FrauenRechtsBüro
gegen sexuelle Folter e.V.
Cinsel
Iskenceye Karsi Kadin Hukuk Bürosu
Friedelstr.
52 ? 12047 Berlin
tel: 030 – 627 37 941 ? fax: - 942
email:
info@womensrightsproject.de
internet: www.womensrightsproject.de
Jahresbericht
Berlin 2002
„...Sie
müssen wissen, ich bin wie ein Fluß, der zu lange eingedämmt
war. Eine einzige Bresche im Damm und der Schwall ist nicht mehr aufzuhalten...“
(Amin Maalouf)
Danksagung
Der
Verein finanziert sich ausschließlich über Zuwendungen humanitärer
Institutionen und Spenden. Wir möchten daher an dieser Stelle insbesondere
dem „Weltgebetstag der Frauen - Deutsches Komitee“ in Stein
danken, ohne dessen Unterstützung die Durchführung der Tätigkeiten
des Vereins nicht möglich gewesen wäre. Wir bedanken uns weiterhin
beim AStA der TU Berlin und der Stiftung Umverteilen / Berlin, durch deren
Unterstützungen Delegationsfahrten in die Türkei und Veranstaltungen
mit Teilnehmerinnen aus der Türkei ermöglicht wurden. Unser
herzlicher Dank gilt allen privaten Spenderinnen und Spendern, Vereinen
und Institutionen, die uns durch ihre Beiträge immer wieder anspornten,
diese Tätigkeiten trotz aller Frustrationen und Wut weiter zu verfolgen
und durch deren Beiträge erst die Weiterführung auch unserer
Büroräume ermöglicht wurde.
Allgemeiner
Tätigkeitsbericht
1.
Projektbeschreibung
1.1.
Entstehungsgeschichte
Sexuelle
Folter gelangt sowohl als Methode des Verhörs als auch als Mittel
der Kriegsfüh-rung in der ganzen Welt als schärfstes Instrument
der Repression gegen Frauen zum Einsatz. Auch in der Türkei und den
kurdischen Gebieten setzen staatliche Sicherheitskräfte, d.h. Polizei,
Gendarmerie, Militär und „Dorfschützer", sexuelle
Folter weit verbreitet und systematisch mit dem Ziel ein, die einzelne
Frau zu demütigen und innerlich zu zerstören. Gleichzeitig richtet
sich die Gewalt immer wieder gegen die eth-nische Gruppe, der die Frau
angehört.
Das
FrauenRechtsBüro gegen sexuelle Folter e.V. knüpft mit seiner
Arbeit an das Istanbuler Projekt “Recht-liche Hilfe für Frauen,
die von staatlichen Sicherheitskräften vergewaltigt oder auf andere
Weise sexuell mißhandelt wurden” an. Dieses wurde 1997 von
vier Rechtsanwältinnen, darunter der damaligen IHD – Vorsitzenden
der Sektion Istanbul, Eren Keskin, gegründet und ist bis heute tätig.
Ziel war und ist es, den betroffenen Frauen und Mädchen unentgeltlich
rechtliche Hilfe anzubieten. Gegen die staatlichen Täter werden bei
den Staatsanwaltschaften Strafanzeigen erstattet; kommt es zur Anklageerhebung,
werden die Interessen der Betroffenen vom Projekt vertreten. Bei ergebnisloser
Ausschöpfung des innerstaatlichen Rechtsmittelwegs legen die Anwältinnen
des Projekts Beschwerde beim Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte
ein. Zugleich wird durch Zusammenarbeit mit medizinisch-psychologischen
Einrichtungen, von denen es jedoch in der Türkei nur sehr wenige
gibt, versucht, Gutachten über die insbesondere psychischen Langzeitfolgen
zu erhalten, um diese als Beweise zu verwerten. Es wird auch versucht,
den Frauen zu dringend nötigen Therapien zu verhelfen. Es wurde zunehmend
deutlich, daß sich die Probleme der betroffenen Frauen auch im Exil
fortsetzen bzw. noch verschärfen. Etliche Frauen mußten aus
begründeter Furcht vor erneuten Übergriffen ins Ausland fliehen.
Auch
im Exil leben unzählige Frauen aus der Türkei und den kurdischen
Gebieten, die bis heute nicht über die an ihnen begangenen Verbrechen
reden konnten. Die geltenden Glaubwürdigkeitskriterien in Asylverfahren,
wie z.B. Detailreichtum in der Darstellung des Erlebten und das Erinnern
von Daten, mißachten völlig die Realität, in der sich
die Betroffenen befinden. Scham und Angst vor möglichen Racheakten
sowohl der Familien als auch insbesondere des Staates selbst hindern die
Frauen häufig am Sprechen.
In der BRD führen so fehlende Kenntnisse der Rechte, Möglichkeiten
und Notwendigkeiten im Bereich Asylverfahren, Sprachprobleme, fehlende
Vertrauensverhältnisse, eine Retraumatisierung insbesondere durch
verständnislose und demütigende Behandlung auf Behörden
und Ämtern und eine mangelnde Zukunftsperspektive für die betroffenen
Frauen oft zu totaler Isolierung und Selbst-aufgabe. Diese Realität
machte es notwendig, auch im Exil tätig zu werden und führte
zur Gründung des Vereins: „FrauenRechtsBüro gegen sexuelle
Folter e.V.“ mit Sitz in Berlin.
1.2.
Projektziele
Es
ist das Ziel unseres Vereins, gemeinsam mit betroffenen Frauen ein Netz
aufzubauen, das alle Lebensbereiche umfassen soll. Hierfür suchen
wir die Zusammenarbeit mit Anwältinnen, Ärztinnen, Therapeutinnen
aus Behandlungszentren für Folterüberlebende, weiteren Medizinerinnen,
Sozialarbeiterinnen, Sprachmittlerinnen, Flüchtlingsorganisationen
und allen anderen interessierten und engagierten Frauen.
Die Hauptlinien unserer Arbeit können wie folgt zusammengefaßt
werden:
a.
Durchsetzung der Strafverfolgung staatlicher Täter von Folter generell
und sexualisierter Folter an Frauen speziell sowohl auf nationaler als
auch auf internationaler Ebene;
b. Durchsetzung der Anerkennung frauenspezifischer Verfolgungssituationen
als politische Verfolgung i.S.d. Genfer Flüchtlingskonvention und
des Asylrechts der BRD;
c. Dokumentationen, Archivierung, Übersetzungen und Öffentlichkeitsarbeit
zum Thema.
Was wir tun / konkretisierte Ziele
-
Unterstützung bei der Anzeigenerstattung gegen staatliche Täter,
die auch aus dem Exil heraus innerhalb der Verjährungsfrist von 5
bis 10 Jahren möglich ist, Einleitung von Verfahren vor dem Europäischen
Gerichtshof für Menschenrechte in Zusammenarbeit mit dem Istanbuler
Projekt;
- Unterstützung bei allen Fragen im Zusammenhang mit Asylverfahren,
Vorbereitung auf die Anhörung, Vermittlung von erfahrenen Rechtsbeiständen,
Bereitstellung von Dokumenten und Materialien zur Situation von Frauen
in der Türkei einschließlich der kurdischen Gebiete, Argumentationshilfen;
- Vermittlung qualifizierter Therapieplätze bei physischen und psychischen
Folterfolgen einschließlich der Möglichkeit zum Erhalt ärztlicher
Gutachten, Vermittlung vertrauenswürdiger Dolmetscherinnen;
- Vermittlung von Ansprechpartnerinnen und Gruppen in verschiedenen Regionen
Deutsch-lands, die mit uns zusammenarbeiten;
- Übersetzung und Archivierung von Hintergrundmaterial; Herausgabe
von Informationen über die soziale, kulturelle, politische und ökonomische
Situation in den Herkunftsländern der betroffenen Frauen;
- Durchführung von Veranstaltungen, Fortbildungskursen und Seminaren;
- Beratung und Auseinandersetzung in Bezug auf Behörden und Unterkunft,
Sprachkurse, Vermittlung von Schul- und Berufsausbildung sowie politische
Bildung;
- Organisation von Delegationen in die Türkei zum Zwecke der Prozeßbeobachtung;
- Erarbeitung von Beiträgen, Stellungnahmen, Gutachten etc. als Informationsquelle
zur Sensibilisierung der Öffentlichkeit, der Behörden, der Gerichte
und der politischen Ent-scheidungsträger bezüglich der Realität
frauenspezifischer Verfolgungssituationen durch staatliche Stellen mit
dem Ziel der offiziellen Anerkennung derselben;
- Aufbau von Kontakten zu Frauen und deren Organisationen aus anderen
Ländern.
Wir
bieten geschützte Räume für Frauen zum Erfahrungsaustausch,
der Entwicklung gemeinsamer Strategien und der Selbstorganisierung. Die
Arbeiten sind grundsätzlich orientiert an den Vorstellungen und Wünschen
der Betroffenen. Wir sichern den Frauen, die sich an uns wenden, absolute
Diskretion zu.
2. Projektverlauf 2002
Im
Jahr 2002 wurden die 30 Frauen aus den Vorjahren in verschiedener Hinsicht
weiter begleitet. Hierzu gehörten insbesondere:
-
Nervenaufreibende Auseinandersetzungen mit verschiedenen Behörden
vor, aber auch nach der Anerkennung als Asylberechtigte oder nach §
51 AuslG;
- Unterstützung bei der Lebensgestaltung und in phasenweise auftretenden
Konflikt- und Krisensituationen;
- Juristische Unterstützung in den anhängigen Verwaltungs- und
Gerichtsverfahren;
- Erstellung von Gutachten und Stellungnahmen sowohl bei Erstantragstellung
als auch in laufenden Verwaltungs- und Gerichtsverfahren;
- Förderung eigener Kreativität;
- Bereitstellung geschützter Räume für Treffen und Aktivitäten
der Selbstorganisierung.
Die
Begleitung einzelner Frauen in jeder Lebenslage wurde zum Teil so energie-
und zeitaufwendig, daß wir im Frühsommer einen sogenannten
Aufnahmestopp beschließen mußten. Dies hatte zur Folge, daß
wir eine „umfassende“ Begleitung nur dann anbieten konnten,
wenn die Frauen überlegten, zugleich die Strafverfolgung der staatlichen
Täter zu betreiben.
Aufgrund dieser Situation wurden im Jahr 2002 elf neue Frauen aufgenommen.
Diese „Aufnahme“ bedeutet zunächst, über unsere
Arbeit und Möglichkeiten der Unterstützung zu unterrichten und
im Laufe der Zeit ein Vertrauensverhältnis aufzubauen, um sodann
behutsam die Erlebnisse in Erfahrung zu bringen, die die Frauen gezwungen
haben, ihr Herkunftsland zu verlassen. Wir achten hierbei darauf, daß
die Frauen nicht mehrmals gezwungen sind, hierüber zu sprechen, so
daß wir sie auf verschiedene Möglichkeiten hinweisen, z.B:
- Verbale Mitteilung einer Vertrauensperson gegenüber (das kann unser
Büro oder eine Therapeutin oder auch eine Freundin sein), welche
den Bericht schriftlich festhält;
- Eigenes Schreiben in Form eines Tagebuchs oder eines Briefes;
- Aufnahme des eigenen Berichts auf Tonträger.
Hierbei weisen wir die Frauen immer darauf hin, daß sie aufhören
sollen, sobald sie merken, daß sie es nicht mehr aushalten und sich
selbst verlieren. Auch in den Gesprächen mit uns war es bis jetzt
keiner Frau möglich, in nur einem Gespräch alle Dimensionen
und Erlebnisse zu berichten, so daß die Rekonstruktion und durch
die Verbalisierung auch die Transformation des Erlebten zur endgültigen
Realität etliche Zeit mit z.T. wochenlangen Pausen in Anspruch nahm.
Im Anschluß an diese „Erstgespräche“ verfassen
wir soweit notwendig Stellungnahmen für die Behörden und Gerichte.
„Umfassende“ Begleitung bedeutet sodann Unterstützung
in jeder Lebenslage, Krisenintervention und Aufbau eigener Ressourcen.
Hierüber hinaus wurden unzählige Anfragen von Betroffenen, Anwält/innen
oder anderen humanitären Einrichtungen bearbeitet. Auch wenn eine
Betroffene nicht direkt „aufgenommen“ wurde, wurden doch unterstützende
Aktivitäten entwickelt. Häufig sind die Anfragen telefonischer
oder schriftlicher Art. An unseren regulären Bürotagen wurden
des weiteren etliche Beratungen durchgeführt.
Die Projektarbeit ist geprägt von persönlicher Beratung, der
Beantwortung von Anfragen, Kontakten mit betroffenen Frauen, der Erstellung
von Berichten und Dokumentationen, der Versendung von Informations- und
Dokumentationsmaterial, Übersetzungen, Archivierung und Planung sowie
Durchführung konkreter Aktionen und Veranstaltungen.
