Kandil - Der Volkskongress Kurdistans
(Kongeya Gel) gab der Welt am 15. November 2003 seine Gründung bekannt.
Der Vorsitzende des Volkskongresses Zübeyir Aydar sagte auf der Pressekonferenz
in den Bergen von Kandil in Südkurdistan, dass sein dringendstes Ziel
sei, das kurdische Problem mit den betreffenden Ländern politisch zu lösen.
Die Pressekonferenz wurde von dem arabischen Fernsehsender Al Cezira live
übertragen, viele Pressevertreter/innen aus der ganzen Welt nahmen teil.
Neben Aydar nahmen die Vizepräsident(inn)en Remzi Kartal, Rengin Muhamed
und die Mitglieder des Exekutivrats, Nülifer Koc und Jiyan Deniz teil.
Nachdem Aydar die Pläne und Ziele des Volkskongresses erklärt hatte, antwortete
er auf die Fragen der Journalist(inn)en. Er sagte, dass man die Pressekonferenz
auch in Europa oder in einer Stadt im Irak hätte abhalten können. Sie
wird jedoch in den Bergen abgehalten, um den Blick auf die Probleme des
kurdischen Volkes zu lenken. Die neue Situation habe eine umfangreiche
Auseinandersetzung zwischen den Befürwortern des Status Quo und denjenigen,
die für eine Veränderung auftreten, ausgelöst. Das Ziel des Volkskongresses
sei, die militärischen Auseinandersetzungen zu beenden und einen politischen
Kampf zu führen. Ob dies möglich sei, liege jedoch in erster Linie an
der Türkei, aber auch am Iran und Syrien. Aydar wörtlich: „Es ist ein
historischer Neubeginn“.
Nach der Auflösung des Freiheits- und Demokratie Kongresses (KADEK) am
26. Oktober, fand der Gründungskongress des Volkskongresses zwischen dem
27. Oktober und dem 6. November in den Kandilbergen statt, an dem 360
Delegierte aus vielen Ländern teilnahmen. Unter dem Vorsitz von Aydar
wurden 41 Personen in den Exekutivrat gewählt, in den Disziplinarausschuß
wurden 11 Personen gewählt.
Abdullah Öcalan wurde im Volkskongress zur Führungspersönlichkeit des
kurdischen Volkes ernannt. Unter den Vizepräsident(inn)en des Kongresses
befinden sich Remzi Kartal, Abdullah Hicap, Mizgin Sen, Riza Altun, Rengin
Muhamed und Osman Öcalan.
Zuerst politische Lösung
Während er auf die Fragen der Journalist(inn)en antwortete, betonte Aydar
immer wieder die Wichtigkeit der politischen Lösung und sagte, dass sie
in allen Ländern, die Kurdistan unter sich aufteilen, dafür kämpfen werden.
Die Volksverteidigungskräfte (HPG) seien autonom, aber stünden unter dem
politischen Willen des Volkskongresses. Auf die Frage eines/r französischen
Le Monde Journalisten/in erklärte Aydar: „Unser Ziel ist es den bewaffneten
Kampf einzustellen, aber dafür muss die Türkei politische Schritte unternehmen
und uns eine legale politische Möglichkeit anbieten.“ Die Beendigung des
bewaffneten Kampfes hänge von der Haltung der regionalen Kräfte ab. Die
Türkei müsse die Appelle des Kongresses ernst nehmen. „Solange sie uns
nicht mit dem Ziel angreifen uns zu vernichten, wird es unsererseits keinen
Angriff geben.“
Warnung vor Eingriffen von außen
Aydar mahnte im weiteren, wenn es keine Veränderung gäbe, erwarte den
regionalen Staaten ein ähnliches Schicksal, wie dem Irak. Ein Angriff
von außen würde unvermeidbar werden. „Wir fordern eine demokratische Veränderung
seitens dieser Regime.“
Auf die Frage eines Journalisten: „Gibt es einen Vermittlungsversuch seitens
der USA?“ antwortete Aydar: „Wir wünschen uns, dass die USA eine diplomatische
Vermittlung unternimmt.“ Daraufhin wurde entgegnet, dass es ein Abkommen
zwischen der Türkei und den USA getroffen worden sei, die Guerilla zu
entwaffnen. Auf diese Frage antwortete Aydar, die USA hätten diesbezüglich
keinerlei Bemühungen unternommen. Die USA sollten Druck auf die Türkei,
statt auf die kurdische Bewegung ausüben.
