigene Projektionen sowie mangelnde Kenntnis der Zustände im Herkunftsland, die sich z.T. in absurden Fragen widerspiegelte, führten weiterhin dazu, daß nicht mehr nachvollziehbar war, was sie eigentlich in Erfahrung zu bringen versuchte.

Sodann wurde in der Sache über sieben Monate nicht entschieden. Am letzten Tag, bevor die entsprechende Anhörerin in Mutterschaftsurlaub ging, sandte sie die Ablehnung des Antrags als unglaubwürdig ab. Mit den Folgen dieser Gesamtsituation ist sie nun nicht mehr konfrontiert, da sie nicht mehr anwesend ist.
Die betroffene Frau ist schwer suizidgefährdet und kaum psychisch aufzufangen. Sie ist Mutter zweier kleiner Kinder, um die sie sich alleine kümmern muß, und lebt in einem der neuen Bundesländer, fern jeder Therapiemöglichkeit und ohne Beziehung zu FreundInnen oder anderen Vertrauten, mit denen sie trotz dieser erneuten schmerzhaften Erfahrung einen „Lebensplan“ entwickeln könnte.

Derartige zusätzliche Zerstörung mit ansehen zu müssen, bringt auch uns an die Grenzen des Erträglichen. Leider handelt es sich hierbei nicht um Einzelfälle. Einzelfälle sind diejenigen positiven Beispiele, die wir oben genannt haben. Traurig ist, daß wir an sich Selbstverständliches als positiv bewerten müssen. Und wir befürchten, daß alle diejenigen, die keine starke Unterstützung im Hintergrund haben, immer wieder mit ähnlichen Situationen konfrontiert sind.

Entscheidungsstand in den Asylverfahren für Neuanträge 2002:

- beim Bundesamt für die Anerkennung für ausländische Flüchtlinge

aufgrund psychischer Situation noch nicht angehört worden 2
Anerkennung gem. Art. 16 GG 2
Anerkennung gem. § 51 I AuslG (Konventionsflüchtlinge) -
Feststellung von Abschiebungshindernissen gem. § 53 VI AuslG -
Ablehnung 6
noch nicht entschieden 1

- nach Ablehnung bzw. der Gewährung lediglich von § 53 VI AuslG durch das Bundesamt, Entscheidung durch Verwaltungsgerichte (betrifft 4 Verfahren)

Anerkennung gem. Art. 16 GG -
Anerkennung gem. § 51 I AuslG -
Abschiebungsschutz gem. § 53 VI AuslG -
Ablehnung bestätigt 2
noch nicht entschieden 3
Antrag auf Zulassung der Berufung vor OVG anhängig 1

- Wiederaufgreifen des Verfahrens nach bestandskräftiger Ablehnung für Neuanträge 2002

  Asylfolgeantrag Antrag § 53 VI AuslG
durch Bundesamt stattgegeben - -
durch Bundesamt abgelehnt 2 2
durch Bundesamt noch nicht entschieden - -
durch VG stattgegeben - -
durch VG abgelehnt - -
durch VG noch nicht entschieden 2 2
Antrag auf Berufungszulassung - -


Entwicklung der Verfahren aus den Jahren 2000 und 2001

Im Verhältnis zum Verfahrensstand im Vorjahr konnten wir in den laufenden 30 Verfahren im Jahr 2002 folgende Entwicklungen beobachten:

Wir begleiteten zwei Frauen zur mündlichen Verhandlung vor dem Verwaltungsgericht, nachdem wir zuvor schon schriftliche Stellungnahmen abgegeben hatten. In diesen beiden und einer weiteren Anhörung kam es zu drei gerichtlichen Anerkennungen. Andere Verfahren wurden beendet, indem Aufenthaltsbefugnisse aus unterschiedlichen Gründen ausgestellt wurden. Insbesondere die Folgeverfahren gestalten sich aber als sehr schwierig, da es hier inzwischen noch mehr auf die den Kriterien der Gerichte entsprechenden ärztlichen Gutachten ankommt als schon in den vorherigen Jahren.

Stand der Verfahren aus den Vorjahren am 31.12.2002

Stand der Verfahren Insgesamt
Bundesamt und Verwaltungsgerichte
davon im Folgeverfahren
Anerkennung gem. Art. 16 GG 6 1
Anerkennung gem. § 51 AuslG 9 1
Abschiebungsschutz gem. § 53 VI AuslG 6 4
Aufenthaltsbefugnis aus anderen Gründen 2 -
noch nicht entschieden 5 -
endgültig abgelehnt / Berufungszulassung anhängig 2 2
gesamt 30 8



An dieser Stelle wollen wir nochmals auf die vielen Situationen eingehen, die immer wieder zu extremen Einbrüchen in der Psyche von Menschen und insbesondere der Psyche von Flüchtlingsfrauen mit sexueller Gewalterfahrung führen können. Wir geben diese Beispiele, weil wir den Eindruck haben, daß viele der mit Entscheidungs- und Handlungsbefugnissen ausgestatteten Personen sich in keiner Weise darüber im Klaren sind, wie sich bestimmte Verhaltensweisen auf das Leben der von ihnen abhängigen Menschen auswirken können. Wir wünschen uns, daß dieser Personenkreis etwas reflektierter handelt. (Leider nicht zu erwarten ist dies von denjenigen, die sowieso vorsätzlich schikanierend agieren.) Bei den Beispielen handelt es sich zudem um an sich „positive“ Grundentscheidungen.
1. Das Beispiel einer Frau, deren junges Leben frühzeitig zerbrochen wurde. Und zwar nicht nur durch die Vergewaltigung und Folter, die sie durch türkische Sicherheitskräfte erlebte und die sie mutig von hier aus zur Anzeige brachte. Die Flucht zusammen mit ihrem Ehemann und ihren fünf Kindern begann vor fünf Jahren und führte zunächst zu einer Anerkennung des Ehemannes nach Artikel 16 GG durch das Bundesamt. Die eigene Verfolgungsgeschichte der Frau wurde nicht geprüft oder entschieden, da sie kurzerhand Familienasyl erhielt. Leider hatte das Bundesamt vergessen, die Bestandskraft seiner Entscheidung abzuwarten und damit begann die nunmehr fünf Jahre dauernde erneute Tortur. Der Bundesbeauftragte klagte gegen die Entscheidung, nahm jedoch seine Klage vor nunmehr zwei Jahren bezüglich § 51 AuslG zurück, wodurch der Ehemann jetzt rechtskräftig den Flüchtlingsstatus nach § 51 AuslG (mit Wohnsitzauflage) besitzt. Dieser Status vermittelt jedoch kein Familienasyl, und da die Klage wegen Art. 16 GG nach wie vor vor dem Verwaltungsgericht anhängig ist, sieht das Bundesamt auch keinen Bedarf, nunmehr in der Sache der Frau selbst zu entscheiden. Die Frau zählt dadurch immer noch als „Asylantragstellerin“ - und das seit fünf Jahren und aufgrund eines Fehlers des Bundesamtes gleich zu Anfang des Verwaltungsverfahrens - so positiv die Grundentscheidung zunächst war. Durch diesen Status genießt sie keinerlei Rechte, lebt nach wie vor weit entfernt von einer dringend notwendigen kontinuierlichen und professionellen Therapiemöglichkeit in einem der neuen Bundesländer, muß wegen jeder Kleinigkeit die deutschen Behörden anbetteln, ist gesundheitlich ruiniert und bricht ständig zusammen, stirbt jeden Tag ein kleines Stückchen mehr in ihrer Seele und versteht nicht, was hier passiert. Auch wir können es ihr nur schwer vermitteln, da es tatsächlich schier nicht zu akzeptieren ist.
2. Eine junge Frau, die nach sechs Jahren nun endlich im Juli 2002 durch das Verwaltungsgericht ein nach Art. 16 GG anerkennendes Urteil erstritt. Schon zuvor war die psychische Einsturzgefahr nur durch kontinuierlichen Kontakt ansatzweise aufzufangen. Dann wartete sie auf die Zustellung des Urteils. Und mit jedem Tag, der verging, ohne daß die schriftliche Ausfertigung des Urteils ankam, wurde sie ein kleines Stückchen „verrückter“. Sie verrannte sich in die Vorstellung, daß alles nicht wahr sei. Das klingt vielleicht für einen Menschen, der nie wirklich ernsthaft um seine Existenz und sein Leben fürchten mußte, absurd. Aber jeder Tag des Wartens kann einen Menschen in aussichtsloser Situation wirklich wahnsinnig im eigentlichen Sinne dieses Wortes machen. Nach exakt fünf Monaten wurde das Urteil sodann zugestellt, quasi als Weihnachtsgeschenk. Was diese fünf Monate für die Betroffene bedeuteten... danach fragt niemand. Fünf Monate lassen einen Menschen durchaus um Jahre altern, im Herzen wie in der Seele. Panik und Angst erreichen unerträgliche Ausmaße. Aber damit ist das Ganze noch nicht zu Ende. Da das Zuwanderungsgesetz gescheitert ist, bedarf es wieder der sogenannten Bestandskraftmitteilung des Bundesamtes (zuvor in der „Übergangszeit“ wurde die Entscheidung mit Zustellung bestandskräftig, was allerdings auch etlichen BehördenmitarbeiterInnen nicht bekannt war).
Das Bundesamt behauptet nun, es habe das Urteil erst vor kurzem zugestellt bekommen, also nachdem noch einmal ein Monat vergangen ist. Auch wenn das aufzuklären ist, Fakt ist: Seit der mündlichen Verhandlung im Juli 2002, d.h. seitdem klar ist, daß dieses Verfahren nach Artikel 16 GG gewonnen wurde, wartet diese Frau nun auf ihren Paß, ohne den sie nichts, aber auch gar nichts lebensplanerisch gestalten kann. Nach wie vor wird sie wie eine Asylantragstellerin behandelt. Für einen Beamten, Angestellten oder Richter macht es vielleicht keinen Unterschied, ob heute oder morgen oder übermorgen die notwendigen Schriftstücke erstellt und ausgehändigt werden. Aber für die Betroffene ist jede Minute wichtig, nach so langen Jahren der Unsicherheit und Verzweiflung. Denn die Angst, daß sie ihren Peinigern doch noch ausgeliefert werden könnte, ist permanent anwesend und wächst jede Minute.
Auch für uns ist es fast nicht möglich, Betroffene in solchen Situationen „aufzufangen“. Zumal wenn sogar nach der so lange verzögerten Urteilszustellung der betreffenden Frau bei der Beantragung des lange ersehnten Passes in der Ausländerbehörde gesagt wird: „Ihre Akte ist zu, Sie werden abgeschoben.“ Zum Glück war diese Frau stark und geistesgegenwärtig genug, den Vorgesetzten zu verlangen und das „Mißverständnis“ aufzuklären, doch die Ankündigung der Abschiebung hätte fast einen erneuten Zusammenbruch provoziert.

