”Der Kampf für die Befreiung der Frau
ist schwierig, darin sind wir uns einig, aber daß wir darin Erfolg
haben müssen, darin sind wir uns auch einig.”
von Eva Erle, Bärbel Baudiß und Susanne Rößling
Sonnabend, 06. Juni 1998
Mittags besuchte unsere Gruppe die Kundgebung der Samstagsmütter
am Galatasaray-Gymnasium in Istanbul-Beyoglu. Schon auf dem Weg dorthin
berichtete uns eine Frau von der Zerstörung ihres Dorfes in Kurdistan
und von ihren Kindern: Ein Sohn hat nach der Folter den Verstand verloren,
ein anderer schwere körperliche Schäden davongetragen, eine ihrer
Töchter ist bei der Guerilla gefallen, eine andere kämpft noch
dort.
Gegen zwölf Uhr versammelten sich dort ca. 100 Menschen, die sich
an der Seite des Platzes zusammendrängen mußten, weil die Polizei
den Platz abgesperrt hatte. Zur Straße hin schirmten vier Polizeibusse
die Kundgebung vor den Blicken der PassantInnen ab. Die Kundgebung war
an diesem Tag speziell den vier am 31. März in Izmir Verschwundenen
gewidmet, es wurden nur Bilder von ihnen gezeigt. Wie immer wurde die Kundgebung
in der Form eines stillen Sitzstreiks mit Redebeiträgen abgehalten.
Die Redebeiträge befaßten sich auch mit dem Verhalten der Polizei
und ihrem haltlosen Vorwurf, die Kundgebung würde den Verkehr blockieren.
Danach wurde eine Grußbotschaft der PDS-Fraktion im Landtag von
Sachsen-Anhalt verlesen, die mit großem Beifall aufgenommen wurde.
Die Kundgebung wurde nicht angegriffen und endete nach einer halben Stunde.
Im Gespräch mit Teilnehmerinnen erfuhren wir, daß es für
sie nie einzuschätzen ist, ob ein Angriff der Polizei erfolgt oder
nicht.
Gespräch mit Mitgliedern des ICAD
(International Commitee against Disappearance )
Zunächst wurde die Entwicklung der Samstagsmütterkundgebung
bis heute vorgestellt. Schon 1990 gab es in der Türkei lokale Aktivitäten
zu einzelnen Verschwundenen, aber erst mit der Kampagne zu Hasan Ocak 1995
organisierten sich Angehörige von Verschwundenen. Seitdem gibt es
die wöchentliche Mahnwache in Istanbul, seit 1997 auch in Ankara und
einmal monatlich finden in Bursa, Adana und Izmir Kundgebungen statt. Die
Ausweitung der Aktivitäten nach Diyarbakir war bisher nicht möglich,
als AktivistInnen dorthin reisen wollten, wurden drei von ihnen festgenommen.
Solidaritätskommitees gibt es mittlerweile in England, Deutschland
und Frankreich. Die ersten Angriffe auf die Kundgebungen, die jeden Samstag
ab 12.oo Uhr stattfinden, fanden 1996 im Zusammenhang mit der UNO-Städtebau-Konferenz
HABITAT II statt. Den Besuchen sollte eine ”saubere” Stadt präsentiert
werden, der türkische Staat wollte nicht, daß das Schicksal
der Verschwundenen in der Öffentlichkeit präsent ist. Vier bis
fünf Wochen lang wurde die Kundgebung angegriffen, gleichzeitig waren
demokratische Parteien, Vereine und die politischen Gefangenen Ziele der
Angriffe durch die ”Sicherheitskräfte”. Seit Anfang 1997 stellt die
Polizei Busse an verschiedenen Orten im Land auf und fordert Angehörige
von Verschwundenen auf, sich im Fall ihrer vermißten Angehörigen
an die Polizei zu wenden. Ziel dieser Kampagne ist es, die Kundgebungen
der Samstagsmütter zu entpolitisieren und die eigentlichen Täter,
das türkische Staatssystem, zu verschweigen. Aus Propagandazwecken
stehen sie auch jeden Samstag am Galatasaray-Gymnasium, allerdings dienen
sie hauptsächlich dazu, die PassantInnen von der Kundgebung abzuschirmen.
Die angeblichen Aussagen von Semdin Sakik (ehem. PKKler, der in der Türkei
inhaftiert ist) über die Verbindungen demokratischer Institutionen
zur PKK wurden zum Vorwand für die aktuellen Angriffe genommen. Die
Freunde gehen davon aus, daß sie Lügen sind, daß Sakik
nichts aussagt. Die Gerichte, die sich nachträglich damit befaßt
haben, werteten sie als nicht ausreichende Beweismittel, nachdem viele
Angriffe bereits geschehen waren. Aufgrund der aktuellen Angriffe war es
im Mai nicht möglich, die Kundgebung in Bursa durchzuführen.
Am 9. Mai wurde die Kundgebung der Samstagsmütter brutal geräumt,
15 Personen wurden festgenommen. Besonders brutal gingen dabei die Polizistinnen
vor. Zitat: ”Auf euch haben wir schon lange gewartet. . . ”.