Schon
wie im Jahr zuvor waren viele Anfragen darauf gerichtet, am jeweiligen
Aufenthaltsort der betroffenen Frau oder zumindest in ihrer Nähe
professionelle Therapiemöglichkeiten zu vermitteln. Ebenfalls wie
im Jahr zuvor war uns das manchmal nicht möglich:
-
Nach wie vor existieren im Verhältnis zum Bedarf viel zu wenig qualifizierte
Therapiezentren;
- zum Teil bestehen extrem lange Wartelisten (bis zu zwei Jahren);
- Therapeutinnen außerhalb der Behandlungszentren besitzen oft nicht
genügend Hintergrundwissen und trotz guten Willens sind Kenntnisse
auf dem Gebiet hiesiger Traumatherapie nicht ohne Weiteres auf die Therapiebedürfnisse
Folterüberlebender übertragbar;
- aufgrund mangelnder Übersetzungsmöglichkeiten in der jeweiligen
Region.
Diese
Situation von „Unterversorgung“ sprengt insbesondere in den
neuen Bundesländern die Grenzen jeder Vorstellungskraft. Häufig
einhergehend mit extremer Isolation hat sie für die betroffenen Frauen
oft verheerende Auswirkungen beim Aufbau einer neuen Lebensperspektive
und dem Entwurf eines neuen Lebensmodells, was zunächst ein „seelisches
Gesund-Sein“ erfordert.
2002
waren wir das erste mal mit einem konkreten Suizidversuch einer unserer
„Mandantinnen“ konfrontiert. Dieses Ereignis zeigt uns eindringlich,
daß diejenigen Frauen, die häufig von Suizidgedanken sprechen,
ernst zu nehmen sind in ihrer Verzweiflung. Leider ist es immer wieder
die deutsche Bürokratie und die verständnislose, wenn nicht
vorsätzlich schikanierende Behandlung auf deutschen Behörden,
welche zu plötzlichen Einbrüchen der sowieso sehr dünnen
Eisfläche führen, auf der sich die Betroffenen hier in der Fremde
bewegen.
Im
Jahr 2002 nahm die soziale Begleitung und psychosoziale Unterstützung
der Frauen sehr viel Zeit und Kapazität in Anspruch: die konkrete
Unterstützung bei der Wohnungssuche, Problemlösungen bei der
Existenzsicherung, Vermittlung von Therapieplätzen, Deutschkursen,
Ausbildungsplatzsuche, Behördengänge, ÄrztInnenbesuche
und vieles andere mehr. Die betroffenen Frauen wünschen sich von
uns, auch aus dem entstandenen Vertrauensverhältnis heraus, Hilfe
und Begleitung in jeder Lebenssituation.
An diesem Punkt ist es wichtig, so stärkend wie möglich die
eigene Fähigkeit zur Lebensplanung und Alltagsgestaltung zu motivieren
sowie das verlorene Vertrauen in die eigene Selbständigkeit trotz
enormer Sehnsucht nach umfassender Hilfe zu stärken.
Gemeinsam mit den betroffenen Frauen und TherapeutInnen arbeiten wir darauf
hin, Ängste abzubauen und Eigenständigkeit zu fördern.
Aufgrund der traumatischen Ereignisse, die diese Frauen erlitten haben,
kann es sich jedoch um einen langwierigen Prozeß handeln, der Behutsamkeit
und Geduld erfordert. Regelmäßige Kontakte mit und Besuche
bei betroffenen Frauen, die gegenseitige Unterstützung und Stärkung
sowohl gedanklicher wie emotionaler Art stellen die Grundlage für
gegenseitiges Vertrauen dar.
Des
weiteren wurden die verschiedenen Arbeitsbereiche des Projektes intensiviert
und systematisiert. Die von uns erstellte, ständig aktualisierte
und erweiterte Sammlung relevanter Gerichtsurteile, die unseren Arbeitsbereich
betreffen (z.B. zur Problematik sog. gesteigerten Vortrags / Aussageverhalten
bei Traumatisierung / frauenspezifische Fluchtgründe / nicht-bestehende
inländische Fluchtalternative) stößt bei thematisch verwandten
Projekten und Einrichtungen, bei AnwältInnen und TherapeutInnen auf
großes Interesse.
2.1.
Antragssituation
Fast
alle Frauen, mit denen wir 2002 „Erstgepräche“ führten,
waren von einer immensen inneren Zerstörung aufgrund der erlebten
Demütigungen und Erniedrigungen geprägt. Die Rekonstruktion
des Erlebten erforderte häufige mehrere Etappen, meist begleitet
von Therapie, wobei noch nicht alle Frauen soweit sind, diejenigen Ereignisse,
die sie als besonders zerstörerisch erlebten, auszusprechen. Die
Mitteilungen waren oft begleitet von inneren und äußeren Zusammenbrüchen,
heftigem Weinen, Krämpfen und Schütteln des Körpers, Selbstzerstörungshandlungen
wie Schlagen gegen Brust und Kopf, Selbstbezichtigungen und Ekelgefühlen
dem eigenen Sein gegenüber. Nicht selten wird „einfach abgeschaltet“
und sich im Kopf an einen anderen Ort bewegt.
Junge Frauen, die nicht gewagt hätten, mit ihrem Freund „Händchen
zu halten“, erleben nicht nur die direkte Vergewaltigung sondern
auch das „Vorher“, das Entkleiden und Anfassen ihres gesamten
Körpers durch staatliche Sicherheitskräfte, als eine Beschmutzung
und Zerstörung ihrer Würde und Selbstachtung, die es ihnen kaum
mehr möglich macht, sich selbst als „liebenswert und lebensbejahend“
zu empfinden. Der Bericht hierüber transformiert die erlebte innere
Zerstörung zur endgültigen Realität. Den Schmerz umzuwandeln
in Kraft und Mut, gegen die eigene Zerstörung und diejenige der anderen
betroffenen Frauen vorzugehen, erfordert einen erheblichen Kraftakt, der
durch jede kleine „Ungerechtigkeit“ hier wieder zusammenbrechen
kann.
Auffällig war, daß fast alle neu aufgenommenen Frauen in den
Jahren 1999 – 2001 (sexuell) gefoltert wurden. Alle Antragstellerinnen
sind Kurdinnen und die meisten wurden den staatlichen Übergriffen
ausgesetzt, um Informationen über ihre Ehemänner zu erhalten
bzw. diese dazu zu bewegen, sich selbst zu stellen. Der Großteil
der Frauen wurde während der Übergriffe und Folter vergewaltigt.
Manche Frauen umgehen diese Realität in der Verbalisierung, indem
sie zu Umschreibungen greifen wie, „dann seien sie ohnmächtig
geworden“, sie wüßten nicht genau, ob „es dazu
gekommen sei“, die Beamten hätten „alles“ mit ihnen
gemacht u.ä. Nicht wenige Frauen definieren „Vergewaltigung“
für sich selbst in der ihnen offiziell bekannter Art und Weise, d.h.
als Penetration, und können erst nach einer Weile auch andere sexuelle
Handlungen - vaginal, anal oder oral, körperlich oder mit Gegenständen
- als Vergewaltigung benennen.
Antragssituation
Zeitraum |
2000
/ 2001 |
2002 |
schon
vor Flucht an Istanbuler Projekt gewandt, hier durch Berliner Büro
begleitet |
3
|
2 |
nach
Flucht, vor Eröffnung des Berliner Büros, an Istanbuler
Projekt gewandt, hier weiterhin begleitet |
1 |
- |
nach
Flucht direkt an Berliner Büro gewandt |
26 |
9 |
gesamt |
30 |
11 |
Zeitpunkt
der Kontaktaufnahme in Bezug auf das Asylverfahren
Zeitraum
|
2000
/2001 |
2002 |
vor
Anhörung beim Bundesamt |
5 |
5 |
nach
Anhörung, aber vor Entscheidung durch das Bundesamt |
3
|
- |
im
laufenden verwaltungsgerichtlichen Verfahren |
14
|
4 |
im
laufenden Folgeverfahren |
8
|
2 |
Im
Jahr 2002 wandten sich im Verhältnis mehr Frauen schon vor der Anhörung
beim Bundesamt an unser Büro. Zwei der Frauen waren schon vor ihrer
Flucht Mandantinnen des Istanbuler Projekts. Die anderen Frauen hatten
von Freundinnen und Bekannten von unserem Büro gehört. Von den
fünf Frauen, die sich vor der Antragstellung beim Bundesamt an uns
wandten, wurden zwei Frauen als Asylberechtigte anerkannt und zwei Frauen
aufgrund ihrer psychischen Situation noch nicht angehört. Ein Antrag
ist noch nicht entschieden.
Die Kenntnis der wichtigen Erwartungen im Asylverfahren und des wesentlichen
Verfahrensgangs durch eine entsprechende Vorbereitung haben die Frauen
gestärkt. Auch war es möglich, daß die AnhörerInnen
von einem Nachfragen der Details der Mißhandlungen und Folter absahen,
nachdem zuvor schriftliche Berichte, Stellungnahmen und Gutachten eingereicht
wurden.
Alle Erstgespräche, in denen es darum geht, das Erlebte zu erfassen,
zu benennen, ins Gedächtnis zurück zurufen und durch die gedankliche
und verbale Formulierung zur endgültigen Realität werden zu
lassen, waren ungeheuer schmerzvoll und für die betroffenen Frauen
mit etlichen Zusammenbrüchen verbunden. Unsere Arbeitsweise besteht
darin, entweder selbst oder durch die vermittelten Therapeutinnen eine
Rekonstruktion des Erlebten vor der Anhörung beim Bundesamt anzustreben.
Dies kann z.T. sehr langwierig sein, da Gespräche dieser Art ein
großes Vertrauen und die innere Bereitschaft der betroffenen Frauen
voraussetzen, sich der eigenen, schmerzhaften Realität zu stellen.
Hiernach verfassen wir Stellungnahmen und Berichte. Bisher war es durch
diese Arbeitsweise möglich, daß weder die AnhörerInnen
beim Bundesamt noch die Gerichte nochmals direkt auf die Einzelheiten
der traumatisierenden Verfolgungserfahrung eingegangen sind, um den Betroffenen
eine Retraumatisierung zu ersparen.
Alle
anderen Frauen waren mit extrem negativen Situationen konfrontiert, was
wir durch ein Beispiel aufzeigen wollen:
Besonders
schmerzhaft ist die Erfahrung einer jungen Frau, die ohne vorherigen Kontakt
und ohne jegliche Beratung / Vorbereitung zur Anhörung ging, hier
aber trotzdem stark genug war, über die erlebte Folter und Vergewaltigung
zu berichten. Dies führte dazu, daß die Anhörerin begann,
auf eine Art und Weise nach den Einzelheiten der Vergewaltigung zu fragen,
die zwangsläufig in eine Retraumatisierung führen mußte.
Fangfragen und eigene Projektionen sowie mangelnde Kenntnis der Zustände
im Herkunftsland, die sich z.T. in absurden Fragen widerspiegelte, führten
weiterhin dazu, daß nicht mehr nachvollziehbar war, was sie eigentlich
in Erfahrung zu bringen versuchte.
Sodann
wurde in der Sache über sieben Monate nicht entschieden. Am letzten
Tag, bevor die entsprechende Anhörerin in Mutterschaftsurlaub ging,
sandte sie die Ablehnung des Antrags als unglaubwürdig ab. Mit den
Folgen dieser Gesamtsituation ist sie nun nicht mehr konfrontiert, da
sie nicht mehr anwesend ist.
Die betroffene Frau ist schwer suizidgefährdet und kaum psychisch
aufzufangen. Sie ist Mutter zweier kleiner Kinder, um die sie sich alleine
kümmern muß, und lebt in einem der neuen Bundesländer,
fern jeder Therapiemöglichkeit und ohne Beziehung zu FreundInnen
oder anderen Vertrauten, mit denen sie trotz dieser erneuten schmerzhaften
Erfahrung einen „Lebensplan“ entwickeln könnte.
Derartige
zusätzliche Zerstörung mit ansehen zu müssen, bringt auch
uns an die Grenzen des Erträglichen. Leider handelt es sich hierbei
nicht um Einzelfälle. Einzelfälle sind diejenigen positiven
Beispiele, die wir oben genannt haben. Traurig ist, daß wir an sich
Selbstverständliches als positiv bewerten müssen. Und wir befürchten,
daß alle diejenigen, die keine starke Unterstützung im Hintergrund
haben, immer wieder mit ähnlichen Situationen konfrontiert sind.
