Rundbrief Nr. 3 Dokumentation von AugenzeugInnenberichten «Es war so grausam. Ich hatte so etwas noch nicht erlebt» Zur
Dokumentation Im Herbst 1999 hat sich die IUK mit einer der AugenzeugInnen getroffen, die das Gefecht überlebt haben, in dem Andrea Wolf getötet wurde. Die Augenzeugin selbst ist eine erfahrene Kämpferin und hat zum Zeitpunkt der Gefechte bei Beytüssebap als Verantwortliche für den Defensivschutz eine leitende Funktion inne. Sie beschreibt die Kampfhandlungen als besonders brutal und ist trotz ihrer Kriegserfahrung auch ein Jahr danach immer noch erschüttert über das Ausmaß an Gewalt. Vor diesem Hintergrund sind die Brüche und Ungenauigkeiten in ihrer Schilderung ein typisches Merkmal von Erfahrungen mit extremer Gewalt. Zumal sie die Fragen in gewisser Weise zwingen, die Perspektive ihrer Erinnerung zu verlassen. Gleichzeitig setzt sie ihrerseits bei den ZuhörerInnen bzw. LeserInnen gute Kenntnisse von Kriegssituationen voraus. In ihrer Schilderung bleibt die Augenzeugin nah am Geschehen, wobei sie dieses insgesamt immer wieder neu um einige Schlüsselerlebnisse anordnet. Dieser Erzählweise sind wir auch bei der Transkription gefolgt. Die Augenzeugin berichtet, wie sie Andrea Wolf, die sich in der PKK «Ronahi» nannte, im Mai 1998 in einem Lager der PKK-Fraueneinheit im Grenzgebiet zwischen der Türkei und dem Irak kennenlernt. Die Region zählt zu den schlimmsten Kriegsgebieten. Andrea Wolf kommt auf eigenen Wunsch in die Gegend nördlich von Cukurca, um den Alltag der Guerilla besser kennenzulernen. Sie will für einen Roman weiteres Material über das Leben der Guerilla, den Krieg und die zerstörten Dörfer sammeln. Die meiste Zeit verbringt sie im Lager der Regionalkommandantur, wo sie Berichte an die PKK-Führung verfasst und den Kämpferinnen Sportunterricht erteilt. Die beiden Frauen verbringen relativ viel Zeit miteinander, sie treffen sich regelmäßig entweder in dem Lager oder bei der kämpfenden Einheit, der die Augenzeugin angehört. Besonders eingeprägt hat sich bei der Augenzeugin das Schwärmen der deutschen Guerillera für die Naturlandschaft Kurdistans und ihre Liebe zum Sport sowie ihr bisweilen etwas aufbrausendes Temperament. Ihr selbst haben die Begegnungen großes Vergnügen bereitet, sie beschreibt ihr Verhältnis als «eine ganze besondere Freundschaft». Gemäß der Parteidoktrin sprechen die beiden aber nicht über ihre individuellen politischen und persönlichen Lebensläufe. Obwohl Ronahi darauf drängt, sich an Kriegshandlungen zu beteiligen, versuchen ihre Vorgesetzten scheinbar, sie daran zu hindern. Bis zum Herbst schreibt sie vier Notizbücher voll, die sie auch während des Gefechts bei Beytüssebap bei sich trägt, und die seitdem verschwunden sind. Wegen des herannahenden Winters sollen die Guerillalager in der Nähe von Beytüssebap Ende Oktober aufgelöst werden. Dazu werden die Einheiten neu zusammengestellt: KämpferInnen aus dem Lager der Regionalkommandantur, in dem sich Ronahi aufhält, und der Nachschubeinheiten werden auf die Kriegseinheiten verteilt. Ronahi wird der Einheit der Augenzeugin zugeteilt. Anlässlich der Flucht von PKK-Chef Abdullah Öcalan aus Syrien Mitte Oktober hat das türkische Militär jedoch eine Großoffensive in der Region gestartet. Als sich die Guerilleras um den 20. Oktober auf den Weg machen, geraten sie mitten in diese Offensive. Während ein Bölük - das ist eine Gruppe von 45 Personen - das Gebiet unentdeckt verlassen kann, gerät das Bölük von Ronahi zwischen die Linien der Soldaten. In den nächsten Tagen kommt es an verschiedenen Orten zu Gefechten, in deren Verlauf die Einheit von den Soldaten immer stärker eingekesselt wird. In der letzten und schwersten Auseinandersetzung wird die deutsche Guerillera getötet.