Unter den Festgenommenen war Tomriz Özden, Witwe eines unter unklaren
Umständen ums Leben gekommenen türkischen Offiziers. Sie wurde
auf die Stufen des Busses geworfen und die anderen über sie hinweg
in den Bus geschleift. Dieser Angriff fand unter dem Vorwand statt, daß
sich die umliegenden Geschäftsleute durch die Kundgebung bedroht fühlen
würden. Deshalb wurden ca. 50 von ihnen besucht und nachgefragt, ob
das stimmt. Die meisten sagten, sie würden sich nicht gestört
fühlen, sondern der Kundgebung eher mit Sympathie gegenüberstehen.
Vom 17. bis 31. Mai fanden die Internationalen Wochen gegen das Verschwindenlassen
in Istanbul statt. Eine Woche vorher wurden einige MitarbeiterInnen von
ICAD festgenommen und verhört. Die Wochen hatten internationale Delegationen
zu Besuch, darunter Frauen aus Diyarbakir und eine Delegation der Madres
de Plaza del Mayo aus Argentinien. Es gab in Istanbul Pressekonferenzen,
eine Ausstellung, Filme wurden gezeigt, eine große Abendveranstaltung
mit 2000 TeilnehmerInnen und eine Kerzenaktion am Galatasaray-Gymnasium;
außerdem Pressekonferenzen in Ankara und Adana. Der Hauptarbeitsschwerpunkt
von ICAD ist, Öffentlichkeit zum Thema ”Verschwindenlassen” zu schaffen;
dazu gehört auch, die Namen der Schuldigen zu veröffentlichen.
Ihr nächstes Projekt ist, diese Arbeit über eine eigene Homepage
im Internet international zugänglich zu machen. Die Verhandlung von
Einzelfällen vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte
schaffen zwar auch in Europa Öffentlichkeit zu dem Thema, aber ICAD
setzt in sie keine großen Erwartungen, weil sie nichts grundsätzlich
ändern. Der Gerichtshof erklärt sich nicht in allen Fällen
für zuständig; eine Verurteilung der Türkei hatte bisher
noch keine Konsequenzen für ihre weitere Praxis. Zur Zeit sind vier
Fälle anhängig.*
Interview mit Frauen vom EKB
( Verein Arbeitender Frauen )
Du warst gerade in Deutschland. Kannst Du etwas zu den Veranstaltungen
erzählen, die Du dort gemacht hast?
Ich war 26 Tage dort und habe sieben Veranstaltungen gemacht, unter
anderem in Berlin. Auf den Veranstaltungen waren mehr Männer als Frauen.
Deutschland ist ein entwickeltes Land, aber trotzdem sind die Kindergartenplätze
rar und teuer und deshalb können die Frauen nicht zu den Schulungen
kommen, weil jemand bei den Kindern bleiben muß. Das ist besonders
für Migrantinnen ein Problem, weil sie im Verhältnis weniger
Geld haben. Ein zweites Problem ist, daß im Kindergarten deutsch
gesprochen wird und die Kinder zur deutschen Kultur erzogen werden, während
die Eltern nicht oder kein Deutsch sprechen und in ihrer Kultur weiterleben.
Besonders für die Frauen sind die Sprachprobleme schwerwiegend. Mir
ist aufgefallen, daß die meisten Migrantinnen als Putzfrauen oder
in einem sonstigen Dienstleistungssektor arbeiten, weil sie kein oder kaum
Deutsch beherrschen. Außerdem kennen sie die Gesetze nicht und wissen
oft nicht auf welchem rechtlichen Boden sie sich bewegen.
Wann und mit welcher Idee wurde der EKB gegründet; warum organisiert
Ihr Euch mit Frauen?
Es ist nicht so, daß wir eine reine Frauenorganisation verfechten,
wir arbeiten mit Frauen zu Frauen, um sie überhaupt zu politisieren,
um sie dahin zu bringen, daß sie politisch arbeiten. Es gibt viel
weniger Frauen in der Politik, weniger Frauen, die politisches Bewußtsein
haben, weniger Frauen, die politisch aktiv werden. Der EKB wurde 1993 gegründet,
von einer Handvoll Frauen. Es gab damals einen internationalen Arbeiterinnenkongreß,
an dem 2000 Frauen, unter ihnen einige Delegationen aus dem Ausland, teilgenommen
haben. Die Teilnehmerinnen waren sehr verschieden, es waren organisierte
und nicht organisierte, Arbeiterinnen und Nichtarbeiterinnen. Das Ziel
des Kongresses war die Frauenorganisierung. Seit dem Militärputsch
1980 hat sich die Gewalt gegen Frauen verstärkt. Dadurch hat sich
seit 1985/86 langsam eine Bewegung von verschiedenen Frauen, darunter Feministinnen,
Sozialistinnen, Arbeiterinnen, gebildet. Die ersten Aktionen waren gegen
Männergewalt gerichtet. Diese Bewegung war eine demokratische Bewegung,
die ein bißchen verstreut war. Deswegen hat man überlegt, dieses
Projekt, also den Kongreß zu organisieren. Die Frauen haben sich
zunächst in ihren Bereichen organisiert und später den Kongreß.
Dort wurden verschiedene Redebeiträge gehalten, bei denen herauskam,
daß eine Organisierung notwendig ist, und als Konsequenz der EKB
gegründet.
Welche politische Arbeit macht Ihr, was sind Eure Themen?
Wir arbeiten in der Form, daß wir verschiedene Kampagnen machen.