2.2. Soziale Begleitung

Wie es dem Aufgabengebiet entspricht, das wir uns selbst gesteckt haben, waren wir auch dieses Jahr bemüht, AnwältInnen und Therapieplätze zu vermitteln, haben Frauen zu Terminen bei Anwältinnen und bei Arztbesuchen begleitet, was in der Regel das Dolmetschen einschloß. Darüber hinaus waren etliche klärende Telefonate mit SachbearbeiterInnen der Sozialämter, Anmeldungen zu Deutsch- und ggf. Alphabetisierungskursen bis hin zur Klärung der Krankenversicherungspflicht und einem Schlichtungsgespräch auf einem Sozialamt nötig. Besondere Anforderungen haben an uns auch die Notwendigkeit der Unterbringung von auswärtigen Frauen sowie die intensive Begleitung von psychisch labilen Frauen gestellt.

Oft war auch die Vermittlung nicht von sondern zwischen AnwältInnen oder SachbearbeiterInnen auf Ämtern und den Frauen nötig. Auffallend ist hierbei, daß sich Probleme relativ schnell lösen lassen, wenn wir uns einschalten. D.h. wir machten der Anwältin, dem Anwalt und den SachbearbeiterInnen der Ämter klar, warum bestimmte Informationen vielleicht nicht so fließen, wie es erwartet wurde. Wir wiesen auf besondere Umstände einer Frau oder Familie hin, machten deutlich, was in der Routine der Arbeit zu wenig beachtet wird und klärten Mißverständnisse auf (in beide Richtungen). Dazu waren wir nur aufgrund der notwendigen sprachlichen Kompetenz sowie der Vertrauensverhältnisse zwischen uns und den sich an unser Büro wendenden Frauen in der Lage.


Dies ist eine sehr zeitaufwendige Tätigkeit, zugleich aber unverzichtbar, weil es zur Lösung der unmittelbaren, konkreten Probleme der Frauen beiträgt. Kam es bei diesen Terminen, Gesprächen und Begleitungen zu einer guten Kommunikation, so konnten dadurch alle Seiten, einschließlich uns, wichtige Erfahrungen machen. Ebenso bot die Begleitung der Frauen die Möglichkeit, sich intensiver und/oder anders kennenzulernen als bei Gesprächsterminen im Büro.

Auch die umständliche Besorgung der Einzel-Krankenscheine, wozu einem Arzt oder einer Ärztin zunächst ein Formular der Leistungsstelle vorgelegt werden muß, beschäftigte uns etliche Male. Nach dessen Unterschrift, Stempelung sowie Rückgabe an die Leistungsstelle erfolgt dann die Ausgabe eines Krankenscheines. Insbesondere in akuten Krisensituationen kam es häufiger zu Problemen bei der reibungslosen Gewährung medizinischer Hilfe.

Da AsylbewerberInnen selbstverständlich nicht mit viel Gepäck einreisen können, haben sie - besonders im Winter - Bedarf an Bekleidung. Die Leistungsstelle verweist sodann auf sog. Bekleidungslager. Geldmittel dürfen dafür nicht ausgegeben werden. Das Bekleidungslager, das wir gesehen haben, enthält fast ausschließlich Bekleidung älterer Damen. Und zum Beispiel war es aussichtslos, dort Schuhe für den Winter zu bekommen.

Die Erteilung einer Monatsmarke für die öffentlichen Verkehrsmittel erfolgt nur bei regelmäßigen, schon feststehenden Arztterminen. Regelmäßige Besuche unseres Büros untermauern die Notwendigkeit der Mobilität. (Ein Schulbesuch berechtigt anfangs noch nicht zum Erhalt einer Monatsmarke, da noch kein Recht besteht, einen Deutschkurs zu besuchen!)
Jedoch sollte bei Asylantragstellung AsylbewerberInnen grundsätzlich eine Monatskarte gewährt werden, denn Einzelfahrscheine sind bei Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz nicht zu bezahlen. Die Einzelfahrscheine, die bei Antragstellung ausgehändigt werden, sind genau abgezählt für die Fahrten von Erstaufnahmelager zum Bundesamt und zur Leistungsstelle. Um die erste, schwere Zeit zu bewältigen, ist es dringend notwendig, Kraft aus sozialen Begegnungen zu schöpfen. Auch wäre es gerade anfangs sehr nützlich, die Umgebung etwas kennenzulernen, d.h., sich Orientierung verschaffen zu können. Auch muß es möglich sein, sich anfangs mit den öffentlichen Verkehrsmitteln mal zu verfahren, ohne gleich den doppelten Fahrpreis zahlen zu müssen.

Darüber hinaus haben wir Frauen aus anderen Bundesländern, die sich an uns gewandt haben, aufgesucht, um den Kontakt zu intensivieren und die Frauen in ihrer Umgebung zu unterstützen. Frauen, denen es möglich war, nach Berlin zu kommen, waren während ihres Besuches selbstverständlich auf Unterkunft angewiesen, was für uns die zeitweilige Erweiterung unseres Arbeitsbereiches auf eine 24-Stunden-Tätigkeit bedeutete und nur schwer mit der Lohnarbeit zu vereinbaren ist.

Auch haben wir uns bemüht, Frauen, die in Heimen in Berlin untergebracht sind, besonders in der Anfangszeit zu unterstützen. Die Notwendigkeit der Unterstützung entsteht aus dem Umstand, daß die Bedingungen in einem Erstaufnahmelager sowie einem darauf folgenden Heimaufenthalt nicht im mindesten Frauen mit sexualisierter Gewalterfahrung entsprechen. Um nur zwei Gründe zu nennen:
Die überwiegende Zahl der Unterkünfte sind gemischtgeschlechtlich, d.h., der Großteil der Bewohner sind Männer, mit denen betroffene Frauen wahllos, täglich und recht nah konfrontiert sind. Außerdem gibt es keinerlei therapeutische Unterstützung, was für Frauen, die psychisch evtl. äußerst instabil sind, unhaltbar ist. Wir haben in solchen Fällen versucht, die Frauen möglichst gar nicht allein zu lassen, was unsere Kapazitäten annähernd erschöpft hat.

Das Aufbrechen der totalen Isolierung durch gegenseitige Besuche und gemeinsame Freizeitgestaltung, verbunden mit Gesprächen und Aktivitäten, nahm einen großen Raum innerhalb unserer Tätigkeiten ein.

Unterkunft

Im Laufe der Arbeit kamen mehrmals betroffene Frauen, die weder Verwandte noch Bekannte in Deutschland haben, die ihnen ihre Unterstützung angeboten hätten, bei Mitarbeiterinnen oder engen Freundinnen des Büros unter.

Dies hatte mehrere Gründe:
Eine Heimunterbringung war aufgrund der psychischen Situation der Frauen sowie der Heimbedingungen nicht möglich. Die Erfahrung, daß erlebte innere Zerstörungen insbesondere traumatisierter und alleinstehender Frauen durch zwangsweise Heimunterbringung bis ins Unermeßliche vertieft wird, erforderte dieses Vorgehen.

Wir befürworten dringend die Abschaffung der zwangsweisen Heimunterbringung, insbesondere die Unterbringung im Erstaufnahmelager. Sie führt zu regelmäßiger Retraumatisierung und ist deshalb inakzeptabel, es sei denn, die betroffene Frau wünscht eine solche Unterbringung. Glücklicherweise waren wir in der Lage, über Vereinbarungen mit Heimen einigen Frauen diese Heimunterbringung zu ersparen. Die Alternativen wie Zufluchtswohnungen und verschiedene Frauen- / Flüchtlingsprojekte entsprechen nur zum Teil den Bedürfnissen der Frauen, die sich an unser Büro gewandt haben. Oft fehlt es an Sprachmittlung und meistens an täglicher Begleitung und Gemeinschaft, so daß die zwangsläufige Isolierung eine Gesundung an Psyche und Seele nicht zuläßt.

Der ganzheitliche Anspruch der Mitarbeiterinnen des Projekts, die betroffenen Frauen nicht nur als Klientel, als Opfer oder Patientinnen zu sehen, sondern zugleich als Leidtragende eines Krieges oder eines staatlichen Repressionsapparates, gegen den nicht wenige der Frauen zuvor gekämpft haben, fordert eine praktische Solidarität. Ziel ist es, den Frauen Bedingungen zu schaffen, in denen sie ihren Willen stärken und ihren Kampf gegen Menschenrechtsverletzungen wieder aufnehmen können. Einer Frau, die körperlich und seelisch schwer gefoltert wurde, die politische Identität zu nehmen, bedeutet, ihr eine Quelle zu nehmen, aus der sie Kraft für den langen Prozeß schöpfen kann, wieder gesund zu werden.

