Dieser
Prozess wird mit einer Demokratischen Republik und einer demokratischen
Verfassung enden
Der
Kern des als Republik gegründeten Staates ist eine der am wenigsten
begriffenen Bestimmungen, obwohl soviel davon gesprochen wird. Atatürk
kannte zweifelsohne das Werk, bei dessen Aufbau er die entscheidende Rolle
spielte, und das er der Nation als einziges Geschenk hinterließ.
Um es verständlich zu machen, hat er der Wissenschaft und der Bildung
einen an erster Stelle stehenden Platz eingeräumt. Bezüglich
dieser Themen hat er eine echte und große revolutionäre Rolle
gespielt. Aber das Hauptproblem bestand insbesondere in der Erneuerung
des gesellschaftlichen Fundaments, dessen es zur Vervollkommnung dieses
Werkes bedurfte. Zwei demokratische Experimente, das der Fortschrittsbewegung
und das der Bewegung der freien Republik, blieben erfolglos.
Die Reformen im Überbau haben keine tiefgreifenden Veränderungen
in der Gesellschaftsstruktur bewirkt. Durch die Aufstände im Osten
kam es zu einer noch stärkeren Rückentwicklung. Die Gefahr eines
Weltkrieges hat einer Veränderung im Innern keine Chance gelassen.
Daher ist zwar aus den übrig gebliebenen Trümmern des Imperiums
ein restaurierter Staat hervorgegangen, es konnte aber kein entsprechender
gesellschaftlicher Konsens hergestellt werden. Während eine neue
sozialökonomische Entwicklung die materielle Basis für diesen
Konsens geboten hätte, befand sich der alte auf eine Feudalstruktur
gestützte gesellschaftliche Kompromiss im Widerspruch zur Republik,
was nicht überwunden werden konnte. Wegen einer in vieler Hinsicht
bestehenden Schwäche und Erfahrungslosigkeit fehlte es an Kreativität.
Auf Grund der Suche nach einer Aufrechterhaltung des Status Quo in der
alten Gesellschaft kam es zur Konfrontation der Republik mit den sich
zunehmend zuspitzenden Problemen der gesellschaftlichen Basis. Den entstandenen
politischen Regimen gelang es nicht nur nicht, eine Brückenfunktion
zwischen diesen beiden Strukturen einzunehmen, sie führten sogar
zu ihrer weiteren Fanatisierung. Während ein Teil der politischen
Struktur durch die Republik auf ihre Kosten kam, nutzte ein entgegengesetzter
Teil die sich in diesem widersprüchlichen Zustand befindende Gesellschaft
aus. Die Dialektik der politischen Degeneration entwickelte sich auf diese
Weise. In vielen Gesellschaften der Welt, die einen Modernisierungsprozess
durchliefen, kam es zu ähnlichen Problemen. Aber manche Länder,
die sich in einer Vorreiterrolle befanden, schafften es, durch die Entwicklung
von Maßstäben eines demokratischen Systems erfolgreiche Lösungen
zu finden. Die Demokratie hat, vielleicht das erste Mal in der Geschichte,
in umfassender Weise erfolgreiche Lösungsstrategien für die
gesellschaftlichen Probleme entwickelt. So wie auf Gewalt gestützte
dominierende und autoritäre Ansätze erfolglos blieben, traten
auch die Zerstörungen und die Rückschritte, zu denen sie führten,
offen zu Tage. Im Vergleich mit der Demokratie wurde deutlich, welches
System zu Überlegenheit und Erfolg führte. Es ist nunmehr offenkundig
geworden, dass die Türkische Republik sehr spät begonnen hat,
dies zu begreifen, und dass sie sich nicht demokratisieren wird, indem
sie, lediglich um dem Westen zu nutzen, rein formell entsprechende Bedingungen
realisiert. Das raffinierte Spiel mit fundamentalen Begriffen kann vielleicht
die Spezialisten der Demagogie zu erkennen geben. Aber die so dringend
gebrauchten demokratischen Führer kann es nicht hervorbringen. Die
Beziehung zwischen Demagogie und Demokratie, in deren Namen diese Demagogie
betrieben wird, ist in einen Zustand gefährlichster Art von Verrat
geraten. Die Gesellschaft der Türkei, die diesen Verrat nicht verdient
hat, ist zu einer Gesellschaft geworden, deren Konstitution extrem riskant
ist. Das Wesen jedes erhabenen Begriffs wurde völlig sinnentleert.