Gleichzeitig sind wir an der Vorbereitung des 8. März beteiligt. Die
Vorbereitung läuft mit anderen zusammen, weil wir den 8. März
als eine Möglichkeit sehen, mit möglichst vielen Frauen zusammenzugehen.
Es wird dann ein Aufruf gemacht und alle sozialistischen, fortschrittlichen
Frauenorganisationen und die Organisationen kurdischer Frauen beteiligen
sich daran, die Aktionen zum 8. März werden zusammen organisiert.
Ansonsten gibt es verschiedene Kampagnen über das ganze Jahr. Es gibt
verschiedene Frauenkommissionen zu den einzelnen Bereichen. Eine Kampagne
ist die Anti-Inflationskampagne, weil es in diesem Land ständig Preiserhöhungen
gibt. Von dieser Inflation sind die Frauen am meisten betroffen, weil sie
am meisten im Haushalt arbeiten und die Preiserhöhungen (auf Lebensmittel
mehrmals monatlich) sofort zu spüren bekommen. Diese Kampagne wird
jedes Jahr durchgeführt. Weil die Inflationsrate ziemlich hoch ist,
gehen die Frauen dagegen auf die Straße. Besonders bei Brot sind
die Erhöhungen sehr hoch. Aber es gibt einige Stellen, wo das Brot
relativ preiswert verkauft wird; dort sind lange Schlangen. Wir gehen dorthin
und auf die Märkte und verteilen dort Flugblätter, agitieren
und diskutieren mit den Frauen.
Wie reagieren die Frauen darauf?
positiv. . .
Ja, klar, daß sie die Forderung positiv aufnehmen, aber lassen
sie sich darüber so politisieren, daß sie aktiv werden und anfangen,
sich zu organisieren?
In jeder Kampagne, auch in dieser lassen sich Frauen organisieren,
ob in den Stadtvierteln, den Fabriken oder sonstwo. Eine zweite Kampagne
lief zu dem dreckigen verunreinigten Wasser in Istanbul. Seit den 90er
Jahren ist das Wasser hier untrinkbar, aber die Kinder trinken es trotzdem,
die Frauen benutzen es zum Kochen und sie werden krank. Wir haben eine
Demonstration zum Rathaus durchgeführt, die sauberes Wasser forderte.
Außerdem sind wir mit Ärzten in die Stadtteile gegangen, wo
sie Kontrollen durchgeführt haben, und haben diese Ergebnisse dann
veröffentlicht. Die Stadt war durch die Kampagne gezwungen, Maßnahmen
zur Verbesserung des Wassers einzuleiten, die Qualität des Wassers
hat sich ein bißchen verbessert.
Durch die staatliche Repression, der die Menschen ausgesetzt sind,
durch das Verschwindenlassen und die Festnahmen hat sich bei vielen eine
Umorientierung ergeben. Auch die Arbeit des EKB hat sich verändert,
vor allem durch das Verschwindenlassen, das insbesondere in den Kriegsgebieten
zugenommen hat. Seit Beginn der 90er Jahre hat die Repression und der staatliche
Terror gegen die Opposition zugenommen. Als sich der Kampf gegen das Verschwindenlassen
im Mai 1995 organisierte, hat sich auch der EKB daran beteiligt und das
Thema unter den Frauen verbreitet. Auf unsere Initiative hin gab es am
28. Mai 1995 einen Mütterkongreß. Daß Mütter ihre
Kinder verlieren und suchen, ist etwas sehr fundamentales. Die Mütter
waren dann der Meinung, laßt uns darüber hinausgehen und mehr
machen. Durch die Teilnahme an der Kampagne zu Hasan Ocak lernte der EKB
viele Mütter kennen, die ihre Kinder verloren haben. Der Kongreß
wollte alle diese Mütter zusammenbringen, Mütter von Verschwundenen,
von Guerillas, von Gefallenen, von Wehrpflichtigen. Der EKB beteiligt sich
auch an den Kundgebungen der Samstagsmütter. Durch diese Aktion sind
die Fälle von Verschwindenlassen in der Westtürkei weniger geworden,
aber diese Praxis ist nicht eingestellt worden. Aber auf jeden Fall haben
wir den Staat soweit gebracht, daß er sein wahres Gesicht zeigen
mußte. Es gab mindestens drei Fälle, in denen die Staatsbeteiligung
ganz offensichtlich war. Wir beteiligen uns heute nicht mehr so sehr an
der Organisierung von Aktionen gegen das Verschwindenlassen. Wir haben
uns anderen Themen zugewandt, weil 1996 ICAD gegründet wurde, das
sich schwerpunktmäßig darum kümmert. Im Mai 1997 gründeten
vier Istanbuler Anwältinnen ein Projekt zur unentgeltlichen Unterstützung
von Frauen, die in Haft bzw. von Staatskräften vergewaltigt worden
sind. Der EKB fing 1997 seine Öffentlichkeitskampagne zum Thema Vergewaltigung
in Haft bzw. durch Staatskräfte an. Es wurde eine Plattform gemeinsam
mit 16 Frauengruppen gegründet und mit diesen die Kampagne ins Leben
gerufen. Das Anwältinnenprojekt vertritt mittlerweile 54 Frauen, die
ihre Vergewaltigung durch Staatskräfte öffentlich gemacht haben.