Konsequenz aus der von uns gewährten privaten Unterbringung war, daß staatlicherseits außer dem Taschengeld in Höhe von 40,- € monatlich keine finanziellen Mittel zur Verfügung gestellt wurden. Diese Unterbringung führte jedoch oft auch über die Grenzen der immateriellen Belastbarkeit einzelner Frauen / Mitarbeiterinnen des Büros hinaus.
Sie waren plötzlich in der Situation, 24 Stunden ansprechbar sein zu müssen, trugen die Verantwortung für die Wahrnehmung aller Termine und die Lösung bürokratischer und persönlicher Probleme.

Dies führte zu der Idee eines neuen Projektes mit einem Konzept für eine angemessene Unterkunft für Frauen, die sexuell gefoltert wurden. Wir begannen über die Einrichtung einer ans Büro angebundenen Wohnung nachzudenken, wo Betroffene zeitweise unterkommen und sich die Frauen auch gegenseitig unterstützen könnten.


2.3. Anzeigenerstattung / Verfolgung der staatlichen Täter

„ ...Frieden mit seinen Erinnerungen schließen. Boote auf einem breiten Fluß hin zum Meer...“

Wie schon im Vorjahr blieb die Anzahl derjenigen Frauen, die hier vom Exil aus Anzeige gegen die staatlichen Täter von an ihnen begangenen Menschenrechtsverletzungen erstatten wollten, sehr gering. Die Gründe hierfür haben wir in unserem letzten Jahresbericht ausführlich dargelegt. An diesen hat sich nichts geändert.
Hinzu kommt:
- Für eine Anzeigenerstattung ist es notwendig, die Daten der Vorfälle und die Zuordnung von erlittenen Foltermethoden zu diesen Daten äußerst genau rekonstruieren zu können. Da genau dies durch die Traumatisierung häufig nicht möglich ist, konnten z.T. für Frauen, insbesondere wenn sie mehrmals festgenommen und mehrmals auf verschiedene Art, auch sexuell, gefoltert wurden, trotz des Wunsches nach Anzeigenerstattung die Daten nicht exakt genug ermittelt werden, um sodann tatsächlich Anzeige zu erstatten.

- Auf diejenigen Anzeigen hin, die aus dem Exil über unser Projekt in Istanbul an die zuständigen Staatsanwaltschaften in der Türkei weitergeleitet wurden, ist bis heute keinerlei Ermittlungstätigkeit erfolgt. Insbesondere das umständliche Verfahren, im Wege der Amtshilfe die Aussagen der betroffenen Frauen als Zeuginnen im Ausland kommissarisch aufnehmen zu lassen, wird von den Staatsanwaltschaften der Türkei anscheinend gescheut. Da wir insofern den Frauen keinen Erfolg bei Anzeigenerstattung „versprechen“ können, wiegt ihre Furcht vor negativen Folgen für sich selbst und zurückgebliebene Verwandte schwerer im Verhältnis zu dem, was sie sich von einer Anzeigenerstattung versprechen.

Insgesamt läßt sich zu den diesbezüglichen Entwicklungen in der Türkei folgendes feststellen:
Nach wie vor kann nicht die Rede davon sein, daß in der Rechtspraxis der Türkei ein ernsthaftes Interesse an der Aufklärung und Verurteilung folternder Beamter oder Militärs besteht, geschweige denn, das Systemunrecht vergangener wie jetziger Zeiten als solches zu benennen und zu ahnden.
Dies ist besonders für die betroffenen Frauen bitter und stürzt sie immer wieder in Krisen, in denen es zu Fragestellungen kommt wie: „Wofür haben wir das alles durchgemacht, wenn sich doch nichts wirklich grundlegend ändert? Soll das alles gewesen sein?“
Von insgesamt 86 eingeleiteten Strafverfahren gegen folternde Beamte oder Militärs durch unser Istanbuler Projekt wegen sexueller Folter sind lediglich 15 Strafverfahren eröffnet worden und vor innerstaatlichen Gerichten (einschließlich des Kassationsgerichtshofs Ankara) anhängig, werden jedoch, wie bereits von uns befürchtet, ohne Urteil extrem in die Länge gezogen. Im letzten Jahr kam es zu lediglich einer, dafür um so spektakuläreren Verurteilung eines Polizeibeamten zu 15 Jahren und vier Monaten Haft, der zusammen mit Kollegen der Vergewaltigung Leyla B.s angeklagt war (s. unsere Unterstützungsaufrufe).
Und: Viele der Frauen, die sich 2002 an unser Berliner Büro oder an das Büro in Istanbul gewandt haben, wurden in den Jahren 1999 bis 2001 sexuell gefoltert.
Zugleich setzen sich die Repressionen gegen betroffene Frauen, die die Strafverfolgung der Täter fordern und sich für die Beendigung des Systemunrechts organisieren, sowie gegen ihre Anwältinnen fort. Insbesondere auf die Benennung von Militärs als Täter von an Frauen begangenen Menschenrechtsverbrechen reagiert der Staat empfindlich und ahndet derartige Äußerungen seinerseits durch die Einleitung von Strafverfahren.
Die vereinzelte Einleitung von Strafverfahren gegen Beamte oder auch einmalige Verurteilungen entsprechen der Selbstdarstellung der Türkei als einem „an sich demokratischen politischen System mit Fehlern, in dem es vereinzelt auch zu Folter kam“. So wird systematisches Systemunrecht durch die Verurteilung von „Einzeltätern“ bagatellisiert. Ohne die Benennung von Systemunrecht als das, was es ist, und ohne dessen grundlegende Aufarbeitung und schonungslose Strafverfolgung der Täter wie der Verantwortlichen ist jedoch nicht zu erwarten, daß sich der Geist des politischen Systems wirklich in ein freiheitliches System mit Achtung vor der Menschenwürde aller, auch Oppositioneller und anderer Völker wie der KurdInnen, transformieren wird - trotz aller Rechtsänderungen auf dem Papier.
Für unsere Arbeit hier bedeutet das, wie schon im vorangegangenen Jahr angedacht, neue und andere Möglichkeiten der Einleitung von Strafverfahren gegen Menschenrechtsverbrecher und deren Helfershelfer direkt aus dem Exil heraus zu forcieren und einzufordern. Aber auch: nicht davon abzulassen, Systemunrecht als das zu benennen, was es ist: ein Verbrechen an Menschen, Frauen, Völkern. Und ebenfalls: die direkten oder indirekten Verstrickungen unserer westlichen Systeme in diese Art Verbrechen nicht zu übersehen.

Anzeigenerstattung

Anzeigenerstattung vor der Flucht direkt an das Istanbuler Projekt 4
Anzeigenerstattung nach Flucht direkt an das Istanbuler Projekt 1
Anzeigenerstattung durch das Berliner Büro an das Istanbuler Projekt weitergeleitet 3
Anzeigenerstattung über das Berliner Büro in Vorbereitung 2
von zunächst beabsichtigter Anzeigenerstattung aus Angst abgesehen 2

Exkurs: Entwicklungen in der Türkei

Die Entwicklungen in der Türkei 2002 waren geprägt von Diskussionen um die Erfüllung der Voraussetzungen für einen konkreten Termin zur Aufnahme von Beitrittsverhandlungen zur EU. Dies war der Motor für etliche Gesetzesänderungen, nicht der Druck der Opposition von unten in der Türkei und auch nicht die Einsicht, daß das türkische System ein repressives, verbrecherisches System ist.
Im Ergebnis sollen die weiteren Entwicklungen in der Türkei innerhalb der nächsten zwei Jahre „genau beobachtet“ werden, um sodann endgültig über den Beginn von Beitrittsverhandlungen zu entscheiden.
Nachdem es schon 2001 zu einer Verfassungsänderung gekommen war, wurden im Jahr 2002 einige Gesetze und Verordnungen erlassen, die dazu führten, daß sowohl in den Medien als auch in politischen Kreisen im Westen von einer echten Demokratisierung in der Türkei gesprochen wurde.

Die Verfassungsänderungen betreffen insbesondere wichtige Grundrechte sowie kleinere Veränderungen im Bereich der politischen Machtkompetenzen. Namhafte kurdische und türkische Juristen haben jedoch in zahlreichen Analysen darauf hingewiesen, daß trotz „positiver Tendenzen“ der repressive Geist des insbesondere militaristischen und autoritären Systems nicht tatsächlich aufgegeben wurde.
Die Einschränkung der Grundrechte ist nach wie vor im Lichte der alten Leitlinien des Systems, zu denen insbesondere diejenige der „territorialen Integrität und nationalen Einheit“ zu zählen ist, sowie im Namen der „allgemeinen Moral sowie der allgemeinen Gesundheit“ möglich. Da die enge Auslegung dieser Begriffe im alten Geist sowohl möglich als auch zu erwarten ist, muß eine Bewertung den Entwicklungen der Praxis vorbehalten bleiben.
Auch die stärkere Einbeziehung ziviler Regierungsbeamter in die Struktur des Nationalen Sicherheitsrats sowie die Veränderung des Wortlauts des Artikels 118 (das Parlament hat dessen Empfehlungen zukünftig „zu würdigen“ und nicht mehr wie zuvor „vorrangig zu berücksichtigen“) läßt keine Aussage auf die tatsächliche zukünftige Einflußnahme der Militärs auf das Parlament zu.