Diese Begriffe, die insbesondere Produkte einer großen geistigen
Tätigkeit sind und um derentwillen die Menschheit Jahrhunderte gekämpft
hat, wurden zu Fetischen degradiert und ein Ausverkauf ihres Inhalts fand
statt. Die klassenspezifischen Mängel der Intellektuellen vertieften
sich. Während der Westen mit der Renaissance und der Aufklärung
demokratischer wurde, bewegten sich manche, wenn auch begrenzte Entwicklungsmöglichkeiten
der Türkischen Republik aufgrund dieser intellektuellen und politischen
Verschlagenheit in der Tiefe einer intellektuellen und politischen Morallosigkeit,
die sich durch leeres, unüberlegtes Geschwätz und das Fernbleiben
von praktischen Notwendigkeiten auszeichnete. Das Recht war nicht weiter
in der Lage, eine diesen Notwendigkeiten gemäße regulierende
Kraft darzustellen. Die Verfassung und die Gesetze konnten nicht davor
gerettet werden, zu allmählich verstaubenden Schriften in den Regalen
zu werden. Diese Strukturen sind auch der Grund dafür, dass heutzutage
die Gerichtsbarkeit eine der schwächsten Institutionen ist. Indessen
stellt doch die Rechtsprechung der Definition nach im System der Gewaltenteilung
die dritte Gewalt dar.
Heutzutage hat es an sich wenig Wert, die Republik in summarischer Form
zur Diskussion zu stellen. Aber für eine Demokratisierung ihrer Inhalte
ist dies so nötig und unabdingbar wie Brot und Wasser. Es ist eindeutig,
dass es keinen Fortschritt ohne Demokratisierung der Republik geben kann;
es ist deutlich geworden, dass sie ihre Struktur, bezüglich deren
Schutz sie sowieso Schwierigkeiten hat, in ihrer bisherigen Form nicht
wird schützen können. Dieser Zustand rührt nicht von der
Schwäche und Unerfahrenheit ihrer Institutionen her. Sie wurzelt
auch nicht in der Schwäche der militärischen und zivilen Kader.
Diese Einrichtungen der Republik sind zu Genüge vorhanden und sie
sind stark. Auch eine Schwäche der sozialen und ökonomischen
Basis ist nicht mehr Thema. Es hat sich eine gereifte soziale und ökonomische
Struktur herausgebildet, die in einer sich zukünftig entwickelnden
Demokratischen Republik hilfreich sein wird. Auch der kulturelle Erfahrungsschatz
ist trotz aller Verwilderung und Verwirrung ausreichend. Bildungsinstanzen
und Ausbilder sind überreichlich vorhanden. Es existiert auch eine
Schicht von Rechtswissenschaftlern, wie geschwächt und ihres Wesens
beraubt diese auch sein mag.
Aber all diese Gegebenheiten konnten das Auftreten der schwerwiegendsten
Probleme in der Geschichte nicht verhindern und mehr noch, sie wurden
immer wieder auf den Ursprung dieser Probleme zurückgeworfen, auch
wenn dies ohne ihren Willen geschah.
Dies ist zusammengefasst die Realität, die der großen Diskussion
um Demokratie zugrunde liegt. Ohne diese Diskussion nunmehr in eine Übereinstimmung
und einen gesellschaftlichen Konsens zu überführen, wird es
nicht zu verhindern sein, dass jeder vorwärts gerichtete Schritt,
so wie es bis jetzt immer war, zurück führt. Jedes Kettenglied,
das nicht dem Hauptglied der Kette angefügt wird, schwebt im Freien.
Bisher konnten alle auf Zwang beruhenden Verfassungen, die den seit Zeiten
Atatürks fehlenden gesellschaftlichen Konsens der Republik herbeizuführen
versuchten, nicht nur in der Praxis nicht umgesetzt werden, sie konnten
auch nicht davor bewahrt werden, immer wieder aufgehoben zu werden. Während
in Ländern, in denen eine wirkliche Demokratie praktiziert wird,
vielleicht einmal in hundert Jahren neue Verfassungen geschrieben werden,
mussten hiesige Verfassungserneuerungen durchschnittlich einmal in zehn
Jahren und dann auch noch auf illegitime Art und Weise durchgeführt
werden. Grund ist wiederum die Abwesenheit eines freiwilligen gesellschaftlichen
Konsenses, der sich an die Verteidigung von Gedanken- und Glaubensfreiheit
anlehnt und der auf den Interessen aller Teile der gesellschaftlichen
Realität und deren Übereinstimmung aufbaut.
