Pressererklärung
Trotz umfangreicher
schikanöser Auflagen, Verbote und z.T. brutaler Repressalien haben Millionen
Kurden im türkischen Teil Kurdistans auch dieses Jahr an Newroz wieder
ihr Frühlingsfest gefeiert. Ihre Botschaft an die Welt: Es reicht mit
Krieg und Gewalt. Wir wollen Frieden und endlich die Anerkennung unserer
kurdischen Identität! Eine Hamburger Delegation war für DIE LINKE (Landesverband
Hamburg) vor Ort. Sie nahm u.a. an den Feierlichkeiten in Batman,Cizre
und Silopi und an einer Protestaktion gegen den geplanten Ilisiu-Staudamm
in Hasankiyef teil und führte darüberhinaus Gespräche mit Bürgermeistern
und anderen Vertretern der inzwischen auch im türkischen Parlament vertretenen
kurdischen Partei DTP (Partei für eine demokratischen Gesellschaft), gegen
die ein Verbotsverfahren läuft und deren aktive Mitglieder mit Anklagen,
Festnahmen und z.T. langjährigen Haftstrafen überzogen werden.
Inzwischen "regieren"
über 50 von der großen Mehrheit der kurdischen Bevölkerung gewählte DTP-Bürgermeister
in den kurdischen Städten der Türkei. Davon wurden nach ihrem Amtsantritt
sofort mehrere inhaftiert und/oder von ihrem Amt suspendiert. Der Vorwurf
lautet immer gleich: Verstoß gegen das Türkentum. So reicht es z.B. schon
aus für eine Festnahme und Inhaftierung, wenn Informationsbroschüren des
Rathauses mehrsprachig herausgegeben werden, weil die Amtssprache Türkisch
ist. Das Gros der kurdischen Bevölkerung versteht aber kein Türkisch und
spricht nur Kurdisch. Entsprechend dürfen die Bürgermeister in ihren Reden
an die, die sie gewählt haben, auch nicht deren eigene Sprache Kurdisch
verwenden.
Im Laufe der letzten Jahrzehnte seit der forciert betriebenen Durchsetzung
des Assimilationsprogrammes in den kurdischen Gebieten musste die kurdische
Partei mehrfach ihren Namen ändern, weil sie verboten wurde und sitzen
inzwischen ca. 5000 (fünftausend) Parteiaktive in den Gefängnissen, teilweise
zu mehrfach lebenslänglichen Haftstrafen verurteilt. Sämtliche Bürgermeister
und DTP-Vertreter erinnerten daran, dass der türkische Ministerpräsident
Erdogan erst vor kurzem in Deutschland eine Politik der Assimilation zu
Recht als Menschenrechtsverletzung verurteilt hatte. Die Assimilationspolitik
gegenüber den Kurden nehme er da jedoch aus. "Er selbst verstößt
in der Kurdenfrage tagtäglich gegen die Menschenrechte!"
Um Newroz feiern zu können, müssen alljahrlich offizielle Anträge gestellt
werden. Dieses Jahr war u.a.zur Auflage gemacht worden, dass überall am
selben Tag, dem 21.März, gefeiert werden musste - ja selbst die Schreibweise
(im Kurdischen wird Newroz mit "w", im Türkischen mit "v"
geschrieben) führt regelmäßig zu Verfolgungen wegen der "Verwendung
eines illegalen Buchstabens".
Da Newroz dieses Jahr ein ganz normaler Arbeitstag war, war der Willkür
Tür und Tor geöffnet. So sollte gearbeitet werden und an den Schulen der
Unterricht stattfinden. Bei Verstoß dagegen drohten hohe Strafen. Traditionell
feiert die Bevölkerung über mehrere Tage, insbesondere am Vorabend von
Newroz werden überall Feuer entfacht und in der Familie und Nachbarschaft
wird zusammen getanzt und gesungen mit der permanenten Angst vor polizeilichen
Übergriffen im Nacken. Eine Forderung der DTP ist deshalb die Anerkennung
von Newroz als gesetzlichem Feiertag. Im Rahmen der Vorabendfeierlichkeiten
und in denjenigen Städten, in denen erst am 22.März, also am Samstag,
gefeiert wurde, kam es zu brutalen Angriffen vonseiten der Polizei und
Spezialeinheiten und zu unzähligen Festnahmen.
Die Plätze, auf denen Zehntausende jeweils feierten, waren von Panzern,
Polizei und Spezialeinheiten umstellt. Jeder wurde gefilmt und vor Betreten
des Platzes durchsucht. Obwohl kurdische Kleidung offiziell verboten ist
und ein alter Mann in Silopi uns z.B. berichtete, dass er lange Jahre
wegen Tragens kurdischer Kleidung im Gefängnis gesessen hatte, ließen
weder er noch all die anderen kurdischen Frauen, Männer und Kinder sich
davon abhalten, in ihren schönsten Trachten, teilweise sogar in Guerrillakleidung,
zu feiern und zu tanzen. Unsere Delegation bekam den Eindruck ungebrochenen
Widerstandswillens vonseiten der kurdischen Bevölkerung einerseits und
martialischem Machtgebaren vonseiten des türkischen Militärs andererseits.
So fuhren Panzer rund um die Uhr durch die Städte, es gab Polizei- und
Militärkontrollen und in Cizre wurden wir auch Zeuge des Überflugs der
riesigen dichtgedrängt stehenden Menschenmenge durch einen Militärhubschrauber,
der kurz hinter dem Versammlungsplatz zwei Raketen in die Gegend schoss.
Die Tausenden von Menschen riefen dennoch auch verbotene Parolen, darunter
immer wieder auf kurdisch "Es lebe Newroz", "Es lebe die
DTP", "Es lebe die PKK" und "Es lebe Öcalan".
