Menschenrechtsverein (IHD), Istanbul
Bulletin 9, 25.12.00
Entwicklung nach der Operation "Rückkehr zum Leben"
Nach dem "Rückkehr zum Leben" Massaker, bei dem an
die 30 Gefangene ermordet wurden, sind 6 Tage vergangen. Die begangenen
Grausamkeiten können langsam genauer festgestellt werden.
Im Folgenden unterbreiten wir Ihnen zu Ihrer Information die Berichte,
Beobachtungen und Tatsachen dar, die heute in unserem Verein eingegangen
sind.
1) Eine weitere Person ist gestorben
Es wurde bekannt, daß Berrin Biçiklar im Krankenhaus in Izmir
gestorben ist. Sie hatte am Todesfasten teilgenommen, war bei der Operation
durch Schläge der Soldaten verletzt worden und ist im Krankenhaus
ihren Verletzungen erlegen.
2) Bei der "Rückkehr zum Leben" Vergewaltigung mit
einem Knüppel
Die unmenschlichen Praktiken, die an Gefangenen während des Massakers
im Gefängnis in Ümraniye verübt wurden, kommen ans Tageslicht.
Während der Operation haben dort Soldaten einer Spezialeinheit Nuri
Açikalin mit einem Knüppel vergewaltigt. Dafür gibt es
viele Zeugen. Nuri Açikalin, der im F Typ Gefängnis Kandira
ist, erzählte BesucherInnen von der Vergewaltigung, damit sie dies
der Öffentlichkeit bekannt machen.
3) Die unmenschlichen Praktiken und die Folter gehen weiter
Die Anwältin Asya Ülker, die heute ihren Mandanten Hüseyin
Özyurt im Gefängnis Kandira besuchte, erklärte, daß
die Gefangenen gefoltert werden, ihre Bedingungen sehr schlecht sind und
sie in Ein und Dreipersonenzellen geworfen worden sind. Die Aufseher öffnen
willkürlich Zellentür, kommen in die Zellen, schlagen und beleidigen
die Gefangenen. Es wird dort systematisch gefoltert. In bestimmten Abständen
werden die Gefangenen verprügelt. Das Gefängnis ist extrem kalt.
Trotzdem erhalten die Gefangenen keine Kleidung und die ausgegebenen Decken
reichen nicht aus. Trotz den Mißhandlungen und der Folter durch
die Aufseher führen die Gefangenen das Todesfasten weiter.
4) Die Qualen der BesucherInnen
Angehörige, die Gefangene im F Typ Gefängnis Edirne besuchten,
beschwerten sich über die schlechten Bedingungen:
"Das Gefängnis liegt weit außerhalb der Stadt Edirne.
Es befindet sich auf einem völlig freien Gelände, auf dem auch
ringsherum nichts ist. Es war sehr kalt. Sie ließen uns stundenlang
warten. Es gab nicht einmal irgendwo eine Sitzgelegenheit. Es gab keine
Toilette. In dieser Kälte mußten wir warten. Als wir an die
Reihe zum Besuch kamen, freuten wir uns. Jedoch blieb uns die Freude angesichts
der schlechten Behandlung im Hals stecken. Zuerst wurden wir in erniedrigender
Weise in einer Reihe aufgestellt. Nachdem wir durch eine Tür gegangen
waren, wurden Fingerabdrücke von uns genommen. Frauen und Männer
wurden in getrennte Zimmer gebracht. Dort wurden wir von den Angestellten
(es ist nicht klar, ob sie Wächterinnen oder Polizistinnen waren)
nackt ausgezogen. Die ehrverletzende Behandlung hat uns alle tief verletzt.
Trotz aller Qualen, die wir auf uns genommen hatten, konnten wir mit unseren
Angehörigen nur 15 Minuten sprechen. Als wenn die Qualen, die sie
unseren Kindern und Angehörigen zufügen, nicht ausreichen würden,
behandeln sie uns auch sehr schlecht."
5) Beerdigung von drei ermordeten Gefangenen
(...) An der Beerdigung von drei Gefangenen, die im Gefängnis Ümraniye
ermordet worden waren, nahmen im Cemevi im Stadtteil Gazi 2000 Menschen
teil.
6) Eine Zeugin erzählt - Interview mit Fidan Kirbiyik, die nach
der Operation freigelassen worden ist.