Entscheidungsstand
in den Asylverfahren für Neuanträge 2002:
-
beim Bundesamt für die Anerkennung für ausländische Flüchtlinge
aufgrund
psychischer Situation noch nicht angehört worden |
2 |
Anerkennung
gem. Art. 16 GG |
2 |
Anerkennung
gem. § 51 I AuslG (Konventionsflüchtlinge) |
- |
Feststellung
von Abschiebungshindernissen gem. § 53 VI AuslG |
- |
Ablehnung
|
6 |
noch
nicht entschieden |
1 |
-
nach Ablehnung bzw. der Gewährung lediglich von § 53 VI AuslG
durch das Bundesamt, Entscheidung durch Verwaltungsgerichte (betrifft
4 Verfahren)
Anerkennung
gem. Art. 16 GG |
- |
Anerkennung
gem. § 51 I AuslG |
- |
Abschiebungsschutz
gem. § 53 VI AuslG |
- |
Ablehnung
bestätigt |
2 |
noch
nicht entschieden |
3 |
Antrag
auf Zulassung der Berufung vor OVG anhängig |
1 |
-
Wiederaufgreifen des Verfahrens nach bestandskräftiger Ablehnung
für Neuanträge 2002
|
Asylfolgeantrag
Antrag |
§
53 VI AuslG |
durch
Bundesamt stattgegeben |
- |
- |
durch
Bundesamt abgelehnt |
2 |
2 |
durch
Bundesamt noch nicht entschieden |
- |
- |
durch
VG stattgegeben |
- |
- |
durch
VG abgelehnt |
- |
- |
durch
VG noch nicht entschieden |
2 |
2 |
Antrag
auf Berufungszulassung |
- |
- |
Entwicklung der Verfahren aus den Jahren 2000 und 2001
Im
Verhältnis zum Verfahrensstand im Vorjahr konnten wir in den laufenden
30 Verfahren im Jahr 2002 folgende Entwicklungen beobachten:
Wir
begleiteten zwei Frauen zur mündlichen Verhandlung vor dem Verwaltungsgericht,
nachdem wir zuvor schon schriftliche Stellungnahmen abgegeben hatten.
In diesen beiden und einer weiteren Anhörung kam es zu drei gerichtlichen
Anerkennungen. Andere Verfahren wurden beendet, indem Aufenthaltsbefugnisse
aus unterschiedlichen Gründen ausgestellt wurden. Insbesondere die
Folgeverfahren gestalten sich aber als sehr schwierig, da es hier inzwischen
noch mehr auf die den Kriterien der Gerichte entsprechenden ärztlichen
Gutachten ankommt als schon in den vorherigen Jahren.
Stand
der Verfahren aus den Vorjahren am 31.12.2002
Stand
der Verfahren |
Insgesamt
Bundesamt und Verwaltungsgerichte |
davon
im Folgeverfahren |
Anerkennung
gem. Art. 16 GG |
6 |
1 |
Anerkennung
gem. § 51 AuslG |
9 |
1 |
Abschiebungsschutz
gem. § 53 VI AuslG |
6 |
4 |
Aufenthaltsbefugnis
aus anderen Gründen |
2 |
- |
noch
nicht entschieden |
5 |
- |
endgültig
abgelehnt / Berufungszulassung anhängig |
2 |
2 |
gesamt
|
30
|
8 |
An
dieser Stelle wollen wir nochmals auf die vielen Situationen eingehen,
die immer wieder zu extremen Einbrüchen in der Psyche von Menschen
und insbesondere der Psyche von Flüchtlingsfrauen mit sexueller Gewalterfahrung
führen können. Wir geben diese Beispiele, weil wir den Eindruck
haben, daß viele der mit Entscheidungs- und Handlungsbefugnissen
ausgestatteten Personen sich in keiner Weise darüber im Klaren sind,
wie sich bestimmte Verhaltensweisen auf das Leben der von ihnen abhängigen
Menschen auswirken können. Wir wünschen uns, daß dieser
Personenkreis etwas reflektierter handelt. (Leider nicht zu erwarten ist
dies von denjenigen, die sowieso vorsätzlich schikanierend agieren.)
Bei den Beispielen handelt es sich zudem um an sich „positive“
Grundentscheidungen.
1. Das Beispiel einer Frau, deren junges Leben frühzeitig zerbrochen
wurde. Und zwar nicht nur durch die Vergewaltigung und Folter, die sie
durch türkische Sicherheitskräfte erlebte und die sie mutig
von hier aus zur Anzeige brachte. Die Flucht zusammen mit ihrem Ehemann
und ihren fünf Kindern begann vor fünf Jahren und führte
zunächst zu einer Anerkennung des Ehemannes nach Artikel 16 GG durch
das Bundesamt. Die eigene Verfolgungsgeschichte der Frau wurde nicht geprüft
oder entschieden, da sie kurzerhand Familienasyl erhielt. Leider hatte
das Bundesamt vergessen, die Bestandskraft seiner Entscheidung abzuwarten
und damit begann die nunmehr fünf Jahre dauernde erneute Tortur.
Der Bundesbeauftragte klagte gegen die Entscheidung, nahm jedoch seine
Klage vor nunmehr zwei Jahren bezüglich § 51 AuslG zurück,
wodurch der Ehemann jetzt rechtskräftig den Flüchtlingsstatus
nach § 51 AuslG (mit Wohnsitzauflage) besitzt. Dieser Status vermittelt
jedoch kein Familienasyl, und da die Klage wegen Art. 16 GG nach wie vor
vor dem Verwaltungsgericht anhängig ist, sieht das Bundesamt auch
keinen Bedarf, nunmehr in der Sache der Frau selbst zu entscheiden. Die
Frau zählt dadurch immer noch als „Asylantragstellerin“
- und das seit fünf Jahren und aufgrund eines Fehlers des Bundesamtes
gleich zu Anfang des Verwaltungsverfahrens - so positiv die Grundentscheidung
zunächst war. Durch diesen Status genießt sie keinerlei Rechte,
lebt nach wie vor weit entfernt von einer dringend notwendigen kontinuierlichen
und professionellen Therapiemöglichkeit in einem der neuen Bundesländer,
muß wegen jeder Kleinigkeit die deutschen Behörden anbetteln,
ist gesundheitlich ruiniert und bricht ständig zusammen, stirbt jeden
Tag ein kleines Stückchen mehr in ihrer Seele und versteht nicht,
was hier passiert. Auch wir können es ihr nur schwer vermitteln,
da es tatsächlich schier nicht zu akzeptieren ist.
2. Eine junge Frau, die nach sechs Jahren nun endlich im Juli 2002 durch
das Verwaltungsgericht ein nach Art. 16 GG anerkennendes Urteil erstritt.
Schon zuvor war die psychische Einsturzgefahr nur durch kontinuierlichen
Kontakt ansatzweise aufzufangen. Dann wartete sie auf die Zustellung des
Urteils. Und mit jedem Tag, der verging, ohne daß die schriftliche
Ausfertigung des Urteils ankam, wurde sie ein kleines Stückchen „verrückter“.
Sie verrannte sich in die Vorstellung, daß alles nicht wahr sei.
Das klingt vielleicht für einen Menschen, der nie wirklich ernsthaft
um seine Existenz und sein Leben fürchten mußte, absurd. Aber
jeder Tag des Wartens kann einen Menschen in aussichtsloser Situation
wirklich wahnsinnig im eigentlichen Sinne dieses Wortes machen. Nach exakt
fünf Monaten wurde das Urteil sodann zugestellt, quasi als Weihnachtsgeschenk.
Was diese fünf Monate für die Betroffene bedeuteten... danach
fragt niemand. Fünf Monate lassen einen Menschen durchaus um Jahre
altern, im Herzen wie in der Seele. Panik und Angst erreichen unerträgliche
Ausmaße. Aber damit ist das Ganze noch nicht zu Ende. Da das Zuwanderungsgesetz
gescheitert ist, bedarf es wieder der sogenannten Bestandskraftmitteilung
des Bundesamtes (zuvor in der „Übergangszeit“ wurde die
Entscheidung mit Zustellung bestandskräftig, was allerdings auch
etlichen BehördenmitarbeiterInnen nicht bekannt war).
Das Bundesamt behauptet nun, es habe das Urteil erst vor kurzem zugestellt
bekommen, also nachdem noch einmal ein Monat vergangen ist. Auch wenn
das aufzuklären ist, Fakt ist: Seit der mündlichen Verhandlung
im Juli 2002, d.h. seitdem klar ist, daß dieses Verfahren nach Artikel
16 GG gewonnen wurde, wartet diese Frau nun auf ihren Paß, ohne
den sie nichts, aber auch gar nichts lebensplanerisch gestalten kann.
Nach wie vor wird sie wie eine Asylantragstellerin behandelt. Für
einen Beamten, Angestellten oder Richter macht es vielleicht keinen Unterschied,
ob heute oder morgen oder übermorgen die notwendigen Schriftstücke
erstellt und ausgehändigt werden. Aber für die Betroffene ist
jede Minute wichtig, nach so langen Jahren der Unsicherheit und Verzweiflung.
Denn die Angst, daß sie ihren Peinigern doch noch ausgeliefert werden
könnte, ist permanent anwesend und wächst jede Minute.
Auch für uns ist es fast nicht möglich, Betroffene in solchen
Situationen „aufzufangen“. Zumal wenn sogar nach der so lange
verzögerten Urteilszustellung der betreffenden Frau bei der Beantragung
des lange ersehnten Passes in der Ausländerbehörde gesagt wird:
„Ihre Akte ist zu, Sie werden abgeschoben.“ Zum Glück
war diese Frau stark und geistesgegenwärtig genug, den Vorgesetzten
zu verlangen und das „Mißverständnis“ aufzuklären,
doch die Ankündigung der Abschiebung hätte fast einen erneuten
Zusammenbruch provoziert.
2.2. Soziale Begleitung
Wie
es dem Aufgabengebiet entspricht, das wir uns selbst gesteckt haben, waren
wir auch dieses Jahr bemüht, AnwältInnen und Therapieplätze
zu vermitteln, haben Frauen zu Terminen bei Anwältinnen und bei Arztbesuchen
begleitet, was in der Regel das Dolmetschen einschloß. Darüber
hinaus waren etliche klärende Telefonate mit SachbearbeiterInnen
der Sozialämter, Anmeldungen zu Deutsch- und ggf. Alphabetisierungskursen
bis hin zur Klärung der Krankenversicherungspflicht und einem Schlichtungsgespräch
auf einem Sozialamt nötig. Besondere Anforderungen haben an uns auch
die Notwendigkeit der Unterbringung von auswärtigen Frauen sowie
die intensive Begleitung von psychisch labilen Frauen gestellt.
Oft
war auch die Vermittlung nicht von sondern zwischen AnwältInnen oder
SachbearbeiterInnen auf Ämtern und den Frauen nötig. Auffallend
ist hierbei, daß sich Probleme relativ schnell lösen lassen,
wenn wir uns einschalten. D.h. wir machten der Anwältin, dem Anwalt
und den SachbearbeiterInnen der Ämter klar, warum bestimmte Informationen
vielleicht nicht so fließen, wie es erwartet wurde. Wir wiesen auf
besondere Umstände einer Frau oder Familie hin, machten deutlich,
was in der Routine der Arbeit zu wenig beachtet wird und klärten
Mißverständnisse auf (in beide Richtungen). Dazu waren wir
nur aufgrund der notwendigen sprachlichen Kompetenz sowie der Vertrauensverhältnisse
zwischen uns und den sich an unser Büro wendenden Frauen in der Lage.
Dies ist eine sehr zeitaufwendige Tätigkeit, zugleich aber unverzichtbar,
weil es zur Lösung der unmittelbaren, konkreten Probleme der Frauen
beiträgt. Kam es bei diesen Terminen, Gesprächen und Begleitungen
zu einer guten Kommunikation, so konnten dadurch alle Seiten, einschließlich
uns, wichtige Erfahrungen machen. Ebenso bot die Begleitung der Frauen
die Möglichkeit, sich intensiver und/oder anders kennenzulernen als
bei Gesprächsterminen im Büro.
Auch
die umständliche Besorgung der Einzel-Krankenscheine, wozu einem
Arzt oder einer Ärztin zunächst ein Formular der Leistungsstelle
vorgelegt werden muß, beschäftigte uns etliche Male. Nach dessen
Unterschrift, Stempelung sowie Rückgabe an die Leistungsstelle erfolgt
dann die Ausgabe eines Krankenscheines. Insbesondere in akuten Krisensituationen
kam es häufiger zu Problemen bei der reibungslosen Gewährung
medizinischer Hilfe.
Da
AsylbewerberInnen selbstverständlich nicht mit viel Gepäck einreisen
können, haben sie - besonders im Winter - Bedarf an Bekleidung. Die
Leistungsstelle verweist sodann auf sog. Bekleidungslager. Geldmittel
dürfen dafür nicht ausgegeben werden. Das Bekleidungslager,
das wir gesehen haben, enthält fast ausschließlich Bekleidung
älterer Damen. Und zum Beispiel war es aussichtslos, dort Schuhe
für den Winter zu bekommen.