Die konkretisierenden Gesetze und Verordnungen des Jahres 2002 sind vor allem:

1. 6.2.2002: Veränderungen in den Art. 159 und 312 türkisches Strafgesetzbuch sowie Art. 8 Anti-Terror-Gesetz (Gesetz Nr. 4744)

2. 26.3.2002: Voraussetzungen von Beschlagnahmehandlungen, Rückgriff bei Entschädigungs-zahlungen der Türkei nach einer Verurteilung durch den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) auf einzelne, handelnde Beamte (Gesetz Nr. 4748)

3. 3.8.2002: sogenanntes „Demokratisierungspaket“, mit dem zahlreiche Einzelgesetze z.T. ergänzt und geändert wurden; wichtigste Änderungen betreffen:
a. Aufhebung der Todesstrafe in Friedenszeiten – Umwandlung in lebenslange Freiheitsstrafe, verschärfte Haftbedingungen sowie Ausschluß vorzeitiger Entlassung bei Verurteilung zu lebenslanger Haft für sogenannte „Terror-Straftäter“;
b. Wiederaufnahmemöglichkeit eines Zivil- oder Strafverfahrens nach Verurteilung durch den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte innerhalb von einem Jahr auf Antrag;
c. Änderungen der Gesetze über Vereine, Stiftungen, Versammlungen, Medien, Presse sowie die Durchführung privater Sprachkurse etc. (Gesetz Nr. 4771).
4. 18.9.2002: Verordnung zur Konkretisierung der Rechte Festgenommener, mit welcher im wesentlich folgende „Rechte“ festgeschrieben werden sollen:
a. Verpflichtung, den Vorwurf mitzuteilen
b. Aufklärung über das Recht, eine Person über die Festnahme zu informieren
c. Das Recht, bei einer Untersuchung durch eine/n ÄrztIn mit dieser/m allein im Raum zu bleiben, es sei denn, aus Sicherheitsgründen wird die Anwesenheit von Sicherheitspersonal durch ÄrztIn oder Festgenommener/em gewünscht
d. Die Dauer des polizeilichen Gewahrsams darf vier Tage bei gemeinschaftlich begangenen Taten ohne richterliche Anordnung nicht überschreiten; im Ausnahmezustandsgebiet kann die Dauer des polizeilichen Gewahrsams auf Antrag der Staatsanwaltschaft durch richterliche Anordnung auf sieben Tage erhöht werden.
e. Bei Straftaten, die in den Zuständigkeitsbereich der Staatssicherheitsgerichte fallen, besteht das Recht auf Besuch durch die/den VerteidigerIn erst nach schriftlicher Anordnung der Verlängerung des Polizeigewahrsams

5. Die beiden Verordnungen, die im Hinblick auf Punkt 3c sodann erlassen wurden und in den westlichen Medien als „Durchbruch bei der Anerkennung des kurdischen Volkes“ bewertet wurden, sind:
a. 20.9.2002: Regelungen und Voraussetzungen zur Einrichtung von privaten Sprachkursen in Sprachen, die „türkische Staatsangehörige in ihrem Lebensalltag traditionell verwenden“. Von „kurdischer Sprache“ ist hier nicht die Rede, so wie auch in den anderen Gesetzen und Verordnungen, die zu diesem Themenkreis erlassen wurden, nicht. Von der Anerkennung der „kurdischen Sprache“ geschweige denn des „kurdischen Volkes“ als solchem kann also keineswegs die Rede sein. Ansonsten ist Einrichtung und Überwachung dieser Art privater Kurse streng geregelt und Schulkindern der Besuch privater Sprachkurse nur an den Wochenenden und in den Schulferien erlaubt.
b. 18.12.2002: Verordnung über Radio- und Fernsehsendungen in Sprachen, die „türkische Staatsangehörige in ihrem Lebensalltag traditionell verwenden“.
Auch hier ist Gestaltung, Planung und Durchführung derartiger Programme streng geregelt. Zunächst ist eine Erhebung der in Betracht kommenden Sprachen und des Bedarfs durch den Hohen Rundfunk- und Fernseh-Rat (RTÜK) vorgesehen. Schon jetzt wurde die Dauer derartiger Sendungen auf 45 Minuten am Tag und 4 Stunden in der Woche im Rundfunk sowie 30 Minuten am Tag und 2 Stunden in der Woche im Fernsehen beschränkt. Im Fernsehen müssen derartige Sendungen zugleich mit türkischen Untertiteln erscheinen. Die Festlegung derjenigen Sprachen und Dialekte, in denen diese Sendungen erfolgen dürfen, erfolgt durch den Hohen Rundfunk- und Fernseh-Rat aufgrund der erhobenen Bedarfsfeststellung.

6. Schrittweise Aufhebung des Ausnahmezustandes in allen Provinzen bis Dezember 2002:
Die Aufhebung des Ausnahmezustandes in den kurdischen Provinzen wurde im Westen als konkretes „Zeichen“ für den Willen zur Demokratisierung bewertet. Allerdings wurde die wichtige „Kleinigkeit“ übersehen, daß alle Provinzen, in denen der Ausnahmezustand aufgehoben wurde in den rechtlichen Status der sogenannten „Nachbarprovinzen“ (türkisch: mücevir il) überführt wurden. Der rechtliche Status der sogenannten „Nachbarprovinz / mücevir il“ wurde durch die Rechtsverordnung mit Gesetzeskraft Nr. 285 vom 10.7.1987 eingeführt. Die Kompetenzen der Gouverneure dieser Provinzen sind genauso maßlos wie diejenigen der Gouverneure der Ausnahmezustandsprovinzen. Der Unterschied besteht darin, daß gegen Akte dieser Gouverneure theoretisch der Rechtsweg offen steht, was in Ausnahmezustandsprovinzen nicht der Fall war. Darüber hinaus wurden diese Gebiete auf der Rechtsgrundlage der „Verordnung über die Einrichtung eines Krisenstabs“ als „Krisengebiete“ eingestuft, für die ein sogenannter koordinierender Gouverneur mit weitgehenden Kompetenzen ernannt wurde.


Was bedeutet das im Hinblick auf unser Arbeitsfeld?

Wie wir immer wieder betont haben, ist es für die betroffenen Frauen von ungeheurer Wichtigkeit, daß
a) die staatlichen Täter für die an ihnen begangenen Verbrechen strafrechtlich zur Rechenschaft gezogen werden,
b) das diesen Verbrechen zugrundeliegende Systemunrecht aufgedeckt und eingestanden wird und
c) auf diese Weise zu einer endgültigen Beendigung des systemimmanenten, menschenverachtenden Unrechts durch grundlegende Systemveränderung beigetragen wird.

Unsere Aktivitäten beziehen sich hierbei auf die Bereiche

a) Menschenrechte und Achtung vor der unveräußerlichen Menschenwürde des Einzelnen sowie
b) die Anerkennung des kurdischen Volkes und seiner legitimen Rechte.


Weiterhin dürfen beim Versuch einer Einschätzung der Entwicklungen in der Türkei folgende Punkte nicht aus den Augen verloren werden:

1. Die türkische Republik ist von ihrem verfassungsrechtlichen Selbstverständnis her ein nationales, zentralistisch organisiertes politisches System, welches seine nationale Einheit und Integrität unter Leugnung der Existenz anderer Ethnien, insbesondere des kurdischen Volkes, über alles stellt. Garant hierfür ist der nationale Sicherheitsrat, dessen „Empfehlungen“ für das zivile Parlament wegweisend sind.
2. Es bestand immer eine tiefe Kluft zwischen geschriebenem Recht und garantierten Rechten und der anzutreffenden Realität und Praxis. So ist Folter schon lange rechtlich als Straftatbestand formuliert und die Türkei hat etliche Abkommen ratifiziert, welche Folter ausnahmslos ahnden. Trotzdem sind wir mit der Realität systematischer Praktizierung von Folter in der Türkei konfrontiert. D.h., geschriebene Rechtsregeln sagen zunächst für sich genommen nichts über die tatsächliche Praxis auf diesem Gebiet etwas aus.
3. Jahrelange totale Repression gegen jede Art tatsächlicher oder vermeintlicher Opposition wirkt sich auch auf die Art und die Forderungen einer zunächst bestehenden Opposition aus. Ein Staat, der mit keiner nennenswerten Opposition mehr konfrontiert ist, kann auch in der Anwendung der zuvor praktizierten Repressionsmittel nachlassen, was aber nichts über sein eigentliches Selbstverständnis aussagen muß.
4. Der absolut überwiegende Teil der Frauen, die sich in Istanbul oder in Berlin an unser Projekt gewandt haben, sind kurdischer Herkunft. Der türkische Staat leugnet bis heute seine an der kurdischen Bevölkerung begangenen Verbrechen oder rechtfertigt sie unter dem Vorwand „legitimer Terrorismusbekämpfung“. Es steht zu befürchten, daß er nach dem 11.9.2001 für diese Sichtweise der Dinge auf noch mehr Verständnis bei seinen Verbündeten stoßen wird.

Wir sind der Ansicht, daß sich in der Türkei nach wie vor nichts Grundlegendes im staatlichen Selbstverständnis geändert hat. Eine „Beobachtung“ der weiteren Entwicklungen muß unter Berücksichtigung der o.g. Überlegungen und Hinweise insbesondere den Kontakt mit der von repressiven und verbrecherischen Methoden konfrontierten Menschen beinhalten. Der Alltag von Repression und Grauen läßt sich nur erfassen, wenn mensch sich an die Basis begibt, und ist am Barometer diplomatischer Beteuerungen und Gesetzesänderungen allein nicht ablesbar.