Die Freiheit Öcalans ist die Freiheit
der Kurden
Aydar erklärte, der Volkskongress Kurdistans habe Abdullah Öcalan zur
Führungspersönlichkeit des kurdischen Volkes erklärt und seine Freiheit
hänge von der politischen Lösung der kurdischen Frage ab. „Wir werden
alles für die Freiheit Öcalans unternehmen.“ Auf die Frage nach der Zukunft
Öcalans erklärte er, wenn in der Türkei die Möglichkeit einer freien politischen
Betätigung erreicht werde, wird sich diese Möglichkeit auch für Herrn
Öcalan eröffnen.
Aydar wurde auch mit Fragen zur KDP und PUK konfrontiert und antwortete,
dass er mit den Vorsitzenden der KDP Mesut Barzani und dem PUK Vorsitzenden
Celal Talabani selbst mehrfach gesprochen habe. Die Beziehungen seien
gut, aber im Namen des Volkskongresses habe es noch keine offiziellen
Gespräche gegeben. „Wir wollen einen Dialog mit der KDP, der PUK und anderen
kurdischen Organisationen. Wir sind in jedem Fall zu einem Dialog mit
diesen Kräften bereit. Wir sind alle Kurden und wollen eine Zusammenarbeit“,
betonte er.
Aydar kritisierte, dass türkische Journalist(inn)en aufgrund der Behinderung
des Generalstabs der Türkei nicht an der Pressekonferenz teilnehmen konnten.
„Wir wollten, dass sie kommen, aber sie ließen uns wissen, dass der Generalstab
die Erlaubnis verweigert habe. Der Dialog darf jedoch nicht auf diese
Weise behindert werden.“
Appell des Volkskongresses an die Türkei,
den Iran, Syrien, den Irak und die USA
Der Volkskongress rief die Türkei zum Dialog auf. Die Ereignisse in der
Region und der Beitrittsprozess der Türkei in die Europäische Union würden
entsprechende Lösungen verlangen. Die Verantwortlichen der Türkei wurden
aufgerufen, die Vernichtungs- und Verleugnungspolitik gegenüber den Kurd(inn)en
aufzugeben und sich für eine demokratische Einheit und einen Dialog einzusetzen.
Die Haftbedingungen Öcalans wurden
in der Erklärung thematisiert
Was Öcalans Haftbedingungen betrifft wurde folgendes festgestellt: Die
Freiheit Öcalans, als Führungspersönlichkeit des kurdischen Volkes, ist
für die Lösung der kurdischen Frage von lebenswichtiger Bedeutung. Wenn
eine Lösung gewollt ist, müssen schnelle Schritte in dieser Richtung unternommen
werden. Die Türkische Republik muss ihre Vernichtungspolitik aufgeben
und die Haftbedingungen unverzüglich verbessern und eine positive Haltung
gegenüber seiner Freilassung einnehmen. Dem Frieden wird damit eine Chance
gegeben.
Iran und Syrien müssen die kurdische
Frage auf einer demokratischen Basis lösen
Der Exekutivrat des Volkskongresses appellierte an den Iran und Syrien
und rief sie zur Demokratisierung und zur Lösung der kurdischen Frage
in diesem Rahmen auf.
In der Erklärung heißt es: „Eine entgegengesetzte Haltung wird zu einer
weiteren Entfaltung des kurdischen Freiheits- und Demokratiekampfes in
diesen Ländern führen. Der Volkskongress ruft diese Länder dazu auf, die
kurdische Frage im Rahmen der Demokratie zu lösen und die Existenz des
kurdischen Volkes entsprechend internationaler Rechtsnormen mit verfassungsrechtlichen
Garantien zu schützen.“
Wir unterstützen einen demokratischen,
föderalistischen Irak
Zur Situation im Irak erklärte der Volkskongress, dass ein demokratischer,
föderalistischer Irak ein Meilenstein für die Entwicklung der Demokratie
im Mittleren Osten bedeute und der Volkskongress dafür eintrete. Er rief
den Übergangsregierungsrat und alle Parteien, Organisationen und Religionsgemeinschaften,
die für die Demokratie eintreten, dazu auf, in einem demokratischen Rahmen
zusammenzukommen und Bündnisse zu schliessen.