Die
Erteilung einer Monatsmarke für die öffentlichen Verkehrsmittel
erfolgt nur bei regelmäßigen, schon feststehenden Arztterminen.
Regelmäßige Besuche unseres Büros untermauern die Notwendigkeit
der Mobilität. (Ein Schulbesuch berechtigt anfangs noch nicht zum
Erhalt einer Monatsmarke, da noch kein Recht besteht, einen Deutschkurs
zu besuchen!)
Jedoch sollte bei Asylantragstellung AsylbewerberInnen grundsätzlich
eine Monatskarte gewährt werden, denn Einzelfahrscheine sind bei
Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz nicht zu bezahlen. Die
Einzelfahrscheine, die bei Antragstellung ausgehändigt werden, sind
genau abgezählt für die Fahrten von Erstaufnahmelager zum Bundesamt
und zur Leistungsstelle. Um die erste, schwere Zeit zu bewältigen,
ist es dringend notwendig, Kraft aus sozialen Begegnungen zu schöpfen.
Auch wäre es gerade anfangs sehr nützlich, die Umgebung etwas
kennenzulernen, d.h., sich Orientierung verschaffen zu können. Auch
muß es möglich sein, sich anfangs mit den öffentlichen
Verkehrsmitteln mal zu verfahren, ohne gleich den doppelten Fahrpreis
zahlen zu müssen.
Darüber
hinaus haben wir Frauen aus anderen Bundesländern, die sich an uns
gewandt haben, aufgesucht, um den Kontakt zu intensivieren und die Frauen
in ihrer Umgebung zu unterstützen. Frauen, denen es möglich
war, nach Berlin zu kommen, waren während ihres Besuches selbstverständlich
auf Unterkunft angewiesen, was für uns die zeitweilige Erweiterung
unseres Arbeitsbereiches auf eine 24-Stunden-Tätigkeit bedeutete
und nur schwer mit der Lohnarbeit zu vereinbaren ist.
Auch
haben wir uns bemüht, Frauen, die in Heimen in Berlin untergebracht
sind, besonders in der Anfangszeit zu unterstützen. Die Notwendigkeit
der Unterstützung entsteht aus dem Umstand, daß die Bedingungen
in einem Erstaufnahmelager sowie einem darauf folgenden Heimaufenthalt
nicht im mindesten Frauen mit sexualisierter Gewalterfahrung entsprechen.
Um nur zwei Gründe zu nennen:
Die überwiegende Zahl der Unterkünfte sind gemischtgeschlechtlich,
d.h., der Großteil der Bewohner sind Männer, mit denen betroffene
Frauen wahllos, täglich und recht nah konfrontiert sind. Außerdem
gibt es keinerlei therapeutische Unterstützung, was für Frauen,
die psychisch evtl. äußerst instabil sind, unhaltbar ist. Wir
haben in solchen Fällen versucht, die Frauen möglichst gar nicht
allein zu lassen, was unsere Kapazitäten annähernd erschöpft
hat.
Das
Aufbrechen der totalen Isolierung durch gegenseitige Besuche und gemeinsame
Freizeitgestaltung, verbunden mit Gesprächen und Aktivitäten,
nahm einen großen Raum innerhalb unserer Tätigkeiten ein.
Unterkunft
Im
Laufe der Arbeit kamen mehrmals betroffene Frauen, die weder Verwandte
noch Bekannte in Deutschland haben, die ihnen ihre Unterstützung
angeboten hätten, bei Mitarbeiterinnen oder engen Freundinnen des
Büros unter.
Dies
hatte mehrere Gründe:
Eine Heimunterbringung war aufgrund der psychischen Situation der Frauen
sowie der Heimbedingungen nicht möglich. Die Erfahrung, daß
erlebte innere Zerstörungen insbesondere traumatisierter und alleinstehender
Frauen durch zwangsweise Heimunterbringung bis ins Unermeßliche
vertieft wird, erforderte dieses Vorgehen.
Wir
befürworten dringend die Abschaffung der zwangsweisen Heimunterbringung,
insbesondere die Unterbringung im Erstaufnahmelager. Sie führt zu
regelmäßiger Retraumatisierung und ist deshalb inakzeptabel,
es sei denn, die betroffene Frau wünscht eine solche Unterbringung.
Glücklicherweise waren wir in der Lage, über Vereinbarungen
mit Heimen einigen Frauen diese Heimunterbringung zu ersparen. Die Alternativen
wie Zufluchtswohnungen und verschiedene Frauen- / Flüchtlingsprojekte
entsprechen nur zum Teil den Bedürfnissen der Frauen, die sich an
unser Büro gewandt haben. Oft fehlt es an Sprachmittlung und meistens
an täglicher Begleitung und Gemeinschaft, so daß die zwangsläufige
Isolierung eine Gesundung an Psyche und Seele nicht zuläßt.
Der
ganzheitliche Anspruch der Mitarbeiterinnen des Projekts, die betroffenen
Frauen nicht nur als Klientel, als Opfer oder Patientinnen zu sehen, sondern
zugleich als Leidtragende eines Krieges oder eines staatlichen Repressionsapparates,
gegen den nicht wenige der Frauen zuvor gekämpft haben, fordert eine
praktische Solidarität. Ziel ist es, den Frauen Bedingungen zu schaffen,
in denen sie ihren Willen stärken und ihren Kampf gegen Menschenrechtsverletzungen
wieder aufnehmen können. Einer Frau, die körperlich und seelisch
schwer gefoltert wurde, die politische Identität zu nehmen, bedeutet,
ihr eine Quelle zu nehmen, aus der sie Kraft für den langen Prozeß
schöpfen kann, wieder gesund zu werden.
Konsequenz
aus der von uns gewährten privaten Unterbringung war, daß staatlicherseits
außer dem Taschengeld in Höhe von 40,- € monatlich keine
finanziellen Mittel zur Verfügung gestellt wurden. Diese Unterbringung
führte jedoch oft auch über die Grenzen der immateriellen Belastbarkeit
einzelner Frauen / Mitarbeiterinnen des Büros hinaus.
Sie waren plötzlich in der Situation, 24 Stunden ansprechbar sein
zu müssen, trugen die Verantwortung für die Wahrnehmung aller
Termine und die Lösung bürokratischer und persönlicher
Probleme.
Dies
führte zu der Idee eines neuen Projektes mit einem Konzept für
eine angemessene Unterkunft für Frauen, die sexuell gefoltert wurden.
Wir begannen über die Einrichtung einer ans Büro angebundenen
Wohnung nachzudenken, wo Betroffene zeitweise unterkommen und sich die
Frauen auch gegenseitig unterstützen könnten.
2.3. Anzeigenerstattung / Verfolgung der staatlichen Täter
„ ...Frieden mit seinen Erinnerungen schließen. Boote auf
einem breiten Fluß hin zum Meer...“
Wie
schon im Vorjahr blieb die Anzahl derjenigen Frauen, die hier vom Exil
aus Anzeige gegen die staatlichen Täter von an ihnen begangenen Menschenrechtsverletzungen
erstatten wollten, sehr gering. Die Gründe hierfür haben wir
in unserem letzten Jahresbericht ausführlich dargelegt. An diesen
hat sich nichts geändert.
Hinzu kommt:
- Für eine Anzeigenerstattung ist es notwendig, die Daten der Vorfälle
und die Zuordnung von erlittenen Foltermethoden zu diesen Daten äußerst
genau rekonstruieren zu können. Da genau dies durch die Traumatisierung
häufig nicht möglich ist, konnten z.T. für Frauen, insbesondere
wenn sie mehrmals festgenommen und mehrmals auf verschiedene Art, auch
sexuell, gefoltert wurden, trotz des Wunsches nach Anzeigenerstattung
die Daten nicht exakt genug ermittelt werden, um sodann tatsächlich
Anzeige zu erstatten.
-
Auf diejenigen Anzeigen hin, die aus dem Exil über unser Projekt
in Istanbul an die zuständigen Staatsanwaltschaften in der Türkei
weitergeleitet wurden, ist bis heute keinerlei Ermittlungstätigkeit
erfolgt. Insbesondere das umständliche Verfahren, im Wege der Amtshilfe
die Aussagen der betroffenen Frauen als Zeuginnen im Ausland kommissarisch
aufnehmen zu lassen, wird von den Staatsanwaltschaften der Türkei
anscheinend gescheut. Da wir insofern den Frauen keinen Erfolg bei Anzeigenerstattung
„versprechen“ können, wiegt ihre Furcht vor negativen
Folgen für sich selbst und zurückgebliebene Verwandte schwerer
im Verhältnis zu dem, was sie sich von einer Anzeigenerstattung versprechen.
Insgesamt
läßt sich zu den diesbezüglichen Entwicklungen in der
Türkei folgendes feststellen:
Nach wie vor kann nicht die Rede davon sein, daß in der Rechtspraxis
der Türkei ein ernsthaftes Interesse an der Aufklärung und Verurteilung
folternder Beamter oder Militärs besteht, geschweige denn, das Systemunrecht
vergangener wie jetziger Zeiten als solches zu benennen und zu ahnden.
Dies ist besonders für die betroffenen Frauen bitter und stürzt
sie immer wieder in Krisen, in denen es zu Fragestellungen kommt wie:
„Wofür haben wir das alles durchgemacht, wenn sich doch nichts
wirklich grundlegend ändert? Soll das alles gewesen sein?“
Von insgesamt 86 eingeleiteten Strafverfahren gegen folternde Beamte oder
Militärs durch unser Istanbuler Projekt wegen sexueller Folter sind
lediglich 15 Strafverfahren eröffnet worden und vor innerstaatlichen
Gerichten (einschließlich des Kassationsgerichtshofs Ankara) anhängig,
werden jedoch, wie bereits von uns befürchtet, ohne Urteil extrem
in die Länge gezogen. Im letzten Jahr kam es zu lediglich einer,
dafür um so spektakuläreren Verurteilung eines Polizeibeamten
zu 15 Jahren und vier Monaten Haft, der zusammen mit Kollegen der Vergewaltigung
Leyla B.s angeklagt war (s. unsere Unterstützungsaufrufe).
Und: Viele der Frauen, die sich 2002 an unser Berliner Büro oder
an das Büro in Istanbul gewandt haben, wurden in den Jahren 1999
bis 2001 sexuell gefoltert.
Zugleich setzen sich die Repressionen gegen betroffene Frauen, die die
Strafverfolgung der Täter fordern und sich für die Beendigung
des Systemunrechts organisieren, sowie gegen ihre Anwältinnen fort.
Insbesondere auf die Benennung von Militärs als Täter von an
Frauen begangenen Menschenrechtsverbrechen reagiert der Staat empfindlich
und ahndet derartige Äußerungen seinerseits durch die Einleitung
von Strafverfahren.
Die vereinzelte Einleitung von Strafverfahren gegen Beamte oder auch einmalige
Verurteilungen entsprechen der Selbstdarstellung der Türkei als einem
„an sich demokratischen politischen System mit Fehlern, in dem es
vereinzelt auch zu Folter kam“. So wird systematisches Systemunrecht
durch die Verurteilung von „Einzeltätern“ bagatellisiert.
Ohne die Benennung von Systemunrecht als das, was es ist, und ohne dessen
grundlegende Aufarbeitung und schonungslose Strafverfolgung der Täter
wie der Verantwortlichen ist jedoch nicht zu erwarten, daß sich
der Geist des politischen Systems wirklich in ein freiheitliches System
mit Achtung vor der Menschenwürde aller, auch Oppositioneller und
anderer Völker wie der KurdInnen, transformieren wird - trotz aller
Rechtsänderungen auf dem Papier.
Für unsere Arbeit hier bedeutet das, wie schon im vorangegangenen
Jahr angedacht, neue und andere Möglichkeiten der Einleitung von
Strafverfahren gegen Menschenrechtsverbrecher und deren Helfershelfer
direkt aus dem Exil heraus zu forcieren und einzufordern. Aber auch: nicht
davon abzulassen, Systemunrecht als das zu benennen, was es ist: ein Verbrechen
an Menschen, Frauen, Völkern. Und ebenfalls: die direkten oder indirekten
Verstrickungen unserer westlichen Systeme in diese Art Verbrechen nicht
zu übersehen.
Anzeigenerstattung
Anzeigenerstattung
vor der Flucht direkt an das Istanbuler Projekt |
4 |
Anzeigenerstattung
nach Flucht direkt an das Istanbuler Projekt |
1 |
Anzeigenerstattung durch das Berliner Büro an das Istanbuler
Projekt weitergeleitet |
3 |
Anzeigenerstattung
über das Berliner Büro in Vorbereitung |
2 |
von
zunächst beabsichtigter Anzeigenerstattung aus Angst abgesehen
|
2 |
Exkurs:
Entwicklungen in der Türkei
Die
Entwicklungen in der Türkei 2002 waren geprägt von Diskussionen
um die Erfüllung der Voraussetzungen für einen konkreten Termin
zur Aufnahme von Beitrittsverhandlungen zur EU. Dies war der Motor für
etliche Gesetzesänderungen, nicht der Druck der Opposition von unten
in der Türkei und auch nicht die Einsicht, daß das türkische
System ein repressives, verbrecherisches System ist.
