Deutsch-türkische Polizeikooperation: eng und vertrauensvoll
Besuch bei der GSG 9 / Über den Mord an Andrea Wolf wurde „gesprochen“
Im Zusammenhang mit der Entführung des PKK-Vorsitzenden Öcalan
in die Türkei hatte die PDS-Abgeordnete Ulla Jelpke die Bundesregierung
nach Art und Ausmaß der deutsch-türkischen Zusammenarbeit vor,
bei und nach der Entführung Öcalans gefragt. Am 1. April antwortete
die Bundesregierung (Bundestagsdrucksache 14/720). Hier Auszüge aus
der Antwort, die dokumentieren, daß auch unter rot-grün die
Zusammenarbeit weiter reibungslos verläuft.
Auf die Frage, wie sich die Zusammenarbeit bundesdeutscher Polizeibehörden
und des BGS mit türkischen Polizeibehörden in den letzten fünf
Jahren gestaltet habe, heißt es in der Antwort der Bundesregierung
u.a.:
„Das Bundeskriminalamt unterhält wegen der besonderen kriminalgeographischen
Relevanz der Türkei für die Kriminalitäts- und Sicherheitslage
in Deutschland Beziehungen zu türkischen Polizei- und Strafverfolgungsbehörden
im fachlich notwendigen Umfang mit Schwerpunkt allgemeine und organisierte
Kriminalität.
Vornehmlich zur Bekämpfung des illegalen Rauschgifthandels erfolgt
- schon aufgrund eigener Interessenlage als „Ziel- und Transitland“ insbesondere
von Heroin aus der Türkei - regelmäßig ein sowohl allgemeiner
als auch jeweils fallbezogener Informationsaustausch mit türkischen
Polizeibehörden. Die Übermittlung personenbezogener Daten richtet
sich nach den einschlägigen Rechtsvorschriften, insbesondere den Datenschutzbestimmungen
sowie den Regelungen zur Rechtshilfe in Strafsachen.
Arbeitskontakte bestehen auch in Fragen der Bekämpfung politisch
motivierter Straftaten, insbesondere der Terrorismusbekämpfung ...
Zur Erörterung grundsätzlicher Fragen der polizeilichen Zusammenarbeit
haben jeweils im November der Jahre 1997 und 1998 Treffen auf Leitungsebene
zwischen dem Bundeskriminalamt und der Generaldirektion der türkischen
Polizei stattgefunden. Bei dem letztgenannten Treffen standen neben Fragen
der Bekämpfung der Rauschgiftkriminalität Aktivitäten des
in Köln ansässigen sogenannten „Kalifatsstaates“ („Kaplan-Verband“)
in der Türkei und Meldungen über die Tötung einer deutschen
Staatsangehörigen in der Türkei im Rahmen der Auseinandersetzungen
zwischen türkischen Sicherheitskräften und der PKK im Vordergrund.
Im Anschluß an dieses Treffen fand ein Informationsbesuch der türkischen
Seite bei der Grenzschutzgruppe 9 des Bundesgrenzschutzes statt.
Zur Verbesserung der logistischen Arbeitsgrundlagen der türkischen
Rauschgiftbekämpfungsdienststellen sowie der kriminalpolizeilichen
Zusammenarbeit hat das Bundeskriminalamt in den vergangenen fünf Jahren
Ausstattungshilfe im Gesamtwert von 704.611 DM geleistet ... Im gleichen
Zeitraum wurden insgesamt zwölf Ausbildungsmaßnahmen u.a. zu
den Themen „Aufbau, Ausbildung und Organisation der deutschen Polizei“,
„Internationale polizeiliche Zusammenarbeit“, „Polizeiliches Informationswesen“,
„Analysesoftware“, „Elektronenmikroskopie“, „Ballistik“, „Maschinenschrifterkennung“
und „Sprachausbildung“ durchgeführt, an denen insgesamt 111 türkische
Beamte teilnahmen.
Die Kontakte des Bundesgrenzschutzes zur türkischen Grenzpolizei
beschränken sich im wesentlichen auf die regelmäßige Übermittlung
der Sonderlageinformation „Afghanistan, Irak und Kosovo“ an die türkische
Grenzpolizei ...“
Auf die Frage, ob die Bundesregierung diese Art der
Polizeizusammenarbeit in irgendeiner Weise ändern, womöglich
sogar einstellen will oder ob sie den Kurs der alten Bundesregierung fortsetze:
„Die Bundesregierung hält eine Zusammenarbeit deutscher und türkischer
Sicherheitsbehörden grundsätzlich auch weiterhin für unverzichtbar.“
Von der Entführung Öcalans sei sie nicht unterrichtet worden,
bedauert die Bundesregierung dann an anderer Stelle. Bei den kurdischen
Protesten nach der Entführung habe es eine „generelle Erörterung
der aktuellen Entwicklungen und ihrer Konsequenzen für die Sicherheitslage
in der Türkei und in Deutschland gegeben. Eine Zusammenarbeit auf
Ministeriumsebene fand nicht statt.“
Hinsichtlich der von Kanther 1995 mit seinem türkischen „Kollegen“
über Abschiebungen kurdischer Flüchtlinge ausgetauschten Briefe
und Vereinbarungen will die Bundesregierung, wie schon in der Bundestagsdebatte
vor kurzem angekündigt, „erneut Gespräche mit der türkischen
Seite aufnehmen.“
Das war’s. Irgendwelche Einschränkungen der Polizeizusammenarbeit
soll es auch unter Rot-Grün also nicht geben. Die ständigen Menschenrechtsverletzungen
in der Türkei, die notorischen Folterungen Oppositioneller auf türkischen
Waffen, die Rauschgiftgeschäfte bis hinauf in die höchsten Spitzen
des türkischen Staats- und Sicherheitsapparats - sie interessieren
auch die neue Regierung in Bonn offensichtlich nicht bzw. werden als „nachrangig“
gegenüber deutschen Geschäfts- und Machtinteressen im Mittleren
Osten eingestuft. (rül)
Quelle: Bundestagsdrucksache 14/720 vom 1.4.99
V.i.S.d.P.: R. Lötzer
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