An
das Präsidium des 2. Staatssicherheitsgerichts Ankara
Ich
glaube, dass es sehr wichtig ist, in meiner Verteidigung neben der Realität
des Aufstands den Schwerpunkt auf die wissenschaftliche Behandlung seiner
Folgen zu legen.
Im Schlussplädoyer der Republikanischen Oberstaatsanwaltschaft wird
die Anklageschrift in verkürzter Form erneut dargelegt. Darin werden
zwar meine Aussagen zitiert, aber es wird die gleiche Schlussfolgerung
gezogen. Sie geht davon aus, dass die Wandlungen meiner Person und der
Organisation nicht überzeugend sind und ein Zeichen der Aussichtslosigkeit
darstellen. Es wird auf die Intensität und Anzahl der Aktionen und
das Fortbestehen meiner ideellen Verbindung zu der Organisation hingewiesen
und meine Verurteilung nach Paragraf 125 des türkischen Strafgesetzbuches
gefordert.
Es hätte unbedingt ausgewertet werden müssen, unter welchen
historischen und sozialen Bedingungen der von der PKK geführte Aufstand
entstanden ist, welcher auch von den höchsten Repräsentanten
des Staates als letzter Kurden-Aufstand bezeichnet wird. Die
Geschehnisse, die in der Dimension eines Krieges zum Verlust von Menschenleben,
zu Sachschäden, zu materiellen und ideellen Verlusten führten
und vielseitige positive als auch negative Ergebnisse verursachten, auf
einen individuellen Terrorakt zu reduzieren, ist nicht nur unmöglich,
sondern führt auch zu falschen Schlussfolgerungen, ja, sogar zur
Vertiefung der Ausweglosigkeit. Weiterhin wird es nicht ausreichend sein,
diese Ereignisse ausschließlich unter juristischen Gesichtspunkten,
nach Gesetzen zu beurteilen. Und noch wichtiger: Wenn wir die Ergebnisse
dieses sozialen Aufbruchs, der zu schwerwiegenden gesellschaftlichen Umwandlungen
geführt hat, nicht in einer für die Zukunft nützlichen
Weise handhaben, sondern nach der aktuellen Stimmungslage, dann würde
dies zu einer großen Ausweglosigkeit und noch größerem
Verlust der Zukunft führen.
Die Militärputsche vom 12. März 1971 und 12. September 1980
haben gezeigt, dass die Türkei der 70er-Jahre ernste soziale Aufbrüche
erlebte, welche die bestehende Rechtsordnung bedrängten. Die Rechtmäßigkeit
hat schweren Schaden davon getragen. Die nach dem Militärputsch vom
27. Mai 1960 eingeführte Verfassung, die minimale demokratische Rechte
gewährte, wurde geändert und von der Verfassung von 1982 abgelöst,
die durch anti-demokratische Elemente gekennzeichnet ist. Die Regierung,
die Opposition, linke und rechte Parteien vor 1980 wurden für illegal
erklärt und vor Gericht gestellt.
Auch die PKK ist als eine illegale Bewegung dieser Periode entstanden
und hat sich schwerpunktmäßig auf die gesellschaftliche Realität
der Kurden gestützt. Sie hat sich von einer Bewegung der Forschung
und Propaganda hin zu einer Bewegung der Aktion entwickelt. Man muss sich
vor Augen führen, dass ihre Entstehung zwar nicht legal, wohl aber
legitim war. Gegen das Unterdrückungssystem, das insbesondere durch
die Verfassung von 1982 bis hin zu einem Sprachverbot ausgeweitet
wurde, war der Aufstand zwar nicht im Rahmen der Gesetze entstanden, aber
legitim. Es ist gut bekannt, dass in der kurdischen Gesellschaft eine
historische Angst vorhanden war.