Im Ergebnis sollen die weiteren Entwicklungen in der Türkei innerhalb
der nächsten zwei Jahre „genau beobachtet“ werden, um
sodann endgültig über den Beginn von Beitrittsverhandlungen
zu entscheiden.
Nachdem es schon 2001 zu einer Verfassungsänderung gekommen war,
wurden im Jahr 2002 einige Gesetze und Verordnungen erlassen, die dazu
führten, daß sowohl in den Medien als auch in politischen Kreisen
im Westen von einer echten Demokratisierung in der Türkei gesprochen
wurde.
Die
Verfassungsänderungen betreffen insbesondere wichtige Grundrechte
sowie kleinere Veränderungen im Bereich der politischen Machtkompetenzen.
Namhafte kurdische und türkische Juristen haben jedoch in zahlreichen
Analysen darauf hingewiesen, daß trotz „positiver Tendenzen“
der repressive Geist des insbesondere militaristischen und autoritären
Systems nicht tatsächlich aufgegeben wurde.
Die Einschränkung der Grundrechte ist nach wie vor im Lichte der
alten Leitlinien des Systems, zu denen insbesondere diejenige der „territorialen
Integrität und nationalen Einheit“ zu zählen ist, sowie
im Namen der „allgemeinen Moral sowie der allgemeinen Gesundheit“
möglich. Da die enge Auslegung dieser Begriffe im alten Geist sowohl
möglich als auch zu erwarten ist, muß eine Bewertung den Entwicklungen
der Praxis vorbehalten bleiben.
Auch die stärkere Einbeziehung ziviler Regierungsbeamter in die Struktur
des Nationalen Sicherheitsrats sowie die Veränderung des Wortlauts
des Artikels 118 (das Parlament hat dessen Empfehlungen zukünftig
„zu würdigen“ und nicht mehr wie zuvor „vorrangig
zu berücksichtigen“) läßt keine Aussage auf die
tatsächliche zukünftige Einflußnahme der Militärs
auf das Parlament zu.
Die
konkretisierenden Gesetze und Verordnungen des Jahres 2002 sind vor allem:
1.
6.2.2002: Veränderungen in den Art. 159 und 312 türkisches
Strafgesetzbuch sowie Art. 8 Anti-Terror-Gesetz (Gesetz Nr. 4744)
2.
26.3.2002: Voraussetzungen von Beschlagnahmehandlungen, Rückgriff
bei Entschädigungs-zahlungen der Türkei nach einer Verurteilung
durch den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR)
auf einzelne, handelnde Beamte (Gesetz Nr. 4748)
3.
3.8.2002: sogenanntes „Demokratisierungspaket“, mit
dem zahlreiche Einzelgesetze z.T. ergänzt und geändert wurden;
wichtigste Änderungen betreffen:
a. Aufhebung der Todesstrafe in Friedenszeiten – Umwandlung in lebenslange
Freiheitsstrafe, verschärfte Haftbedingungen sowie Ausschluß
vorzeitiger Entlassung bei Verurteilung zu lebenslanger Haft für
sogenannte „Terror-Straftäter“;
b. Wiederaufnahmemöglichkeit eines Zivil- oder Strafverfahrens nach
Verurteilung durch den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte
innerhalb von einem Jahr auf Antrag;
c. Änderungen der Gesetze über Vereine, Stiftungen, Versammlungen,
Medien, Presse sowie die Durchführung privater Sprachkurse etc. (Gesetz
Nr. 4771).
4. 18.9.2002: Verordnung zur Konkretisierung der Rechte Festgenommener,
mit welcher im wesentlich folgende „Rechte“ festgeschrieben
werden sollen:
a. Verpflichtung, den Vorwurf mitzuteilen
b. Aufklärung über das Recht, eine Person über die Festnahme
zu informieren
c. Das Recht, bei einer Untersuchung durch eine/n ÄrztIn mit dieser/m
allein im Raum zu bleiben, es sei denn, aus Sicherheitsgründen wird
die Anwesenheit von Sicherheitspersonal durch ÄrztIn oder Festgenommener/em
gewünscht
d. Die Dauer des polizeilichen Gewahrsams darf vier Tage bei gemeinschaftlich
begangenen Taten ohne richterliche Anordnung nicht überschreiten;
im Ausnahmezustandsgebiet kann die Dauer des polizeilichen Gewahrsams
auf Antrag der Staatsanwaltschaft durch richterliche Anordnung auf sieben
Tage erhöht werden.
e. Bei Straftaten, die in den Zuständigkeitsbereich der Staatssicherheitsgerichte
fallen, besteht das Recht auf Besuch durch die/den VerteidigerIn erst
nach schriftlicher Anordnung der Verlängerung des Polizeigewahrsams
5.
Die beiden Verordnungen, die im Hinblick auf Punkt 3c sodann erlassen
wurden und in den westlichen Medien als „Durchbruch bei der Anerkennung
des kurdischen Volkes“ bewertet wurden, sind:
a. 20.9.2002: Regelungen und Voraussetzungen zur Einrichtung von
privaten Sprachkursen in Sprachen, die „türkische Staatsangehörige
in ihrem Lebensalltag traditionell verwenden“. Von „kurdischer
Sprache“ ist hier nicht die Rede, so wie auch in den anderen Gesetzen
und Verordnungen, die zu diesem Themenkreis erlassen wurden, nicht. Von
der Anerkennung der „kurdischen Sprache“ geschweige denn des
„kurdischen Volkes“ als solchem kann also keineswegs die Rede
sein. Ansonsten ist Einrichtung und Überwachung dieser Art privater
Kurse streng geregelt und Schulkindern der Besuch privater Sprachkurse
nur an den Wochenenden und in den Schulferien erlaubt.
b. 18.12.2002: Verordnung über Radio- und Fernsehsendungen
in Sprachen, die „türkische Staatsangehörige in ihrem
Lebensalltag traditionell verwenden“.
Auch hier ist Gestaltung, Planung und Durchführung derartiger Programme
streng geregelt. Zunächst ist eine Erhebung der in Betracht kommenden
Sprachen und des Bedarfs durch den Hohen Rundfunk- und Fernseh-Rat (RTÜK)
vorgesehen. Schon jetzt wurde die Dauer derartiger Sendungen auf 45 Minuten
am Tag und 4 Stunden in der Woche im Rundfunk sowie 30 Minuten am Tag
und 2 Stunden in der Woche im Fernsehen beschränkt. Im Fernsehen
müssen derartige Sendungen zugleich mit türkischen Untertiteln
erscheinen. Die Festlegung derjenigen Sprachen und Dialekte, in denen
diese Sendungen erfolgen dürfen, erfolgt durch den Hohen Rundfunk-
und Fernseh-Rat aufgrund der erhobenen Bedarfsfeststellung.
6.
Schrittweise Aufhebung des Ausnahmezustandes in allen Provinzen bis Dezember
2002:
Die Aufhebung des Ausnahmezustandes in den kurdischen Provinzen wurde
im Westen als konkretes „Zeichen“ für den Willen zur
Demokratisierung bewertet. Allerdings wurde die wichtige „Kleinigkeit“
übersehen, daß alle Provinzen, in denen der Ausnahmezustand
aufgehoben wurde in den rechtlichen Status der sogenannten „Nachbarprovinzen“
(türkisch: mücevir il) überführt wurden. Der rechtliche
Status der sogenannten „Nachbarprovinz / mücevir il“
wurde durch die Rechtsverordnung mit Gesetzeskraft Nr. 285 vom 10.7.1987
eingeführt. Die Kompetenzen der Gouverneure dieser Provinzen sind
genauso maßlos wie diejenigen der Gouverneure der Ausnahmezustandsprovinzen.
Der Unterschied besteht darin, daß gegen Akte dieser Gouverneure
theoretisch der Rechtsweg offen steht, was in Ausnahmezustandsprovinzen
nicht der Fall war. Darüber hinaus wurden diese Gebiete auf der Rechtsgrundlage
der „Verordnung über die Einrichtung eines Krisenstabs“
als „Krisengebiete“ eingestuft, für die ein sogenannter
koordinierender Gouverneur mit weitgehenden Kompetenzen ernannt wurde.
Was bedeutet das im Hinblick auf unser Arbeitsfeld?
Wie
wir immer wieder betont haben, ist es für die betroffenen Frauen
von ungeheurer Wichtigkeit, daß
a) die staatlichen Täter für die an ihnen begangenen Verbrechen
strafrechtlich zur Rechenschaft gezogen werden,
b) das diesen Verbrechen zugrundeliegende Systemunrecht aufgedeckt und
eingestanden wird und
c) auf diese Weise zu einer endgültigen Beendigung des systemimmanenten,
menschenverachtenden Unrechts durch grundlegende Systemveränderung
beigetragen wird.
Unsere
Aktivitäten beziehen sich hierbei auf die Bereiche
a)
Menschenrechte und Achtung vor der unveräußerlichen Menschenwürde
des Einzelnen sowie
b) die Anerkennung des kurdischen Volkes und seiner legitimen Rechte.
Weiterhin dürfen beim Versuch einer Einschätzung der Entwicklungen
in der Türkei folgende Punkte nicht aus den Augen verloren werden:
1.
Die türkische Republik ist von ihrem verfassungsrechtlichen Selbstverständnis
her ein nationales, zentralistisch organisiertes politisches System, welches
seine nationale Einheit und Integrität unter Leugnung der Existenz
anderer Ethnien, insbesondere des kurdischen Volkes, über alles stellt.
Garant hierfür ist der nationale Sicherheitsrat, dessen „Empfehlungen“
für das zivile Parlament wegweisend sind.
2. Es bestand immer eine tiefe Kluft zwischen geschriebenem Recht und
garantierten Rechten und der anzutreffenden Realität und Praxis.
So ist Folter schon lange rechtlich als Straftatbestand formuliert und
die Türkei hat etliche Abkommen ratifiziert, welche Folter ausnahmslos
ahnden. Trotzdem sind wir mit der Realität systematischer Praktizierung
von Folter in der Türkei konfrontiert. D.h., geschriebene Rechtsregeln
sagen zunächst für sich genommen nichts über die tatsächliche
Praxis auf diesem Gebiet etwas aus.
3. Jahrelange totale Repression gegen jede Art tatsächlicher oder
vermeintlicher Opposition wirkt sich auch auf die Art und die Forderungen
einer zunächst bestehenden Opposition aus. Ein Staat, der mit keiner
nennenswerten Opposition mehr konfrontiert ist, kann auch in der Anwendung
der zuvor praktizierten Repressionsmittel nachlassen, was aber nichts
über sein eigentliches Selbstverständnis aussagen muß.
4. Der absolut überwiegende Teil der Frauen, die sich in Istanbul
oder in Berlin an unser Projekt gewandt haben, sind kurdischer Herkunft.
Der türkische Staat leugnet bis heute seine an der kurdischen Bevölkerung
begangenen Verbrechen oder rechtfertigt sie unter dem Vorwand „legitimer
Terrorismusbekämpfung“. Es steht zu befürchten, daß
er nach dem 11.9.2001 für diese Sichtweise der Dinge auf noch mehr
Verständnis bei seinen Verbündeten stoßen wird.
Wir
sind der Ansicht, daß sich in der Türkei nach wie vor nichts
Grundlegendes im staatlichen Selbstverständnis geändert hat.
Eine „Beobachtung“ der weiteren Entwicklungen muß unter
Berücksichtigung der o.g. Überlegungen und Hinweise insbesondere
den Kontakt mit der von repressiven und verbrecherischen Methoden konfrontierten
Menschen beinhalten. Der Alltag von Repression und Grauen läßt
sich nur erfassen, wenn mensch sich an die Basis begibt, und ist am Barometer
diplomatischer Beteuerungen und Gesetzesänderungen allein nicht ablesbar.
3.
Sonstige Entwicklungen innerhalb des Projekts
Wir
haben nach wie vor feste Öffnungszeiten der Büroräume an
zwei Tagen in der Woche (dienstags von 10 bis 14 Uhr, freitags von 14
bis 18 Uhr) und vergeben außerhalb dieser Zeiten Termine nach Vereinbarung.
Im letzten Jahr haben sich insbesondere diese Bürotage zu Tagen des
Zusammenkommens, Diskutierens und Planens für betroffene Frauen entwickelt.
Unser Aufenthaltsraum ist an diesen Tagen regelmäßig voll.
Entsprechend unserer Möglichkeiten sind an diesen Tagen deutsch-,
kurdisch- und/oder türkischsprachige Mitarbeiterinnen anwesend.
Jeden ersten Samstag im Monat findet ein offenes Frauenplenum statt und
jeden Sonntag ist Mitarbeiterinnentreffen.