3. Sonstige Entwicklungen innerhalb des Projekts

Wir haben nach wie vor feste Öffnungszeiten der Büroräume an zwei Tagen in der Woche (dienstags von 10 bis 14 Uhr, freitags von 14 bis 18 Uhr) und vergeben außerhalb dieser Zeiten Termine nach Vereinbarung. Im letzten Jahr haben sich insbesondere diese Bürotage zu Tagen des Zusammenkommens, Diskutierens und Planens für betroffene Frauen entwickelt. Unser Aufenthaltsraum ist an diesen Tagen regelmäßig voll.
Entsprechend unserer Möglichkeiten sind an diesen Tagen deutsch-, kurdisch- und/oder türkischsprachige Mitarbeiterinnen anwesend.
Jeden ersten Samstag im Monat findet ein offenes Frauenplenum statt und jeden Sonntag ist Mitarbeiterinnentreffen.

Die Arbeitsgruppen treffen sich nach Bedarf zusätzlich. Es handelt sich um folgende Gruppen:

- Soziale Begleitung
- Recht und Rechte
- Delegationen
- Internationale Kontakte
- Finanzgruppe
- Medien / Web-Seite

Als eine besonders schöne Entwicklung hat sich nun eine Gruppe „Selbstorganisierung“ gegründet. Insbesondere betroffene Frauen gestalten und entwickeln Konzepte gemeinsamen Handelns. Zur Zeit werden Interviews mit Flüchtlingsfrauen für ein Buch durchgeführt, die sodann transkribiert und ins Deutsche übersetzt werden. Das Einbringen eigener Positionen sowohl zur politischen Lage im Herkunftsland als auch zur Situation von Flüchtlingsfrauen in der Bundesrepublik in die öffentliche Diskussion als auch ganz konkrete gegenseitige Unterstützung und Freundschaft werden in dieser Gruppe besonders intensiv praktiziert.

Es entstand der Wunsch nach erweiterten Räumlichkeiten. Zur Zeit besteht unser Büro aus zwei Räumen, einem rein technischen Arbeitsraum und einem Beratungs- und Versammlungsraum, sowie einer Küche. Aufgrund der hohen Frequentierung entstehen des öfteren Interessenkollisionen. So müssen z.B. während der Beratung einer Frau alle anderen anwesenden Frauen aus dem Raum geschickt werden. Insbesondere die Gruppe „Selbstorganisierung“ hätte durch einen weiteren Raum die Möglichkeit, ihre Aktivitäten voll zu entfalten.

Im Juni veranstalteten wir eine Dampferfahrt mit anschließendem Picknick, zu der wir alle „Betroffenen“ sowie Freundinnen eingeladen hatten. Über 50 kurdische, türkische und deutsche Frauen aus ganz Deutschland und eine Frau aus der Schweiz nahmen z.T. mit ihren Kindern an diesem Zusammenkommen teil. Es war für viele Frauen das erste Mal, daß sie mit anderen Betroffenen zusammenkamen und sich austauschen konnten. Es wurden Vorträge gehalten, gespielt, getanzt, gelacht und geweint. Nicht wenige Frauen fuhren mit neuem Mut und neuer Kraft zurück zu ihren „Wohnorten“. Allerdings führt eine solche Erfahrung des kollektiven Miteinanders zugleich noch klarer die Isolation im zermürbenden Alltag vor Augen. Wir stellten für alle Teilnehmerinnen ein kleines Photoalbum als Erinnerung zusammen, welches nun als Ersatz für fehlende Nähe aufbewahrt wird.

Am 28.07.2002 wurde die Jahresmitgliederversammlung durchgeführt.
Was die Formalitäten, die Prinzipien und Projektziele, die Zusammensetzung des Vorstands und der Mitglieder betrifft, haben sich keine Änderungen ergeben.
Manche der aktiven Mitarbeiterinnen sind ausgeschieden, andere, besonders mehrsprachige, sind eingestiegen. Nach wie vor arbeiten alle Mitarbeiterinnen ehrenamtlich, d.h., sie gehen zugleich einer Lohnarbeit nach, um ihre Existenz zu sichern. Hieraus ergibt sich, daß wir im Verhältnis zur anfallenden Arbeit eigentlich permanent „unterbesetzt“ sind.
Da die Miete unserer Büroräume nicht durch die offiziellen Unterstützungsorganisationen getragen werden und wir insofern auf private Spenden angewiesen sind, war es zum Jahresende notwendig, einen entsprechenden Spendenaufruf zu veröffentlichen. Die Büroräume sind der Dreh- und Angelpunkt all unserer Aktivitäten. Durch spontane Spenden ist die Miete zunächst für eine gewisse Zeit gesichert. Allerdings wäre eine kontinuierliche Sicherung wünschenswert. Sollte diese erreicht werden, wäre es auch möglich, über die Anmietung eines größeren Büros nachzudenken.

Im Jahr 2002 wandten sich Studentinnen verschiedener Fachrichtungen, insbesondere Journalismus, an uns und berichteten in ihren Abschlußarbeiten über die Projektarbeit und die Situation in der Türkei.

a) Stellungnahmen / Berichte

Verschiedene Pressemitteilungen und Aufrufe sowie Übersetzung von Anklageschriften zur Prozeßbeobachtung in der Türkei:

– 05.02.2002 Aufruf zum Prozeß gegen 19 Angeklagte wg. des Kongresses gegen sexuelle Folter im Juni 2000
– 21.04.2002 Aufruf zum Prozeß wg. IHD-Veranstaltung am 25.11.01 in Istanbul
– 21.04.2002 Aufruf zu Solidarität und Unterstützung wg. Pressehetze gegen Eren Keskin
– 03.06.2002 Aufruf mit übersetzter Anklageschrift bzgl. „Recht auf Muttersprache“
– 20.08.2002 Aufruf zum Verfahren gegen Eren Keskin am 20.9.2002 wg. 8.März -Veranstaltung in Köln
– 03.09.2002 Aufruf zur Delegationsreise zur Prozeßbeobachtung in Istanbul im Oktober 2002 wg. des o.g. Prozesses gegen 19 Personen und wg. des Prozesses gegen Eren Keskin wegen ihres Gesprächs mit H. Däubler-Gmelin)
– 01.10.2002 Bericht über den Prozeß gegen Eren Keskin am 20.9.2002 vor DGM Istanbul
– 27.11.2002 Presseerklärung zum einjährigen Berufsverbot für Eren Keskin
– zahlreiche weitere übersetzte Anklagen in diesen und anderen Verfahren zur Information

b) Delegationen / Prozeßbeobachtung in der Türkei

Auch im Jahr 2002 wurde die Arbeit des Istanbuler Projekts massiv behindert und der Tatbestand der weiterhin praktizierten systematischen sexuellen Folter an Frauen geleugnet, was sich u.a. in der Vielzahl der Repressalien gegen Eren Keskin als Mitbegründerin und Anwältin des Projekts zeigt:
An erster Stelle sind hier die zahlreichen Verfahren zu nennen, mit denen Frau Keskin und andere gleichgesinnte Frauen eingeschüchtert werden sollen und von denen eines z.B. zu einem einjährigen Berufsverbot für Eren Keskin führte; gleichzeitig wird der Prozeß gegen 18 Frauen sowie den Vater einer betroffenen Frau, die im Juni 2000 auf einem Kongreß gegen sexuelle Folter in Istanbul gesprochen haben, zermürbend in die Länge gezogen. Wir haben immer wieder über diese Verfahren berichtet und sie soweit möglich durch Delegationen begleitet.
Dem gleichen Ziel der Behinderung und Einschüchterung dienend und nicht minder perfide ist die Hetzkampagne gegen Eren Keskin, die im April 2002 in der türkischen Presse losgetreten wurde.

Zu manchen der Prozesse im einzelnen:

Wir berichteten mehrfach von den Prozessen wegen des am 10./11. Juni 2000 in Istanbul stattgefundenen Kongresses gegen sexuelle Folter; 18 Frauen und der Vater einer betroffenen Gefangenen wird vorgeworfen, hier als RednerInnen oder Organisatorinnen teilgenommen zu haben, und sie wurden wegen "Verunglimpfung des Staates und seiner Organe" nach Art. 158 Abs.1 Türkisches Strafgesetzbuch angeklagt.
Allein die Tatsache, daß das Gericht davon ausgeht, es könne überhaupt einem Straftatbestand entsprechen, über erlittene sexualisierte Folter Zeugnis abzulegen und die konsequente Verhinderung und Strafverfolgung derartiger Menschenrechtsverbrechen zu verlangen, wirft ein entscheidendes Licht auf die der Justiz innewohnende Logik. In mindestens einem der wenigen Verfahren, die überhaupt gegen Folterer eingeleitet wurden, wurden diese bereits vom Vorwurf der Folter und Vergewaltigung freigesprochen.
Aus diesem Grund ist die Anklageerhebung an sich ein Skandal und bedeutet für die betroffenen und angeklagten Frauen eine erneute Erniedrigung und Demütigung, weil durch die Anklageerhebung fortgesetzt die Realität der ihnen zugefügten Verbrechen geleugnet wird und sie einer Vorverurteilung und Kriminalisierung ausgesetzt sind.
Das Tabu zu brechen und über die sexuelle Folter öffentlich zu sprechen, kostet die Betroffenen schon immens viel Mut und Kraft; nun werden sie von Staatsseite seit knapp zwei Jahren als Lügnerinnen dargestellt und durch die Verzögerung des Verfahrens noch zusätzlich gedemütigt, ohne daß je einer der Täter zur Rechenschaft gezogen worden wäre.