Ein solcher Konsens konnte nicht hergestellt werden, da die Realität
freier Individuen und einer freien Zivilgesellschaft nicht ausreichend
verwirklicht werden konnte und hierzu auch keine Möglichkeiten eingeräumt
wurden. Manche Interessengruppen stellen sich selber in einer Dimension
dar, die sie nicht verdient haben. Während diese Schichten von der
Ordnung oder auch der Unordnung profitierten und sich den anderen Gesellschaftsteilen
auf eine undemokratische und rechtswidrige Art und Weise genähert
haben, gelangten sie zu einer auf Verboten beruhenden Macht. Es gelang
nicht, ein wirklich nationales und gesellschaftliches Recht zu installieren.
Das existierende Recht jedoch konnte sich des Missbrauchs durch oligarchische
Interessengruppen nicht erwehren.
Dem in diesem Sinne nicht zur Anerkennung gelangten Recht bzw. der bestehenden
Rechtlosigkeit wird keine Gnade widerfahren. Es erntet, was es gesät
hat. Alle gesellschaftlichen Gruppen, auch wenn sie sich auf Abwegen befanden,
haben sich aus diesen entscheidenden Gründen auf gewisse Art erhoben.
Die Gesellschaft befindet sich auf ihre Art in einem Zustand allgemeinen
Aufstands. An diesem Punkt verteidige ich nicht den Kampf. Kampf hat zu
Genüge stattgefunden. Aber ich bin dagegen, die Ursachen nicht zu
ergründen und auf den Zweck der Kämpfe keine Antwort zu geben.
Die Gegenwart nötigt uns vielleicht auf eine mit keiner anderen Zeit
zu vergleichenden Art und Weise hierzu, und auch im Hinblick auf die unvergleichlichen
Möglichkeiten, die sie in sich birgt, zwingt dieser große Kampf
jeden Menschen zu den rechtmäßigen Grundlagen der Gesellschaft
vorzudringen, und die hieraus resultierenden notwendigen Schritte in der
Praxis umzusetzen. Diese Phase des Entweder bist du die Lösung
oder du gehst unter erlebt jeder Mensch existenziell.
Diese Situation kann auch folgendermaßen bezeichnet werden: Wandel
durch das Recht auf einen historischen gesellschaftlichen Konsens, der
die Verwirklichung eines Übergangs darstellt. Die Geschehnisse zwingen
jeden Menschen und jede gesetzliche wie ungesetzliche Institution zu einer
Selbstkritik in diesem Sinne. Die Situation lässt keinen anderen
Aus- und Rettungsweg offen.
Ein anderer Name für gesellschaftlichen Konsens wäre demokratisches
Gesellschaftssystem, dessen Struktur und Formierung des Unter- und
Überbaus auch Kernstück der verfassungsrechtlichen Diskussionen
ist. Manche rein formelle Änderungen von Gesetzesvorschriften vertiefen
jedoch die Krise noch. Beim Übergang zu einem gesellschaftlichen
Konsens müssen als erstes das freie Individuum und die freie Zivilgesellschaft
zur Grundlage gemacht werden, und selbst wenn dies nicht vollständig
zu verwirklichen ist, müssen wir doch mit dieser Hypothese beginnen.
Dem freien Individuum und allen Teilen der Zivilgesellschaft müssen,
was auch immer ihre religiösen, sprachlichen, nationalen und ethnischen
Unterschiede seien, das Recht zuerkannt werden, ihre Gedanken, Überzeugungen
und kulturellen Werte frei zu leben. Nicht ihre Anzahl und Existenzsituation
sind Maßstab, sondern das zu geltende Prinzip hierbei basiert auf
Gleichheit. Der fundamentale Fehler der Vergangenheit bestand darin, dass
ein Teil dieser gesellschaftlichen Gruppen gegen die jeweils anderen unter
Anwendung von Zwang und Gewalt benutzt wurde.