Die
Arbeitsgruppen treffen sich nach Bedarf zusätzlich. Es handelt sich
um folgende Gruppen:
-
Soziale Begleitung
- Recht und Rechte
- Delegationen
- Internationale Kontakte
- Finanzgruppe
- Medien / Web-Seite
Als
eine besonders schöne Entwicklung hat sich nun eine Gruppe „Selbstorganisierung“
gegründet. Insbesondere betroffene Frauen gestalten und entwickeln
Konzepte gemeinsamen Handelns. Zur Zeit werden Interviews mit Flüchtlingsfrauen
für ein Buch durchgeführt, die sodann transkribiert und ins
Deutsche übersetzt werden. Das Einbringen eigener Positionen sowohl
zur politischen Lage im Herkunftsland als auch zur Situation von Flüchtlingsfrauen
in der Bundesrepublik in die öffentliche Diskussion als auch ganz
konkrete gegenseitige Unterstützung und Freundschaft werden in dieser
Gruppe besonders intensiv praktiziert.
Es
entstand der Wunsch nach erweiterten Räumlichkeiten. Zur Zeit besteht
unser Büro aus zwei Räumen, einem rein technischen Arbeitsraum
und einem Beratungs- und Versammlungsraum, sowie einer Küche. Aufgrund
der hohen Frequentierung entstehen des öfteren Interessenkollisionen.
So müssen z.B. während der Beratung einer Frau alle anderen
anwesenden Frauen aus dem Raum geschickt werden. Insbesondere die Gruppe
„Selbstorganisierung“ hätte durch einen weiteren Raum
die Möglichkeit, ihre Aktivitäten voll zu entfalten.
Im
Juni veranstalteten wir eine Dampferfahrt mit anschließendem Picknick,
zu der wir alle „Betroffenen“ sowie Freundinnen eingeladen
hatten. Über 50 kurdische, türkische und deutsche Frauen aus
ganz Deutschland und eine Frau aus der Schweiz nahmen z.T. mit ihren Kindern
an diesem Zusammenkommen teil. Es war für viele Frauen das erste
Mal, daß sie mit anderen Betroffenen zusammenkamen und sich austauschen
konnten. Es wurden Vorträge gehalten, gespielt, getanzt, gelacht
und geweint. Nicht wenige Frauen fuhren mit neuem Mut und neuer Kraft
zurück zu ihren „Wohnorten“. Allerdings führt eine
solche Erfahrung des kollektiven Miteinanders zugleich noch klarer die
Isolation im zermürbenden Alltag vor Augen. Wir stellten für
alle Teilnehmerinnen ein kleines Photoalbum als Erinnerung zusammen, welches
nun als Ersatz für fehlende Nähe aufbewahrt wird.
Am
28.07.2002 wurde die Jahresmitgliederversammlung durchgeführt.
Was die Formalitäten, die Prinzipien und Projektziele, die Zusammensetzung
des Vorstands und der Mitglieder betrifft, haben sich keine Änderungen
ergeben.
Manche der aktiven Mitarbeiterinnen sind ausgeschieden, andere, besonders
mehrsprachige, sind eingestiegen. Nach wie vor arbeiten alle Mitarbeiterinnen
ehrenamtlich, d.h., sie gehen zugleich einer Lohnarbeit nach, um ihre
Existenz zu sichern. Hieraus ergibt sich, daß wir im Verhältnis
zur anfallenden Arbeit eigentlich permanent „unterbesetzt“
sind.
Da die Miete unserer Büroräume nicht durch die offiziellen Unterstützungsorganisationen
getragen werden und wir insofern auf private Spenden angewiesen sind,
war es zum Jahresende notwendig, einen entsprechenden Spendenaufruf zu
veröffentlichen. Die Büroräume sind der Dreh- und Angelpunkt
all unserer Aktivitäten. Durch spontane Spenden ist die Miete zunächst
für eine gewisse Zeit gesichert. Allerdings wäre eine kontinuierliche
Sicherung wünschenswert. Sollte diese erreicht werden, wäre
es auch möglich, über die Anmietung eines größeren
Büros nachzudenken.
Im
Jahr 2002 wandten sich Studentinnen verschiedener Fachrichtungen, insbesondere
Journalismus, an uns und berichteten in ihren Abschlußarbeiten über
die Projektarbeit und die Situation in der Türkei.
a)
Stellungnahmen / Berichte
Verschiedene
Pressemitteilungen und Aufrufe sowie Übersetzung von Anklageschriften
zur Prozeßbeobachtung in der Türkei:
–
05.02.2002 Aufruf zum Prozeß gegen 19 Angeklagte wg. des Kongresses
gegen sexuelle Folter im Juni 2000
– 21.04.2002 Aufruf zum Prozeß wg. IHD-Veranstaltung am 25.11.01
in Istanbul
– 21.04.2002 Aufruf zu Solidarität und Unterstützung wg.
Pressehetze gegen Eren Keskin
– 03.06.2002 Aufruf mit übersetzter Anklageschrift bzgl. „Recht
auf Muttersprache“
– 20.08.2002 Aufruf zum Verfahren gegen Eren Keskin am 20.9.2002
wg. 8.März -Veranstaltung in Köln
– 03.09.2002 Aufruf zur Delegationsreise zur Prozeßbeobachtung
in Istanbul im Oktober 2002 wg. des o.g. Prozesses gegen 19 Personen und
wg. des Prozesses gegen Eren Keskin wegen ihres Gesprächs mit H.
Däubler-Gmelin)
– 01.10.2002 Bericht über den Prozeß gegen Eren Keskin
am 20.9.2002 vor DGM Istanbul
– 27.11.2002 Presseerklärung zum einjährigen Berufsverbot
für Eren Keskin
– zahlreiche weitere übersetzte Anklagen in diesen und anderen
Verfahren zur Information
b)
Delegationen / Prozeßbeobachtung in der Türkei
Auch
im Jahr 2002 wurde die Arbeit des Istanbuler Projekts massiv behindert
und der Tatbestand der weiterhin praktizierten systematischen sexuellen
Folter an Frauen geleugnet, was sich u.a. in der Vielzahl der Repressalien
gegen Eren Keskin als Mitbegründerin und Anwältin des Projekts
zeigt:
An erster Stelle sind hier die zahlreichen Verfahren zu nennen, mit denen
Frau Keskin und andere gleichgesinnte Frauen eingeschüchtert werden
sollen und von denen eines z.B. zu einem einjährigen Berufsverbot
für Eren Keskin führte; gleichzeitig wird der Prozeß gegen
18 Frauen sowie den Vater einer betroffenen Frau, die im Juni 2000 auf
einem Kongreß gegen sexuelle Folter in Istanbul gesprochen haben,
zermürbend in die Länge gezogen. Wir haben immer wieder über
diese Verfahren berichtet und sie soweit möglich durch Delegationen
begleitet.
Dem gleichen Ziel der Behinderung und Einschüchterung dienend und
nicht minder perfide ist die Hetzkampagne gegen Eren Keskin, die im April
2002 in der türkischen Presse losgetreten wurde.
Zu
manchen der Prozesse im einzelnen:
Wir
berichteten mehrfach von den Prozessen wegen des am 10./11. Juni 2000
in Istanbul stattgefundenen Kongresses gegen sexuelle Folter; 18 Frauen
und der Vater einer betroffenen Gefangenen wird vorgeworfen, hier als
RednerInnen oder Organisatorinnen teilgenommen zu haben, und sie wurden
wegen "Verunglimpfung des Staates und seiner Organe" nach Art.
158 Abs.1 Türkisches Strafgesetzbuch angeklagt.
Allein die Tatsache, daß das Gericht davon ausgeht, es könne
überhaupt einem Straftatbestand entsprechen, über erlittene
sexualisierte Folter Zeugnis abzulegen und die konsequente Verhinderung
und Strafverfolgung derartiger Menschenrechtsverbrechen zu verlangen,
wirft ein entscheidendes Licht auf die der Justiz innewohnende Logik.
In mindestens einem der wenigen Verfahren, die überhaupt gegen Folterer
eingeleitet wurden, wurden diese bereits vom Vorwurf der Folter und Vergewaltigung
freigesprochen.
Aus diesem Grund ist die Anklageerhebung an sich ein Skandal und bedeutet
für die betroffenen und angeklagten Frauen eine erneute Erniedrigung
und Demütigung, weil durch die Anklageerhebung fortgesetzt die Realität
der ihnen zugefügten Verbrechen geleugnet wird und sie einer Vorverurteilung
und Kriminalisierung ausgesetzt sind.
Das Tabu zu brechen und über die sexuelle Folter öffentlich
zu sprechen, kostet die Betroffenen schon immens viel Mut und Kraft; nun
werden sie von Staatsseite seit knapp zwei Jahren als Lügnerinnen
dargestellt und durch die Verzögerung des Verfahrens noch zusätzlich
gedemütigt, ohne daß je einer der Täter zur Rechenschaft
gezogen worden wäre.
Aufgrund
des selben Sachverhalts wurde im Juni 2001 ein weiteres Strafverfahren,
diesmal vor dem Staatssicherheitsgericht (DGM) Istanbul, wegen "separatistischer
Propaganda“ und „Aufstachelung zu Haß und Feindschaft
durch das Aufzeigen ethnischer, klassenbedingter und regionaler Verschiedenheiten“
gem. Art. 8 Abs.1 „Anti-Terror-Gesetz“ i.V.m. Art. 312 Abs.2
Türkisches Strafgesetzbuch eröffnet. Eine der fünf Angeklagten
in diesem zweiten Verfahren wegen desselben Vorfalls ist Fatma Karakas,
Rechtsanwältin und Mitarbeiterin im Istanbuler Projekt.
Zur
Unterstützung der Angeklagten organisierten wir in Zusammenarbeit
mit anderen Solidaritätsgruppen, dem FrauenFluchtNetz Stuttgart /
Tübingen und einer Prozeßbeobachtungsgruppe aus Freiburg, wie
bereits im Vorjahr mehrere Delegationen zu den Prozessen u.a. im Februar,
Mai und Oktober 2002, um eine internationale Öffentlichkeit zu schaffen
und den betroffenen Frauen Solidarität zu zeigen. Die angeklagten
Frauen hatten sich dahingehend geäußert, daß es für
sie selbst sehr wichtig sei, zu sehen, daß sie mit den gegen sie
erhobenen Vorwürfen nicht alleine dastehen, und daß die Prozeßöffentlichkeit
für sie ein Schutz darstelle. Ausführlichere Berichte zu diesen
und allen weiteren Verfahren können im Berliner Büro angefordert
werden. Auch mehrere Zeitungen berichteten über die Prozesse.
Gegen
Eren Keskin selbst laufen unzählige Verfahren; vor dem Istanbuler
Strafgericht in Beyoglu wird sie immer noch zusammen mit dem ehemaligen
Chefredakteur der Zeitung Yeni Gündem, Erol Tas, wegen "Verunglimpfung
der staatlichen Sicherheitskräfte" gem. Art. 159 Abs.1 Türkisches
Strafgesetzbuch i.V. m. Art. 16 Abs. 1 des Pressegesetzes angeklagt. Der
Vorwurf wird begründet mit einem von Eren Keskin verfaßten
Bericht, der in der Yeni Gündem veröffentlicht wurde; er enthielt
Aussagen der „Friedensmütter“, kurdischer Frauen, die
nach ihrer Festnahme in türkischem Polizeigewahrsam sexuell gefoltert
wurden.
Am
25.11.2001, dem „Internationalen Tag gegen Gewalt gegen Frauen“,
führte der IHD in Istanbul eine Veranstaltung zum Thema „Gewalt
gegen Frauen“ durch. Eren Keskin, damals noch Vorsitzende der Sektion
Istanbul des IHD, trat neben anderen als Referentin auf dieser Veranstaltung
auf, um über die Erfahrungen der Projektarbeit zu berichten. Daraufhin
wurde sie aufgrund Art. 8 Abs. 1 des Anti-Terror-Gesetzes („separatistische
Propaganda“) vor dem Staatssicherheitsgericht Istanbul angeklagt.
Die erste Hauptverhandlung fand am 11.4.2002 statt und wurde im Juli fortgesetzt.
Am 25.12.2002 hielten sowohl Staatsanwaltschaft als auch die Verteidigung
ihr Abschlußplädoyer. Der Prozeß wurde auf den 20.2.2003
vertagt.
Auf
einer Veranstaltung zum Internationalen Frauentag am 16.3.2002 in Köln
sprach Eren Keskin über die Erfahrungen der Arbeit des Projektes.
Dazu gehörte auch, über die an Frauen begangenen Verbrechen
staatlicher Täter als Teil einer undemokratischen und militaristischen
Staatspolitik zu sprechen.
