Presseerklärung
des Rechtshilfebüros gegen sexualisierte Folter und Vergewaltigung
in Polizeihaft, Istanbul Wir vertreten seit acht Jahren - unterschiedslos alle - Frauen, die Opfer sexualisierter Folter durch staatliche Kräfte geworden sind. Die Frauen, die sich an uns wenden, sind unterschiedlicher nationaler Herkunft, haben unterschiedliche politische Identitäten, sind unterschiedlicher sexueller Neigungen und auch soziale Gefangene. Als wir diese Arbeit begannen, war das wichtigste Moment unserer Motivation, daß sexualisierte Gewalt die Folterart ist, über die am schwersten zu reden ist. Unser Ziel war es, davon betroffene Frauen darin zu stärken, um ihr Recht zu kämpfen, und so beschlossen wir, sie auf dem juristischen Weg zu unterstützen. Von Anfang an waren wir mit vielen Schwierigkeiten konfrontiert. Denn wir hatten nicht nur patriarchale Rechtssysteme gegen uns, sondern zugleich einen damit verknüpften höchstgradig organisierten Militarismus. Wir sagen Rechtssysteme, weil wir in dieser Arbeit es nicht nur mit dem türkischen Rechtssystem zu tun haben, sondern auch mit internationalem Recht, welches wir in Bezug auf sexualisierte Folter ungenügend und parteiisch finden. Bis heute haben sich 177 Frauen an unser Büro gewandt. Jedoch wissen wir, daß diese Zahl vielleicht ein Promille der tatsächlichen Anzahl betroffener Frauen ist. Die Zahl der Frauen, die sich an unser Büro wenden, ist auch deshalb im Verhältnis wenig, weil es den Frauen äußerst schwer fällt, die erlebte sexualisierte Folter offen zu machen. Sie schämen sich, sie haben Angst, sie fühlen sich beschmutzt. Aber auch wenn die Zahl gering ist, S. E. ist eine von ihnen, die den Mut hatten, das Erlebte öffentlich zu machen. Dem Prozeß der S. E., von dem die Öffentlichkeit vorige Woche in Kenntnis gesetzt wurde, ging ein 5 ½ jähriger juristischer Kampf voraus. Der Grund für die Anklage ist die von S.E. vor 11 Jahren erlebte unmenschliche sexualisierte Folter und dadurch verursachte schwere Traumatisierung. Einige Presseorgane sind ihrer "demokratischen Aufgabe" nachgekommen, indem sie die Öffentlichkeit von dem Prozeß unterrichteten. Die demokratische Öffentlichkeit schuldet ihnen Dank. Allerdings haben diese Presseorgane "bestimmte Kreise" sehr in Unruhe versetzt. Wir wissen, daß Folter Bestandteil der staatlichen Politik ist und eine systematische Verhör-Methode darstellt. Wir wissen auch vom militaristischen Druck, der auf die Legislative, die Exekutive sowie die Judikative ausgeübt wird. Der Erklärung des Gendarmerie-Kommandanten bezüglich S.E.'s Prozeß messen wir unter diesem Gesichtspunkt viel Wert bei und möchten unsere Ansichten dazu darlegen. Nach der Veröffentlichung des Prozeßbeginns hat der Gendarmerie-Kommandant am 11. Oktober 2003 eine Erklärung abgegeben. Über diese Erklärung ist gleich in mehrerer Hinsicht zu diskutieren. Sehr klar ist allerdings auch, daß das Gericht damit unter Druck gesetzt werden soll. Wie das Gericht im Prozeß der S.E. da noch "unabhängig" entscheiden soll, muß ernsthaft diskutiert werden. In der Erklärung des Gendarmerie-Kommandanten wird vorgebracht, daß sich die Anklageschrift ausschließlich auf die Erklärung und Beschuldigung von S.E. stützt. Hingegen finden sich in der Akte zwei wissenschaftliche Berichte. Der eine Bericht stammt von der Stiftung des Menschenrechtsvereins der Türkei (TIHV, Behandlungszentrum, d.Ü.), der zweite von der Einrichtung in Deutschland, in der sie in Therapie war. Der Gendarmerie-Kommandant erwähnt in seiner Erklärung, daß S.E. fünf Jahre später das Erlebte öffentlich gemacht hat und fragt, warum sie nicht schon vorher [die Strafverfolgung, d.Ü.] beantragt hat. Der Gendarmerie-Kommandant soll dazu wissen, daß der Hauptgrund für die späte Veröffentlichung die Angst S.E.'s vor ihren Angehörigen war. Ein weiterer Grund für die späte Offenlegung war die schwere Traumatisierung, die ihr durch die erlebte sexualisierte Folter zugefügt worden war. Die dadurch ausgelösten Scham- und Unreinheitsgefühle sowie feudale Werte hatten sie von der Anzeigenerstattung abgehalten. Der Gendarmerie-Kommandant bezichtigt Presseangehörige, die ihrer Aufgabe nachkommen, die Öffentlichkeit über einen Prozeß gegen die Folter zu informieren, mit der PKK bzw. dem KADEK zusammenzuarbeiten. Das ist der einfachste Weg und ein großes Ablenkungsmanöver. Das zeigt, daß die Folter Staatspolitik ist und die, die sie anwenden, natürlich verborgen bleiben möchten. Dabei ist es der Gendarmerie-Kommandant, der die Öffentlichkeit von solch einem Vorfall in Kenntnis setzen, eine Untersuchung einleiten müßte, die ihn selbst mit einschließt, stattdessen bedroht dieser die Gerichte und Medien. In der Erklärung des Gendarmerie-Kommandanten spricht er davon, "was unternommen werden muß". Wir hoffen, daß damit nicht wiederum Folter, neue Opfer und erneute Zensur gemeint ist. Wir als Rechtshilfebüro gegen sexualisierte Folter und Vergewaltigung in Polizeihaft werden weiterhin die Frauen, die Opfer sexualisierter Folter geworden sind, auf dem Rechtsweg unterstützen. Denn wir sind uns bewußt, daß sexualisierte Folter und Vergewaltigung Kriegsverbrechen sind. Insbesondere im "Internationalen Kriegsverbrechertribunal", das von den Vereinten Nationen nach den Kriegen in Bosnien und Ruanda gegründet wurde, sind sexualisierte Foltermethoden gegen Frauen und Vergewaltigung als schwere Verletzung der Genfer Konvention, als schweres Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit deklariert worden. Aus diesem Grund muß der Kampf gegen diese Form der Unterdrückung und Drohungen fortgesetzt werden. 15. Oktober 2003
RAin. Eren Keskin RAin. Fatma Karakas
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