Aufgrund des selben Sachverhalts wurde im Juni 2001 ein weiteres Strafverfahren, diesmal vor dem Staatssicherheitsgericht (DGM) Istanbul, wegen "separatistischer Propaganda“ und „Aufstachelung zu Haß und Feindschaft durch das Aufzeigen ethnischer, klassenbedingter und regionaler Verschiedenheiten“ gem. Art. 8 Abs.1 „Anti-Terror-Gesetz“ i.V.m. Art. 312 Abs.2 Türkisches Strafgesetzbuch eröffnet. Eine der fünf Angeklagten in diesem zweiten Verfahren wegen desselben Vorfalls ist Fatma Karakas, Rechtsanwältin und Mitarbeiterin im Istanbuler Projekt.

Zur Unterstützung der Angeklagten organisierten wir in Zusammenarbeit mit anderen Solidaritätsgruppen, dem FrauenFluchtNetz Stuttgart / Tübingen und einer Prozeßbeobachtungsgruppe aus Freiburg, wie bereits im Vorjahr mehrere Delegationen zu den Prozessen u.a. im Februar, Mai und Oktober 2002, um eine internationale Öffentlichkeit zu schaffen und den betroffenen Frauen Solidarität zu zeigen. Die angeklagten Frauen hatten sich dahingehend geäußert, daß es für sie selbst sehr wichtig sei, zu sehen, daß sie mit den gegen sie erhobenen Vorwürfen nicht alleine dastehen, und daß die Prozeßöffentlichkeit für sie ein Schutz darstelle. Ausführlichere Berichte zu diesen und allen weiteren Verfahren können im Berliner Büro angefordert werden. Auch mehrere Zeitungen berichteten über die Prozesse.

Gegen Eren Keskin selbst laufen unzählige Verfahren; vor dem Istanbuler Strafgericht in Beyoglu wird sie immer noch zusammen mit dem ehemaligen Chefredakteur der Zeitung Yeni Gündem, Erol Tas, wegen "Verunglimpfung der staatlichen Sicherheitskräfte" gem. Art. 159 Abs.1 Türkisches Strafgesetzbuch i.V. m. Art. 16 Abs. 1 des Pressegesetzes angeklagt. Der Vorwurf wird begründet mit einem von Eren Keskin verfaßten Bericht, der in der Yeni Gündem veröffentlicht wurde; er enthielt Aussagen der „Friedensmütter“, kurdischer Frauen, die nach ihrer Festnahme in türkischem Polizeigewahrsam sexuell gefoltert wurden.

Am 25.11.2001, dem „Internationalen Tag gegen Gewalt gegen Frauen“, führte der IHD in Istanbul eine Veranstaltung zum Thema „Gewalt gegen Frauen“ durch. Eren Keskin, damals noch Vorsitzende der Sektion Istanbul des IHD, trat neben anderen als Referentin auf dieser Veranstaltung auf, um über die Erfahrungen der Projektarbeit zu berichten. Daraufhin wurde sie aufgrund Art. 8 Abs. 1 des Anti-Terror-Gesetzes („separatistische Propaganda“) vor dem Staatssicherheitsgericht Istanbul angeklagt. Die erste Hauptverhandlung fand am 11.4.2002 statt und wurde im Juli fortgesetzt. Am 25.12.2002 hielten sowohl Staatsanwaltschaft als auch die Verteidigung ihr Abschlußplädoyer. Der Prozeß wurde auf den 20.2.2003 vertagt.

Auf einer Veranstaltung zum Internationalen Frauentag am 16.3.2002 in Köln sprach Eren Keskin über die Erfahrungen der Arbeit des Projektes. Dazu gehörte auch, über die an Frauen begangenen Verbrechen staatlicher Täter als Teil einer undemokratischen und militaristischen Staatspolitik zu sprechen.
Am 20.9.2002 begann deshalb ein weiterer Prozeß vor dem Staatssicherheitsgericht Istanbul: Mit ihrem Redebeitrag habe Eren Keskin Art. 312 Abs. 2 des türkischen Strafgesetzbuchs verletzt, nämlich öffentlich unter Hinweis auf Unterschiede der Klasse, Rasse und Religion, Konfession oder Region zu Haß und Feindschaft aufgestachelt und durch die Bezeichnung eines Teils der Türkischen Republik, welche ein Einheitsstaat sei, als Kurdistan und durch die Darstellung der kurdischen Bevölkerung als unschuldig und unterdrückt, Ausführungen gemacht, die die Bevölkerung der anderen Regionen aufstachele. Nach der Verteidigungsrede Eren Keskins, in der auch die Arbeit des Rechtshilfeprojekts geschildert wurde, äußerte der Vorsitzende Richter seine Skepsis gegenüber diesem Projekt, da es über keinen offiziellen Rechtsstatus verfüge. Schließlich drohte er an, daß auch eine Verurteilung wegen Art. 8 Anti-Terror-Gesetz erfolgen könne. Der Vorwurf des Separatismus kann nach der bisherigen Rechtsprechung bereits durch den Gebrauch des Wortes Kurdistan erfüllt sein. Der Strafrahmen beträgt ein bis drei Jahre Haft.
Die Verhandlung wurde am 27.11.02 fortgesetzt, weitere Termine folgen.
Außer dem FrauenRechtsBüro gegen sexuelle Folter e.V. beobachteten das deutsche Konsulat, amnesty international/ London, zwei Vertreter der Londoner AnwältInnenkammer und gleichzeitig Mitglieder der kurdischen Menschenrechtsvereinigung KHRP sowie der Republikanische Anwaltsverein RAV und die Berliner AnwältInnenkammer den Prozeß, zudem waren zahlreiche Presseangehörige anwesend.

Bereits im April 2002 war aufgrund des Redebeitrags auf der Veranstaltung in Köln durch die Tageszeitung Hürriyet und insbesondere durch den Journalisten Fatih Altayli eine beispiellose Hetzkampagne gegen Eren Keskin in der Presse geführt worden, in der sie als Verräterin und Lügnerin beschimpft und in der ihr selbst mit Vergewaltigung gedroht wurde.
Aufgrund des umfangreichen Protestes auch aus dem Ausland nach unserem Bericht über diese Hetzkampagne hat sich auch der Presserat in der Türkei der „Angelegenheit Fatih Altayli“ angenommen und ihn im Juli offiziell verwarnt.
Darüber hinaus ist ein Strafverfahren wegen Verleumdung und Beleidigung gegen Fatih Altayli durch die Staatsanwaltschaft Sisli/Istanbul sowie ein Schmerzensgeldverfahren wegen Beleidigung vor einem Zivilgericht in der Türkei eingeleitet worden.

Die dem Justizministerium nahestehende Nationale AnwältInnenkammer in Ankara (vergleichbar der BundesanwältInnenkammer) hat inzwischen wegen früherer Verurteilungen Eren Keskins, wegen derer sie sich 1995 in Haft befand, ein einjähriges Berufsverbot ausgesprochen, nachdem sich die Istanbuler Anwaltskammer geweigert hatte, eine derartige Disziplinarmaßnahme zu verhängen. Dies ist nach türkischem Recht möglich und stellt insbesondere für im Menschenrechtsbereich tätige AnwältInnen eine permanente Drucksituation dar. Am 12.7.2002 wurde vom Disziplinarausschuß der Nationalen AnwältInnenkammer der Türkei in Ankara ein einjähriges Berufsverbot gegen Eren Keskin, die erst kürzlich zur stellvertretenden Vorsitzenden des Menschenrechtsvereins der Türkei IHD gewählt worden war, verhängt. Nachdem diese Entscheidung Ende September durch die zuständige Stelle beim Justizministerium bestätigt worden war, wurde sie im November zugestellt. Da die Entscheidung trotz möglicher Rechtsmittel sofort vollziehbar ist, kann Eren Keskin ihren Beruf seit November 2002 nicht mehr ausüben, wodurch sie existentiell bedroht ist. Der Eilantrag auf einstweilige Anordnung wurde am 10.01.2003 vom Verwaltungsgericht Ankara abgelehnt.

Seit Juli 2002 wird vor dem 2. Strafgerichtshof in Istanbul gegen Eren Keskin wegen des Vorwurfs der „Diffamierung der Türkei“ verhandelt. Dieser Vorwurf bezieht sich auf Äußerungen, die Eren Keskin bei einem Gespräch mit der damaligen deutschen Justizministerin Herta Däubler-Gmelin im Spätsommer 2000 gemacht haben soll. Das Gespräch fand am Rande einer offiziellen Regierungsreise der Justizministerin statt, bei der diese sich auch mit oppositionellen Gruppen traf. Eren Keskin hatte dabei von der Arbeit des Frauenrechtshilfeprojekts und des Menschenrechtsvereins IHD gesprochen. Über die Begegnung wurde später in der Wochenzeitung Yeni Aydinlik berichtet. Auch der Autor des Artikels und der Chefredakteur sind in derselben Sache angeklagt. Eren Keskin wird vorgeworfen, sie habe die Streitkräfte „verleumdet und beleidigt“; sie habe sich nach Art. 312 Abs. 2 des Türkischen Strafgesetzbuches strafbar gemacht, da sie durch ihre Äußerungen zu Kurdistan öffentlich zu Haß und Feindschaft unter der Bevölkerung aufgerufen habe, indem sie auf Unterschiede der Klasse, Rasse, Religion, Konfession oder Region hingewiesen habe.

Eine Presseerklärung und das Verteilen von Informationsmaterial im Rahmen einer türkeiweiten Kampagne für das „Recht auf Muttersprache“ (Kurdisch) im Frühjahr 2002 führte zu einem weiteren Prozeß gegen Eren Keskin vor dem Staatssicherheitsgericht Istanbul, weil sie damit die PKK unterstützt und somit Art. 169 des Türkischen Strafgesetzbuches verletzt haben soll.
Wegen dieses und anderer Prozesse gegen Eren Keskin rief auch amnesty international zu Appellen an den türkischen Justizminister auf.