Ort der Kriegshandlung Augenzeugin: Beim Awe Masiro gibt es den Berg Taxte Res, es ist ein hoher Berg aus schwarzem Gestein. (...) Unterhalb dieses Bergs fließt der Awe Masiro. Der Fluss entspringt in Beytüssebap. Das Gebiet, in dem das Gefecht stattfand, ist eine Sommerweide, d. h. es gibt dort keine Bäume und keine Steine. Es ist hoch und sehr steil. Es ist ein ziemlich offenes Gebiet. Es ist eine Sommerweide, die völlig kahl ist. In das Dorf Keles gelangt man über den Awe Masiro. Das Dorf wurde vom Feind zerstört, niemand hat dort Zutritt. (...) Wir befanden uns oberhalb des Dorfs. Der Ort, an dem die GenossInnen getötet wurden und an dem das Gefecht stattfand, (liegt) etwa zwei Stunden (von Keles) entfernt. Zum Gefechtsverlauf Augenzeugin:
Wir waren unterwegs zu einem anderen Ort. Wir wussten nicht, dass eine
Operation im Gang ist. Es war eine groß angelegte Operation, an
der viele Soldaten beteiligt waren. Es waren auch andere Kräfte
daran beteiligt, die Konterguerilla und Dorfschützer waren daran
beteiligt. Wir gerieten mitten in diese Operation, als wir uns verstecken
wollten. Der Feind griff uns an. Als der Feind uns angriff, kam es zu
Gefechten. Wir versuchten am Tag darauf, aus dem Gebiet herauszukommen.
Da aber alle Wege dicht waren, mussten wir dort in Beytüssebap/Awe
Masiro bleiben. Das Verhör Augenzeugin:
Wir waren also an unserem Platz. Da hörten wir die Stimme von Genossin
Ronahi. Sie sprach Deutsch, ich verstand auf jeden Fall nicht, was sie
sagte. Ich hörte nur, dass sie schrie. Ich hörte die Stimmen
der Dorfschützer. Einer sagte: «Ihr müsst ihre Hefte
lesen.» Ich hörte also die Stimme von Genossin Ronahi und
die von einem weiteren Genossen, Diyar. (...) Was Genosse Diyar sagte,
konnte ich verstehen, nicht jedoch Genossin Ronahi. Ich hörte,
wie sie Genosse Diyar fragten: «Warum bist du hierher gekommen?
Was hast du hier zu suchen?» Er sagte: «Ich bin gekommen,
um mein Land, meine Heimat zu retten.» Er hat sich nicht ergeben.
Die GenossInnen hatten keine Waffen mehr. Ihre Waffen waren alle durch
den Kobra-Angriff vernichtet worden. Nach dem Gefecht Augenzeugin:
Am vierten Tag haben wir uns rausgewagt. Der Feind hatte sich auf einen
großen Hügel zurückgezogen. Die Sommerweide war ja ganz
kahl, es gab keine Bäume und nichts, so dass wir den Feind auf
dem Hügel gut sehen konnten. Zudem war es nicht weit weg. Wir sind
also rausgegangen und haben nach den Toten geschaut. Der
Feind hatte das gesamte Gebiet niedergebrannt. Auf den Sommerweiden
gibt es ein trockenes Gras, das gut brennt. Er hatte alles angezündet,
das Feuer hatte sich großflächig ausgebreitet. Wir gingen
dann nach Taxte Res/Awe Masiro. Dort haben wir uns sechs Tage lang versteckt,
ohne dass wir uns von der Stelle bewegen konnten. (...) IUK: Sie sagten, dass das Gefecht zwischen 10.00 und 11.00 Uhr morgens begann. Wie viele Personen waren Sie? Wir waren 42 Personen, 45 insgesamt. Nein, 39. Sechs waren in der Nacht vom Weg abgekommen, sechs Späher. Nein drei waren es in der Nacht und drei Späher. Wir waren 39 Personen, die dort angekommen sind. Können Sie mir den Gefechtsverlauf noch einmal schildern? Nachdem
uns der Feind gesehen hatte, rückte er langsam näher. Wir
zogen uns langsam in Richtung Fluss zurück. Aber der Feind schnitt
uns alle Wege ab. Er rückte immer näher, bis er bei uns war.
Bis dahin hatten wir immer noch gehofft, dass wir so rauskommen würden.