Der PKK-Vorsitzende Abdullah Öcalan, auch Apo genannt, der auf der Insel
Imrali seit Jahren unter strengsten Isolationshaftbedingungen gefangengehalten
wird, hatte sich über seine Rechtsanwälte an die Feiernden und an die
türkische Regierung gewandt. Er forderte zu wiederholtem Mal Verhandlungen,
um den Krieg, der für beide Seiten schmerzhaft ist und in dem es keinen
Gewinner geben kann, zu beenden. So wie in der Geschichte die Frauen von
den Männern unterjocht worden seien, so versuche die Türkei die Kurden
zu unterjochen. Solange dies so sei, werde es weiter den Freiheitskampf
geben. Ministerpräsident Erdogan solle endlich den Dialog aufnehmen, um
weiteres Blutvergießen zu verhindern. Die PKK, bzw. Öcalan htten sowohl
theoretisch als auch praktisch Lösungen vorzuschlagen.
Innerhalb der zentralistisch organisierten Türkei bekommen die einzelnen
Stadtregionen nur 5% des Gesamtbudgets. Völlig willkürlich, so berichteten
mehrere DTP-Vertreter, könne von Ankara die eine Region gefördert und
die andere Region finanziell kaltgestellt werden. Die wirtschaftliche
Handlungsfreiheit der DTP-Bürgermeister ist damit vonseiten der türkischen
Zentralregierung extrem kontrollierbar und beschränkt. Andererseits müssen
die kurdischen Gebiete und Städte den Großteil der aus den Tausenden zerstörten
Dörfern Vertriebenen aufnehmen, ohne dafür die notwendigen Mittel zu erhalten.
So fehlt z.B. in Silopi das Geld für eine ausreichende Trinkwasserversorgung
der überwiegend mittellosen Bevölkerung. Die Arbeitslosenquote in den
kurdischen Gebieten beträgt über 80%, und die Zahl der Bevölkerung der
meisten kurdischen Städte hat sich z.T. in den letzten Jahren verzehntfacht.
Alle, mit denen wir sprachen, bedankten sich für das Zeichen von Unterstützung,
das durch unseren und den Besuch vieler anderer Delegationen gesetzt wurde.
Frauen und Kinder umarmten uns wo immer wir hinkamen, auch auf offener
Straße. Die DTP-Vertreter appellierten besonders an uns, unseren europäischen
Regierungen aus den kurdischen Regionen zu berichten und sie aufzuklären
über die Situation und das menschenrechtswidrige Verhalten der türkischen
Regierung. Insbesondere Deutschland solle versuchen positiven Einfluss
auf die Türkei zu nehmen. "Wir kurdischen Frauen wollen nicht mehr
um unsere Kinder weinen, wir wollen unsere Sprache sprechen können und
als gleichberechtigte Menschen anerkannt werden", sagte eine Frau
bei einem unserer Treffen. "Das hier sollen angeblich alles Terroristen
sein", sagte eine andere bei den Newrozfeierlichkeiten in Silopi
und zeigte auf die Frauen in ihren wunderschönen kurdischen Trachten,
die zusammen mit ihren Kindern auf der kargen staubigen Erde saßen, weil
die Stadt den in staatlichem Besitz befindlichen Platz nicht zu einem
Park umwandeln kann. Der von der Zentralregierung in Ankara eigenmächtig
inthronisierte Gouverneur der Region verweigert dafür die Erlaubnis -
von den fehlenden Mitteln ganz abgesehen.
Am 19.März hatte die
Delegation an einer Protestaktion in der antiken Stadt Hasankiyef gegen
den geplanten und von deutschen Firmen und der deutschen Regierung in
Form einer Hermesbürgschaft unterstützen Bau des Ilisiu-Staudammes teilgenommen.
Es waren zahlreiche andere Delegationen aus Deutschland, Italien und anderen
europäischen Ländern, sowie eine DTP-Abgeordnete aus Ankara und Vertreter
der DTP aus den umliegenden Städten, u.a. aus Batman, anwesend. Zum Zeichen
des Protestes gegen die geplante Überflutung des an die 9.000 Jahre alten
beeindruckenden Ensembles und die drohende Vertreibung von schätzungsweise
55.000 Kurden pflanzten alle TeilnehmerInnen Bäume. Unsere Delegation
protestierte darüber hinaus noch mit einem Transparent, das die Verwicklung
der Dekra-Bank und der Züblin-Baufirma, sowie der deutschen Regierung
konkret benennt, gegen die vorgesehene barbarische und sozial wie ökologisch
unverantwortliche und auf den ersten Blick auch unverständliche vorgesehene
Zerstörung. So gehen offizielle Vorhersagen z.b.von einer maximal 70jährigen
Brauchbarkeit dieses Staudamms aus. 70 Jahre Profit gegen 9000 Jahre Kultur!
Für die Bevölkerung der kurdischen Regionen aber spricht es wohl eine
eindeutige Sprache: so wie ihnen permanent die eigene Identität abgesprochen
wird, so soll, darin waren sich alle Interviewten einig, auch ihre Geschichte
vernichtet werden. Hasankiyef und der Ilisiu-Staudamm sind für sie ein
eindeutiges Symbol des Vernichtungswillen gegen ihr Volk und somit auch
eine unmissverständliche Kampfansage, die im Falle eines Baus wohl nicht
unbeantwortet bliebe. Die türkische Regierung weigert sich bis heute,
den einzig richtigen Schritt zu tun, Hasankiyef zu dem, was es ist, nämlich
zum Weltkulturerbe, erklären zu lassen. Nur dies könnte über den vorläufigen,
nunmehr hoffentlich in Kraft tretenden, zweijährigen Baustopp hinaus Sicherheit
bringen.
|