1997 waren es erst sieben. Es fanden bisher 16 Aktionen statt, Kundgebungen,
Presseerklärungen, Prozeßbesuche in verschiedenen Städten,
Postkartenaktionen und Briefwechsel mit den Frauen im Gefängnis. Die
Vergewaltigung öffentlich zu machen ist für die Frauen ein besonders
schwerer Kampf, weil sie aufgrund der gesellschaftlichen Bedingungen Gefahr
laufen, ausgegrenzt zu werden. Auch Männer sind von solchen Vergewaltigungen
betroffen.
Wie sieht eure Basisarbeit konkret aus?
Einerseits organisieren wir Aktionen zu Jahrestagen wie dem 8. März
und andererseits geben wir monatlich eine Broschüre, ”Emekçi
Kadinlar Bülteni” heraus. Mit den Broschüren gehen wir einfach
von Tür zu Tür, klingeln und stellen die Broschüre vor.
Wir fangen an zu diskutieren und fragen: ”Seid ihr mit eurem Leben zufrieden?
Wie ist euer Leben? Warum seid ihr nicht politisch aktiv?”Auf die Broschüre
hin kam einmal ein Brief einer religiösen Frau, die uns schrieb, mit
dem Lesen der Broschüre hätte sich ihr Leben verändert.
Seit zwei Jahren gibt es außerdem anderthalb Stunden pro Woche Frauenprogramm
im freien Radio. Die Themen sind zum Beispiel Gesundheit, die Bildungssituation
von Frauen und andere Fragen, die Frauen direkt betreffen. Wir laden Expertinnen
zu den Sendungen ein und die Frauen können in der Sendung anrufen.
Im Sommer wollen wir unsere Organisation erweitern. Zur Zeit arbeiten wir
in zwölf Provinzen: Adana, Istanbul, Antep, Izmir, Eskisehir, Bursa,
Mersin, Malatya, Songuldak. Nur in Istanbul gibt es bis jetzt Büros,
in den anderen Städten arbeiten die Frauen auch in anderen Organisationen,
in Gewerkschaften. In den kurdischen Gebieten haben andere Frauenorganisationen
mehr Bedeutung. Aufgrund der Kriegssituation ist die Organisierung dort
anders. Unser Verständnis ist, daß Frauen mehrfach unterdrückt
sind, durch die kapitalistischen Verhältnisse, bzw. das Privateigentum,
das die Entstehung des Patriarchats ermöglichte, aufgrund des Geschlechts
und kurdische Frauen aufgrund ihrer Identität. Wir gehen davon aus,
daß in einer klassenlosen Gesellschaft ohne Ausbeutung die Frau gleichberechtigt
leben kann. Das ist nur durch den gemeinsamen Kampf von Frauen und Männern
zu erreichen. (. . . )
Die Frauen können sich organisieren, aber sie sollten mit den
Männern gemeinsam kämpfen. Wir kämpfen gleichzeitig gegen
die dreifache Unterdrückung, Seite an Seite mit den Männern.
Unser Kampf gilt den gesellschaftlichen Strukturen und dem Staat. Der Kampf
wird aber auch darum geführt, gleichberechtigte Kampfgefährtinnen
zu sein. Während wir uns als Frauen verändern, versuchen wir
auch, das Bewußtsein der Männer zu verändern.
Wie ist die Bereitschaft der Männer zur Auseinandersetzung?
Das Machogehabe ist in der Türkei sehr stark. Die Veränderung
der Männer ist sehr schwierig, aber wir geben nicht auf, weil unser
Ziel eine klassenlose Gesellschaft ist.
Wir kennen das Phänomen, daß sich Frauen an den Männern
abarbeiten, um eine gleichberechtigte Rolle im Kampf zu erreichen. Bei
uns ist es das Ziel, daß sich die Männer untereinander auseinandersetzen.
Wir kämpfen mit den Männern gemeinsam, wir sind zwar eine
Frauenorganisation, aber die Kampagnen werden auch mit den Männern
geführt.
Wenn ihr feststellt, daß die Gleichberechtigung mit den Männern
im Kampf eben nicht da ist, was macht ihr dann?
Kämpfen. . . Es funktioniert nicht, daß sich die Männer
untereinander auseinandersetzen, nur durch Druck von Frauen kann sich was
bewegen. Frauen arbeiten sich viel an Männern ab. Aber mit einer Frauenorganisierung
im Rücken versuchen sie gleichzeitig für die Befreiung der Frau
zu kämpfen. Der Rückhalt in dieser Organisierung ist wichtig.
Die Frau muß begreifen, daß sie aus ihren vier Wänden
heraus muß, um den Kampf zu führen. Und daß sie sich gegen
den Mann, Vater, Bruder durchsetzen muß. Wenn sie das nicht macht,
wird nichts weitergehendes geschehen. Die Ketten im Kopf müssen gesprengt
werden. Die Basisarbeit ist dafür besonders wichtig. Theorien diskutieren
reicht dafür nicht aus. Das Wichtigste ist, die Ideale in die Massen
zu tragen und diese zu organisieren.
Was tut ihr bei Gewalt gegen Frauen in der Familie?
Wir versuchen, mit dem Mann zu reden, wenn das nicht hilft, unterstützen
wir die Frau bei der Scheidung, materiell und bei der Wohnungssuche. Unterdrückung
in der Familie ist Thema bei der Basisarbeit, die Frauen sollen sich dagegen
organisieren.