IHD: "Zuerst einmal gute Besserung. Kannst du uns kurz mitteilen,
was zu gesehen hast?"
Fidan Kirbiyik: "Der Angriff auf das Gefängnis in Gebze war
nicht so wie in den anderen Gefängnissen. Es war etwas anders. Es
war ein Angriff, der darauf gerichtet war, die Todesfastenden zu holen.
Beim Hereinkommen in den Vorraum des Männerschlafsaals, schossen
sie. Ein Freund wurde von einer Kugel im Bein getroffen. Ich erinnere
mich nicht an seinen Namen, aber es war einer aus dem Dev Sol Verfahren.
Nach diesem Angriff, konzentrierte sich der Angriff auf die Gemeinschaftszellen.
Sie warfen um 5 Uhr morgens Gasgranaten in die Zellen. So drangen sie
in die 9. Und 12. Zelle ein. Dort waren unsere Freunde vom Todesfasten.
Sie stürmten dort hinein mit Waffen, Knüppeln, ja alles was
sie in den Händen hatten. Sie brachten die Menschen dort unter Schlägen
aus den Zellen. Die Soldaten zerstörten alles, was ihnen in die Finger
kam. Das heißt, Tische, Stühle, alles was ihnen in den Sinn
kam, wurde zerstört. Sie bringen alle unter Schlä-gen hinaus.
Danach trennen sie die im Todesfasten von den anderen. Sie ließen
sie sich von den Wächtern zeigen. Die im Todesfasten waren, wurden
ins Krankenhaus gebracht. Sie sind jetzt im Krankenhaus. (...)
Die Todesfastenden akzeptieren in den Krankenhäusern keine Behandlung.
Es werden Sa-chen gemacht, um sie sterben zu lassen. Sie sind an den Händen
und Füßen mit Hand -und Fußschellen gefesselt. Diese
Freunde brauchen Zuckerwasser. Das geben sie ihnen nicht. Das heißt
sie benutzen das als Foltermethode.
Unsere FreundInnen im Gefängnis sind in der Situation, daß
alle Gemeinschaftszellen voneinander isoliert wurden. Darunter sind auch
die Frauen. In eine Frauenzelle gingen sie hinein, indem sie Gasgranaten
warfen, weil dort auch Freundinnen im Todesfasten waren. Die Zelle ist
unbenutzbar. Es sind inzwischen einige Tage vergangen. Trotzdem konnten
wir wegen anhaltenden Auswirkungen der Gasgranaten nicht hinein.
Das Gas ist immer noch drin, es geht nicht raus. Wir haben die Räume
geputzt, alle Sachen herausgebracht. Trotzdem ist das Gas noch so drin.
Unsere Schränke, sogar unsere Betten haben sie weggebracht. Es gibt
jetzt nur noch eine begrenzte Bettenanzahl. So müssen drei bis vier
Frauen in einem Bett schlafen.
Die Freunde in den Männerzellen dürfen sich nicht besuchen,
sich nicht sehen. Alle Zellen sind zerstört. Unsere Grundbedürfnisse
können nicht befriedigt werden, weil unsere ganzen Sachen zerstört
wurden. Über den Zucker haben sie Waschmittel gekippt. So haben sie
alles kaputtgemacht.
Es gibt Hungerstreiks in den Gefängnissen. Alle haben den Hungerstreik
angefangen. Wir nehmen Vitamin B, um Hirnschädigungen zu vermeiden.
Jetzt geben sie kein Vitamin B mehr. Solche Probleme gibt es im Gefängnis.
Das sind Sachen, die direkt der Vernichtungspolitik des Staates dienen.
Sie wissen es auch selbst. Deswegen ist ihre Haltung auch so.
Von den Männern weiß ich nicht viel, weil ich sie nicht sehen
konnte, aber ich weiß, daß unter ihnen welche mit gebrochenem
Arm, verrutschten Gelenkkapseln, Platzwunden an den Augen sind und alle
überall blaue Flecken haben. Sie sind alle in einer so schlechten
Situation, wie ich sie nicht beschreiben kann. Sie wollen nicht ins Krankenhaus,
weil dort die Behandlung in Folter verwandelt wird. Deshalb wollen die
Freunde nicht dort hin.
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