Ein solches Vorgehen macht das Wesen eines unterdrückerischen, totalitären
und faschistischen Regimes aus. Weder im Namen nationaler noch klassenspezifischer
Interessen darf in die Verschiedenheit der Gedanken, Überzeugungen
und des kulturellen Lebens eingegriffen werden, da sie frei und gleich
praktiziert werden können müssen. Falls ein solches Eingreifen
doch stattfindet, wäre von Beginn an dem demokratischen Kompromiss
ein entscheidender Schlag versetzt. An diesem Punkt ist die Frage: Minderheit-Mehrheit,
nötig-unnötig nicht diskutabel, es geht um ein Prinzip. So würde
der demokratische Wettbewerb auf seine beste Art funktionieren. Freiheit,
und hiermit einhergehend: Gleichheit, ist Essenz eines gerechten Wettbewerbs.
Freiheit und Gleichheit müssen daher allen freien Individuen und
den durch sie gebildeten Gemeinschaften garantiert werden. Die Gründung
eines demokratischen Systems dieser Wesensart wird, wenn es in den Geist
der Verfassung und der Gesetze eingeht, die große produktive Kraft
einer demokratischen Gesellschaft hervortreten lassen. Es wird erkannt
werden, dass das Eintreten rechtlich garantierter unterschiedlicher Gedanken,
Überzeugungen und Kulturen in einen Wettbewerb ein außerordentlicher
gesellschaftlicher Reichtum sein wird. Unter solchen Umständen wird
alles Nützliche und Wertvolle eine Bedeutung haben und der Gesellschaft
weit mehr nutzen, als es ihr abverlangt. Das, was ohne Wert und von Schaden
ist, wird ebenfalls den Platz finden, der ihm zusteht. Auf diese Art wird
jede Haltung bewusst und rechtlich garantiert sein, so dass weder beim
Staat, noch bei den Göttern der Religionen Zuflucht gesucht werden
muss. Man wird sich auch nicht mehr an Reichtum und Macht anlehnen. In
einer solchen Situation wird das Recht seine wirkliche Quelle repräsentieren
und auf die gerechteste Art und Weise verteilen.
Das unvergleichliche Potenzial demokratischer Verfassungen und Gesetze
ist die elementare Stärke und der berechtigte Stolz einer Gesellschaft.
So wie es keinen Platz für Herrschsüchtige und Hinterlistige
geben wird, wird es diesen auch für die Machtherde der Ungerechtigkeit
nicht geben. Es wird auch keinen Platz für Unterdrückung geben,
sei sie klassenorientiert oder nationaler, religiöser oder ethnischer
Art. Alle Menschen teilen und leben geschwisterlich und gerecht. Frei
wie ein einzelner Baum und geschwisterlich wie ein Wald.
Ich wurde nicht in einer solchen Türkei geboren. Der über lange
Jahre anhaltende Gedanke: Warum bereue ich es, dass ich nicht als
ein städtischer Türke geboren wurde? ist ein Gift, das
durch einen gefährlichen Anti-Demokratismus angerührt wurde.
Und dieses Gift barg den Samen jeglicher Art von Aufstand in sich. Egal,
von wem und wie die Menschen geboren werden, sie dürfen nicht dazu
gebracht werden, ihre Herkunft zu bereuen. Wenn eine Ordnung zu solch
einer Situation führt, trägt die Verantwortung und Schuld hierfür
diese Ordnung selber. Denn eine solche Ordnung erzeugt ständig aufs
Neue Aufständische und damit Schmerz und Tod. Deswegen ist die entscheidende
Lehre, die ich am Ende eines großen Aufstands gezogen habe: Es bedarf
einer Ordnung, die nicht den Boden für Aufstände bereitet.
Eine solche habe ich in den Wertmaßstäben des demokratischen
Systems gefunden, welche die wertvollste Angelegenheit oder den Sinn unseres
Zeitalters darstellen. Kein Aufstand, sei er siegreich oder nicht, kann
den Platz einer wie auch immer gearteten demokratischen Aktion einnehmen.
So wie eine begrenzte demokratische Lösungsmöglichkeit einem
erfolgreichen Aufstand vorzuziehen ist, ist auch eine noch so unzureichende
demokratische Ordnung autoritären Ordnungen vorzuziehen, und seien
sie noch so etabliert. Dies lehrt uns der Kampf. Er lehrt es jeden und
jede. Er lehrt es auch alle Institutionen und den Staat.
Der mit den Worten des Staatspräsidenten als der letzte kurdische
Aufstand bezeichnete Aufstand, um dessen willen mir der Prozess
gemacht wird, ist eigentlich ein Aufstand gegen diese Ordnung der Türkei,
die nicht in der Lage ist, auch nur auf die geringsten demokratischen
Anforderungen eine Antwort zu finden. Aber der Staatspräsident spricht
ohne jede Scham von einer Angelegenheit, die zu so großen Verlusten
führte.