Ist die Vergewaltigung in der Haft Thema in den Medien; welche Repressionen
gibt es gegen den EKB?
In den eigenen Publikationen wird ausführlich über das Thema
berichtet; damit und mit öffentlichen Aktionen wenden wir uns an die
Presse. Zum Teil berichten sie darüber, hauptsächlich sozialistische
Medien, zum Teil nicht. Gegen den EKB gab es bereits mehrere Prozesse,
die Zeitung war bereits 14 Monate mit einem Erscheinungsverbot belegt.
Die presserechtlich Verantwortliche wurde zu zwei Jahren Haft verurteilt.
Von unseren Mitarbeiterinnen sind einige mehrmals festgenommen und gefoltert
worden.*
Sonntag, 07. Juni 1998
Wir besuchten die Demonstration des Gewerkschaftsbundes KESK in Sultanahmet.
Es beteiligten sich etwa 400 Menschen. Ihre Forderungen waren die Anerkennung
als Tarifpartner und gemeinsame Tarifverhandlungen der Beschäftigten
im öffentlichen Dienst und eine Löhnerhöhung, die wesentlich
höher ist als die staatlichereseits vorgeschlagenen 20 %. Die Stimmung
in der Demonstration war sehr gut, die ganze Zeit über wurden Parolen
gerufen, gesungen und geklatscht. Es waren etwa zwanzig Vertreterinnen
und Vertreter der Presse anwesend, die meisten von fortschrittlichen Medien.
Vor Beginn der Demonstration wurden die TeilnehmerInnen von der Polizei
kontrolliert. Auf dem Platz der Abschlußkundgebung zogen Einheiten
der Bereitschaftspolizei, Einsatzkommandos und eine Gruppe vollgepanzerter
Polizisten (”Turtels”) auf; in den Seitenstrassen standen Räumpanzer.
Bis wir die Demonstration verließen (gegen 14. 15 Uhr) erfolgte kein
Polizeieinsatz.*
Gespräch mit K.KaDaV
Nachmittags führten wir ein Gespräch mit zwei Frauen von
der Stiftung für Solidarität mit kurdischen Frauen und Frauenstudien.
Sie befassen sich vor allem mit der gesundheitlichen Situation kurdischer
Frauen und Kinder in den Metropolen. Sie bedauerten, daß wir uns
nicht die Zeit genommen hatten, sie in ihrem Büro zu besuchen, das
sie ganz bewußt nicht in Beyoglu angemietet haben, wo die meisten
fortschrittlichen Vereine ihre Büros haben. Um für die kurdischen
Frauen leichter erreichbar zu sein, ist ihr Büro dort, wo die meisten
Frauen wohnen. Ihre Arbeit besteht vor allem im Bereitstellen materieller
Hilfe, medizinischer Versorgung und Gesundheitsaufklärung. Zusätzlich
dokumentieren sie die Fluchtursachen und Fluchtgeschichten der Frauen.
Dabei sind sie natürlich mit staatlicher Repression konfrontiert,
und auch die Frauen, die mit ihnen in Kontakt treten.
Wie lange hat die Vorarbeit vom ersten Gedanken bis zur Gründung
gedauert?
Das hat ungefähr ein Jahr gedauert. Es wurden verschiedene Frauengruppen
zusammengesammelt und dann auch Ärtztinnen und Krankenschwestern angesprochen.
Nach einem Jahr konnte das Projekt verwirklicht werden.
Mit wem haben Sie zusammengearbeitet und von wo haben Sie Unterstützung
bekommen ?
Innerhalb der Türkei gab es keine finanzielle Unterstützung,
deshalb wurde sich an medico international gewandt, von wo auch Unterstützung
erfolgte. Ansonsten wurde das Projekt auch in Zusammenarbeit mit Frauen
von der Frauenzeitschrift “Sonntagsbroschüre”, mit Menschenrechtsvereinen,
mit Gewerkschaften und mit Unterstützung der ÖDP vorbereitet.
In Izmir gibt es eine weitere Filiale des Projektes, in dem auch konkret
mit Frauen gearbeitet wird. Dort gibt es auch eine Kulturgruppe und eine
Pressegruppe.
Der Schwerpunkt des Projektes liegt auf der gesundheitlichen Arbeit.
In Istanbul wurde ein Raum für gesundheitliche Betreuung eingerichtet,
in dem auch eine Ärztin arbeiten kann. Allerdings wurde das noch nicht
genehmigt. Wenn Frauen zu ihnen kommen und ärztliche Betreuung benötigen,
wird versucht, diese zu vermitteln, die Frauen werden in die Krankenhäuser
geschickt. Wenn die Frauen Medikamente benötigen, wird versucht, sie
darin zu unterstützen. Oder die Frauen werden zu Ärzinnen, die
das Projekt unterstützen, in andere Polikliniken geschickt.
In dem Projekt wurde eine Gruppe von Krankenschwestern und Ärztinnen
gegründet, die sich regelmäßig treffen und über die
Arbeit austauschen, die sie dort wo die Flüchtlinge leben, leisten.
Die Flüchtlinge leben in sogenannten Plastikstädten, d.h. sie
bauen sich aus Plastikplanen ein Zelt in dem sie mit ihren Familien leben.