Eines der Verfahren, das sich letztendlich gegen das Projekt richtete, war ein Strafverfahren gegen Eren Keskin vor den Strafgericht Kartal / Istanbul wegen eines Interviews mit einem französischen Journalisten. Durch ihren Bericht über die Existenz sexueller Folter habe sie das Ansehen der Türkei im Ausland geschädigt. In diesem Verfahren kam es am 27.12.2002 zum Freispruch.

Wir organisierten Delegationen zu mehreren Prozessen und informierten die Öffentlichkeit durch Presseerklärungen und Aufrufe zur Unterstützung der Angeklagten bzw. zu Protest gegen die Verfahren, die einzig und allein der Einschüchterung derjenigen, die sich unter großem persönlichen Einsatz gegen die permanenten Menschenrechtsverletzungen wehren und diese öffentlich machen, und der Behinderung ihrer so wichtigen Arbeit dienen.

Im Rahmen der Delegationen fanden jeweils auch Gespräche mit Menschenrechtsorganisationen bzw. in diesem Bereich tätigen AnwältInnen statt, um die aktuelle Situation zu erläutern, konkrete Probleme zu besprechen und die Zusammenarbeit zu verbessern und zu vertiefen.
Die Prozesse an sich zeigen die unveränderte Billigung sexualisierter Folter durch den Staat: die Täter werden nicht belangt, die Gefolterten und die, die sie verteidigen, werden angeklagt. Bei allen Prozessen wurde zudem die Verzögerungs- und Verschleppungstaktik der Gerichte deutlich, mit der die Angeklagten hingehalten werden; während des gesamten Verfahrens werden sie als Straftäterinnen dargestellt und behandelt. Für von sexueller Folter betroffene Frauen macht dies eine sinnvolle Therapie fast unmöglich und demütigt sie nach der erlittenen Folter noch über Jahre hinaus zusätzlich.
Für AnwältInnen, die sich für sie einsetzen, bedeutet dies, das Ende der beruflichen Existenz und Haftstrafen zu riskieren; sie befinden sich im ständigen Konflikt zwischen Aufrichtigkeit und Existenzvernichtung.


Den konkreten Einfluß der Öffentlichkeitsarbeit und der zahlreichen Protestbriefe auf türkische Staatsorgane können wir nicht benennen, doch einzelne Entwicklungen wie die weitgehende Einstellung der Morddrohungen gegen Eren Keskin nach vielfachen Appellen auf Initiative von amnesty international im April 2001, das Verstummen der Hetze in der türkischen Presse vom April 2002 wie auch die Tatsache, daß Eren Keskin trotz ihrer unzähligen Prozesse (noch) nicht in Haft ist, zeigen, daß öffentliche Aufmerksamkeit wichtig und sinnvoll sind; nicht zuletzt sind die Delegationsreisen auch ein Ausdruck der Solidarität mit den Angeklagten.

c) Aufrufe zur Unterstützung

Aufrufe zur sowohl finanziellen als auch insbesondere eingreifenden Unterstützung einzelner betroffener Frauen insbesondere bei erneuter Repression aufgrund von Anzeigenerstattung gegen staatliche Täter in der Türkei einschließlich der kurdischen Gebiete sowie die Veröffentlichung diesbezüglicher Hintergrundinformationen gehören ebenfalls zu unseren Aufgaben. 2002 handelte es sich um folgende Aufrufe:

- 27.07.2002: Unterstützungsaufruf für Leyla B.
- 21.04.2002: Protestaufruf zu “Hetzkampagne gegen Eren Keskin”
- 28.08.2002: Dringendes Gesuch zu Nuriye Kesbir
- Solidaritätsaufruf zu Zeynep Avci

Diese Aufrufe fanden ein breites Echo und wurden z.T. selbst aus Regierungskreisen unterstützt. Diese Art der politischen Initiative, im Zusammenspiel mit vielen anderen Initiativen, gewährt den Frauen einerseits einen gewissen Schutz vor staatlichen Übergriffen, andererseits trägt der über viele verschiedene Ebenen erzeugte öffentliche Druck auch gelegentlich dazu bei, daß in den Gerichtsverhandlungen die staatlichen Täter auch tatsächlich zur Rechenschaft gezogen werden. So wurde im Prozeß Leyla B. gegen vier Polizisten wegen Vergewaltigung im Dezember 2002 ein Angeklagter in der ersten Instanz zu 15 Jahren und vier Monaten Haft verurteilt.
Wir danken bei dieser Gelegenheit allen, die durch ihre Unterstützung zur Linderung der schweren Situation Leyla B.s beigetragen haben.

d) Zusammenarbeit mit anderen Einrichtungen

Über eine kontinuierliche und sich gegenseitig ergänzende Zusammenarbeit mit anderen Einrichtungen konnten wir die bereits geknüpften bundesweiten Kontakte intensivieren und ausbauen.
Hinzu kam die Entwicklung und der Aufbau internationaler Kontakte zu Frauenorganisationen, die sich ebenfalls gegen spezifische Formen von Frauenunterdrückung organisieren. Weltweit verschickten wir Informationsmaterial und machten so unser Projekt international bekannter. Die so gesetzten Anfänge einer internationalen Vernetzung möchten wir im nächsten Jahr weiter ausbauen und konkretisieren. So planen wir für das Jahr 03 bzw. 04 einen internationalen Frauenkongress zu dem Thema “Spezifische Formen von Frauenunterdrückung” (vorläufiger Arbeitstitel). Der Kongress soll von verschiedenen Berliner Frauenprojekten, die zu dem Thema arbeiten, gemeinsam vorbereitet und durchgeführt werden.
e) Öffentlichkeitsarbeit

Im Juli 2002 konnte unsere Web-Seite „www.womensrightsproject.de“ ins Netz gestellt werden. Hier können aktuelle Infos und Entwicklungen, Spendenaufrufe, „urgent actions“, Hintergrundinformationen und vieles andere mehr abgerufen werden. Unseren Flyer gibt es jetzt auch in englischer und spanischer Sprache.

Auch dieses Jahr war sowohl die Arbeit des Istanbuler als auch des Berliner Projektes Gegenstand zahlreicher Artikel und Veröffentlichungen; Reportagen und Interviews in Radio- und Fernsehsendungen trugen zur Information über die Tätigkeit bei. Beispielhaft seien genannt:

- 09.02.02 Frankfurter Rundschau: „Etappensieg für Menschenrechte“
- 22.02.02 Badische Zeitung: „Der Erlös der Kunstauktion hilft Folteropfern“
- 11.04.02 Weser Kurier: „Folterungen am eigenen Körper erlitten und ertragen“
- 04.05.02 Neue Züricher Zeitung / Netzeitung / AFP: „Justizskandal um Folter in der Türkei“
- 14.05.02 Junge Welt: „Reden über sexuelle Folter bestraft“
- 17.05.02 Junge Welt: „Sexuelle Folter in der Türkei - Warum Prozesse gegen Opfer?“
- 27.05.02 Stuttgarter Nachrichten: „Der Gang an die Öffentlichkeit soll Mut machen“
- 28.05.02 The Guardian: „Threatened by their protectors / Turkey`s record in Kurdistan is a grim warning to Afghan women“
- 02.07.02 Süddeutsche Zeitung: „Prozeß gegen Menschenrechtlerin Eren Keskin“
- 28.09.02 Frankfurter Rundschau: „Tage, die kein Ende nehmen“
- 10.10.02 Neues Deutschland: „Türkische Frauen brechen das Tabu“
- Sept. 02 LOLA Press: „Against sexual torture“ (englisch und spanisch)
- 27.11.02 Süddeutsche Zeitung: „Die langen Schatten der Gewalt“
- Aug. 02 Publik-Forum Nr. 16: „Hundert Prozesse laufen allein gegen mich“
- 28.11.02 Özgür Politika: „Blutige Folter“ u.v.a.m.
- 30.11.02 taz: „Mutige Anwältin zum Schweigen verurteilt“
- 09.12.02 Mendener Zeitung: „Berufsverbot für mutige Anwältin“

Darüber hinaus nahmen Mitarbeiterinnen (z.T. auch als „Betroffene“) an Radio- und Fernsehreportagen teil.

Wie auch schon in den Jahren zuvor wurden Mitarbeiterinnen des Projekts zu zahlreichen Veranstaltungen als Referentinnen eingeladen. Beispielhaft für das Jahr 2002 seien genannt:

- 09.03.02 in Dortmund: “Herrliche Welt !?”; Veranst.: Kulturbetriebe Stadt Dortmund
- 25.04.02 in Stuttgart: „Juristen auf der Anklagebank? - Verfolgung von Menschenrechts-verteidigern - Schwerpunkt Türkei“; Veranst.: Verein der Richter und Staatsanwälte Baden-Württemberg e.V. - Kommission für Menschenrechte
- 26.-28.04.02 in Dortmund: 28. Feministischer Juristinnentag
- 08.06.02 in Luzern: Generalversammlung der ACAT (Aktion der Christen gegen Folter)
- 08.11.02 in Berlin “Wirksamer Schutz der Menschenrechte”; Veranst.: Aktion Solidarische Welt Berlin

Von uns organisierte Veranstaltungen:

In Zusammenarbeit mit dem FrauenFluchtNetz Stuttgart / Tübingen organisierten wir eine Veranstaltungsreihe zu dem Thema “Frauenfluchtgründe am Beispiel Türkei“, an der aus der Türkei eine betroffene Frau und Eren Keskin als Rechtsanwältin des Istanbuler Projekts teilnahmen:

- 24.05.02 Tübingen
- 26.05.02 Stuttgart
- 01.06.02 Köln

Weiterhin organisierte unser Büro in Berlin:

- 16.06.02 Dampferfahrt auf der Spree mit anschließendem Picknick. Hierzu haben wir alle betroffenen Frauen und Freundinnen eingeladen.