(...) Wie lange dauerte dieses Gefecht? Es dauerte zwei Stunden. Was geschah bis zu dem Zeitpunkt, wo Sie sich in das Erdloch verkrochen? Viele
unserer GenossInnen wurden getötet. 29 unserer GenossInnen wurden
getötet. Soweit ich das sehen konnte, gab es auf Seiten des Feindes
(ebenfalls) Tote. Mit meinen eigenen Augen sah ich zehn Tote. (...) Sie versteckten sich in dem Erdloch. Was geschah dann? Wir gingen in das Erdloch. Der Feind kam dorthin, auf den Hügel, auf dem wir uns befanden, und nahm alle GenossInnen fest, die noch lebten. Ich hörte wie die GenossInnen verhört wurden. Ich erkannte die Stimmen von Ronahi und Diyar. Die anderen, die sich ergeben hatten, wurden im Kobra abtransportiert. Was haben Sie gehört? (...) Dann hörte ich die Stimmen von Genossin Ronahi und Genosse Diyar. (...) Wie ich schon gesagt habe, ich verstand nichts. Aber ich hörte sie laut auf Deutsch schreien, ihre Stimme war wütend. Ich hörte sie schreien wie jemand, dem man fürchterlich weh tut, den man foltert. Ich konnte (aber) nicht verstehen, was sie sagte. (...) Hat ihr jemand auf Deutsch geantwortet? Nein,
nur Genossin Ronahi redete Deutsch. (...) Können Sie mir sagen, wie viele Schüsse fielen? Es war eine ganze Salve. Sie schossen immer wieder. Als wir ihn fanden, hatte er eine Schusswunde am Kopf. Es war ein Durchschuss von einer Schläfe zur anderen. (...) Können Sie mir sagen, was mit Andrea Wolf geschah? Ich hörte zuerst ihre Stimme und dann die Stimme von Genosse Diyar. Zuerst verstummte ihre Stimme und dann die von Diyar. Als ich später die Leiche sah, war sie nackt. Nur die Leiche von Andrea Wolf? Nein, viele. Einige waren nackt, anderen hatten sie die Ohren abgeschnitten, einem anderen die Arme, andere hatten sie verbrannt. Einige waren völlig zerfetzt. Das kam wohl durch den Kobra-Angriff. Noch einmal zum Zustand der Leichen. Können Sie mir diesen genauer beschreiben? Genosse Kameran war verbrannt worden, sein ganzer Körper. Das Körperfett floss am Felsen herunter. Genossin Ghazal hatten sie mit gespreizten Beinen kopfüber an einem Felsbrocken aufgehängt. Die GenossInnen Asima, Cembelli, Hogir, Dilbirin und Harun waren völlig zerfetzt. Das war wohl eine Folge des Kobra-Angriffs. Wer sie davor nicht gut kannte, hätte sie nicht wieder erkennen können. Es war oft nur ein kleines Teil, ein Stück Schuh oder etwas ähnliches, an dem man sie erkennen konnte. Es war ein furchtbares Durcheinander aus einzelnen Körperteilen, Blut, Erde und Fliegen. Den Genossen Sipan, Botan und Agiri hatten sie die Ohren und Hände abgeschnitten. (...) Der Kopf von Genosse Kendal sah aus, als hätte jemand mit einem Stein darauf geschlagen. (...) Können Sie mir den Zustand von Andrea Wolfs Leichnam beschreiben? Genossin Ronahi lag lang ausgestreckt auf dem Boden. Ihre Haare waren offen. Die Guerillakleidung hatte man ihr ausgezogen, sie trug nur noch Unterhemd und Unterhose. War der Leichnam von Andrea Wolf verstümmelt? Nein. Ihr Körper war nicht verstümmelt. Hatte sie Schussverletzungen? Das konnte ich nicht erkennen. Sie sagten, dass ihr Hals schwarz war. Können Sie das genauer beschreiben? Es sah aus, als wäre sie gewürgt worden, mit der Hand oder mit dem Sutik (etwa 15 m lange Schärpe wie sie von der Guerilla getragen wird). Sie hatte schwarze Flecken an beiden Armen und an einem Bein. Was ist später mit den Leichen passiert? Die GenossInnen haben sie alle in einem Grab bestattet. Die Leichen stanken schon, das Fleisch fing an zu verwesen. Sie wurden alle in einem Grab bestattet. Wegen dem Geruch konnte man nicht mehr viel machen. |