Appell an die USA
In der Erklärung des Exekutivrats des Volkskongresses die USA betreffend
heisst es, dass der Volkskongress das Eingreifen der USA gegenüber dem
Saddamregime, das im Mittleren Osten einen neuen Prozess einleitete, für
richtig halte, jedoch der Aufbau des Iraks von einer dauerhaften Lösung
der kurdischen Frage abhänge.
Die Gründung des Volkskongresses unterstütze die Pläne der USA, die Region
neu zu ordnen. In diesem Zusammenhang wurden die USA dazu aufgerufen,
alle kurdischen politischen Organisationen als Gesprächspartner anzuerkennen
und mit ihnen in den Dialog zu treten.
Wer ist der Vorsitzende des Volkskongresses
Zübeyir Aydar?
Der gewählte Vorsitzende des Volkskongresses Zübeyir Aydar wurde am 1.
Januar 1961 in Berwani, Siirt geboren. Die Grundschule besuchte er in
Berwani, die Mittelschule in Siirt. Danach besuchte er dort das Lehrergymnasium.
Da er für die Demokratie und die Lösung der kurdischen Frage eintrat,
wurde er zuerst nach Erzurum danach nach Gümüshane verbannt. Wegen eines
Attentats auf seine Person musste er seine Lehrerausbildung unterbrechen.
Er holte sein Abitur auf dem Abendgymnasium nach und schrieb sich in der
juristischen Fakultät in Istanbul ein. 1983 beendete sein Studium und
arbeitete bis 1985 als Rechtsanwaltspraktikant in Istanbul.
1986 kehrte er in seine Heimatstadt Siirt zurück und arbeitete dort als
Rechtsanwalt. 1988 wurde er zum Vorsitzenden des türkischen Menschenrechtsvereins
IHD in Siirt, danach zum Vizepräsidenten des gesamten IHD gewählt. Neben
dem Rechtswesen und den Menschenrechten beschäftigte er sich mit der regionalen
Politik und wurde zum Vorsitzenden der Sozialdemokratischer Volkspartei,
SHP, Siirt gewählt. Da er sich für die Rechte der Kurd(inn)en einsetzte
und den Druck auf sie öffentlich machte, wurde er zur Zielscheibe. Der
damalige Gouverneur von Siirt, Atilla Koc, verbot ihm unbefristet den
Aufenthalt in die kurdischen Provinzen. Aufgrund öffentlichen Drucks wurde
dieses Verbot später auf drei Monate befristet.
Als Abgeordneter sollte er ermordet
werden
1990 erhielt er gemeinsam mit seiner Frau Evin Çiçek den Menschenrechtspreis
des Komitees zur Beobachtung der Menschenrechte in Helsinki. Da aber beide
das Land nicht verlassen durften, konnten sie den Preis nicht entgegennehmen.
Aydar ist Mitbegründer der Partei der Arbeit des Volkes (HEP) und wurde
1991 zum Abgeordneten der türkischen Nationalversammlung gewählt. Auch
als Abgeordneter konnte er sich nicht von dem Druck befreien und wurde
Ziel zweier weiterer Anschläge in Bismil und Cizre im Frühjahr 1993. Am
2. März 1994 wurde seine Immunität als Abgeordneter durch das türkische
Parlament aufgehoben und verliess am 18. Juni 1994 die Türkei. Im Exil
gründete er mit anderen das Solidaritätsbüro mit der DEP in Brüssel und
übernahm Leitungsaufgaben im 1995 gegründeten kurdischen Exilparlament
(PKDW). Bis vor einem Monat war Aydar Präsidialratsmitglied des Kurdischen
Nationalkongresses (KNK).
Aydar ist Vater zweier Kinder.