Es gibt keine sanitären Anlagen, wodurch viele Krankheiten verursacht
werden. Einerseits wird festgestellt, daß viele Frauen psychische
Probleme haben und psychologische Betreuung brauchen. Andererseits treten
hauptsächlich Nieren- und Magenkrankheiten sowie schwere Infektionen
auf. Bei den Kindern sind die häufigsten Erkrankungen Durchfallerkrankungen,
Krankheiten durch die Auswirkungen von Mangelernährung oder andere
ansteckende Krankheiten.
Die Frauen, die in dem Projekt mitarbeiten, organisieren für die
kurdischen Flüchtlingsfrauen Seminare zum Thema Ernährung und
zu gesundheitlichen Themen. Da sie aber auch wissen, daß die Probleme
meist auf der finanziellen Ebene liegen, versuchen sie auch, die Frauen
- insbesondere die mit neugeborenen Kindern - in dieser Hinsicht zu unterstützen.
Außerdem wurde das Projekt angesprochen, eine Medikamentensammlung
für Frauen im Knast zu unterstützen. Nach der Sammlung sollten
die Medikamente den Frauen im Knast übergeben werden, was von den
türkischen Behörden verboten wurde. Es wurde dann versucht, die
Medikamente über die Angehörigen zu den Frauen im Knast zu schicken,
was zum großen Teil gelang. Die türkischen Behörden wollten
mit diesem Vorgehen verhindern, daß die Frauen im Knast etwas von
der Solidarität von außen mitbekommen und sich daran aufbauen
können.
An der Aktion waren auch Frauen beteiligt, die ihre Vergewaltigung
in Haft öffentlich gemacht haben. K.KaDaV unterstützt auch diese
Frauen.
Zu diesem Thema arbeitet auch der EKB. Gibt es eine Zusammenarbeit
von K.KaDaV und dem EKB zu diesem Thema?
Nein. K.KaDaV hat eine eigene Plattform dazu gegründet. Mit der
“Anti-Gewalt”-Plattform wollen sie sich insbesondere um die Gewalt in der
Familie kümmern. An dieser Plattform nehmen verschiedenste Frauengruppen
und weitergehende Plattformen teil. Es wurde viel über das Thema Vergewaltigung
diskutiert. Ein Schwerpunkt in den Diskussionen bildete das Thema Gewalt
in der Familie. An dieser Plattform sind auch einige Juristinnen beteiligt,
die davon berichteten, daß die rechtliche Situation für Frauen,
gegen Gewalt in der Familie vorzugehen, sehr schlecht ist.
Seit zwei Jahren gibt es außerdem eine 8. März-Plattform.
Diese Plattform ist ein breites Bündnis verschiedener Gruppen. Bereits
1997 gab es innerhalb der Plattform eine Diskussion, ob die Aktionen zum
8. März mit oder ohne Männer stattfinden soll. Es wurde sich
darauf geeinigt, daß diejenigen, die gemeinsam mit Männer an
der Demonstration teilnehmen wollen, am Ende des Demonstrationszuges gehen.
In diesem Jahr spaltete sich die Plattform an dieser Frage und so wurden
zwei Demonstrationen angemeldet. Eine Demonstration wurde erlaubt und zwar
die, an der nur Frauen teilnehmen wollten. Die andere Demonstration wurde
verboten, wohl auch, weil die HADEP an der Mobilisierung und Vorbereitung
beteiligt war. Die Frauen von K.KaDaV entschlossen sich, die Spaltungstaktik
des Staates nicht mitzumachen und sich an der verbotenen Demonstration
zu beteiligen, obwohl sie die Meinung vertreten, daß die Aktionen
zum 8. März ohne Männer laufen sollten. Die Begründung ihrer
Entscheidung teilten sie allen an der Plattform beteiligten Gruppen in
einer Erklärung schriftlich mit.
In diesem Jahr waren in Istanbul über 10.000 Menschen an Demonstrationen
zum 8. März beteiligt. Die türkische Polizei ging brutal gegen
die TeilnehmerInnen der verbotenen Demonstration vor. Außerdem beteiligen
sich die Frauen auch an anderen politischen Aktionen, z.B. an Solidaritätsaktionen
zum großen Hungerstreik 1996 und an Newroz-Demonstrationen.
Ansonsten ist es ihnen auch wichtig, für die kurdischen Flüchtlingsfrauen
Ausbildung im gesundheitlichen Bereich und Kindergartenplätze zu organisieren.
Es ist allerdings so, daß sie im Moment immer auf Spenden und auf
guten Willen angewiesen sind. D.h., wenn sie keine Ärzte finden, die
die Frauen operieren, dann sind die Handlungsmöglichkeiten meist nur
noch sehr gering. Um diese Situation zu ändern, soll eine eigene Poliklinik
aufgebaut werden.
Sie haben erzählt, daß Sie bei der Aufnahme die Geschichte
der Frauen aufzeichen. Wie gehen Sie mit diesen Informationen um? Und wie
groß ist die Resonanz auf die Gesundheitsseminare? Wieviel Frauen
nutzen diese Möglichkeit?
Die Informationen über die Frauen werden an einem sicheren Ort
aufbewahrt. Die Frauen, die zu der Stiftung kommen, haben Vertrauen und
sind bereit, die Angaben zu machen. Der erste Kontakt zu den Frauen wird
da gesucht, wo die Frauen leben, in den Plastikstädten am Stadtrand.