Ihr lasst das Symbol der grenzenlosen Unterdrückung, das Sprachverbot,
das sogar gegen Tiere nicht praktiziert wird und vielleicht in der Geschichte
nicht seinesgleichen findet - denn selbst Äsop war im Besitz einer
Sprache der Sklaven und redete ohne Scham -, in das Wesen des gesamten
Rechtssystems einfließen, und dann erwartet ihr von den Bürgern,
dass sie sich dieser Ordnung unterwerfen. Das ist eine große Anormalität.
Auch die Anormalität des kurdischen Aufstands lässt sich hierauf
zurückführen. Wir haben keine andere Wahl, als beide Anormalitäten
zu überwinden. Ein Kurde, der weder als Kurde noch, aufgrund vorenthaltener
Bildung, als Türke, Araber oder Perser wirklich leben kann, ist die
Quelle eines großen Problems. Auch sein Sterben oder Töten
ist kein Ausweg. Dies ist eine Menschheitstragödie. Ich glaube nicht,
dass die Republik ein Gegner der Kurden ist. Die Republik ist vielleicht
sogar eher, als dass sie es für einen Türken wäre, für
einen Kurden ein Glück. Da den kurdischen Machthabern das sehr wohl
bewusst war, haben sie selbst das Lehren des Türkischen behindert,
selbst das haben sie nicht gewollt. Das Verurteiltsein zu einer mehrfachen
Rückentwicklung hat ihren Interessen eher entsprochen. Es ist eine
Bereicherung, wenn die Kurden die türkische oder andere Sprachen
lernen. Es ist eine Ehre, als freies Individuum Staatsbürger der
Republik zu sein. All dies wird hier nicht diskutiert. Im Gegenteil, was
hier gesagt wird, ist: Warum ist das System, die Demokratie, die Verfassung
eines solchen Reichtums nicht geschaffen worden? Wenn es all dies gegeben
hätte, hätte es dann die PKK gegeben? Wäre es zum Aufstand
genommen? Hätte es einen Apo gegeben?
In meiner Verteidigungsschrift habe ich die legitime Basis dieses Aufstands
beschrieben. Ich habe auch seine Fehler und Irrtümer zur Sprache
gebracht. Es ist eine häufig anzutreffende gesellschaftliche Realität,
dass jede neue Ordnung Produkt der ihr vorangegangenen Kämpfe ist.
Es muss endlich, so wie das auch allgemein gilt, die Sinnlosigkeit des
seit langer Zeit anhaltenden bewaffneten Konflikts der Kurden mit der
bestehenden Ordnung begriffen werden. Am Übergang von der Etappe
des bewaffneten Konflikts der jüngsten Vergangenheit zu der vor uns
liegenden Ära des Friedens müssen auch die Kurden, so wie jede
gesellschaftliche Gruppe, gemäß ihrer kulturellen Eigenheiten
und ihrer eigenen freien Ausdrucksformen beteiligt sein. Hiermit wird
keine privilegierte Stellung gefordert. Es ist weder die Rede von dem
so viel heraufbeschworenen eigenen Staat, noch von einer Föderation
oder Autonomie. Falls die Demokratie in die Praxis umgesetzt wird, besteht
für solche Forderungen auch keine Notwendigkeit. Es existiert der
Wunsch, als ein demokratisches Volk seinen Platz in einer Republik demokratischen
Inhalts einzunehmen. Dies bedeutet, auch wenn sich schwer damit getan
wird, einen Zusammenschluss, der so stark und reichhaltig ist, dass er
nicht mehr zu trennen wäre. Die im modernen Sinne seit fast zwei
Jahrhunderten andauernde kurdische Frage und die Aufstände verlangen
danach, dass so eine Republik endlich eine demokratische Basis erhält.
Wir glauben daran, dass dies die beste Lösung darstellt. Und ich
sage, dies ist die einzig richtige Schlussfolgerung aus diesem Kampf.