Am 20.9.2002 begann deshalb ein weiterer Prozeß vor dem Staatssicherheitsgericht
Istanbul: Mit ihrem Redebeitrag habe Eren Keskin Art. 312 Abs. 2 des türkischen
Strafgesetzbuchs verletzt, nämlich öffentlich unter Hinweis
auf Unterschiede der Klasse, Rasse und Religion, Konfession oder Region
zu Haß und Feindschaft aufgestachelt und durch die Bezeichnung eines
Teils der Türkischen Republik, welche ein Einheitsstaat sei, als
Kurdistan und durch die Darstellung der kurdischen Bevölkerung als
unschuldig und unterdrückt, Ausführungen gemacht, die die Bevölkerung
der anderen Regionen aufstachele. Nach der Verteidigungsrede Eren Keskins,
in der auch die Arbeit des Rechtshilfeprojekts geschildert wurde, äußerte
der Vorsitzende Richter seine Skepsis gegenüber diesem Projekt, da
es über keinen offiziellen Rechtsstatus verfüge. Schließlich
drohte er an, daß auch eine Verurteilung wegen Art. 8 Anti-Terror-Gesetz
erfolgen könne. Der Vorwurf des Separatismus kann nach der bisherigen
Rechtsprechung bereits durch den Gebrauch des Wortes Kurdistan erfüllt
sein. Der Strafrahmen beträgt ein bis drei Jahre Haft.
Die Verhandlung wurde am 27.11.02 fortgesetzt, weitere Termine folgen.
Außer dem FrauenRechtsBüro gegen sexuelle Folter e.V. beobachteten
das deutsche Konsulat, amnesty international/ London, zwei Vertreter der
Londoner AnwältInnenkammer und gleichzeitig Mitglieder der kurdischen
Menschenrechtsvereinigung KHRP sowie der Republikanische Anwaltsverein
RAV und die Berliner AnwältInnenkammer den Prozeß, zudem waren
zahlreiche Presseangehörige anwesend.
Bereits
im April 2002 war aufgrund des Redebeitrags auf der Veranstaltung in Köln
durch die Tageszeitung Hürriyet und insbesondere durch den Journalisten
Fatih Altayli eine beispiellose Hetzkampagne gegen Eren Keskin in der
Presse geführt worden, in der sie als Verräterin und Lügnerin
beschimpft und in der ihr selbst mit Vergewaltigung gedroht wurde.
Aufgrund des umfangreichen Protestes auch aus dem Ausland nach unserem
Bericht über diese Hetzkampagne hat sich auch der Presserat in der
Türkei der „Angelegenheit Fatih Altayli“ angenommen und
ihn im Juli offiziell verwarnt.
Darüber hinaus ist ein Strafverfahren wegen Verleumdung und Beleidigung
gegen Fatih Altayli durch die Staatsanwaltschaft Sisli/Istanbul sowie
ein Schmerzensgeldverfahren wegen Beleidigung vor einem Zivilgericht in
der Türkei eingeleitet worden.
Die
dem Justizministerium nahestehende Nationale AnwältInnenkammer in
Ankara (vergleichbar der BundesanwältInnenkammer) hat inzwischen
wegen früherer Verurteilungen Eren Keskins, wegen derer sie sich
1995 in Haft befand, ein einjähriges Berufsverbot ausgesprochen,
nachdem sich die Istanbuler Anwaltskammer geweigert hatte, eine derartige
Disziplinarmaßnahme zu verhängen. Dies ist nach türkischem
Recht möglich und stellt insbesondere für im Menschenrechtsbereich
tätige AnwältInnen eine permanente Drucksituation dar. Am 12.7.2002
wurde vom Disziplinarausschuß der Nationalen AnwältInnenkammer
der Türkei in Ankara ein einjähriges Berufsverbot gegen Eren
Keskin, die erst kürzlich zur stellvertretenden Vorsitzenden des
Menschenrechtsvereins der Türkei IHD gewählt worden war, verhängt.
Nachdem diese Entscheidung Ende September durch die zuständige Stelle
beim Justizministerium bestätigt worden war, wurde sie im November
zugestellt. Da die Entscheidung trotz möglicher Rechtsmittel sofort
vollziehbar ist, kann Eren Keskin ihren Beruf seit November 2002 nicht
mehr ausüben, wodurch sie existentiell bedroht ist. Der Eilantrag
auf einstweilige Anordnung wurde am 10.01.2003 vom Verwaltungsgericht
Ankara abgelehnt.
Seit
Juli 2002 wird vor dem 2. Strafgerichtshof in Istanbul gegen Eren Keskin
wegen des Vorwurfs der „Diffamierung der Türkei“ verhandelt.
Dieser Vorwurf bezieht sich auf Äußerungen, die Eren Keskin
bei einem Gespräch mit der damaligen deutschen Justizministerin Herta
Däubler-Gmelin im Spätsommer 2000 gemacht haben soll. Das Gespräch
fand am Rande einer offiziellen Regierungsreise der Justizministerin statt,
bei der diese sich auch mit oppositionellen Gruppen traf. Eren Keskin
hatte dabei von der Arbeit des Frauenrechtshilfeprojekts und des Menschenrechtsvereins
IHD gesprochen. Über die Begegnung wurde später in der Wochenzeitung
Yeni Aydinlik berichtet. Auch der Autor des Artikels und der Chefredakteur
sind in derselben Sache angeklagt. Eren Keskin wird vorgeworfen, sie habe
die Streitkräfte „verleumdet und beleidigt“; sie habe
sich nach Art. 312 Abs. 2 des Türkischen Strafgesetzbuches strafbar
gemacht, da sie durch ihre Äußerungen zu Kurdistan öffentlich
zu Haß und Feindschaft unter der Bevölkerung aufgerufen habe,
indem sie auf Unterschiede der Klasse, Rasse, Religion, Konfession oder
Region hingewiesen habe.
Eine
Presseerklärung und das Verteilen von Informationsmaterial im Rahmen
einer türkeiweiten Kampagne für das „Recht auf Muttersprache“
(Kurdisch) im Frühjahr 2002 führte zu einem weiteren Prozeß
gegen Eren Keskin vor dem Staatssicherheitsgericht Istanbul, weil sie
damit die PKK unterstützt und somit Art. 169 des Türkischen
Strafgesetzbuches verletzt haben soll.
Wegen dieses und anderer Prozesse gegen Eren Keskin rief auch amnesty
international zu Appellen an den türkischen Justizminister auf.
Eines
der Verfahren, das sich letztendlich gegen das Projekt richtete, war ein
Strafverfahren gegen Eren Keskin vor den Strafgericht Kartal / Istanbul
wegen eines Interviews mit einem französischen Journalisten. Durch
ihren Bericht über die Existenz sexueller Folter habe sie das Ansehen
der Türkei im Ausland geschädigt. In diesem Verfahren kam es
am 27.12.2002 zum Freispruch.
Wir
organisierten Delegationen zu mehreren Prozessen und informierten die
Öffentlichkeit durch Presseerklärungen und Aufrufe zur Unterstützung
der Angeklagten bzw. zu Protest gegen die Verfahren, die einzig und allein
der Einschüchterung derjenigen, die sich unter großem persönlichen
Einsatz gegen die permanenten Menschenrechtsverletzungen wehren und diese
öffentlich machen, und der Behinderung ihrer so wichtigen Arbeit
dienen.
Im
Rahmen der Delegationen fanden jeweils auch Gespräche mit Menschenrechtsorganisationen
bzw. in diesem Bereich tätigen AnwältInnen statt, um die aktuelle
Situation zu erläutern, konkrete Probleme zu besprechen und die Zusammenarbeit
zu verbessern und zu vertiefen.
Die Prozesse an sich zeigen die unveränderte Billigung sexualisierter
Folter durch den Staat: die Täter werden nicht belangt, die Gefolterten
und die, die sie verteidigen, werden angeklagt. Bei allen Prozessen wurde
zudem die Verzögerungs- und Verschleppungstaktik der Gerichte deutlich,
mit der die Angeklagten hingehalten werden; während des gesamten
Verfahrens werden sie als Straftäterinnen dargestellt und behandelt.
Für von sexueller Folter betroffene Frauen macht dies eine sinnvolle
Therapie fast unmöglich und demütigt sie nach der erlittenen
Folter noch über Jahre hinaus zusätzlich.
Für AnwältInnen, die sich für sie einsetzen, bedeutet dies,
das Ende der beruflichen Existenz und Haftstrafen zu riskieren; sie befinden
sich im ständigen Konflikt zwischen Aufrichtigkeit und Existenzvernichtung.
Den konkreten Einfluß der Öffentlichkeitsarbeit und der zahlreichen
Protestbriefe auf türkische Staatsorgane können wir nicht benennen,
doch einzelne Entwicklungen wie die weitgehende Einstellung der Morddrohungen
gegen Eren Keskin nach vielfachen Appellen auf Initiative von amnesty
international im April 2001, das Verstummen der Hetze in der türkischen
Presse vom April 2002 wie auch die Tatsache, daß Eren Keskin trotz
ihrer unzähligen Prozesse (noch) nicht in Haft ist, zeigen, daß
öffentliche Aufmerksamkeit wichtig und sinnvoll sind; nicht zuletzt
sind die Delegationsreisen auch ein Ausdruck der Solidarität mit
den Angeklagten.
c)
Aufrufe zur Unterstützung
Aufrufe
zur sowohl finanziellen als auch insbesondere eingreifenden Unterstützung
einzelner betroffener Frauen insbesondere bei erneuter Repression aufgrund
von Anzeigenerstattung gegen staatliche Täter in der Türkei
einschließlich der kurdischen Gebiete sowie die Veröffentlichung
diesbezüglicher Hintergrundinformationen gehören ebenfalls zu
unseren Aufgaben. 2002 handelte es sich um folgende Aufrufe:
-
27.07.2002: Unterstützungsaufruf für Leyla B.
- 21.04.2002: Protestaufruf zu “Hetzkampagne gegen Eren Keskin”
- 28.08.2002: Dringendes Gesuch zu Nuriye Kesbir
- Solidaritätsaufruf zu Zeynep Avci
Diese
Aufrufe fanden ein breites Echo und wurden z.T. selbst aus Regierungskreisen
unterstützt. Diese Art der politischen Initiative, im Zusammenspiel
mit vielen anderen Initiativen, gewährt den Frauen einerseits einen
gewissen Schutz vor staatlichen Übergriffen, andererseits trägt
der über viele verschiedene Ebenen erzeugte öffentliche Druck
auch gelegentlich dazu bei, daß in den Gerichtsverhandlungen die
staatlichen Täter auch tatsächlich zur Rechenschaft gezogen
werden. So wurde im Prozeß Leyla B. gegen vier Polizisten wegen
Vergewaltigung im Dezember 2002 ein Angeklagter in der ersten Instanz
zu 15 Jahren und vier Monaten Haft verurteilt.
Wir danken bei dieser Gelegenheit allen, die durch ihre Unterstützung
zur Linderung der schweren Situation Leyla B.s beigetragen haben.
d)
Zusammenarbeit mit anderen Einrichtungen
Über
eine kontinuierliche und sich gegenseitig ergänzende Zusammenarbeit
mit anderen Einrichtungen konnten wir die bereits geknüpften bundesweiten
Kontakte intensivieren und ausbauen.
Hinzu kam die Entwicklung und der Aufbau internationaler Kontakte zu Frauenorganisationen,
die sich ebenfalls gegen spezifische Formen von Frauenunterdrückung
organisieren. Weltweit verschickten wir Informationsmaterial und machten
so unser Projekt international bekannter. Die so gesetzten Anfänge
einer internationalen Vernetzung möchten wir im nächsten Jahr
weiter ausbauen und konkretisieren. So planen wir für das Jahr 03
bzw. 04 einen internationalen Frauenkongress zu dem Thema “Spezifische
Formen von Frauenunterdrückung” (vorläufiger Arbeitstitel).
Der Kongress soll von verschiedenen Berliner Frauenprojekten, die zu dem
Thema arbeiten, gemeinsam vorbereitet und durchgeführt werden.
e) Öffentlichkeitsarbeit
Im
Juli 2002 konnte unsere Web-Seite „www.womensrightsproject.de“
ins Netz gestellt werden. Hier können aktuelle Infos und Entwicklungen,
Spendenaufrufe, „urgent actions“, Hintergrundinformationen
und vieles andere mehr abgerufen werden. Unseren Flyer gibt es jetzt auch
in englischer und spanischer Sprache.