Es wird eine Versammlung abgehalten, bei der K.KaDaV vorgestellt wird.
Damit soll eine Vertrauensbasis entstehen. An den Seminaren nehmen noch
nicht so viele Frauen teil, das ist aber auch nicht so wichtig, wichtig
ist, daß sie überhaupt stattfinden und das die Frauen das Wissen
weiterverbreiten. *
Montag, 08. Juni 1998
Interview mit der HADEP-Frauenkommission
Mit welcher Idee wurde die Frauenkommission gegründet? Wie sieht
ihre Arbeit aus?
Als ersten Schritt, um die Frauen zusammen zu bekommen, werden Versammlungen
in den Städten und Stadtvierteln organisiert. Dabei werden die Probleme
der Frauen angesprochen. Das sind vor allem das Bildungsproblem, Probleme
in der Familie und seitens des Staates. Das Beispiel der Frauen, die auf
allen Ebenen kämpfen spornt die Frauen an. Wenn es Probleme in der
Familie gibt (Brautkauf, Verheiratung), werden die Frauen unterstützt
und unterrichtet, wie sie ihre Meinung vertreten können. Wenn das
nicht reicht, reden Frauen der Kommission mit den Ehemännern. Es ist
häufig so, daß die Frauen anfangen, politisch zu arbeiten und
die Männer sich ausschliessen. Zum Beispiel gehen Frauen auf Versammlungen
und die Ehemänner bleiben zu Hause und passen auf die Kinder auf.
Wie ragieren die Familien bei Besuchen, wenn die Probleme der Frauen
angesprochen werden?
Es ist nicht einfach, nicht mit einem Mal getan. Zunächst müssen
die Frauen davon überzeugt sein, daß sie nicht zu Hause sitzen
müssen und auch Rechte haben, ohne die Frauen läßt sich
gegen den Mann nichts machen. Durch den Kampf hat sich das Verhältnis
der Männer zu den Frauen geändert. Durch die Leistungen im Kampf
wird Frauen allgemein mehr Achtung entgegen gebracht.
Neben der anderen Arbeit werden auch Feste und öffentliche Aktionen
organisiert, damit auch Neue dazu kommen können und die Frauen sehen,
wieviele sie sind. Das sind kleine Schritte auf dem Weg sich zu politisieren
und zu organisieren.
Mit welchen Organisationen arbeitet die HADEP-Frauenkommission zusammen?
Es besteht eine dauerhafte Zusammenarbeit mit fünf Organisationen:
Der Freie Frauenverein, die Frauenabteilung von MKM, die speziell Bildungsarbeit
mit Frauen machen, mit der Zeitschrift “Die freie Frau im Leben”. Das gemeinsame
Ziel ist, den Befreiungskampf aller Frauen zusammen zu führen, auch
international. Dazu kommt ein Anwältinnen-Projekt, das speziell für
kurdische Frauen arbeitet. Und ein Projekt kurdischer Künstlerinnen.
Mit ihnen und dem kurdischen Institut werden Versammlungen gemacht, daraus
erwächst auch eine Zusammenarbeit zum 8. März.
Die Frauen der Kommission veröffentlichten dieses Jahr einen Aufruf
an alle Frauen, einen nicht-staatlichen 8. März zu feiern, das ist
auch gemacht worden.
Dieses Jahr gab es eine Trennung der Frauen, die ohne Männer demonstrieren
wollten und Frauen, die mit Männern demonstrieren wollten. Die Aktion
ohne Männer wurde vom Staat als demokratisch bezeichnet und war erlaubt,
die andere wurde massiv von der Polizei angegriffen. Aufgrund der Spaltung
durch den Staat haben sich einige Organisationen entschieden, zur gemischten
Demo zu gehen. Ziel ist es, mit allen Organisationen zusammen zu arbeiten.
Wo liegt ihr Schwerpunkt in der Parteiarbeit? Wieviel Zeit wird für
die Frauenkommission aufgewendet?
Der Schwerpunkt liegt in der Arbeit der Frauenkommission, aber alle
arbeiten auch in anderen Gremien mit.
Wie ist die Kampagne “Frauen, organisiert euch in der HADEP und setzt
euch für eure Probleme ein!” gelaufen? Was ist das Ergebnis?
Das Ziel ist lange erreicht und die Kampagne läuft weiter. Zum
Beispiel wurde im letzten Herbst eine Demonstration auf dem Taksimplatz
unter dem Motto “Frauen für den Frieden” organisiert an der 5-6000
Menschen teilnahmen. Am 8. März kamen 10.000 Frauen.
Wie laufen innerhalb der HADEP die Diskussionen zum Thema Frauenpolitik?
Der Kampf für die Befreiung der Frau ist schwierig, darin sind
wir uns einig, aber daß wir darin Erfolg haben müssen, darin
sind wir uns auch einig. Die Diskussionen laufen nicht einzeln, sondern
sie sind organisiert. Die Frauenkommission ist in der zentralen Kommission
vertreten. Manchmal ist es schwierig, aber weil sie als organisierte Kraft
auftreten, können sie etwas durchsetzen. Sie können auch selbst
Entscheidungen fällen und umsetzen. Die HADEP mißt der Entwicklung
von Frauen großen Wert bei, trotzdem ist es notwendig, darum zu kämpfen,
sonst würde es die Frauenkommission nicht geben. Die Frauen sind auf
dem Weg zur Gleichberechtigung, die ist noch nicht erreicht, das ist ein
langer Prozeß. Immer mehr Frauen übernehmen Positionen in der
Partei, wie z.B. auch in Deutschland in den fortschrittlichen Parteien.
