Interview mit Uta Schneiderbanger

Im folgenden veröffentlichen wir ein Interview, das Uta Schneiderbanger vor ihrem Unfalltod am 31. Mai 2005 in Südkurdistan der Nachrichtenagentur MHA gegeben hat.

Was hat Sie als Deutsche hier zur kurdischen Guerilla geführt? Wer ist Uta?

- Ich komme aus einer katholischen Arbeiterfamilie. Zunächst war ich in der Kirche aktiv. In den siebziger Jahren gab es sogar in der katholischen Kirche sehr fortschrittliche Kreise. Wir waren insbesondere von der Befreiungstheologie in Lateinamerika beeinflusst. Es gab da Pastoren, die sich gegen die Oligarchie und für die arme Bevölkerung der Guerilla angeschlossen haben. Ich habe die Kirche verlassen, als die offizielle Kirche, also der Papst im Vatikan, die Befreiungstheologie abgelehnt hat. Danach habe ich mich einer kommunistischen Partei angeschlossen. Ich habe keinen großen Unterschied im Verständnis gesehen. Aufgrund der patriarchalen Strukturen habe ich mich mit einer großen Frauengruppe von dieser Partei schließlich getrennt und der antiimperialistischen Bewegung angeschlossen. Es handelte sich dabei um Kreise, die der RAF-Ideologie nahe standen. Von Anfang an war ich sowohl in der feministischen als auch in der sozialistischen Bewegung aktiv. Ich setzte mich für eine unabhängige Frauenorganisierung ein, aber weil ich von der Notwendigkeit einer revolutionären Veränderung der gesamten Gesellschaft überzeugt war, habe ich auch in gemischten sozialistischen Zusammenhängen gearbeitet. Es gab da eine ideologische und praktische Verbindung. Aber ich war in organisatorischer Hinsicht unabhängig.

Wie haben Sie die Kurden und die PKK kennen gelernt?

- 1977 oder 78 lernte ich das erste Mal Kurden kennen. Sie waren damals in der türkischen Linken. Aber sie erzählten von Kurdistan und wussten über alle Aufstände in der Geschichte bescheid. Sie sprachen auch von einer neu gegründeten kurdischen Partei. Das weckte mein Interesse. Ich erinnere mich gut an diese Diskussionen. Als Feministin fand ich das kurdische Bedürfnis nach einer unabhängigen Organisierung normal und richtig. Weil ich die patriarchalen Strukturen in sozialistischen Bewegungen kannte, hatte ich an diesem Punkt kein großes Vertrauen. Wer Frauen unterdrückt, unterdrückt auch andere Völker. Aber diese Genossen haben mich weder ernst genommen noch verstanden. Sowieso war ich schockiert, als ich sie zuhause besuchte. Genossen, die auf der Straße sehr revolutionär und fortschrittlich waren, benahmen sich zuhause ganz anders. Da wurden sie zu Paschas.

In den achtziger Jahren lernte ich die ersten PKKler kennen. In dieser Zeit arbeiteten wir meistens an Tagen wie dem 1. Mai, dem 12. September, Newroz und bei aktuellen Anlässen mit der PKK und türkischen linken Gruppierungen zusammen. Als die YJWK (Patriotische Frauenunion Kurdistan) gegründet wurde, fragten wir nach der Frauenarbeit. Aber das fing erst 1987-88 an. Wir arbeiteten gemeinsam mit diesen Frauen. In Berlin gründeten wir einen internationalen Frauenrat. Und die kurdischen Frauen waren auch dabei.

Wie war das, als sie sich als deutsche Frau der PKK anschlossen?

- 1994 nahm ich an der YAJK-Konferenz in Europa teil. Ich war sehr aufgeregt. Die Atmosphäre war völlig anders, als ich sie aus den siebziger Jahren kannte. Ich erinnerte mich an schweigsame Hausfrauen, die kein Bewusstsein zum Thema Frauenbefreiung hatten und nur selten in den Verein kamen. Jetzt fühlte ich mich ihnen sehr nah. Weil ich 1992 angefangen hatte, türkisch zu lernen, konnten wir jetzt mehr miteinander diskutieren und ich verstand viel mehr. Aber ganz sicher war ich mir erst, nachdem ich die Verteidigungsschriften von Abdullah Öcalan gelesen hatte. Ich hatte überhaupt keine Schwierigkeiten damit, diese Bücher zu lesen. Ich fühlte mich beim Lesen so, als ob alle Widersprüche in meinem politischen Leben gelöst werden. Feminismus, Sozialismus, Realsozialismus oder der Begriff Demokratie, das waren Punkte, an denen ich immer hängen geblieben war und die ich nicht lösen konnte. Ich sah viele offene Fragen wie Hierarchie, revolutionäre Logik, die Degeneration der nationalen Befreiungsbewegungen, Nationalismus, Internationalismus. Aber wir hatten uns immer rund um diese Fragen bewegt, ohne sehr viel weiter zu kommen. Abdullah Öcalan zeigt ein umfassendes System auf, indem er alle diese Fragen zu einer Synthese zusammen bringt. Er schafft eine Alternative, eine Lösung, einen Ausweg aus diesem System. Das habe ich bewundert.