Sie blieb unterentwickelt und schämte sich, ihre eigene Identität
auszusprechen. Es soll niemanden wundern, dass unter dem anarchistischen
Charakter und den degenerierten legalen Bedingungen dieser Periode ein
solcher Aufstand entstanden ist. Die PKK hat versucht, für diesen
Aufstand eine politische und strategische Linie aufzuzeigen. Sie hat das
in vielen Dokumenten zum Ausdruck gebracht. In der Anklageschrift wurden
diese genannt. Ich werde sie nicht wiederholen. Als ihre Hauptslogans
wurden Unabhängigkeit und Freiheit festgelegt.
Das sind die Slogans des Aufstands. Dementsprechend wurde im Programm
und in den Aktionen gehandelt. Diese Tatsachen werden unsererseits nicht
bestritten. Aber ich möchte die große Bedeutung der wissenschaftlichen
Betrachtung betonen. Es ist von lebenswichtiger Bedeutung, daraus in rechtsphilosophischer
Hinsicht Schlussfolgerungen zu ziehen, auch wenn diese Taten nach dem
Gesetz eine Strafe zur Folge haben. Daher ist es notwendig, dass die Parteien
die historische Entwicklung, die aktuellen innen- und außenpolitischen
Entwicklungen ebenso wie die gesellschaftlichen und politischen analysieren
und auf dieser Grundlage ihre Lage objektiv überdenken. Dies wird
uns ermöglichen, nicht nur die Ereignisse zu erklären, sondern
daraus richtige Schlussfolgerungen zu ziehen.
Auch wenn die PKK eine der Hauptverantwortlichen dieser Auseinandersetzung
ist, hat sie die Diskussion über die Kurdenfrage auf
die Tagesordnung in Ankara gesetzt. Die PKK hat das von der kurdischen
Bewegung und von den Entwicklungen im Nord-Irak gelernt. Unter dem
Einfluss dieser beiden Faktoren wurde sie zunehmend selbst zu einem beeinflussenden
Faktor. Ihre Agitation und Aktion wurden von diesen beiden Faktoren stark
geprägt. Sie hat es versucht und geschafft, disziplinierter und kontinuierlicher
zu arbeiten. Es führt zu überzogenen und falschen Schlussfolgerungen,
wenn behauptet wird, dass die PKK alles selbst verursacht hat und die
alleinige Verantwortung trägt. In der Tat, insbesondere bei den Aktionen
kam es zu willkürlichen Handlungen, wie dies an vielen Orten der
Welt geschah, die außer Kontrolle gerieten und sich gegen sich selbst
richteten. Dies befreit zwar nicht von der Verantwortung, aber es hilft,
die Wahrheit zu sehen. Das Programm und die Slogans fordern einen getrennten
Staat und verpflichten hierzu, jedoch die Realität des Lebens breitet
vor uns aus, was noch gültiger und realistischer als das Programm
und die Slogans ist. Das wird uns überall in der Welt und mit vielen
Beispielen in der Geschichte vor Augen geführt. Wenn wir eine Bewegung
nur mit ihren Slogans und ihrem Programm in einer Zeitspanne beurteilen,
kommen wir zu mangelhaften und falschen Ergebnissen. Selbst die Religionen,
die als extrem dogmatische Ideologien und Aktionismus entstanden sind,
ändern sich. So wurde z. B. der Islam von Mekka bis Medina in einer
anderen Form praktiziert als in Damaskus oder Bagdad, geschweige denn
in Istanbul. Es sind große Unterschiede zwischen diesen Etappen
festzustellen. Das ist auch bei der Entwicklung vieler Organisationen,
Bewegungen und sogar Personen zu beobachten.
Kurz gesagt: Auch wenn die PKK mit ihren Ideen und Aktionen nach den Gesetzen
verantwortlich gemacht wird, sind die Formen der ergriffenen Unterdrückungsmaßnahmen,
die gesellschaftlichen Bedingungen, die Eigenschaften der darin verwickelten
Personen und die Art des Widerstands zum grossen Teil mitverantwortlich.