Sind alle Frauen in der HADEP auch automatisch in der Frauenkommission?
Anliegen ist es, daß alle Frauen in der HADEP sich für die
Frauenarbeit einsetzen. Natürlich können sie keine zwingen, in
die Frauenkommission zu gehen. Es gibt in der HADEP eine generelle, eine
Jugend- und eine Frauenkommission. Alle drei sollen eng zusammenarbeiten.
Wie schätzen Sie die Situation der Frauenbefreiung nach dem Befreiungskampf
ein? Wie ist es Ihrer Meinung nach zu verhindern, daß Frauen nach
dem Befreiungskampf nicht in ihre alten Rollen zurückgedrängt
werden?
Aus dem Bewußtsein, daß Frauen nach Befreiungskämpfen
in ihre alten Rollen zurückgedrängt werden, wird gleichzeitig
einerseits gegen das System und andererseits gegen die patriarchalen Strukturen
gekämpft. Aus dieser Klarheit heraus werden feste Strukturen geschaffen,
in Kommissionen, Versammlungen, Vereinen, die auch nach dem Befreiungskampf
bestehen bleiben sollen. Gerade zu diesem Problem arbeiten die Frauen beim
Verein Özgür Kadin, die dazu Untersuchungen machen, um ihre Ziele
genau definieren zu können. Ausgewertet werden sowohl die eigenen
als auch die Erfahrungen anderer Befreiungsbewegungen in der Vergangenheit,
um auch für die Zukunft die richtigen Entscheidungen treffen zu können.
Es werden beispielsweise Untersuchungen zur Teilnahme von Frauen an Befreiungsbewegungen
von Nicaragua bis hin zur russischen Revolution sowie zur Situation der
Frauen in der Sowjetunion nach der Revolution gemacht. Außerdem wird
die Situation der Frauen im Sozialismus und im Kapitalismus sowie nach
dem Zerfall der real-sozialistischen Staaten verglichen.
Abschließende Worte der Kommissionsvorsitzenden:
Die Kurdistan-Solidaritäts-Komitees sind für uns sehr wichtig,
da sie viele gute Sachen erarbeiten, aber es wird ihnen nicht erlaubt,
sie zu verbreitern. In der Türkei werden die Menschen daran gehindert.
Sie bekommen keinen Paß, um nach Europa zu reisen und den anderen
Frauen über ihre Situation zu berichten oder sie kommen direkt nach
der Rückreise in den Knast. Für uns sind die Beziehungen zu Frauen,
die um die gleichen Ziele kämpfen, egal welcher Nationalität
darum sehr wichtig. Wir sind entschlossen, diese Beziehungen konkret und
praktisch zu führen. Und so sehen wir dieses Gespräch als einen
Anfang aus dem eine kontinuierliche Zusammenarbeit werden muß. Es
sind einige deutsche Frauen in den Bergen. Das schafft eine Nähe,
wobei auch sehr häßliche Sachen zwischen uns stehen, z.B. wenn
gegen die Unterstützung des Krieges durch die deutsche Regierung von
den deutschen Frauen aus kein Widerstand geleistet wird, wobei klar ist,
daß es für die deutschen Frauen nicht so leicht ist, das zu
verhindern. Aber zumindest sollten sie doch ihre Stimme dagegen erheben.
In diesem Sinne möchten wir alle Frauen umarmen und lieben.*
Dokumentation:
Köln
den 21.06.1998
Presseerklärung des Kurdistan Informationszentrum
Weiterhin lassen “unbekannte Täter” Menschen in
Kurdistan verschwinden
Informationen des kurdischen Fernsehsenders MED-TV zufolge, wurde
am 10. Juni das Haus von Mizgin Kivilcim, in der Kreisstadt Mazidagi (Provinz
Mardin) von vier maskierten Personen gestürmt. Die Täter fuhren
mit einem roten Wagen der Marke Toros vor dem Haus von Frau Kivilcim vor.
Das Kennzeichen war abgedeckt. Sie brachen die Wohnungstür auf und
verschleppten Frau Mizgin Kivilcim. Der Wagen verschwand in Richtung der
Kreisstadt Derik. Angehörige der Familie Kivilcim wandten sich zwischen
dem 14. und 17. Juni an das Polizeipräsidium in Mazidagi um den Aufenthalt
von Frau Kivilcim zu erfahren. Sie fragten ebenfalls beim Bataillonskommandanten
der Gendamerie nach ihrem Verbleib. Ihre Nachfragen blieben ergebnislos.
Nach dem Besuch der Familienangehörigen im Polizeipräsidium
wurden sie von zwei Zivilpolizisten angesprochen. “Wäre sie ruhig
geblieben, wäre das nicht passiert,” sagten sie zu den Angehörigen.
“Sucht sie nicht!” Bevor Frau Kivilcim an einen unbekannten Ort verschleppt
wurde, war sie mehrfach festgenommen und bedroht worden. Bereits 1995 war
sie aufgrund des Vorwurfes, die PKK unterstützt zu haben, ein Jahr
in Mardin inhaftiert.
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