Das heißt im Ergebnis, dass auch die Lösung dieses aus der
Unfähigkeit der Republik zur Demokratisierung herrührenden Problems
und des daraus resultierenden letzten Aufstands, der unter der Führung
der PKK stattfand, von derselben Voraussetzung abhängig ist, nämlich
von einer Demokratisierung. Die zum gordischen Knoten gewordene kurdische
Frage hat allen gezeigt, dass eine außerhalb einer umfassenden Demokratisierung
praktizierte Lösung unrealistisch sein wird. Am Ende des 20. Jahrhunderts
haben die Wiederholung einer Phase von Niederwerfung und gewaltsamer Assimilation
sowie darauf folgende, gegen diese Gewaltpolitik gerichtete Reaktionen
und Aufstände auch wissenschaftlich gesehen keinen Sinn mehr. Das
heißt, dass diese Methoden sowohl der Gesellschaft als auch dem
Staat nichts anderes einbringen als Schmerz und steigende Verluste. Hierin
besteht die nicht mehr zu ignorierende Lehre aus der Geschichte.
Es wurde zu der Einsicht gelangt, dass selbst eine mittelmäßige
Umsetzung der fundamentalen Wertmaßstäbe des demokratischen
Systems, die weltweit ihre unvergleichlich problemlösende Stärke
bewiesen haben, uns einer Lösung zuführen können wird.
Die Türkei ist dabei, sowohl als Staat als auch als Gesellschaft,
über ausführliche demokratische Diskussionen der kurdischen
Frage und aller anderen Probleme die Vorbereitung einer demokratischen
Verfassung zu erleben. Diese muss endlich ernsthaft und ohne Hinwendung
zu Demagogie geschehen. So wie auf dieser Grundlage die Republik zu einem
demokratischen Inhalt gelangen wird, so befindet sie sich in einer historischen
Phase, in der kein anderer Ausweg und keine andere Wahl mehr geblieben
sind, als im Besitz einer diesem demokratischen Inhalt entsprechenden
Staatsverfassung zu sein. Meine diesbezügliche Überzeugung wird
sich mit dem Gelingen einer solchen Verfassung festigen.
Ich bin mir der Rolle und meiner Verantwortung bei diesen Entwicklungen
sowohl in meiner Funktion innerhalb der PKK als auch als Person bewusst.
Ich bin überzeugt, dass meine die Vergangenheit betreffenden Analysen
wissenschaftlich fundiert und ehrlich sind. Wichtiger noch und das, was
ich tun muss, sind meine zukünftigen Aufgaben und Arbeiten. Solange
ich am Leben bin, bestehen diese darin, insbesondere die Abkehr der PKK
von der Methode der Gewalt, ihre Teilnahme am Demokratisierungsprozess,
in den die Türkei eingetreten ist, und ihre Transformation zur Legalität
vorzubereiten. Hinsichtlich der Beendigung des bewaffneten Kampfes hat
das Zentralkomitee der PKK seine Entschlossenheit bekundet. Ich bin davon
überzeugt, dass auch die gesamte Organisation entschlossen ist, mit
einem in naher Zukunft stattfindenden Kongress noch vor dem Jahr 2000,
meine Haltung zur offiziellen Linie zu machen und dass sie hierin erfolgreich
sein wird. Ich hege die Hoffnung, dass auch der Staat mit zunehmender
Sensibilisierung bei der Schaffung einer Grundlage für eine Transformation
und Rückkehr zum demokratischen legalen Prozess in der Türkei
Erleichterungen gewährleisten wird. Diesbezüglich lassen Institutionen
und Verantwortliche der höchsten Ebene ermutigende Einstellungen
erkennen. Ich bin überzeugt davon, dass die PKK analysiert werden
muss. Um hierzu einen Beitrag zu leisten, bin ich nicht davor zurückgeschreckt,
die von mir selber erlebte Phase als Grundlage einer solchen Analyse darzulegen
und selbst unter den schwersten Bedingungen für eine friedliche und
geschwisterliche Lösung durch meine Worte und Praxis eine Antwort
zu geben.
Ich muss darauf hinweisen, dass meine Haltung weit jenseits persönlicher
Ängste davon herrührt, dass ich mir der zur Zeit stattfindenden
historischen Phase bewusst und davon überzeugt bin, dass der effektivste
Lösungsweg in den universalen Maßstäben des Rechts innerhalb
eines demokratischen Systems angelegt ist. Ich habe meine Überzeugung
bewahrt, dass diese Einstellung nicht nur die moralisch wertvollste ist,
sondern auch eine richtige politische Haltung nur so aussehen kann. Mein
diesbezüglicher Wille ist ungebrochen.
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