Warum kam der Kongra-Gel auf die Liste Die EU und die KurdInnen Muzaffer Ayata, Europavertreter der DEHAP Die EU hat keine offen benannte Kurdistanpolitik. Die Tatsache, dass in den wichtigsten Dokumenten der EU die Kurdinnen und Kurden nicht beim Namen genannt werden, ist ein Beweis dafür, dass die kurdische Frage durch die EU nicht expliziert definiert ist. Es ist eindeutig, dass dies auf Druck der Türkei geschieht. Man kann folglich behaupten, dass die kurdische Frage eigentlich an die Haltung und Politik der Türkei geknüpft ist. Die Praxis zeigt dies auch. Es würde den Rahmen dieses Textes sprengen, die Kurdistan-EU-Beziehungen breit auszuführen. Aber kurz auf die letzten Jahre einzugehen wird vollkommen ausreichen, um deren Kern darzustellen. Wie bekannt haben sich in der Türkei die Diskussionen und Bemühungen um die EU-Mitgliedschaft in den letzten Jahren intensiviert. Die EU hat der Türkei eine Roadmap vorgelegt und ihre Aufnahmebedingungen mit den Kopenhagener Kriterien umrissen. Diese Kriterien stellen die grundsätzlichen Bedingungen und Dokumente der Annäherung zwischen Türkei und EU dar. Auffällig ist nur, dass in diesen Dokumenten die kurdische Frage nicht beim Namen genannt wird. Die Türkei hat es bewusst und beharrlich zu verhindern gewusst, dass die KurdInnen als Konfliktpartei anerkannt, ihre Existenz und Rechte legitimiert und international garantiert werden. Es scheint, als hätte die EU diese Politik der Türkei akzeptiert. Nachdem die EU dem Beharren der Türkei nicht standgehalten hat, konnte sie diese aber auch nicht dazu bewegen, sich der Lösung der kurdischen Frage anzunähern. Dieses Ergebnis lässt die Tür ständig offen für Verhandlungen, geheime Abkommen, Komplotte und neue Auseinandersetzungen. Die Aufnahme des Volkskongresses Kurdistan (Kongra-Gel) in die Liste terroristischer Organisationen dient dazu, o. g. Risiken und Gefahren zu steigern. Die EU hat, anstatt zu Frieden, Demokratie und Lösungsbemühungen zu ermutigen, die Politik der Türkei akzeptiert und unterstützt. Dieser Beschluss erhöht die Wahrscheinlichkeit für militärische Auseinandersetzungen. Was war der Grund für die Aufnahme des Kongra-Gel in die Liste? Auf welchen militärischen Auseinandersetzungen und terroristischen Aktivitäten beruht sie? Es ist wichtig, diese Fragen richtig zu beantworten. Bekannt ist, dass die EU zu Zeiten des bewaffneten Kampfes appellierte, die Waffen zum Schweigen zu bringen, den Dialog für eine Lösung zu beginnen. Viele Resolutionen mit diesem Inhalt wurden veröffentlicht. Diese Appelle hatten eine Bedeutung und waren wichtig. Wäre der Weg zum Dialog einmal eröffnet gewesen, hätte das die Beendigung der Gefechte und die Lösung des Problems vereinfacht. Aber die EU selbst stand nicht hinter ihren eigenen Beschlüssen, zeigte keinen nachdrücklichen Willen. Die letzten fünf Jahre haben dies verdeutlicht. Denn die kurdische Seite entsprach dem Appell der EU, erklärte einen einseitigen Waffenstillstand und stellte einseitig die militärischen Auseinandersetzungen ein. Die EU hätte sie in dieser Haltung unterstützen und ermutigen müssen, nahm in der Praxis aber objektiv eine entgegengesetzte Haltung ein. Die EU, die die KurdInnen während ihres bewaffneten Kampfes nicht zu TerroristInnen gestempelt hatte, erklärte die PKK zu einer terroristischen Organisation, nachdem diese den einseitigen Waffenstillstand ausgerufen, die Gefechte eingestellt und sich selbst aufgelöst hatte. Anschließend hat sie den Freiheits- und Demokratiekongress Kurdistans (KADEK) trotz Wunsch der Türkei nicht auf die Liste gesetzt. Der KADEK hat sich in der Zwischenzeit ebenfalls aufgelöst, der Kongra-Gel konstituierte sich als neue Organisierungsform der kurdischen