Aber ich muss auch sagen, dass es für mich keine einfache Entscheidung war, mich der PKK anzuschließen. Es hat sehr lange gedauert. Seit 1992 habe ich darüber nachgedacht. Aber ich habe mich als Deutsche auch immer für die revolutionäre Entwicklung in Deutschland verantwortlich gefühlt. Weg zu gehen und meine GenossInnen allein zu lassen, bedeutete Verrat. Nach 1990 haben wir sehr intensiv gearbeitet und eine neue Frauenorganisation gegründet. Wir haben nach Lösungswegen für eine neue Zeit gesucht. Aber insbesondere aufgrund unseres extremen Dogmatismus haben wir das nicht geschafft. Ich empfinde immer noch eine Verantwortung in Bezug auf Deutschland. Aber aus Europa allein kann keine Lösung kommen. Ich bin davon überzeugt, dass die Entwicklung eines demokratischen Konföderalismus im Mittleren Osten auch Europa und Deutschland beeinflussen wird. So wie die nationalen Befreiungsbewegungen seit 1968 kann auch die Idee des demokratischen Konföderalismus die Welt erschüttern. Ich wollte ein Teil auf dem Weg dorthin sein.

Es gibt viele kämpfende Befreiungsbewegungen auf der Welt. Warum haben Sie sich nicht für eine andere Bewegung, sondern für die PKK entschieden?

- Als antiimperialistische, feministische Bewegung waren wir natürlich solidarisch mit den Befreiungsbewegungen anderer Länder. Wir hatten Kontakt miteinander und gründeten internationale Frauenplattformen. Der Internationalismus und internationalistische Solidaritätsbewegungen waren in den siebziger und achtziger Jahren sehr stark. Am meisten Interesse bestand an Palästina und den Befreiungsbewegungen Lateinamerikas. Aufgrund der Vernichtung der Juden in der Zeit des deutschen Faschismus fühlten sich viele Deutsche verantwortlich für eine Lösung der Palästina-Israel-Frage. Das ist meiner Meinung nach auch richtig. Aber unsere Verantwortung hätte alle Massaker, Völkermorde und jede Art von Faschismus und Militarismus einschließen müssen. Die Befreiungskräfte in Lateinamerika stehen Europa in ihrer Kultur nahe. Deshalb bestand an ihnen viel Interesse.

Interessanterweise war die Solidarität mit Kurden und Türken immer schwach. Dabei sind sie die größte Gruppe in Deutschland. Es ist einfacher, mit einem Volk und seinem Kampf solidarisch zu sein, das weit weg ist, weil man es dann idealisieren kann. Mit Kurden und Türken geht das nicht. Sie sind unsere Nachbarn, Kollegen, Mitschüler. Man sieht ihre Lebensrealität und kann sie nicht idealisieren, sie nicht zum Gegenstand der eigenen Träume machen. Solidarität lässt sich nicht vom Sessel aus erledigen. Mich haben insbesondere die kulturellen Unterschiede interessiert. Ich wollte sie kennen lernen, alles wissen und erfahren. Die Entwicklung der kurdischen Bewegung und insbesondere der kurdischen Frauen wurde in den letzten Jahren sehr anziehend für mich.

Innerhalb des KONGRA GEL sind Sie Mitglied des Disziplinarausschusses. Wie laufen Ihre Arbeiten? Mit welcher Art von Schwierigkeiten sind Sie dabei konfrontiert?

- Ich war sehr unerfahren, als ich diese Aufgabe begonnen habe. Ich bin auch keine Anwältin. Mit dem bisher existierenden Rechtssystem bin ich nur als Angeklagte in Kontakt gekommen. Das ging den meisten von uns so. Deshalb haben wir ziemlich unprofessionell gearbeitet. Innerhalb dieses Jahres habe ich gelernt, dass es nicht sehr schwer ist, nach starren Regeln vorzugehen. Aber gerechte, menschliche und gewissenhafte juristische Entscheidungen zu treffen, ist sehr schwer. Dieses Thema muss noch viel mehr diskutiert werden. Wir müssen neue Methoden finden. Es ist noch viel Zeit, Recherche und Diskussion notwendig, um diesen Ausschuss richtig arbeiten zu lassen.

Gleichzeitig haben wir die Probleme, die in der gesamten Bewegung bestehen, wie z.B. hierarchisches Denken, Klassen- und Geschlechterfrage, auch im Disziplinarausschuss erlebt. Dadurch wurde unsere Arbeit negativ beeinflusst. Das müssen wir überwinden. Das muss diskutiert und falls notwendig bekämpft werden. Unsere Aufgabe ist es, klarer zu werden. Schließlich lernen wir aus unseren Fehlern. Dieser Grundsatz gilt auch für den Disziplinarausschuss.