So kommt es beispielsweise in einer demokratischen Gesellschaft und Staatsform
nicht dazu, dass die Gesellschaft und die Einzelpersonen, die für
einen solchen Aufstand geeignet sind, mit dieser Intention und Gewalt
tätig werden. Und der Staat geht nicht mit dieser Härte vor.
Die Organisationen oder Personen zeigen in der Politik konstruktive und
sensible Verhaltensweisen und der Staat geht mit der gleichen Sensibilität
und Angemessenheit vor. So kommt es zu Ergebnissen, ohne dass es zu großen
Auseinandersetzungen kommt. Folglich haben sich die demokratischen Ansätze
in Europa so entwickeln können. Jedoch in den unterentwickelten Gesellschaften
halten die Auseinandersetzungen zwischen den Personen und Stämmen
jahrhundertelang an, was fast zu einem Zusammenbruch und zu Rückschlägen
führte. Es ist bekannt, welche religiösen und zwischenreligiösen
Konflikte sowie Stammes- und Familienfehden in der Realität der Gesellschaft
im Nahen Osten vorherrschen.
Diese kurz gefassten und wichtigen Aspekte spreche ich aus folgendem Grunde
an. Auch wenn die PKK zwar als die Hauptverantwortliche dieser Ereignisse
angesehen wird, werden die Personen, Gruppen oder sogar Staaten, die mit
den Kernzielen der PKK im konträren Interessenausgleich stehen und
diese trotzdem ausnutzen, übersehen und deren Mitverantwortung im
Einzelnen nicht festgestellt. Dies wird zu falschen Kettenreaktionen führen.
Die gleiche Vorgehensweise gilt auch für die Organisationsstruktur
der PKK. Wenn man die Verantwortung der einzelnen Personen von der Parteizentrale
bis zum einzelnen Mitglied, vom Hauptquartier bis zum einzelnen Kämpfer
in diesem Rahmen analysiert, so kann man eine richtige Antwort darauf
finden, in welchem Umfang die Einzelperson und die Organisation Verantwortung
trägt.
Selbstverständlich meine ich damit nicht, dass diese Aspekte in einer
kurzen Anklageschrift behandelt werden sollten. Aber der Kern der Vorgehensweise
ist von Bedeutung. Die Defizite in der Methode bringen gewichtige Probleme
mit sich.
Ich kann meine persönliche Situation im Rahmen dieser Vorgehensweise
betrachten und akzeptieren. Ansonsten ist es vielleicht juristisch haltbar
zu sagen, der Angeklagte hat alles mehr als nötig eingestanden.
Diese Formulierung ist eine unvollständige und zum größten
Teil falsche Aussage und weit davon entfernt, meine Situation nach ethischen
und politischen Gesichtspunkten zu erklären. Eine Beurteilung, die
neben manchen Wahrheiten viele Fehler und Irrtümer beinhaltet, führt
nicht nur zu falschen Ergebnissen, sondern das Einverständnis damit
würde der Realität widersprechen.
In diesem Sinne akzeptiere ich zwar die persönliche Hauptverantwortung
für die Ideologie, Organisation und Aktionen, jedoch ist mein persönlicher
Einsatz für die ideologische Wandlung und Entwicklung, meine ablehnende
Haltung gegenüber den Kämpfen innerhalb der Organisation und
gegenüber den Aktionen - sowohl von den gegen zivile Personen gerichteten
bis hin zu denen, die während des Waffenstillstands die Grenzen der
legitimen Selbstverteidigung überschritten - unbestritten. Es ist
für mich nicht schwierig, diese Aspekte zu belegen und ausführlicher
darzustellen. Einige Worte und Erklärungen von mir, die über
das Ziel hinausgehen, dürfen nicht dahingehend ausgelegt werden,
mein grundsätzliches Verständnis zu übersehen.
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