DOKUMENTATION:
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19. September 1998
An die Presse
An alle politischen und humanitären Organisationen und Institutionen
Wieder wurden die Samstagsmütter vom Galatasaray-Platz
in Istanbul von der Polizei angegriffen
In den letzten sechs Wochen über 200 Festnahmen
Seit dem 27. Mai 1995 versammeln sich die Angehörigen der Verschwunden
jeden Samstag auf dem Galatasaray-Platz in Istanbul, um gegen die staatliche
Methode des Verschwinden-lassens zu protestieren. Immer wieder wurden sie
von Sicherheitskräften der türkischen Regierung angegriffen,
festgenommen, gefoltert und geschlagen. Durch ihre Ausdauer und andauernden
Protest haben sie es geschafft, daß ihre Stimme auch über die
Grenzen der Türkei gehört wurde. So führte in der Zeit vom
13. - 28. Juni 1998 eine Delegation der Istanbuler Samstagsmütter
eine Rundreise durch die Bundesrepublik Deutschland durch, um über
ihr Schicksal und im allgemeinen über die politische Situation in
der Türkei zu berichten. In vielen Städten führten sie Gespräche
mit verschiedensten Parteien und anderen politischen und humanitären
Organisationen und Institutionen. Viele sprachen ihnen Unterstützung
und Solidarität aus.
Doch die Repression gegen die Samstagsmütter ist in den letzten
Wochen noch stärker geworden. So wurden in den letzten sechs Wochen
239 Angehörige und UnterstützerInnen von den türkischen
Sicherheitskräften festgenommen.
Auch heute, in der 175. Woche ihres Protestes, wurden die Samstagsmenschen
von türkischen Sicherheitskräften angegriffen und 21 von ihnen
festgenommen, darunter auch drei Kinder. Mit ihnen wurder auch eine deutsche
Gruppe, sowie die Mutter von Eva Juhnke, deren Tochter in dieser Woche
von dem Staatssicherheitsgericht (DGM) in Van in Abwesenheit zu 15 Jahren
Haft verurteilt worden ist, festgenommen. Nach zwei Stunden wurde die deutsche
Gruppe aus der Polizeihaft entlassen. Doch entgegen der Zusage, daß
mit der Freilassung der deutschen Gruppe alle weiteren Festgenommenen auch
freikommen, befinden sich alle anderen weiterhin in Haft.
Wir schließen uns den Forderungen der Samstagsmütter an:
Sofortige Freilassung aller Verhafteten!
Das Schicksal der bis jetzt Verschwundenen muß aufgedeckt werden!
Das Verschwindenlassen von Menschen muß ein Ende haben!
Die Verantwortlichen für das Verschwindenlassen müssen zur
Rechenschaft gezogen werden!
Anbei die Übersetzung der Erklärung der Samstagsmenschen aus
Istanbul zu den heutigen Festnahmen:
Wieder wurden die Samstagsmütter festgenommen
Bei der 175. Samstagsmütter-Aktion in Istanbul/Galatasaray wurden
heute 21 Angehörige der Verschwundenen, darunter 3 Kinder (Ezgin Yildiz,
11 Jahre, Hatice Gölhan 10 Jahre), von den türkischen Sicherheitskräften
festgenommen.
Unter den Festgenommenen befinden sich:
Ezgil Yildiz: 11 Jahre, Schwester von Murat Yildiz, der 1996 aus Izmir
verschwunden gelassen wurde. Seine Mutter hatte ihn selber zur Polizei
gebracht. Später wurde von der Polizei behauptet, er habe sich ins
Meer geschmissen.
Hannife Yildiz: Mutter von Murat Yildiz.Sehriban Yildiz: Tante von
Murat Yildiz.
Alev Demir: sucht seinen Neffen, der aus Mardin in Untersuchungshaft
verschwunden gelassen worden ist.
Hanim Tosun: sucht ihren Mann Fehmi Tosun, der im Oktober 1995 vor
ihrer Haustür festgenommen wurde. Seitdem ist er verschwunden.
Emine Ocak: Mutter von Hasan Ocak. Er wurde im März 1995 festgenommen.
Nach 55tägiger Folter ist er erwürgt aufgefunden worden.
Maside Ocak: Schwester von Hasan Ocak.
Nimet Tanrikulu: Mitglied der Verschwundenen-Kommission des IHD Istanbul.
Sebla Arcan: Vorstandsmitglied des IHD-Istanbul und Mitglied der Verschwundenen-Kommission.
Andere in Haft genommene: Cemile Yalcin, Songül Diribas, Tercan
Atilgan, Zübede Saraman, Yasin Günboyu, Doris Juhnke, Uta Schneiderbanger,
Birgit Gärtner.
Am 15.8. wurden 11, am 22.8. wurden 25, und am 29. August wurden 157
Angehörige der Samstagsmütter festgenommen. Am 5.9. wurden 17,
am 12.9. wurden 8, und am 19. September wurden 21 festgenommen. Insgesamt
wurden in den letzten sechs Wochen 239 Angehörige und UnterstützerInnen
der Samstagsmütter festgenommen.
Warum? Warum werden jetzt die Erklärungen der Samstagsmütter,
die seit dem 27. Mai 1995 Samstags auf dem Galatasaray-Platz in Istanbul
verlesen werden sollen, kriminalisiert?
Wir rufen die Regierung auf, mit dem Verschwinden lassen aufzuhören,
die Verschwundenen wieder herauszugeben, die heute Verhafteten sofort freizulassen
und die Verantwortlichen zur Rechenschaft zu ziehen.
19.09.98 Samstagsmenschen/Istanbul