Auch
dieses Jahr war sowohl die Arbeit des Istanbuler als auch des Berliner
Projektes Gegenstand zahlreicher Artikel und Veröffentlichungen;
Reportagen und Interviews in Radio- und Fernsehsendungen trugen zur Information
über die Tätigkeit bei. Beispielhaft seien genannt:
-
09.02.02 Frankfurter Rundschau: „Etappensieg für Menschenrechte“
- 22.02.02 Badische Zeitung: „Der Erlös der Kunstauktion hilft
Folteropfern“
- 11.04.02 Weser Kurier: „Folterungen am eigenen Körper erlitten
und ertragen“
- 04.05.02 Neue Züricher Zeitung / Netzeitung / AFP: „Justizskandal
um Folter in der Türkei“
- 14.05.02 Junge Welt: „Reden über sexuelle Folter bestraft“
- 17.05.02 Junge Welt: „Sexuelle Folter in der Türkei - Warum
Prozesse gegen Opfer?“
- 27.05.02 Stuttgarter Nachrichten: „Der Gang an die Öffentlichkeit
soll Mut machen“
- 28.05.02 The Guardian: „Threatened by their protectors / Turkey`s
record in Kurdistan is a grim warning to Afghan women“
- 02.07.02 Süddeutsche Zeitung: „Prozeß gegen Menschenrechtlerin
Eren Keskin“
- 28.09.02 Frankfurter Rundschau: „Tage, die kein Ende nehmen“
- 10.10.02 Neues Deutschland: „Türkische Frauen brechen das
Tabu“
- Sept. 02 LOLA Press: „Against sexual torture“ (englisch
und spanisch)
- 27.11.02 Süddeutsche Zeitung: „Die langen Schatten der Gewalt“
- Aug. 02 Publik-Forum Nr. 16: „Hundert Prozesse laufen allein gegen
mich“
- 28.11.02 Özgür Politika: „Blutige Folter“ u.v.a.m.
- 30.11.02 taz: „Mutige Anwältin zum Schweigen verurteilt“
- 09.12.02 Mendener Zeitung: „Berufsverbot für mutige Anwältin“
Darüber
hinaus nahmen Mitarbeiterinnen (z.T. auch als „Betroffene“)
an Radio- und Fernsehreportagen teil.
Wie
auch schon in den Jahren zuvor wurden Mitarbeiterinnen des Projekts zu
zahlreichen Veranstaltungen als Referentinnen eingeladen. Beispielhaft
für das Jahr 2002 seien genannt:
-
09.03.02
in Dortmund: “Herrliche Welt !?”; Veranst.: Kulturbetriebe
Stadt Dortmund
- 25.04.02 in Stuttgart: „Juristen auf der Anklagebank? - Verfolgung
von Menschenrechts-verteidigern - Schwerpunkt Türkei“; Veranst.:
Verein der Richter und Staatsanwälte Baden-Württemberg e.V.
- Kommission für Menschenrechte
- 26.-28.04.02 in Dortmund: 28. Feministischer Juristinnentag
- 08.06.02 in Luzern: Generalversammlung der ACAT (Aktion der Christen
gegen Folter)
- 08.11.02 in Berlin “Wirksamer Schutz der Menschenrechte”;
Veranst.: Aktion Solidarische Welt Berlin
Von
uns organisierte Veranstaltungen:
In
Zusammenarbeit mit dem FrauenFluchtNetz Stuttgart / Tübingen organisierten
wir eine Veranstaltungsreihe zu dem Thema “Frauenfluchtgründe
am Beispiel Türkei“, an der aus der Türkei eine betroffene
Frau und Eren Keskin als Rechtsanwältin des Istanbuler Projekts teilnahmen:
-
24.05.02 Tübingen
- 26.05.02 Stuttgart
- 01.06.02 Köln
Weiterhin
organisierte unser Büro in Berlin:
-
16.06.02 Dampferfahrt auf der Spree mit anschließendem Picknick.
Hierzu haben wir alle betroffenen Frauen und Freundinnen eingeladen.
Teilnahme
an Tagungen / Fortbildungen:
20.-21.06.02
in Berlin: „Asyl in Europa - Verantwortung für die Welt”
Veranst.: Ev Akademie zu Berlin
31.01.-02.02.02
in Ankara: „International Symposium on the Right to Asylum and Refugees
in Europe and Turkey“
Veranst.: u.a. Stiftung für soziale Forschung, Kunst und Kultur in
Kooperation mit dem türkischen Menschenrechtsverein IHD
13.12.02
in Berlin: „Menschenrechtsinstrumente für Frauen nutzen“
Veranst.: Deutsches Institut für Menschenrechte, Koordinierungskreis
gegen Frauenhandel
4. Perspektiven und geplante Aktivitäten für die weitere
Arbeit
„Die
Utopie ist kein fixes Ziel sondern immer ein Horizont in Bewegung.“
Wir
werden unsere Arbeiten auch 2003 fortsetzen. Dabei sind unsere Vorhaben
natürlich immer auch von Entwicklungen abhängig, die nicht unbedingt
in unserer Hand liegen. Trotzdem können wir folgenden Ziele benennen:
-
Nach wie vor steht die Veröffentlichung zweier Bücher / Broschüren
aus, mit deren Erarbeitung begonnen wurde;
- Intensivierung der Selbstorganisierung;
- Erhöhung der Anzahl insbesondere mehrsprachiger Mitarbeiterinnen;
- Erarbeitung weiterer Möglichkeiten internationaler Strafverfolgung
staatlicher Täter von und Verantwortlicher für an Frauen begangenen
Menschenrechtsverbrechen;
- Durchführung eines Kongresses;
- Sicherung der regelmäßigen Mietaufwendungen und eventuell
damit einhergehend Erweiterung unserer Räumlichkeiten.
Berlin,
den 14.02.2003
FrauenRechtsBüro gegen sexuelle Folter e.V.
Statistiken
A.
BERLIN
Gesamtzahl
der Anträge 41
- Anzahl der Anträge an Istanbuler Projekt vor Eröffnung des
Berliner Büros,
durch Berliner Büro nach Flucht weiter begleitet 6
- Anzahl der Anträge direkt an das Berliner Büro 35
Art der staatlichen Menschenrechtsverletzung:
- Vergewaltigung / Folter 29
- sonstige sexuelle Folter 12
Von
obigen Fällen
- durch die Foltertat erlittene Fehlgeburten 6
- gemeinsam mit oder vor den Augen von Kindern im Alter
zwischen 3 ½ -10 Jahren gefoltert 2
Alter :
- Jüngste 15 Jahre
-Älteste 38 Jahre
- Anzahl der minderjährigen Betroffenen unter 18 Jahren 9
- Anzahl der Betroffenen im Alter von 18 bis 25 Jahren 14
Täterkategorien :
- Polizei (uniformiert und / oder zivil ) 35
- Gendarmerie / Militär 7
- Spezialeinheiten (Özel Tim) 3
- Dorfschützer -
- Vollzugsbeamte -
Herkunft der Frauen:
- kurdisch 38
- türkisch 3
Hintergründe:
Politischer
Art oder kriegsbedingt
- kriegsbedingt 12
- selbst politisch 14
- um männliche Familienangehörige zum Sprechen zu bringen
oder Informationen über (meist) männliche Familienangehörige
zu erhalten 21
- als Bestrafung für politisch aktive Angehörige 4
Rechtlicher
Stand der Anzeigenerstattung gegen die Täter der Folter:
- vor dem EGMR anhängig 2
- bei den Staatsanwaltschaften in der Türkei anhängig 4
- Anzeige nach Istanbul weitergeleitet, jedoch aufgrund
schlechter „Beweislage“ nicht erstattet 1
- in Türkei vor Strafgericht anhängig 1
B. ISTANBUL
Anzahl
der Anträge 164
- Anzahl der Anträge in der Türkei 161
(2 Anträge aus Deutschland, vor Eröffnung des Büros in
Berlin)
- Vom Berliner Büro zur Anzeigenerstattung 3
- Gesamtzahl der mittlerweile sich im Ausland befindlichen Frauen 16
- Zahl der durch das Berliner Büro betreuten Frauen 41
- Anzahl der Frauen in der Türkei, die sich in Haft befinden 24
Art
der staatlichen Menschenrechtsverletzung
a) Folter / Vergewaltigung 55
(zwei der Frauen begingen nach der Tat Selbstmord,
eine Frau wurde während der Tat getötet,
ein 14jähriges Mädchen wurde nach der Tat durch Verwandte zur
«Ehrenrettung» getötet,
eine der Frauen starb im Dezember 1999 an den Langzeitfolgen der Tat)
b) Zwangsprostitution 1
c) sexuelle Mißhandlung und Entführung 2
d) sexueller Missbrauch durch die Presse 1
e) sonstige sexuelle Folter 109
von diesen Fällen:
- durch die Foltertat erlittene Fehlgeburt 5
- gemeinsam mit Kindern im Alter zwischen 3 ½ und 10 Jahren gefoltert
5
- durch die Tat schwanger geworden 3
(1 Kind lebt, 1 Kind wurde abgetrieben, 1 Kind ist tot geboren)
Alter
a) jüngste Betroffene 11
b) älteste Betroffene 67
c) Anzahl der minderjährigen Betroffenen unter 18 Jahren 29
Täterkategorien
a) Polizei 124
b) Gendarmerie / Militär 34
c) Spezialeinheiten (Özel Tim) 4
d) Dorfschützer 6
d) Vollzugsbeamte 9
e) Überläufer 2
f) Journalist 1
Herkunft der Frauen
a) kurdisch 130
b) türkisch 31
c) deutsch 1
d) Roma 4
e) bulgarisch 1
f) rumänisch 1
Gründe
a) politischer Art oder kriegsbedingt 145
o kriegsbedingt 15
o wegen eigener politischer Aktivitäten 108
o um männliche Familienangehörige zum Sprechen zu bringen oder
Informationen über (meist) männliche Familienangehörige
zu erhalten 14
o als Bestrafung für politisch aktive Angehörige 8
b) nicht politischer Art 19
Rechtlicher Stand der Verfahren 86
a) vor dem EGMR zuungunsten der Türkei beendet 1
b) vor dem EGMR anhängig 28
c) vor innerstaatlichen unteren Gerichtsinstanzen anhängig 12
d) vor dem Kassationsgerichtshof in Ankara anhängig 3
(1 Verfahren war zuvor vor dem EGMR mit Urteil zu ungunsten
der Türkei beendet worden)
e) bei den Staatsanwaltschaften anhängig 21
(2 Verfahren nach Einspruch gegen Einstellungsbescheid gewonnen
und nun erneut bei der Staatsanwaltschaft)
f) Einspruch nach Einstellung des Verfahrens – noch nicht entschieden
19
Im Projekt abgeschlossene bzw.
zu Dokumentationszwecken archivierte Akten 68
a) gerichtliche Schritte aus Angst nicht gewollt 30
(in einer Angelegenheit ist der Täter / Militär trotzdem des
Amtes erhoben wurden)
b) im Laufe des Verfahrens von Anzeige zurückgetreten 9
(in einem Fall wegen schwerer Repression nach Eröffnung des Gerichtsverfahrens
zurückgetreten; in einem weiteren Fall erfolgte Freispruch, die Betroffene
trat jedoch
zurück, nachdem der Freispruch durch den Kassationsgerichtshof aufgehoben
und
zur erneuten Verhandlung an die untere Instanz zurückverwiesen worden
war)
c) nach Erschöpfung des innerstaatlichen Rechtsweges zurückgetreten
5
d) Betroffene nicht mehr erreichbar 3
e) eigene Anwälte kümmern sich um die Verfahren 6 (2 Verfahren
vor dem EMRG anhängig)
f) durch Fehler eigener Anwälte keine Rechtsmittel eingelegt 2
g) Betroffene kümmert sich selbst um ihr Verfahren 2
h) Beweislage schlecht, daher keine Rechtsmittel 4
(1 Akte aus Deutschland)
i) bereits vor Antragstellung innerstaatliche Rechtsmittel erschöpft
2
j) durch innerstaatliches Gerichtsurteil beendet 1
(10 Monate auf Bewährung)
k) durch Zwangsverheiratung mit dem Täter Verfahren eingestellt 1
l) Täter (Kommissar) durch Drogenmafia getötet 1
Todesfälle 7
a) durch Tod der Betroffenen Verfahren beendet 3
b) nach Selbstmord der Betroffenen beim EGMR anhängig 1
c) Verurteilung zu einjähriger Haft wegen fahrlässiger Tötung
1
d) im Fall eines 14jährigen Mädchens Strafverfolgung wegen Vergewaltigung
durch Verwandte nicht bewilligt 1
e) die betroffene Frau ist durch das Todesfasten im Gefängnis gestorben
1
Wegen Anzeigenerstattung schweren Repressalien ausgesetzt 36
a) Infolge Druck und Repression Umsiedlung innerhalb der Türkei 13
b) Einschüchterung, Bedrohung, erneute Festnahme und/oder Folter
16
c) Eröffnung von Strafverfahren gegen Folterüberlebende 7
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Bankverbindung: Konto-Nr. 324 34 00 - Bank für Sozialwirtschaft -
BLZ 100 205 00
Das FrauenRechtsBüro gegen sexuelle Folter e.V. ist in Deutschland
als gemeinnützige Körperschaft anerkannt. |