OFFENER
BRIEF von Lili Wolf an
Gerhard
Schröder, Bundeskanzler
Joschka Fischer Außenminister
Otto Schily Innenminister
Prof. Dr. Herta Däubler-Gmelin, Justizministerin
Gerd Poppe, Menschenrechtsbeauftragter der Bundesregierung
Claudia Roth, Vorsitzende des Menschenrechtsausschusses
25. April 2000
Sehr
geehrter Herr Bundeskanzler
Sehr geehrte Herren Außenminister und Innenminister
Sehr geehrte Frau Justizministerin
Sehr geehrter Herr Menschenrechtsbeauftrager der Bundesregierung
Sehr geehrte Frau Vorsitzende des Menschenrechtsausschusses
kurz
möchte ich mich vorstellen und erklären warum ich Ihnen heute
schreibe:
Mein Name ist Lilo Wolf, seit Jahren lebe ich als Sozialarbeiterin in
Lateinamerika und ich bin die Mutter von Andrea Wolf. Mit meiner Tochter
hatte ich eine starke Beziehung, wir haben uns oft getroffen und geschrieben.
Unser Austausch wurde erst mit der schrecklichen Nachricht von ihrer Ermordung
in der Türkei abrupt unterbrochen.
Ich
habe das Recht zu erfahren, was mit meiner Tochter passiert ist.
Und ich fordere insbesondere Sie auf, alles zu unternehmen, um die Umstände
vom Tod meiner Tochter aufzuklären.
Zur
Vorgeschichte:
Anfang November 1998 bin ich von FreundInnen aus Deutschland vom Tod meiner
Tochter informiert worden. Wie Sie sich vorstellen können, die schlimmste
Nachricht, die man einer Mutter überbringen kann.
Sie sagten mir, dass Andrea zusammen mit einer Gruppe von kurdischen Frauen
und Männer am 24. Oktober 1998 vom türkischen Militär ermordet
wurde. Wie die Information zu diesem Zeitpunkt weiter lautete, war Andrea
unbewaffnet und sie wurde als Kriegsgefangene hingerichtet.
Das ist ein gravierender Verstoß gegen jedes Kriegsrecht und die
Genfer Konventionen. Wie ich weiß, wurden deutsche Behörden
darüber informiert.
Diesen Tod meiner Tochter kann ich nicht unaufgeklärt hinnehmen und
deshalb bevollmächtigte ich die Rechtsanwältin Angelika Lex
für mich in dieser Angelegenheit Untersuchungen einzuleiten. Meiner
Anwältin zur Seite steht die Internationale Untersuchungskommission
(IUK), die sich auch grundsätzlich um die Aufklärung von Kriegsverbrechen
des türkischen Militärs bemüht.
Die Liebe zu meiner Tochter wird auch in dieser schwierigen Situation
nicht aufhören.
Obwohl sie jetzt tot ist, werde ich für sie etwas tun.
Andrea hat sich schon früh politisch engagiert und war in Bereichen
aktiv, wo benachteiligte Gruppen in der Gesellschaft für Ihre Rechte
kämpften Das führte öfter dazu, dass sie von staatlichen
Behörden beschuldigt und verfolgt wurde. Wie sich immer wieder zeigte,
konnten die Beschuldigungen nicht aufrechterhalten werden. So wie auch
kürzlich das Verfahren gegen Andrea nach § 129a wurde, in welchem
ihr eine Beteiligung an Weiterstadt vorgeworfen wurde. Es hat sich herausgestellt,
dass sie unschuldig ist (§170.2 StPO)!
Ich frage mich auch dieses mal, warum hat es überhaupt diesen unbegründeten
Haftbefehl gegeben, da Andrea zu jenem Zeitpunkt bei mir zu Besuch war!!
Heute erscheint mir das als ein weiterer unberechtigter Schritt um Andrea
zu kriminalisieren
Andrea hat sich ihre Ideen für eine gerechte Gesellschaft nie nehmen
lassen und war sehr interessiert, andere politische Bewegungen kennenzulernen.
So ging sie als Internationalistin nach Kurdistan. Wie sie er in ihren
Briefen schrieb, galt ihr besonderes Interesse den Frauen, mit denen sie
für einen Zeitraum leben und gemeinsame Erfahrungen machen wollte.
Sie hat viel Tagebuch geschrieben und wollte ihre Aufzeichnungen über
die Erfahrungen in Kurdistan als Buch veröffentlichen. Andrea hatte
immer die Idee nach Deutschland zurückzukommen - auch in ihrem letzten
Brief an mich hat sie ihren Besuch bei mir angekündigt, worüber
ich mich zutiefst gefreut habe. Anstelle von ihr kam dann die traurige
Nachricht von Ihrem Tod.
Zum
heutigen Stand der Dinge:
Inzwischen gibt es neue Erkenntnisse durch eine persönliche Zeugenaussage,
die im 3. Rundbrief vom März ZOO0 der IUK veröffentlicht wurde.
Ich lege Ihnen eine Ausgabe bei. Auch wurde die Staatsanwaltschaft Frankfurt,
die wegen Andreas Tod ein Ermittlungsverfahren gegen Unbekannt eingeleitet
hat, davon in Kenntnis gesetzt.
Ich schreibe heute deshalb an Sie in der Hoffnung, dass die neuen Erkenntnisse
ein triftiger Grund sind, um eine Aufklärung der kriminellen Handlungen
und Verstöße gegen die internationalen Menschenrechtsabkommen
durch das türkische Militär zu veranlassen. Sie können
nicht straffrei bleiben, insbesondere nicht in einer Zeit, in der die
demokratischen Grundsätze beispielhaft berücksichtigt werden
sollten.
Leider musste ich losen, dass sich die Bundesregierung und das Auswärtige
Amt bei den Bundestaganfragen im November 1998 und März 1999 dazu
auf eine Position des Nichtwissens zurückzogen, die ich in ähnlicher
Weise von türkischen Behörden lesen musste. Meine besondere
Aufmerksamkeit werden auch die Verhandlungen haben, die zur Zeit über
den EU-Beitritt der Türkei geführt werden. Es heißt, dass
die Einhaltung der Menschenrechte eine ernsthafte und wahrhaftige Bedingung
sind. Das sollte bedeuten, dass Menschenrechte für alle gelten müssen.
Zu
meinem Entsetzen lese ich aber, dass Deutschland den modernsten Panzer
an die Türkei verkauft hat und eine weitere große Lieferung
in Aussicht stellt. Wofür? Soll das Morden mit deutschen Waffen nie
aufhören!!!???
Sehr
geehrter Herr Bundeskanzler
Sehr geehrte Herren Außenminister und Innenminister
Sehr geehrte Frau Justizministerin
Sehr geehrter Herr Menschenrechtsbeauftragter der Bundesregierung
Sehr geehrte Frau Vorsitzende des Menschenrechtsausschusses
In
Liebe und Trauer um meine Tochter, mit dem Wissen, dass sie nicht alleine
war, mit dem Bedürfnis nach Frieden und Gerechtigkeit In dieser Weit
- fordere ich Sie auf, alles in Ihrem Bereich Möglichste zu veranlassen,
damit die Massaker und Kriegsverbrechen der türkischen Armee nicht
folgenlos bleiben - und insbesondere nicht die Geschehnisse vom 23. Oktober
1998, bei denen auch meine Tochter starb.
Ich frage mich, wurde sie mit deutschen Waffen ermordet!
In
der Hoffnung auf eine baldige Antwort Verbleibe ich mit traurigen Grüssen
Lilo
Wolf
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