Bewegung. An ihrer gewaltfreien Haltung hat sich in dieser Zeit nichts geändert. Nun hat die EU unerwarteterweise den Kongra-Gel in die Liste terroristischer Organisationen aufgenommen. Die USA haben den Irak überfallen, das Land wird neu strukturiert, ein föderales System entwickelt. Ein föderales System ist der Lösung der kurdischen Frage am angemessensten. Trotz unterschiedlicher Meinungen über dessen Ausgestaltung scheint doch Übereinstimmung über den föderalen Charakter zu bestehen. Warum hat die EU eine der wichtigsten Organisationen des unterdrückten kurdischen Volkes als terroristisch deklariert? Wird dieser Entschluss einer Lösung und der Demokratisierung der Region dienlich sein? Allein eine solche grobe Analyse zeigt, dass ein großer Widerspruch besteht. Es lässt sich beobachten, dass die EU das Schicksal der Region, in der die Initiative bei den USA liegt, und der KurdInnen in die Hände der USA und der Türkei gelegt hat. Die Türkei hat ihre ganze Politik darauf ausgerichtet, die KurdInnen zu blockieren, sie daran zu hindern zu einer anerkannten politischen Kraft zu werden. Es ist anhand der geheimen Übereinkünfte mehr oder weniger bekannt, dass sie in dieser Hinsicht mit den USA harmonieren. Daher haben die USA den Kongra-Gel, kaum konstituiert, zu einer terroristischen Organisation erklärt. Die USA haben zwanzig Jahre lang einen erbarmungslosen Vernichtungskrieg unterstützt und alles in ihrer Macht Stehende unternommen, um die kurdische Niederlage vorzubereiten. Sie haben der Türkei in allen Bereichen unter die Arme gegriffen. War das wirklich notwendig, lag es im Interesse der USA? Es macht keinen Sinn die Vergangenheit zu diskutieren, aber wir sehen, dass sie ihre bisherige Politik fortführen und keine ernst zu nehmende Veränderung vorgenommen haben. In Anbetracht der Stärke und
des Gewichts der USA in der Region und weltweit ist es offensichtlich,
inwieweit sie die kurdische Frage in die Ausweglosigkeit führen und die
Türkei ermutigen. Auch ist bekannt, dass sie Kräfte wie die EU zu Beschlüssen
zu bewegen vermögen, die das Problem beeinflussen. Kein Geheimnis ist
es, dass bei der Aufnahme der PKK in die EU-Liste terroristischer Organisationen
die USA ebenfalls ihr Gewicht geltend gemacht haben. Es wurden Entscheidungen gefällt, die Leben und Zukunft der KurdInnen betreffen, ohne diese im Geringsten zu konsultieren. Dabei sind die KurdInnen die Kraft mit dem wirksamsten demokratischen Potential in der Region. Die KurdInnen aus der Türkei besitzen die Kapazität, eine führende Rolle bei der Demokratisierung zu übernehmen. Zudem zeigen sie beachtliche Bemühungen um die Demokratisierung ihrer eigenen Organisationen: Der Kongra-Gel ist Resultat dieser Anstrengungen. Die Antwort auf die kurdische Demokratie- und Lösungssuche ist es, sie zu TerroristInnen abzustempeln. Mit diesem Beschluss wurde der Türkei quasi bedeutet: “Löst die kurdische Frage nach Belieben, wir mischen uns nicht ein und akzeptieren sie (die KurdInnen) nicht als Gesprächspartner.” Dagegen die Türkei: “Wir werden das Problem nach unseren eigenen Regeln lösen, mischt euch nicht ein. Wir können sie nicht zu einer anerkannten politischen Kraft werden lassen, wir werden ihren Willen und ihre Organisierung zerschlagen. Ihr müsst uns darin unterstützen.” Wie es aussieht, stehen die
Kurdinnen und Kurden vor der Alternative, einerseits nicht als Konfliktpartei
anerkannt, in ihrem Willen nicht berücksichtigt zu werden und mit allen
– einschließlich kriegerischen – Mitteln liquidiert werden zu sollen,
oder andererseits bei der Lösung des Problems als Konfliktpartei akzeptiert
zu werden, ohne Kriegsoption und mit einer Stärkung der Friedens- und
Demokratieatmosphäre. |