Teilnahme an Tagungen / Fortbildungen:

20.-21.06.02 in Berlin: „Asyl in Europa - Verantwortung für die Welt”
Veranst.: Ev Akademie zu Berlin

31.01.-02.02.02 in Ankara: „International Symposium on the Right to Asylum and Refugees in Europe and Turkey“
Veranst.: u.a. Stiftung für soziale Forschung, Kunst und Kultur in Kooperation mit dem türkischen Menschenrechtsverein IHD

13.12.02 in Berlin: „Menschenrechtsinstrumente für Frauen nutzen“
Veranst.: Deutsches Institut für Menschenrechte, Koordinierungskreis gegen Frauenhandel


4. Perspektiven und geplante Aktivitäten für die weitere Arbeit

„Die Utopie ist kein fixes Ziel sondern immer ein Horizont in Bewegung.“

Wir werden unsere Arbeiten auch 2003 fortsetzen. Dabei sind unsere Vorhaben natürlich immer auch von Entwicklungen abhängig, die nicht unbedingt in unserer Hand liegen. Trotzdem können wir folgenden Ziele benennen:

- Nach wie vor steht die Veröffentlichung zweier Bücher / Broschüren aus, mit deren Erarbeitung begonnen wurde;
- Intensivierung der Selbstorganisierung;
- Erhöhung der Anzahl insbesondere mehrsprachiger Mitarbeiterinnen;
- Erarbeitung weiterer Möglichkeiten internationaler Strafverfolgung staatlicher Täter von und Verantwortlicher für an Frauen begangenen Menschenrechtsverbrechen;
- Durchführung eines Kongresses;
- Sicherung der regelmäßigen Mietaufwendungen und eventuell damit einhergehend Erweiterung unserer Räumlichkeiten.

Berlin, den 14.02.2003


FrauenRechtsBüro gegen sexuelle Folter e.V.


Statistiken

A. BERLIN

Gesamtzahl der Anträge 41
- Anzahl der Anträge an Istanbuler Projekt vor Eröffnung des Berliner Büros,
durch Berliner Büro nach Flucht weiter begleitet 6
- Anzahl der Anträge direkt an das Berliner Büro 35


Art der staatlichen Menschenrechtsverletzung:
- Vergewaltigung / Folter 29
- sonstige sexuelle Folter 12

Von obigen Fällen
- durch die Foltertat erlittene Fehlgeburten 6
- gemeinsam mit oder vor den Augen von Kindern im Alter
zwischen 3 ½ -10 Jahren gefoltert 2


Alter :
- Jüngste 15 Jahre
-Älteste 38 Jahre
- Anzahl der minderjährigen Betroffenen unter 18 Jahren 9
- Anzahl der Betroffenen im Alter von 18 bis 25 Jahren 14


Täterkategorien :
- Polizei (uniformiert und / oder zivil ) 35
- Gendarmerie / Militär 7
- Spezialeinheiten (Özel Tim) 3
- Dorfschützer -
- Vollzugsbeamte -


Herkunft der Frauen:
- kurdisch 38
- türkisch 3


Hintergründe:

Politischer Art oder kriegsbedingt
- kriegsbedingt 12
- selbst politisch 14
- um männliche Familienangehörige zum Sprechen zu bringen
oder Informationen über (meist) männliche Familienangehörige zu erhalten 21
- als Bestrafung für politisch aktive Angehörige 4

Rechtlicher Stand der Anzeigenerstattung gegen die Täter der Folter:
- vor dem EGMR anhängig 2
- bei den Staatsanwaltschaften in der Türkei anhängig 4
- Anzeige nach Istanbul weitergeleitet, jedoch aufgrund
schlechter „Beweislage“ nicht erstattet 1
- in Türkei vor Strafgericht anhängig 1


B. ISTANBUL

Anzahl der Anträge 164
- Anzahl der Anträge in der Türkei 161
(2 Anträge aus Deutschland, vor Eröffnung des Büros in Berlin)
- Vom Berliner Büro zur Anzeigenerstattung 3
- Gesamtzahl der mittlerweile sich im Ausland befindlichen Frauen 16
- Zahl der durch das Berliner Büro betreuten Frauen 41
- Anzahl der Frauen in der Türkei, die sich in Haft befinden 24

Art der staatlichen Menschenrechtsverletzung
a) Folter / Vergewaltigung 55
(zwei der Frauen begingen nach der Tat Selbstmord,
eine Frau wurde während der Tat getötet,
ein 14jähriges Mädchen wurde nach der Tat durch Verwandte zur «Ehrenrettung» getötet,
eine der Frauen starb im Dezember 1999 an den Langzeitfolgen der Tat)
b) Zwangsprostitution 1
c) sexuelle Mißhandlung und Entführung 2
d) sexueller Missbrauch durch die Presse 1
e) sonstige sexuelle Folter 109
von diesen Fällen:
- durch die Foltertat erlittene Fehlgeburt 5
- gemeinsam mit Kindern im Alter zwischen 3 ½ und 10 Jahren gefoltert 5
- durch die Tat schwanger geworden 3
(1 Kind lebt, 1 Kind wurde abgetrieben, 1 Kind ist tot geboren)

Alter
a) jüngste Betroffene 11
b) älteste Betroffene 67
c) Anzahl der minderjährigen Betroffenen unter 18 Jahren 29


Täterkategorien
a) Polizei 124
b) Gendarmerie / Militär 34
c) Spezialeinheiten (Özel Tim) 4
d) Dorfschützer 6
d) Vollzugsbeamte 9
e) Überläufer 2
f) Journalist 1


Herkunft der Frauen
a) kurdisch 130
b) türkisch 31
c) deutsch 1
d) Roma 4
e) bulgarisch 1
f) rumänisch 1


Gründe
a) politischer Art oder kriegsbedingt 145
o kriegsbedingt 15
o wegen eigener politischer Aktivitäten 108
o um männliche Familienangehörige zum Sprechen zu bringen oder Informationen über (meist) männliche Familienangehörige zu erhalten 14
o als Bestrafung für politisch aktive Angehörige 8
b) nicht politischer Art 19


Rechtlicher Stand der Verfahren 86
a) vor dem EGMR zuungunsten der Türkei beendet 1
b) vor dem EGMR anhängig 28
c) vor innerstaatlichen unteren Gerichtsinstanzen anhängig 12
d) vor dem Kassationsgerichtshof in Ankara anhängig 3
(1 Verfahren war zuvor vor dem EGMR mit Urteil zu ungunsten
der Türkei beendet worden)
e) bei den Staatsanwaltschaften anhängig 21
(2 Verfahren nach Einspruch gegen Einstellungsbescheid gewonnen
und nun erneut bei der Staatsanwaltschaft)
f) Einspruch nach Einstellung des Verfahrens – noch nicht entschieden 19


Im Projekt abgeschlossene bzw.
zu Dokumentationszwecken archivierte Akten 68
a) gerichtliche Schritte aus Angst nicht gewollt 30
(in einer Angelegenheit ist der Täter / Militär trotzdem des Amtes erhoben wurden)
b) im Laufe des Verfahrens von Anzeige zurückgetreten 9
(in einem Fall wegen schwerer Repression nach Eröffnung des Gerichtsverfahrens
zurückgetreten; in einem weiteren Fall erfolgte Freispruch, die Betroffene trat jedoch
zurück, nachdem der Freispruch durch den Kassationsgerichtshof aufgehoben und
zur erneuten Verhandlung an die untere Instanz zurückverwiesen worden war)
c) nach Erschöpfung des innerstaatlichen Rechtsweges zurückgetreten 5
d) Betroffene nicht mehr erreichbar 3
e) eigene Anwälte kümmern sich um die Verfahren 6 (2 Verfahren vor dem EMRG anhängig)
f) durch Fehler eigener Anwälte keine Rechtsmittel eingelegt 2
g) Betroffene kümmert sich selbst um ihr Verfahren 2
h) Beweislage schlecht, daher keine Rechtsmittel 4
(1 Akte aus Deutschland)
i) bereits vor Antragstellung innerstaatliche Rechtsmittel erschöpft 2
j) durch innerstaatliches Gerichtsurteil beendet 1
(10 Monate auf Bewährung)
k) durch Zwangsverheiratung mit dem Täter Verfahren eingestellt 1
l) Täter (Kommissar) durch Drogenmafia getötet 1


Todesfälle 7
a) durch Tod der Betroffenen Verfahren beendet 3
b) nach Selbstmord der Betroffenen beim EGMR anhängig 1
c) Verurteilung zu einjähriger Haft wegen fahrlässiger Tötung 1
d) im Fall eines 14jährigen Mädchens Strafverfolgung wegen Vergewaltigung durch Verwandte nicht bewilligt 1
e) die betroffene Frau ist durch das Todesfasten im Gefängnis gestorben 1


Wegen Anzeigenerstattung schweren Repressalien ausgesetzt 36
a) Infolge Druck und Repression Umsiedlung innerhalb der Türkei 13
b) Einschüchterung, Bedrohung, erneute Festnahme und/oder Folter 16
c) Eröffnung von Strafverfahren gegen Folterüberlebende 7

------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------- Bankverbindung: Konto-Nr. 324 34 00 - Bank für Sozialwirtschaft - BLZ 100 205 00
Das FrauenRechtsBüro gegen sexuelle Folter e.V. ist in Deutschland als gemeinnützige Körperschaft anerkannt.