Sie sind in Deutschland geboren und aufgewachsen. Was haben Sie gefühlt, als Sie das erste Mal in die Berge gekommen sind? Ist es Ihnen leicht gefallen, bei der Guerilla zu sein?

- Das erste Mal bin ich zum ersten KONGRA-GEL-Kongress in die Berge gekommen. Ich war unglaublich glücklich. Dieses Gefühl hat sich ein bisschen gelegt, als ich während des Kongresses die Realität der Organisation von nahem gesehen habe. Aber trotzdem habe ich sehr schöne Momente erlebt. Vor allem mit den Frauen von der HPG habe ich mich sehr gut gefühlt. Da hatte ich überhaupt keine Schwierigkeiten. Natürlich hatte ich Probleme beim Laufen, aber ich musste auch gar nicht viel laufen. Leider konnte ich die fantastische Aussicht kaum genießen, weil ich ständig damit beschäftigt war, Atem zu holen und auf den Weg vor mir zu schauen.

Welche Bedeutung haben für Sie die Berge?

- Die Berge der Freiheit, das ist für mich keine Parole mehr, sondern Wirklichkeit. Trotz aller Schwierigkeiten, oder vielleicht auch gerade deshalb, bietet das Leben in den Bergen den Einzelnen viele Möglichkeiten. Hier kannst Du Dich entwickeln und Deine individuellen Grenzen überwinden. Du kannst auf menschliche Weise leben. Das wird durch die Ausstrahlung der GenossInnen hier bestätigt, durch ihre glänzenden Augen, ihr Lachen, ihre Haltung, ob Mann oder Frau. Die Europäer sind wie lebende Tote. Trotz aller materiellen Möglichkeiten sind ihre Augen tot und strahlen Stillstand und Hoffnungslosigkeit aus. Wir haben besonders gegen den extremen Individualismus und die Entfremdung gekämpft. Wir waren auf der Suche nach einem organisierten, kollektiven und menschlichen Leben. In Europa war das sehr schwer. Vielleicht ist es der schwerste aller Kämpfe. Meine größte Sehnsucht war es, in den Bergen zu leben. Für eine kurze Zeit konnte ich das verwirklichen. Das macht mich sehr glücklich.

Wie bewerten Sie die dritte Generalversammlung des KONGRA GEL?

- Es war sehr anders als der erste Kongress, an dem ich teilgenommen habe. Die Atmosphäre war sehr viel klarer, entschlossener und entspannter. Insbesondere die Haltung der Frauen hat sich sehr verändert. Es besteht ein Zusammenhalt und eine daraus resultierende Stärke. Natürlich gibt es immer noch viele Schwächen. Es wäre falsch, das zu leugnen. Die patriarchale, hierarchische Staatslogik besteht immer noch. Das Demokratieverständnis ist nicht ganz eindeutig. Aber für mich ist der wichtigste Punkt, dass eine positive Entwicklung stattfindet. Die bestehenden Probleme sind bekannt. Aber der Willen und die Bemühungen, um diese zu überwinden, sind sehr groß. Das ist eine Entwicklung, die Anlass zur Hoffnung gibt.

Schließlich versuchen wir, eine Struktur, die von dreißig Jahren Krieg geprägt ist, und sogar ein 5000 Jahre altes System zu überwinden. Wir haben versucht, die Perspektiven Öcalans in Beschlüsse umzuwandeln, um eine solide Grundlage für die praktische Umsetzung zu schaffen. Die Umsetzung liegt in der Verantwortung aller. Die Überwindung unserer Fehler und Schwächen sowie ein freies Leben sind nur durch einen organisierten und entschlossenen Kampf an der Basis möglich.

Und wie sehen Sie das Entwicklungsniveau der Frauenbefreiungsbewegung? Was für eine Beziehung und gemeinsame Arbeit sollte mit anderen Frauenbewegungen stattfinden?

- Wie ich vorhin bereits gesagt habe, sind die Frauen viel stärker geworden. Die Diskussionen vor dem Kongress, insbesondere die konkreten Diskussionen auf der vorher stattfindenden Frauenversammlung haben viel dazu beigetragen, dem Kongress Stärke zu verleihen.

Die Schwächen sind offensichtlich, aber die Haltung der Frauen war diesmal viel mehr von Klarheit, Verantwortungsbewusstsein und Offenheit geprägt. Den Kontakt zu anderen Frauenorganisationen weltweit sehe ich als sehr unzureichend an. Wir müssen den demokratischen Konföderalismus als einen internationalen Lösungsweg bekannt machen und praktische Beziehungen herstellen. Ich finde beispielsweise die Frauenorganisation Gabriella auf den Philippinen, die Frauenkooperativen in Indien und die Art und Weise des Lebens und Kämpfens der Zapatista-Frauen sehr wichtig. Es gibt noch viel mehr Beispiele dieser Art. Wir müssen voneinander lernen. Das ist ein wichtiges Standbein des demokratischen Konföderalismus.


Quelle: MHA, 18.06.2005